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Das Friedensbuch

Das Friedensbuch

Patrik Baabs neuestes Werk „Auf beiden Seiten der Front — Meine Reisen in die Ukraine“ bildet eine Brücke des Verständnisses über die Schützengräben hinweg.

Patrik Baab hat den Westen der Ukraine kurz vor, den Osten nach Beginn des Krieges bereist. Die Wucht der persönlichen Begegnungen und die Eindringlichkeit der Beobachtungen des Kriegselends, die Kompaktheit der historischen Darlegungen und die vielfältigen Belege ihrer Beweisführung sind überwältigend; die mehr als 600 Fußnoten sind auf der Homepage des Verlags zu finden. Anhand von Quellen, Zeugenaussagen und Spuren macht Baab die lange Vorgeschichte des Krieges anschaulich und so erst begreifbar, wie es dazu kommen konnte.

Er lässt die Menschen vor Ort, auf beiden Seiten der Front, Bauern, Städter, Soldaten, Schmuggler, Fahrer zu Wort kommen — nicht die geringste Leistung des Buches. Die Menschen sagen: Wir wollen den Krieg nicht. Der Leser wird hineingezogen in das Panorama einer hemmungslosen Politik, die den Krieg als ihr selbstverständliches Mittel anwendet. Die Narrative der westlichen Kriegspropaganda, die die „bellizistische Umerziehung“ des Westens versuchen, erweisen sich im Angesicht der Schilderungen Baabs als eben das — als bloße Erzählungen, schlicht gesagt: als Lügen.

Vor dem gegenwärtigen Krieg Russlands war die Ukraine schon Angriffsziel des Westens: Nach 1945 sollte von ihr die Destabilisierung der Sowjetunion ausgehen. 2014 wurde vom Westen ein Putsch inszeniert, um das Land dem Einfluss Russlands zu entziehen. Die Änderung der geopolitischen Ausrichtung musste das Land spalten. Seit 2014 war der russische Osten den Angriffen faschistischer Gruppierungen ausgesetzt, Tausende starben. Baab kann zeigen: Nicht erst der russische Krieg hat die Ukraine verheert. Bereits 2013 wurde die Krim als Operationsbasis der NATO auserkoren. Russlands Einmarsch im Februar 2022 gingen vielfältige Provokationen voraus. Ein Land als Beute des Westens — auf dem Weg zur Zerschlagung Russlands ist die Ukraine nur eine Zwischenstation, so Baab. Ihre Soldaten kämpfen für ein Land, das längst unter den Oligarchen und westlichen Investoren aufgeteilt ist.

Einmal mehr erweisen sich die westliche Rhetorik und die nationalistische Propaganda bis hin zu ihren faschistischen Ausprägungen als Mantel zur Vertuschung der Interessen des Kapitals.

Im wirtschaftlichen Sinne, so zitiert Baab den französischen Historiker Emmanuel Todd, hat der dritte Weltkrieg schon begonnen. Was das für die Stabilität von Wirtschaft und Demokratie der EU und Deutschlands als Vasallen der USA bedeutet, skizziert Baab ebenfalls: Es ist eine absehbare, angekündigte Katastrophe. Zu der gehört, so der Autor, dass auch Putin in der Folge des Vordringens des Westens auf einen den US-Neocons komplementären Kurs eingeschwenkt ist. Die Verortung des Ursprungs des Kriegs im wahlweise irren oder bösen Hirn eines einzelnen Politikers erweist sich hingegen als ahistorische und apolitische Fiktion der „Guten“ im Westen.

Das Kompositionsprinzip des Buches ist das des Films: Im schnellen Wechsel zwischen den Zeitformen und in zum Teil sehr kurzen Schnitten setzt Baab Beobachtungen an Diagnosen, Dialoge an Analysen, historische Exkurse an persönliche Wertungen und einige verhalten emotionale Äußerungen. Kann man die dem Autor verdenken? Die Technik macht dem Leser klar: Das Verständnis der Beziehungen zwischen der Ukraine und Russland und die Aufklärung der Rolle der beteiligten Akteure bei Entstehung und Fortdauer der Konflikte bis hin zum Krieg sind nicht einfach zu haben. Sie ergeben sich aus einer Vielzahl von Informationen, die sich zu dem ziemlich konsistenten Bild einer erheblichen Verantwortung des Westens für die Eskalation seit Februar 2022 fügen. Westliches Geld und westliche Waffen verhindern seitdem den Frieden.

Die Sortierung der Akteure nach „gut“ und „böse“, die die hiesigen Medien oktroyieren wollen, ist nach Lektüre des Buchs nicht mehr so einfach möglich. Baab hat die Referenz zum Thema geschaffen, die nicht ignoriert werden kann — sein Buch ist ein Beitrag zu einer künftigen Friedenspolitik. Wie die Reaktionen auf die Reisen des Autors und auf sein Buch — Verunglimpfung, Kündigung der Dozenturen — zeigen, vermittelt es Einsichten, die in den westlichen Medien nicht vorkommen dürfen. Dagegen gilt: Wer dieses Buch und seinen Autor zu diskreditieren versucht, der meint es – ob wissentlich oder nicht –, nicht gut mit der Ukraine, meint es nicht gut mit dem Frieden.

„Es gibt eine Kriegswissenschaft; jetzt muss eine Friedenswissenschaft begründet werden.“ „Auf beiden Seiten der Front“ folgt dieser Owen D. Young zugeschriebenen Forderung: Das Buch ist ein Beitrag zu dieser neuen Wissenschaft. Deshalb sei der Aufruf, das Buch zu lesen und es zu verbreiten, erlaubt.



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