Die Verhaftung von Julian Assange am letzten Donnerstag (11. April 2019; Anmerkung der Übersetzerin) straft jeden Anspruch von Rechtsstaatlichkeit und die Rechte einer freien Presse Lügen.
Die Rechtsverstöße durch die Regierungen Ecuadors, Großbritanniens und der USA bei der Verhaftung Assanges lassen Schlimmes erwarten. Sie sagen eine Welt voraus, in der die internen Absprachen und Verstöße, Korruption, Lügen und Verbrechen — insbesondere Kriegsverbrechen — der Konzernstaaten und der globalen herrschenden Elite vor der Öffentlichkeit verborgen werden.
Sie sagen eine Welt voraus, in der diejenigen, die den Mut und die Integrität besitzen, Machtmissbrauch aufzudecken, gejagt und gefoltert werden, Pseudo-Gerichtsverfahren über sich ergehen lassen müssen und lebenslange Gefängnisstrafen in Einzelhaft zu erwarten haben. Sie sagen eine Orwell´sche Dystopie voraus, in der Nachrichten durch Propaganda, Trivialitäten und Unterhaltung ersetzt werden. Ich fürchte, dass die Verhaftung Assanges den offiziellen Beginn des korporativen Totalitarismus markiert, der unser Leben prägen wird.
Rechtsbruch ohne Ende
Aufgrund welchen Gesetzes widerrief der ecuadorianische Präsident Lenin Moreno willkürlich Assanges Asylrecht als politischer Flüchtling? Aufgrund welchen Gesetzes genehmigte Moreno der britischen Polizei den Zugang zur ecuadorianischen Botschaft — nach diplomatischen Gesetzen souveränes Territorium —, um einen eingebürgerten Ecuadorianer zu verhaften? Mit welchem Recht befahl Premierministerin Theresa May der britischen Polizei, Assange — der nie eine Straftat begangen hatte — zu ergreifen? Aufgrund welchen Gesetzes forderte Präsident Donald Trump die Auslieferung von Assange, der kein US-Staatsbürger ist und dessen Nachrichtenorganisation nicht in den USA ansässig ist?
Ich bin sicher, dass die Regierungsanwälte gerade sehr geschickt das tun, was für den Konzern-Staat unerlässlich ist — fadenscheinige juristische Argumente dafür zu benutzen, gesetzlich verankerte Rechte per Gerichtsbeschluss zu zerlegen. So besitzen wir ein Recht auf Privatsphäre ohne jegliche Privatsphäre. So haben wir „freie“ Wahlen, die durch Konzerngelder finanziert werden, deren Berichterstattung über willfährige Konzernmedien läuft und die unter eiserner Konzern-Kontrolle ablaufen. So haben wir einen Gesetzgebungsprozess, in dem Konzern-Lobbyisten die Gesetze schreiben und den Konzernen verpflichtete Politiker diese verabschieden.
So haben wir ein Recht auf ein rechtsstaatliches Verfahren ohne rechtsstaatliches Verfahren; eine Regierung — deren grundlegendste Aufgabe der Schutz der Bürger ist —, die die Ermordung ihrer eigenen Bürger wie die des radikalen Klerikers Anwar al-Awlaki und von dessen 16-jährigem Sohn befiehlt und ausführt. So haben wir eine Presse, der per Gesetz erlaubt ist, als geheim eingestufte Informationen zu veröffentlichen — und einen Herausgeber, der in einem britischen Gefängnis einsitzt und auf die Auslieferung an die USA wartet, sowie eine Whistleblowerin, Chelsea Manning, die in einer Gefängniszelle in den USA sitzt.
Als juristischen Vorwand für die Verhaftung wird Großbritannien den Washingtoner Auslieferungsantrag aufgrund des Vorwurfs der Verschwörung anführen. In einer funktionierenden Justiz hätte diese rechtliche Begründung keinen Bestand. Nur haben wir leider kein funktionierendes Justizwesen mehr. Wir werden bald erfahren, ob es auch Großbritannien an einem solchen mangelt.
Assanges Asylersuchen
Assange wurde 2012 Asyl in der Botschaft gewährt, um einer Auslieferung an Schweden zu entgehen. In Schweden hatte er sich zu Vorwürfen wegen sexueller Übergriffe zu verantworten, die später fallen gelassen wurden. Assange und seine Anwälte hatten immer argumentiert, dass er an die USA ausgeliefert würde, wenn er sich in schwedischem Gewahrsam befände. Sobald ihm in der ecuadorianischen Botschaft Asyl gewährt worden war und er die ecuadorianische Staatsbürgerschaft erhalten hatte, weigerte sich die britische Regierung, ihm freies und sicheres Geleit zum Londoner Flughafen zu gewähren. Deswegen saß er in der ecuadorianischen Botschaft sieben Jahre in der Falle, während sich sein Gesundheitszustand stetig verschlechterte.
Kriegsprotokolle und „Collateral Damage“
Die Trump-Administration strebt an, Assange anzuklagen — er soll sich 2010 mit Manning verschworen haben, die Protokolle zu den Kriegen gegen den Irak und Afghanistan zu stehlen, in deren Besitz WikiLeaks kam.
Manning hatte etwa 500.000 interne Dokumente aus dem Pentagon und dem Außenministerium geschmuggelt. Diese und das Video von 2007, das US-Hubschrauberpiloten dabei zeigte, wie sie mal eben zwei Reuters-Journalisten sowie irakische Zivilisten — darunter auch Kinder — abknallten, lieferten reichlich Beweise für die Scheinheiligkeit, die wahllose Gewalttätigkeit und den routinemäßigen Einsatz von Folter, Lügen, Bestechung und groben Einschüchterungstaktiken der US-Regierung in ihrer Außenpolitik und ihren Kriegen im Nahen Osten.
Assange und WikiLeaks gewährten uns einen Einblick in die Funktionsweise des Imperiums — eigentlich die wichtigste Aufgabe der Presse. Dafür wurden sie zu Gejagten des Imperiums.
Anwälte der US-Regierung werden versuchen, WikiLeaks und Assange streng von der New York Times und der britischen Zeitung The Guardian zu trennen — beide hatten das von Manning geleakte Material veröffentlicht —, indem sie Assange den Diebstahl der Dokumente anlasten. Manning wurde während ihrer Inhaftierung und ihres Gerichtsverfahrens wiederholt und oft brutal unter Druck gesetzt, Assange den Diebstahl des Materials anzulasten, was sie jedoch verweigerte. Sie befindet sich derzeit im Gefängnis, weil sie sich weigert, ohne ihren Anwalt vor dem Großen Geschworenengericht im Fall Assange auszusagen. Präsident Barack Obama hatte Manning, die zu 35 Jahren Haft verurteilt worden war, nach sieben Jahren Haft in einem Militärgefängnis begnadigt.
Die Presse: Nutznießerin und Verräterin an WikiLeaks
Sobald die von Manning an Assange und WikiLeaks weitergeleiteten Dokumente und Videos von Medien wie der New York Times und dem Guardian veröffentlicht und verbreitet worden waren, wandte sich die Presse kaltschnäuzig und unklugerweise gegen Assange.
Medien, die tagelang WikiLeaks-Material veröffentlicht hatten, verdingten sich bald als Sprachrohre in einer Kampagne schwarzer Propaganda zur Diskreditierung von Assange und WikiLeaks. Diese koordinierte Verleumdungskampagne wird in einem geleakten Dokument des Pentagons vom 8. März 2008 — von der Cyber Counterintelligence Assessments Branch fabriziert — genau beschrieben. Das Dokument forderte die USA auf, das WikiLeaks entgegengebrachte „Vertrauen“, das dessen „Gravitationszentrum“ sei, auszumerzen und Assanges Ruf zu zerstören.
Die „Podesta-E-Mails“
Assange, der mit den Manning-Leaks die Kriegsverbrechen, Lügen und kriminellen Machenschaften der Administration von George W. Bush enthüllt hatte, zog schon bald den Zorn des Establishments der Democratic Party auf sich, als er 70.000 gehackte E-Mails des Democratic National Committee (DNC) und führender Demokraten veröffentlichte. Die E-Mails wurden von John Podestas Account herunterkopiert — er war Leiter von Hillary Clintons Wahlkampfteam gewesen. Die „Podesta-E-Mails“ deckten auf, dass mehrere Millionen Dollar von Saudi-Arabien und Katar — zwei der größten Förderer des Islamischen Staates — an die Clinton Foundation gespendet worden waren.
Sie deckten auch auf, dass Hillary Clinton 657.000 US-Dollar von Goldman Sachs für eine Rede erhalten hatte — eine derart große Summe kann nur als Bestechung bezeichnet werden. Durch die E-Mails kamen Clintons wiederholte Lügen ans Licht. Man ertappte sie beispielsweise dabei, wie sie den Finanzeliten erklärte, sie wolle „freien Handel und offene Grenzen“ und sei davon überzeugt, dass Wall-Street-Vorstände die besten Voraussetzungen dafür hätten, die Wirtschaft zu managen — eine Aussage, die in direktem Widerspruch zu ihren Erklärungen während des Wahlkampfes stand.
Sie deckten auch die Versuche des Clinton-Wahlkampfteams auf, die republikanischen Vorwahlen so zu manipulieren, dass Trump der Kandidat der Republikaner wurde.
Auch dass Clinton schon vor der Debatte zu den Vorwahlen die Fragen kannte, wurde durch die Podesta-E-Mails enthüllt, ebenso wie Clintons Rolle als wichtigste Kriegstreiberin in Libyen. Mit diesem Krieg erhoffte sie sich, Punkte für ihre Präsidentschaftskandidatur zu sammeln. Journalisten können natürlich einwenden, dass diese Informationen, wie auch die Kriegsprotokolle, besser im Verborgenen geblieben wären — dann aber dürfen sie sich nicht als Journalisten bezeichnen.
Die Chefetage der Demokraten, die ihre eigene Wahlniederlage Russland anlasten will, behauptet, die Podesta-E-Mails seien durch Hacker der russischen Regierung geliefert worden. Dabei hat der frühere FBI-Direktor James Comey zugegeben, dass es wahrscheinlich ein Mittelsmann war, der WikiLeaks die E-Mails zukommen ließ. Assange sagt bis heute, dass die E-Mails nicht über „staatliche Akteure“ beschafft wurden.
Die Verdienste von WikiLeaks
WikiLeaks hat mehr dafür getan, den Machtmissbrauch und die Verbrechen des US-Imperiums aufzudecken, als jedes andere Medium. Abgesehen von den Kriegsprotokollen und den Podesta-E-Mails enthüllte WikiLeaks auch die Hacker-Werkzeuge, die CIA und NSA bei ihrer Beeinflussung ausländischer Wahlen — auch der französischen — eingesetzt haben. Es enthüllte ebenfalls die von Labour-Parlamentsmitgliedern ausgeheckte interne Intrige gegen den Labour-Parteichef Jeremy Corbyn.
WikiLeaks griff ein, um Edward Snowden, der das großflächige Ausspionieren der US-Öffentlichkeit durch US-Geheimdienste aufgedeckt hatte, vor einer Auslieferung an die USA zu retten, indem es ihn dabei unterstützte, von Hongkong nach Moskau zu fliehen. Die „Snowden Leaks“ enthüllten auch, dass Assange auf einer „Fahndungliste“ der USA stand.
Widerstand leisten!
Ein verhärmt aussehender Assange hob den Zeigefinger und rief „Großbritannien muss diesen Bestrebungen der Trump-Administration widerstehen. … Großbritannien muss widerstehen!“
Wir alle müssen Widerstand leisten. Wir müssen auf jede erdenkliche Art Druck auf die britische Regierung ausüben, um den gerichtlichen Lynchmord an Assange zu verhindern. Sollte Assange ausgeliefert und vor Gericht gestellt werden, wird dies einen juristischen Präzedenzfall schaffen, der die Presse — die Trump bis heute als „Feind des Volkes“ bezeichnet — in Zukunft daran hindern wird, die Mächtigen zur Rechenschaft zu ziehen.
Die Kriegsverbrechen und Straftaten im Finanzwesen, die Verfolgung von Dissidenten, Minderheiten und Immigranten, die Plünderung des Staates und der Umwelt durch Konzerne, die skrupellose Verarmung der Arbeiterinnen und Arbeiter, um die Bankkonten der Reichen anzufüllen und den totalen Griff der globalen Oligarchen nach der Macht zu festigen — all dies wird sich nicht nur weiter ausbreiten, sondern wird öffentlich nicht mehr diskutiert werden können. Zuerst Assange. Dann wir.
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „The Martyrdom of Julian Assange“. Er wurde von Gabriele Herb aus dem ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteam lektoriert.
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