Heribert Prantl ist ein scharfer Beobachter. Seit März vergangenen Jahres verfolgt er mit anfangs wachsamem, inzwischen mehr und mehr besorgtem Blick den Umgang von Regierung und Medien mit dem Phänomen Coronavirus/Sars-CoV-2. Schon sehr früh warnte er in seinem Newsletter mit dem passenden Motto „Prantls Blick“ vor den verheerenden Auswirkungen der ergriffenen Maßnahmen.
Nun hat er ein Buch dazu geschrieben, das einerseits eine Sammlung der in der Süddeutschen Zeitung erschienenen Kolumne umfasst, darüber hinaus aber deutlich weitergeht und sich mitunter anfühlt wie der Schrei eines einsamen Kriegers in der Wüste, der seine Kollegen und Kameraden herbeizurufen versucht, die sich völlig verrannt zu haben scheinen.
„Nicht die Freiheit muss sich rechtfertigen, sondern ihre Beschränkung und Begrenzung. In der Corona-Zeit begann dieser Satz zu wackeln und zu bröckeln“, schreibt der Autor, um sogleich darauf hinzuweisen, dass in seinem Umfeld ihn mancher als „juristischen Erbsenzähler“ bezeichne. Das Beharren auf den Grundrechten werde ins Lächerliche gezogen.
Man kann sich bei solchen Passagen des Eindrucks nicht erwehren, dass Heribert Prantl seine Zeilen nicht nur an den normalen Leser richtet, sondern in erster Linie auch an die Kollegen im eigenen Haus, wenn er betont, dass eine Stimmung entstanden sei, die Grundrechte in Krisenzeiten als Gefahr erachtet. Einige Sätze erinnern an die Worte des Historikers René Schlott, der sich in der SZ ebenfalls gleich zu Beginn der Maßnahmen im März kritisch äußerte und davor warnte, dass diese oft schnell ergriffen, aber nur sehr schwer wieder rückgängig gemacht werden.
„Die Bewegungsfreiheit der Menschen wurde massiv eingeschränkt, die Gewerbefreiheit ist ausgesetzt, das Recht auf Eigentum ist suspendiert, Freizügigkeit gibt es nicht mehr, es gibt deutschlandweit Kontaktverbote und Kommunikationssperren, Hausarrest für die Bevölkerung. Das soziale und das wirtschaftliche Leben ist schwer erschüttert. Und es gibt kaum Protest dagegen und keine Demonstrationen; letztere sind ja verboten.“
Was für Heribert Prantl offenkundig aber noch schwerer wiegt, ist das Versagen der Kirche in der Krisenzeit. Aus seinen Worten dringt tiefe Fassungslosigkeit über das Leid der Sterbenden, das Verbot des Abschiednehmens und die Untersagung von Trauerfeiern. Eindringlich und berührend schildert er den Tod der eigenen Eltern, aber auch seine Kindheit, in der für ihn der Tod sehr präsent gewesen sein muss: die Aufbahrung der Gestorbenen, die Anteilnahme der Nächsten, das Zelebrieren des Verlassens dieser Welt. All dies werde den Menschen aktuell geraubt, und der Leser spürt Prantls Verzweiflung über den Schwund an Mitgefühl und Mitmenschlichkeit.
In „Not und Gebot“ widmet sich der Autor nicht nur den Ältesten und Schwächsten, deren letzte Monate auf dieser Erde unter sterilen und kühlen Bedingungen vonstattengehen müssen, sondern auch den Jüngsten, die ebenfalls vernachlässigt werden.
Bemerkenswert ist folgende Passage:
„Und Masken? Darf es sein, dass Fünftklässler, die jetzt auf eine neue Schule kommen, ihre Mitschülerinnen und Mitschüler, ihre Lehrerinnen und Lehrer nur mit halbem Gesicht kennenlernen — wie dies jetzt in einigen Bundesländern geschehen soll?“
Sie stammt aus einem der Newsletter in der Mitte des Buches und nimmt Bezug auf die Rückkehr der Schüler und Schülerinnen nach den Sommerferien im vergangenen Jahr. Im Februar 2021 wird darüber nicht einmal mehr diskutiert, unsere Jüngsten werden vollmaskiert, getestet und säuberlich voneinander getrennt in Kleingruppen in die Schule gelotst. Die Gesellschaft stumpft ab und nimmt hin, dass die Maßnahmen immer schärfer werden, statt schwächer.
Und genau dies ist wohl auch die Befürchtung von Heribert Prantl. Weihnachten und Ostern werden nur noch unter epidemiologischen Gesichtspunkten betrachtet — man denke an Schlagzeilen wie „Jesus hätte seine Oma nicht besucht“ —, was dem gläubigen Christen, der er ist, sicherlich die Haare zu Berge stehen lässt.
Prantl appelliert an seine Leser, die protestierenden Menschen ernst zu nehmen. Unter ihnen seien nicht wenige Anhänger und Mitglieder von SPD, Grünen und Linken, auch der FDP und der Union. Hin und wieder wendet er sich auch direkt an seine Kollegen: „Die Presse ist nicht Lautsprecher der Virologie, sondern der Demokratie.“
Ganz hat der frühere Richter seine Hoffnung nicht aufgegeben. Er hoffe darauf, so schreibt er, dass die Menschen wieder miteinander reden können, dass die angstbesetzte Polarität der Reaktionen auf Corona einem zuhörenden und diskutierenden Miteinander Platz macht.
Mit „Not und Gebot“ hat Heribert Prantl beide Hände ausgestreckt: die eine in Richtung der Maßnahmenkritiker, die andere in Richtung der Befürworter. Er hat einen mutigen Text geschrieben, einen berührenden Text, einen wichtigen Text.
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