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Zensur ohne Zensor

Zensur ohne Zensor

Das neue Buch von Rubikon-Autor Marcus B. Klöckner thematisiert den Anpassungsdruck, die Nachrichtenunterdrückung und die Einseitigkeit im Journalismus.

Wer regelmäßig die NachDenkSeiten nutzt, Telepolis oder Rubikon, kennt Marcus B. Klöckner. Man kennt dann auch schon Teile aus seinem neuen Buch. Interviews mit Medienkritikern und sachlich-nüchterne Analysen, die Anspruch und Medienwirklichkeit vergleichen. Die zeigen, dass die Medienwirklichkeit den Ansprüchen nicht standhält, die in Sonntagsreden verkündet werden oder auf Journalistenschulen.

Claus Kleber, Sergej Skripal, Sully. Es lohnt sich, das alles noch einmal zu lesen, und sei es nur, weil man diesen Labrador schon vergessen hat, der Ende 2018 vor dem Sarg des alten Bush saß und so perfekt zu den „Jubelgesängen auf einen großen Staatsmann“ passte, die Marcus Klöckner überall gefunden hat — im ZDF, in der FAZ und sogar in den Osnabrücker Nachrichten.

Klöckners Buch gehört vor allem deshalb in jede Bibliothek der Medienkritik, weil es das erklärt, was nicht wenige Menschen im Land aufregt oder mindestens irritiert. Es gibt am Anfang eine Art Warnhinweis. Ein „kritisch soziologischer Blickwinkel“ und „ja, es wird etwas komplex“. Wissenschaft und Theorie. Unter dem sei Erkenntnis nicht zu haben.

Keine Angst: Marcus B. Klöckner beherrscht sein Handwerk. Er hält sein Versprechen — „alles, was Sie benötigen“, um in diesen „soziologischen Gedankengebäuden“ unterwegs zu sein, „werden Sie in Griffweite finden“ — und überholt dabei die akademische Medienforschung. Eine vergleichbare Analyse des journalistischen Feldes ist im Moment in der Kommunikationswissenschaft nicht zu finden.

Dieser letzte Satz ist ein Stück Selbstkritik. Ich habe vor zehn Jahren mit dem gleichen theoretischen Ansatz (Bourdieu) rund 500 berufsbiografische Interviews mit Journalistinnen und Journalisten ausgewertet. Mein Befund damals: eigentlich alles okay. Kein Grund zur Besorgnis jedenfalls und schon gar keine Gefahr für die Demokratie. Ich habe seinerzeit ein Feld beschrieben, das von der Logik der Exklusivnachrichten regiert wird und deshalb geradezu zwangsläufig maximale Öffentlichkeit garantiert.

Nachrichtenunterdrückung, Einseitigkeit, gar eine „sozialstrukturell ausgeformte Zensur“, wie sie jetzt Marcus B. Klöckner diagnostiziert? Das schien mir schwer vorstellbar in einem Feld, das jeden belohnt, der etwas berichtet, was sonst keiner berichtet hat.

Dabei hätte ich damals schon sehen können, sehen müssen, was Marcus B. Klöckner heute analysiert: ein sozial ziemlich homogenes Feld, das vom „Habitus der Mittelschicht“ dominiert wird — „auf Anpassung ausgerichtet“, programmiert auf „die Akzeptanz der Herrschaftsverhältnisse“. Ich habe an der Deutschen Journalistenschule in München selbst erlebt, wie die Branchenstars von morgen ausgesucht werden.

Heinz-Werner Stuiber, ein Kollege, der von 1985 bis 2006 für unseren Diplomstudiengang Journalistik an der LMU (Ludwig-Maximilians-Universität München) zuständig war, sagte mir, er sei „erschrocken hochgefahren“, als er das erste Mal an einem solchen Prüfungsgespräch teilnahm, Mitte der 1980er Jahre. Die „Auswahlkriterien“ hätten mit dem Studium „gar nichts zu tun“ gehabt. Man habe nur nach „bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen“ geschaut und auf diese Weise „außengeleitete Selbstdarsteller mit starkem Ego“ bekommen.

Ganz so deftig wird es bei Marcus B. Klöckner nicht, zumindest sprachlich nicht.

Dafür zeigt er, was aus diesem Habitus folgt: ein Journalismus, der die Mächtigen nicht kritisiert und kontrolliert, sondern einen „Schutzmantel um die politischen Weichensteller legt“ und kritische Stimmen aus dem „legitimen öffentlichen Diskursraum“ de facto ausschaltet. Eine Berichterstattung, „die vorgibt zu sagen was ist, aber dabei unaufhörlich sagt, was sein soll“.

Auf ein Wort gebracht: „Weltbildjournalismus“. Und, für das Publikum vielleicht besonders schwer zu akzeptieren: ein Glaube an die eigene Unfehlbarkeit, der jede Kritik von außen abperlen lässt.

Marcus B. Klöckner seziert den deutschen Journalismus. Wer bewegt sich in diesem Feld, wie kommt man hinein, was erlebt man auf dem Weg an den Machtpol? Welche sichtbaren und unsichtbaren Grenzen gibt es in diesem Feld und wie kann es sein, dass Leserinnen und Zuschauer von Zensur sprechen können, obwohl es hierzulande keine Zensurbehörde gibt?

Klöckner beantwortet diese Frage mit einem beeindruckenden Definitions-Kraftakt. Von „Zensur“ spricht er „erst dann, wenn flächendeckend, immer wieder, über einen längeren Zeitraum medienübergreifend und dauerhaft zentrale Medien bestimmte Themen, Stimmen und Sichtweisen unterdrücken“.

Die Beispiele, die Klöckner liefert, kennt der geneigte Nutzer alternativer Plattformen im Netz. Auch über die Nähe von Journalismus und Macht wird hier wieder und wieder geschrieben. Die Hauptstadtpartys der Leitmedien, die Bilderberg-Konferenz, bei der Reporter zwar nicht berichten dürfen, aber kräftig mittun, die permanenten Wechsel zwischen beiden Welten. Ulrich Wilhelm etwa, der erst Regierungssprecher in Bayern war und dann von Angela Merkel, bevor er 2011 Intendant des Bayerischen Rundfunks wurde. Oder Ferdos Forudastan, seit Anfang 2018 Leiterin des Ressorts Innenpolitik bei der Süddeutschen Zeitung und vorher Sprecherin von Bundespräsident Gauck.

Marcus B. Klöckner schafft es, das System hinter solchen Einzelfällen sichtbar zu machen. Er hat dabei einen starken Helfer: Pierre Bourdieu. Bei Bourdieu legt der Habitus fest, was möglich ist — wie ein Akteur die Welt wahrnimmt, wie er andere bewertet und welchen Geschmack er hat, wie er denkt und handelt, wie er seinen Körper präsentiert und wie er sich bewegt. Kein Wunder, sagt Klöckner, dass der Diskurs in den Leitmedien so ist, wie er ist. Kein Wunder bei einem so homogen zusammengesetzten journalistischen Feld. Spiegel-Mitarbeiter Juan Moreno ist an seinen Chefs fast verzweifelt, weil sie die Wahrheiten nicht sehen konnten und wollten, die für einen Aufsteiger und Außenseiter wie ihn auf der Hand lagen.

Wie gesagt: Ich hätte das schon vor zehn Jahren erkennen können. Die immer gleichen Wege in den Journalismus, die Beschreibungen von Beruf und Alltag, die sich fast aufs Wort glichen. In meinem Material gab es genügend Redakteure, die sich mit ihrer Nähe zur Politik und zum Apparat brüsteten. Kontakte bis zu Beamten aus der zweiten oder dritten Reihe, gepflegt mit regelmäßigen Anrufen und Treffen. Ein Büroleiter der Bildzeitung, den wir befragt haben, wurde nur dafür bezahlt — sehr gut bezahlt —, dass die Beziehungen zum Kanzleramt nicht unter „irgendeiner Schlagzeile“ leiden. Zitat:

„Ich kann das gut wegverhandeln. Wir dürfen den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen. Wenn wir Ulla Schmidt heute wegen der Gesundheitsreform quälen, dann brauchen wir sie ein paar Wochen später bei der Rente wieder ganz dringend.“

Ich habe diese Symbiose damals verteidigt mit dem Wunsch nach Exklusivität und so auch behaupten können, dass Qualitätsjournalismus nur dort gedeihen könne, wo es genügend Geld gebe. Ressourcen für die Recherche, Ressourcen für Personal.

Die Besitzverhältnisse lässt Marcus B. Klöckner in seinem neuen Buch genauso aus wie die Arbeitsbedingungen im Journalismus und all das, was er „Einwirkungen durch Interessengruppen“ nennt. Diese Lücken schaffen Platz für die theoretische Perspektive, für die Feldanalyse und für zahlreiche gut dokumentierte Fälle, in denen das Feld versagt hat. „Wir brauchen ein neues Mediensystem“, sagt Klöckner in seinem Fazit. Medienkritik? Unverzichtbar, na klar. „Ketzer in die Redaktionen“, ein „Sozialfonds“ für Kinder aus einfachen Verhältnissen, die in den Journalismus wollen, überhaupt „mehr soziale Vielfalt in den Medien“? Warum nicht.

Mit Bourdieu aber und mit dem Blick auf die Machtverhältnisse im Feld und die sozialen Kämpfe, die dort ablaufen, so Klöckner weiter, eher unrealistisch.

Sein Vorschlag: die „alternativen Medien“ stärken und ausbauen.

Der Mediennutzer in mir hat dem nicht viel hinzuzufügen. Der Akademiker schon. In Bourdieus sozialen Feldern sind Handlungslogik und Machtstrukturen nichts, was ewig hält. Die einzige Konstante ist der soziale Kampf. Das journalistische Feld in Deutschland ist, und da kann ich dann doch meine eigene Studie zitieren, längst nicht so homogen, wie Marcus B. Klöckner das auf dem knappen Raum eines politischen Sachbuchs ganz zwangsläufig behaupten muss.

Es gibt Reporter, im öffentlich-rechtlichen Rundfunk vorzugsweise, aber auch in den großen Zeitungsredaktionen und sogar im Lokalen, die die roten Teppiche meiden und das tun, was nicht nur Klöckner von ihnen erwartet. Kritisieren, kontrollieren, aufklären. Ein Buch wie „Sabotierte Wirklichkeit“ kann ihnen dabei helfen. Man muss ihnen vielleicht noch sagen, dass Pierre Bourdieu den Habitus nicht ganz so deterministisch verstanden hat wie Marcus B. Klöckner. Was man hat und wer man ist, setzt schon Grenzen. Die Konzepte Habitus, Kapital und Feld können aber helfen, diese Ketten zu erkennen und dann auch zu sprengen.



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