Das Ende der Kindheit
Die Schulen in Deutschland rüsten sich jetzt für Corona. Sie werden nicht etwa digitalisiert, räumlich erweitert, die Klassen geschrumpft: Nein, die Schülerinnen und Schüler selbst müssen angepasst werden. Sie müssen begreifen, dass sie nicht zur Schule gehen, um Freunde zu sehen — sie gehen zum Lernen dahin. Nur zum Lernen. So legt es beispielsweise eine Belehrung der thüringischen Regelschule Stotternheim dar, die in den sozialen Netzwerken zirkuliert. Zwanzig Punkte regulieren den Schulalltag — und das auf eine ganz und gar nicht kindgerechte Art und Weise.
Aber nicht nur das. Man schanzt den Kindern Verantwortungen zu, die sie nicht zu tragen haben. So wird den Kindern eingebläut: „Ich beachte, dass Krankmeldungen bis 8 Uhr durch meine Eltern erfolgen müssen.“ Die Erziehungsberechtigten werden also zum Anhängsel des Kindes; das Kind in einer Dauerschleife der Selbstbestimmung und Eigenverantwortlichkeit festgesetzt, für das es noch nicht geistig gerüstet und emotional gefestigt ist.
Diesen Mangel nennt man gemeinhin Kindheit. Und die scheint als Modell abzudanken. So alt ist das Konzept noch gar nicht. Vor 120 Jahren waren Kinder oft nicht mehr als kleine Erwachsene, Wesen, die arbeiten und ihre Familie versorgen konnten — und mussten. Dass die Jahre als Kind eine schöne, am besten eine harmonische und geborgene Zeit sein sollten, manifestierte sich erst im Laufe des 20. Jahrhunderts. Bis neulich galt dieses Konzept als unumstößlich. Nun wird Druck ausgeübt, Verweise für Maskenvergessenheit angedroht, in Berlin sollen gar Bußgelder an Schüler ausgeteilt werden.
Eltern als Vollzugskräfte
Die Kindheit wird stark zurechtgestutzt, Kinder werden in ein Korsett der Vernunft und Rationalität gepresst, für das sie noch gar nicht bereit sind. Überhaupt scheint die Aussetzung von so „unordentlichen Gefühlen“ wie Liebe oder Zuneigung als jetzt notwendige Härte gegen sich und andere zu gelten. Die Gesundheitsämter spielen sich in den vergangenen Wochen innerhalb von Familienverbänden als Sachwalter dieser neuen Härte auf.
Es wird berichtet, dass sie Eltern als Vollzugskräfte gegen ihre eigenen Kinder rekrutieren wollen. Sie fordern dazu auf, Kinder unter Covid-19-Verdacht in der elterlichen Wohnung zu separieren, deren Quarantäne auf das Kinderzimmer zu beschränken.
Auch die Mahlzeiten sollten getrennt eingenommen werden. Mehrfach sollen die Gesundheitsämter ihre Kompetenzen überschritten und Kindesentzug in Aussicht gestellt haben, wenn die Eltern diesen Aufforderungen nicht Folge leisten. Personal für ein etwaiges Vorgehen wird bereits gesucht.
Die emotionale Angelegenheit namens Elternschaft: Sie soll einfach mal wegvernünftelt werden — unter Druck und Auflagen, versteht sich. Der Infektionsschutz sieht kein Problem darin, Kinder mal zwei Wochen der sozialen Verwahrlosung zu überstellen, sie alleine zu lassen und Eltern zu Schließern zu drängen und deren Elternschaft als einen Makel zu definieren, der dem Gesellschaftsschutz im Wege stehen könnte. An diesen Episoden sieht man, wie der Seuchenschutz agiert: Er weiß nichts vom Menschen, er unterliegt einer rein biologischen Logik, ist Körpermaterialismus und vergisst das, was an diesem Körper hängt: den Menschen — als emotionales Wesen.
Der andere Teil von jener Kraft
Die Gesundheitsämter heißen in diesem Falle nur so. Ob sie Gesundheit als Ziel haben, wenn sie als Seuchenschutzbehörde wie beschrieben auftreten, bleibt mehr als fraglich. Eher wirkt es so, dass sie Krankheit verschieben, psychologische Folgeschäden bei Kind und Eltern in Kauf nehmen. Das Schulkonzept in vielen Bundesländern, in denen Maskenpflicht im Unterricht, auf den Schulgängen und auf dem Pausenhof gilt, scheint ebenso keine falsche Scheu vor solchen Folgeerscheinungen zu haben.
Natürlich hat das auch mit der Lehrerschaft zu tun, die sich seit Beginn der Krise scheut, wieder einen Regelbetrieb aufzunehmen. Die Interessensvertretungen haben es geschafft, sich als Opfer unserer Zeit zu stilisieren, während Pflegekräfte und Kassenkräfte keine Chance hatten, sich der Pandemie durch Daheimbleiben zu entziehen.
Dass Kinder gar keine Infektionstreiber sind, wie es am Anfang des Infektionsgeschehens vermutet wurde, kümmert weder Lehrer noch Politik.
Sie bauen auf ein unrealistisches Konzept und deinstallieren die Kindheit. Wenn man sie nach dem Motiv fragen würde: alles nur im Namen von Gesundheit und Menschlichkeit.
Mephisto stellt sich dem Gelehrten Faust als „Teil von jener Kraft“ vor, „die stets das Böse will und stets das Gute schafft“. Da schwingt Hegels List der Vernunft mit, jenem historischen Zustand der Verschlechterung, den der Weltgeist am Ende als Synthese in bessere Gefilde lotst. Aber es gibt auch eine andere Kraft, jene nämlich, die vorgibt stets das Gute zu wollen und die stets das Böse schafft. Mit der haben wir es jetzt zu tun, mit jenem paradoxen Zustand, Mensch sein zu wollen und Unmensch zu werden …
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