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Dammbruch der Desinformation

Dammbruch der Desinformation

Seit der Naturkatastrophe in Valencia häufen sich die Theorien, was die Ursache gewesen sein könnte. Von Klimawandel bis Haarp war alles zu finden — es fehlte nur noch „Putin ist schuld“.

Ja. Auch mich erinnerte Valencia an die Situation im Ahrtal, wo Menschen heute noch unter der Flut leiden. Da dort eine Freundin von mir betroffen war beziehungsweise immer noch ist, waren die Assoziationen schnell geknüpft. Also habe ich immer wieder mitgelesen, was berichtet wurde.

Alarmistische Meldungen in den sozialen Medien

Als ich dann folgende Grafik im Telegramkanal einer Bekannten fand, war ich „alarmiert“.

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Der Begleittext war vielsagend:

„Die blauen Punkte markieren alle Dämme und Wasserrückhaltebecken, die rund um Valencia vorsorglich entfernt wurden. Das vorgegaukelte Ziel war mehr Artenvielfalt. Die Realität jetzt ist, dass Menschen ihr Leben verlieren.“

Verlinkt war folgende Webseite, auf der ich — nach anfänglichen Schwierigkeiten, die Seite aufzurufen – unter der Überschrift „Weniger Flussbarrieren für mehr Artenvielfalt“ folgende Zeilen vorfand:

„Dämme können schlecht für Flüsse sein. Preisgekrönte Projekte zeigen, wie sich Europas fragmentierte Flüsse erholen, wenn Barrieren beseitigt werden. Davon profitieren Ökosysteme und Wirtschaft.

Der Natur am Fluss Cabrillas in der spanischen Provinz Guadalajara ging es nicht gut. Zwei große, jeweils drei Meter hohe und längst veraltete Wehre unterbrachen seinen natürlichen Lauf, wodurch sein Fischbestand zurückging. Aber ein Projekt schuf Abhilfe: Durch den Wehrrückbau wurde der Cabrillas wieder mit dem Fluss Tajo verbunden, sodass die Fische auf dem 50 Kilometer langen, frei fließenden Abschnitt nun wieder ihren natürlichen Wanderrouten folgen. ...

Das Projekt zur Beseitigung der Wehre am Cabrillas erhielt im Mai 2023 auf der internationalen Konferenz ‚Dam Removal Europe‘ in Manchester den Dam Removal Europe Award 2022. Die Europäische Investitionsbank prämierte das beste Projekt mit einem Preisgeld von 10.000 Euro, das die Preisträger in künftige Dammrückbau-Projekte reinvestieren müssen. Die Bank der EU sponserte den Preis das zweite Jahr in Folge.“

Die Grafik selbst fand ich allerdings nicht.

Natürlich erwarte ich von der EU und ihren Fördermaßnahmen nichts Gutes. Ich war also nicht nur „alarmiert“, ich war verärgert — wollte, dass die Öffentlichkeit davon erfährt. Wofür bin ich freie Journalistin? Also muss ich recherchieren, wenn ich dazu schreiben möchte.

Auf Facebook habe ich daher als Erstes in „meiner Filterblase“ nachgefragt, ob jemand die Quelle der Grafik kenne.

Eine mir langjährig bekannte — und vertrauenswürdige — Facebook-Freundin berichtete unter anderem:

„Dazu kommt, dass in den letzten 3 Jahren vom Staat hunderte von Staubecken und Dämme abgebaut wurden, gerade auch in der Umgebung von Valencia, die von Franco extra als Flutschutz gebaut wurden. Dafür gab es Subventionen von der EU!

Seit 10 Jahren dürfen die Flussufer bei Strafe nicht mehr wie früher gereinigt werden, das heißt, totes spanisches Rohr hat sich da angesammelt und das Wasser zusätzlich gestaut, Abflüsse versperrt und vieles mehr. Diese Canas stapeln sich in den Straßen zum Teil meterhoch und erschweren zusätzlich die Aufräumarbeiten.“

Das deckte sich mit meiner „Denke“.

Ich erhielt den Hinweis auf einen Beitrag von „wideawake_media“ auf X, , wo ich las:

„Spain destroyed more than 256 dams between 2021 and 2022, ‘to restore the natural course of rivers’, in order to comply with UN Agenda 2030. But no, the flooding is a result of ‘climate change’“.

Andere leieteten mir einen Bericht des Neuen Deutschlands weiter aus 2018:

„‘Alle ungenutzten Dämme müssen weg‘, Der Madrider Ökologe Diego García de Jalón über die Wiederherstellung von Flussökosystemen in Spanien.“

Und dann kam noch ein Screenshot der Badischen Zeitung aus 2023.

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Die Suche nach der Quelle

Es gab zahlreiche weitere Informationsquellen, die alle erneut meinen bisherigen „Kenntnisstand“ bestätigten, trotzdem wollte ich doch die Originalquelle des Bildes finden. Aber auch Google-Bildersuche konnte mir nicht helfen, sondern warf fast nur Twitter- beziehunsgweise Facebook-Meldungen mit der Grafik aus.

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Dank des Hinweises eines weiteren Facebook-Freundes stieß ich auf die Seite riverwatch.eu. Auch hier las ich, „Europas Flüssen geht es schlecht, zu diesem Ergebnis kam kürzlich die EU in ihrem Bericht zur Lage der Fließgewässer. ... Ein aktueller Bericht von Dam Removal Europe hat die Anzahl der Dämme und Wehre nun erstmals genauer erhoben.“

Aber hier wurde es dann spannend. Denn Dam Removal Europe dokumentiert begeistert und minutiös, wo überall Dämme und Wehre abgebaut werden. Sie zählen diese mit. Den dort verfügbaren Seiten konnte ich entnehmen, dass Spanien wirklich zu den Ländern gehört, die beim Rückbau führend sind. In einem Bericht aus 2022 bestätigte folgende Statistik diese Aussage:

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Im Menü unter Toolbox fand ich dann das, was ich suchte: die Karte der Rückbauprojekte in Europa, wo ich die Quelle der ursprünglichen Grafik vermutete. Allerdings ... meine Vermutung wurde nicht erfüllt. Im Gegenteil. Im Gebiet rund um Valencia waren nahezu keine Rückbauprojekte zu finden – und die, die ich dort sah, hatten nicht in den letzten Jahren stattgefunden.

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Feedback von „Vor-Ort“

Als ich die Grafik, die meine Recherchen initiiert hatte und diese Grafik von Dam-Removal wiederum auf Facebook postete, um meine „Bubble“ entsprechend zu informieren, kam von einem Facebook-Freund, der seit 2018 in Spanien genau in dieser Gegend lebt, folgender Kommentar:

„Ich wohne da. Alles Käse, was geschrieben wurde. Kleinere veraltete Rückhaltebecken wurden abgerissen. Seit über 20 Jahren gibt es einen Plan, das ganze Gebiet hochwassersicher zu machen, aber es wurde kein Geld dafür ausgegeben, sondern anderweitig in die Infrastruktur gesteckt. Das Hochwasser ist ein 500-jähriges gewesen. Der Canyon war für die Wassermenge nicht ausgelegt. Sämtliche Erklärungen und Links findet man auf meiner Timeline. Was eine Dana ist, Links zu Zeitungen mit entsprechend informativen Artikeln.“

In seiner Timeline fand ich unter anderem folgende Information:

„Für die Freunde und Spekulanten des menschengemachten Klimawandels oder der menschengemachten Wetterereignisse: Das sind die Niederschlagsmengen, meistens ausgelöst durch das Wetterphänomen Dana oder Gota Fria, in der Provinz Valencia. Es gibt weitere Regenrekorde ebenso in anderen Provinzen. Man findet seit 1321 weitere circa 100 ähnliche Ereignisse und Niederschlagsmengen bis 1897.“

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Bei aller Tragödie, die dort herrscht: Der Vorfall ist nicht einmalig und nicht erstmalig, hätte — vielleicht, möglicherweise, wahrscheinlich — durch entsprechende Infrastrukturprojekte und weniger Flussbegradigungen in der Vergangenheit verhindert werden können. Aber das weiß man nicht.

Wir sprachen kurz via Messenger miteinander, hier die Kernaussagen aus unserem Gespräch:

Hier „drehen alle derzeit am Rad“ — ich habe den Eindruck, dass es Gruppen gibt, die ganz gezielt Desinformation streuen und die Menschen nur weiter verunsichern. Die angeblichen horrenden Todeszahlen aus einem Parkhaus, die überall vermeldet wurden, haben sich — Gott sei Dank — als komplette Desinformation herausgestellt. Es ist dort niemand gestorben. Nur eines von vielen Beispielen.

Die Wasser- beziehungsweise Regen-Situation hier im Gebiet ist ausgesprochen unterschiedlich. Während es in einigen Gegenden in den letzten zwei Jahren nur 250 mm Regen gab, fiel nur wenige Kilometer weiter eine völlig ausreichende Regenmenge. Das ist regionalbedingt und normal hier.

Die Stauseen sind für die Bewässerung der Landwirtschaft — wohl rund 65 Prozent — aber auch für den Tourismus unverzichtbar.

Ich habe nach unserer Facebook-Diskussion nochmals nach recherchiert. Hier in der Region sollten zwei Staudämme abgerissen werden, bei einem konnte dies aufgrund des Widerstands der Bevölkerung verhindert werden. Der andere wurde abgerissen, der Abbruch hat aber das Hochwasser in Valencia nicht beeinflusst. Es wurden einige kleinere Regenrückhaltebecken renaturiert, aber auch die liegen außerhalb des betroffenen Gebietes. Ich bin in der Gegend sehr viel unterwegs und kann bestätigen, dass in der Region keine großen Stauseen zurückgebaut wurden, die Einfluss auf die Katastrophe gehabt hätten, maximal waren es kleine Staustufen von 1 bis 2 Metern innerhalb eines Flusses.

Es gibt aber einen großen Skandal in diesen Zusammenhang. Seit 2001 gibt es genehmigte Pläne zur Umleitung kritischer Wasserverläufe, was eine Investition von 25 Millionen Euro bedeutet hätte. Diese wurden aber zugunsten anderer „wichtigerer“ Infrastrukturprojekte nicht umgesetzt. Die Vorsorge beziehungsweise Maßnahmen, sich vor einem möglichen 500-jährigen Hochwasser zu schützen, hatten keine Priorität.

Ein Resümee

Fakt ist: Es gibt diese Renaturierungspläne, es gibt massive Rückbauten, es gibt EU-Förderungen für Projekte, die aus Sicht der betroffenen Menschen in der Region ganz und gar nicht sinnvoll sind. Ich kann — ohne Kenntnis der wirklichen Lage vor Ort — nicht beurteilen, was notwendig ist und was im Sinne einer Agenda den Menschen aufgezwungen wird.

Ich habe auch weiterhin keinerlei Kompetenz über die wirklichen Ursachen der Katastrophe, die zu unsäglichem Leid bei vielen Menschen geführt hat. Den angedachten Artikel mit einem Bericht über die böse EU, die durch Rückbau von Dämmen für das Leid der Menschen in Valencia verantwortlich zu machen ist, konnte ich aber nicht schreiben.

Nicht, dass ich die derzeitige EU für ein sinnvolles oder gar demokratisches Konstrukt halte, nicht dass ich Maßnahmen dieser Institution nicht grundsätzlich für extrem zweifelhaft halte.

Aber Fake-News möchte ich keine verbreiten. Und solange es keine seriöse Quelle für diese angeblichen massiven Rückbauten der Dämme und Wasserrückhaltebecken rund um Valencia gibt, gelten alle Nachrichten, die hier einen direkten Zusammenhang herstellen, für mich als unbelegte Annahmen.

Trotzdem musste ein Artikel geschrieben werden. Denn ich habe gemerkt, wie leicht man auf Fake-News hereinfallen kann, wie leicht ich auf Fake-News hereinfallen kann. Ich hätte die erste Grafik nicht überprüft, hätte nicht nachrecherchiert, die Meldung nicht hinterfragt, hätte ich nicht beabsichtigt, einen „informativen“ Artikel zu schreiben.

Die „Information“, dass die Renaturierung Schuld beziehungsweise Mitschuld an der Tragödie ist, wäre in meinem Kopf hängengeblieben. Sie war ja so „logisch“, passte in meine Vorstellungs- und Vorurteilswelt.

Darum entstand der Artikel. Als Warnung. Für mich und andere der Hinweis: Etwas nicht einfach zu glauben, nur weil es ins eigene Weltbild passt.

Und zum Schluss die unvermeidbaren Fragen: Warum müssen Katastrophen durch derartige Halbwahrheiten instrumentalisiert werden? Wem nutzt das?


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