Viel interessanter als ihr Bauch sind die obere und untere Spitze der Zwiebel. Und noch interessanter ist die Frage, wie sich der massige Bauch zu den beiden Spitzen verhält. Von wenigen rühmlichen Ausnahmen abgesehen, gilt dies: Die Masse buckelt nach oben und tritt nach unten.
Am oberen Ende der Zwiebel sonnen sich die Koryphäen der Medienbranche, die bewunderten und verehrten journalistischen Vorbilder, die unumstrittenen Leitsterne. Am unteren Ende finden wir die Ausgestoßenen, die Exkommunizierten, die Häretiker.
Beginnen wir unten! In den Wochen vor Weihnachten konnte man es wieder erleben. Da drehten die etablierten Medien nochmal so richtig auf. Mit von der Partie waren auch weniger etablierte, von denen man es nicht unbedingt erwartet hätte. Objekt ihrer denunziatorischen Begierde waren Ken Jebsen und sein Onlineportal KenFM.
Selbst arglosen Beobachtern wird aufgefallen sein, dass sich die rüden Vorwürfe gegen Jebsen (Verschwörungstheoretiker, Antisemit, Rechtspopulist, Querfrontler etc.) auf außerordentlich dünnem Eis bewegen. Gibt es einen einzigen zweifelsfreien Beleg, der die brachiale Diffamierung, Denunziation, Stigmatisierung oder – wie man früher gesagt hätte – Verfemung dieses Menschen und Kollegen rechtfertigen könnte? Und umgekehrt: Findet sich irgendwo im Mainstream eine umfassende, gleichermaßen faire und kritische Würdigung seiner Arbeit?
Ken Jebsen ist einer jener Ausgestoßenen und Ausgegrenzten am unteren Ende der Zwiebel. Einer, der vom Mainstream nicht als Kollege respektiert wird, der als „nicht satisfaktionsfähig“ gilt. Er steht jenseits des von den vermeintlichen Demokratiewächtern selbstherrlich definierten legitimen Diskursspektrums.
Was die Frage aufwirft, warum sie, die Demokratiewächter, sich immer wieder an dieser „Unperson“ abarbeiten. Die naheliegende Antwort lautet: Sie unterziehen sich dieser Mühe, weil Jebsen Erfolg hat – einen Erfolg, den sie sich nicht erklären können. Nicht nur das, was Jebsen sagt, bringt sie auf die Palme. Es ist auch und vor allem sein Erfolg, der ihn in ihren Augen verdächtig und gefährlich macht.
Dass ein Journalist erfolgreich arbeitet, also ein großes Publikum erreicht, ist an sich nichts Ungewöhnliches. Es gibt im journalistischen Gewerbe viele überaus erfolg- und einflussreiche Einzelfiguren. Sie mögen zwar Neider haben, doch im Allgemeinen erfreuen sie sich der Anerkennung, mitunter sogar der geradezu ehrfürchtigen Verehrung ihrer Kollegen. Sie gelten als die großen, untadeligen Autoritäten der Branche.
Wie schafft man es ans obere Ende? Und wie gerät man ans untere Ende? Wie wird man zum glorifizierten Leitbild, wie zum unbarmherzig Ausgestoßenen? Das kann man nur beantworten, wenn man sich auf gewagte, sozusagen blasphemische Vergleiche einlässt. Vergleichen wir also, und greifen wir so hoch wie irgend möglich! Vergleichen wir den stigmatisierten Ken Jebsen mit einem der renommiertesten Journalisten dieser Welt: mit Thomas L. Friedman.
Thomas Friedman ist außenpolitischer Kolumnist der New York Times. Er schreibt auch Bücher, in der Regel Bestseller, die in viele Sprachen übersetzt werden. Friedman ist nicht bloß ein Alpha-Journalist, er ist ein journalistischer Superstar.
Und doch: Würden jene Kollegen, die vor einigen Wochen unisono über Ken Jebsen hergefallen sind, an Thomas Friedman ähnlich strenge Maßstäbe anlegen, müssten sie sich einige sehr ernste Fragen stellen.
Blicken wir zurück auf das Jahr 2003. Ohne unmittelbar bedroht zu sein, unter Bruch des Völkerrechts und durch ein Lügengespinst gerechtfertigt, attackierten die USA und ihre Verbündeten den Irak. Hat Friedman seinerzeit das Vorgehen von USA & Co. als das bezeichnet, was es war? Also als Kriegsverbrechen? Im Gegenteil. Um grandiose Vergleiche nie verlegen, befand er Ende November 2003 in der New York Times, dass „dieser Krieg das wichtigste liberale, revolutionäre Projekt eines Demokratieaufbaus seit dem Marshall-Plan“ sei. Die US-Kräfte seien darauf aus, „eine vernünftige, legitime, tolerante, pluralistische und repräsentative Regierung“ aufzubauen. Was im Irak geschehe, sei eines der edelsten Vorhaben, das die USA jemals im Ausland betrieben hätten.
Da muss man tief durchatmen. Seither sind 15 Jahre vergangen. Nun gestehen Journalisten wie Friedman zwar hin und wieder „Fehler“ oder „Irrtümer“ ein – meist ein paar Hunderttausend Tote später –, aber nie bekennen sie sich zu ihrer Schuld oder Mitschuld. Hat unser allseits geschätzter Spitzenjournalist inzwischen etwas dazugelernt? Springen wir in die Gegenwart!
Wie seine Zeitung, so hat sich auch Friedman in das amerikanische Dauer-Topthema „Russiagate“ verbissen. In einer Morning Show auf MSNBC tönte er vor einigen Monaten, dass „die Russen“ durch ihre angebliche Wahleinmischung das Herz der US-Demokratie angegriffen hätten. Aus Friedmans Sicht ein empörender Vorgang, der ihm abermals superlativische Vergleiche entlockte. „Russiagate“, so sagte er, habe 9/11-Format respektive eine Pearl Harbor-Dimension. Man erinnert sich: Pearl Harbor bewirkte den Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg, 9/11 löste den bis heute andauernden und offenbar endlosen „Krieg gegen den Terror“ aus. Folgt man den überspannten Polit-Phantasien Thomas Friedmans – wie wohl könnten/sollten/müssten die „Russiagate“-Konsequenzen aussehen?
Im April 2017 langte Friedman abermals zu. In harschen Worten forderte er Präsident Trump auf, den Kampf gegen den IS in Syrien aufzugeben. Denn das US-Engagement gegen den IS-Terror nütze am Ende nur Assad, den Russen, Iran und der Hisbollah. Die USA sollten sich gegen den irakischen IS, nicht jedoch gegen den syrischen wenden. In Syrien müsse man die Terrororganisation gewähren lassen, damit sie voll und ganz zum Problem der anderen Seite (also der Russen) werde. Man müsse es, so Friedman ausdrücklich, genauso machen wie damals in Afghanistan. „Damals“ – das war gegen Ende der Amtszeit Jimmy Carters und in der Reagan-Ära. Da hatten die USA den glorreichen Einfall, die afghanischen Mudschaheddin (unter ihnen Osama bin Laden) zu munitionieren, um die sowjetischen Okkupanten des Landes kräftig zur Ader zu lassen. Kurzfristig hat das sogar funktioniert – über die längerfristigen Folgen schweigt sich Friedman wohlweislich aus…
Wir sehen: Einer der führenden Journalisten dieser Welt plädiert dafür, den Terror zu instrumentalisieren und den geopolitischen Zielen der USA dienstbar zu machen (sowie den regionalpolitischen Interessen Israels, die Friedman stets – und oft unausgesprochen – mit im Blick hat). Was Major Tom hier vorschlägt, betreiben die USA und ihr Verbündeter Großbritannien zwar faktisch schon seit Jahrzehnten (1), doch dass ein Meinungsführer sich derart offen und unverblümt zu dieser halsbrecherischen Strategie bekennt („Der Feind meines Feindes ist mein Freund“), verdient festgehalten zu werden.
„Assad must go“-Friedman erweckt gerne den Eindruck, dass er immer und überall für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte eintrete. Dass dem keineswegs so ist, kann man als treuer Leser seiner Elaborate zwar schon länger wissen, wurde aber vor einigen Wochen, am 23. November 2017, in besonders drastischer Weise offenbar. Da begann Friedman einen umfangreichen Times-Beitrag mit den Worten: „Ich habe nicht geglaubt, dass ich lange genug leben würde, um diesen Satz schreiben zu können: Der bedeutendste Reformprozess im heutigen Mittleren Osten findet in Saudi-Arabien statt. Ja, Sie haben richtig gelesen…“
Bevor er diese verblüffende Erkenntnis zu Papier brachte, hatte Friedman selbstverständlich vor Ort recherchiert: in Gestalt einer ausgedehnten Audienz beim Kronprinzen von Saudi-Arabien. Sein journalistisches Dankesschreiben an den gastfreundlichen Herrscher folgte einer guten, alten New York Times-Tradition. Es tauchte eine der rücksichtslosesten und reaktionärsten Diktaturen dieser Welt (obendrein ein Terror-Sponsor erster Güte) in unvergleichlich mildes Licht. Friedmans Artikel dürfte in den Archiven des saudischen Propagandaapparats inzwischen einen Ehrenplatz einnehmen.
Genug davon – stattdessen die Frage: Wo blieb und bleibt bei alledem der Aufschrei der journalistischen Kollegen? Zum Beispiel jener Kollegen, die sich jüngst ihr politisch ach so korrektes Mütchen an Ken Jebsen kühlten? Wo bleibt die Empörung? Zumal Friedman kein Einzelfall ist und hier nur stellvertretend für andere, ganz ähnlich tickende Spitzenkräfte der journalistischen Zunft steht.
Sehen die Kollegen aus dem Zwiebelbauch die ungeheuerliche Diskrepanz nicht? Fällt ihnen nicht auf, dass sie maßlos mit zweierlei Maß messen? Dass sie einer ideologisch bedingten Schizophrenie erliegen? Dass sie den einen Kollegen kreuzigen (für nichts und wieder nichts) und den anderen in höchsten Ehren halten, obwohl er erkennbar und nicht zu knapp Schuld auf sich geladen hat?
Man muss die politischen Ansichten Ken Jebsens nicht teilen. Man mag ihm vorhalten, dass er zuweilen von der puren Lust an der Provokation getrieben wird, dass er rhetorisch und argumentativ zuspitzt. Aber: Hat seine Art des Journalismus je ein Menschenleben aufs Spiel gesetzt? Ist nicht geradezu das Gegenteil der Fall?
Dass Ken Jebsen „unten“ und Thomas Friedman „oben“ ist, hat letztlich nur einen einzigen Grund: Jebsen schürt das System-Misstrauen – Friedman stärkt das System-Vertrauen, mehr noch: er ist Teil des Systems, sogar der System-Elite. Dass er dabei – bildlich gesprochen – über Leichen geht, Jebsen hingegen nicht, spielt für die meisten Kollegen aus dem Zwiebelbauch offensichtlich keine nennenswerte Rolle. „Das System“, so scheint es, ist allemal wichtiger als ein paar Menschenleben.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Siehe dazu: Robert Dreyfuss, Devil’s Game. How the United States Helped Unleash Fundamentalist Islam. New York 2005. Mark Curtis, Secret Affairs. Britain’s Collusion with Radical Islam. New updated version, London 2012.
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