von James O‘Neill
Die Verhaftung von Julian Assange durch die britische Polizei am 11. April 2019 wirft einige beunruhigende Fragen auf. Selbstverständlich waren Assanges Unterstützer empört; der australische Außenminister dagegen gab einen lauen, unverbindlichen Kommentar ab („angemessener konsularischer Beistand“). Die Mainstream-Medien wiederum, die ironischerweise die Hauptopfer der Verfolgung Assanges durch die US- und britischen Behörden werden könnten, zeichneten sich durch absichtliche Nichtbeachtung der vielen wesentlichen Fragen aus.
Veröffentlichung prekärer Informationen
Assange war einer der Gründer der WikiLeaks-Organisation, die in der relativ kurzen Zeit ihres Bestehens eine Menge Dokumente veröffentlichte, die die USA außerordentlich in Verlegenheit gebracht haben.
Das vielleicht berüchtigtste Material war ein Militär-Video — „Collateral Damage“ (Kollateralschaden) —, das WikiLeaks 2007 veröffentlichte. Es zeigt neben US-Soldaten, die den Tod irakischer Zivilisten feiern, auch den Mord an zwei Reuters-Journalisten. Das Video selbst hatte Bradley, jetzt Chelsea, Manning geleakt. Ihre Verbindung zu Assanges kürzlicher Verhaftung ist von Bedeutung.
Die schwedischen Vorwürfe
Assange war nach einem von Schweden ausgestellten europäischen Haftbefehl wegen eines angeblichen Sexualdeliktes, das während eines Besuchs in Stockholm stattgefunden haben soll, von einem britischen Gericht auf Kaution freigelassen worden. (…) Assange war in Schweden befragt worden und durfte ohne Anklage das Land verlassen — der ursprüngliche Staatsanwalt hatte entschieden, dass die Beweise nicht für eine Anklage ausreichten.
Ein neuer Staatsanwalt kam zu einem anderen Schluss — nicht aufgrund von Beweisen, sondern aus politischen Erwägungen, sprich wegen Drucks von oben. Dennoch entschieden die schwedischen Behörden erneut im Jahr 2013, dass sie den Fall nicht weiter verfolgen wollten. Durch Informationen, die im Rahmen des Freedom of Information Act nun zugänglich sind, wissen wir heute, dass die Briten auf die schwedischen Behörden Druck ausübten, genau dies zu unterlassen.
In einem Dokument, das nun unter dem Freedom of Information Act einzusehen ist, schrieb ein britischer Beamter den schwedischen Behörden: „Machen Sie jetzt ja keinen Rückzieher.“
Es ist einer der vielen Fehler der Mainstream-Medien in diesem Fall, dass sie nie auf die Idee kamen, zu fragen, warum die Briten ein so großes Interesse daran hatten, dass die Behörden eines fremden Landes Assange wegen der Behauptungen strafverfolgen sollten, er — der ja kein britischer Staatsbürger ist — habe angeblich zwei schwedische Staatsbürgerinnen sexuell belästigt.
Damals war sich Assange dieser Machenschaften nicht bewusst. Weil er eine Auslieferung an Schweden und von dort an die USA befürchtete, bat er in der Botschaft von Ecuador in London um Asyl, wo er sich bis zu seiner Verhaftung am 11. April aufhielt.
Die Rolle Morenos
Die Verhaftung war nur deswegen möglich, weil der Präsident Ecuadors, Lenin Moreno, Assanges Asyl-Status widerrief. Es ist zumindest fragwürdig, ob Moreno damit nicht gegen die Verfassung Ecuadors verstoßen hat. Sicher ist jedoch, dass Moreno selbst im Verdacht krimineller Machenschaften steht und befürchtete, WikiLeaks könnte seine mutmaßlichen Verfehlungen aufdecken.
Es ist auch bekannt, dass Moreno sich um ein Darlehen in Höhe mehrerer Milliarden Dollar beim Internationalen Währungsfonds — schon lange ein Instrument westlicher Interessen — bemüht hatte. Eine Bedingung zur Bewilligung war, dass Moreno Assanges Schutzstatus aufhob.
Fadenscheinige Gründe
Als angeblicher Grund für die Verhaftung Assanges wird sein Verstoß gegen die Kautionsauflagen genannt. Es ist offenkundig absurd, dass die britische Polizei über Jahre hinweg Millionen Pfund ausgegeben hat, um mit der Bewachung der Ausgänge der Botschaft Ecuadors Assanges Flucht zu verhindern — wegen einer Anklage, die höchstens zu sechs Monaten Haft führt und der meist sogar mit einer Geldstrafe Genüge getan wird.
Es ist umso absurder, als der Grund für seine Kaution — die schwedische Anklage — schon lange fallengelassen worden war. Die US-Amerikaner haben nun einen Auslieferungsantrag an das Vereinigte Königreich gestellt, um Assange in den USA nun endlich unter Anklage zu stellen. Ihm wird zur Last gelegt, sich mit Chelsea Manning verschworen und „einen als geheim eingestuften Drucker der US-amerikanischen Regierung gehackt“ zu haben.
Wir erinnern uns: Manning wurde nach sieben Jahren ihrer dreißigjährigen Haftstrafe von Präsident Obama begnadigt, ist jedoch inzwischen wieder inhaftiert worden, weil sie sich weigerte, vor einem Großen Geschworenengericht gegen WikiLeaks auszusagen. Ob und wann sie wieder freigelassen wird, ist unbekannt. Was dieser Fall jedoch verdeutlicht ist die unerbittliche Verfolgung von Personen, die mit dem US-Establishment in Konflikt geraten. Manning und Assange sind nicht die ersten Opfer und werden wahrscheinlich auch nicht die letzten sein.
Assanges Anwalt Barry Pollock sagte, dass die Vorwürfe der USA im Wesentlichen darauf hinauslaufen, „einen Informanten dazu aufzufordern, Informationen zu liefern sowie Schritte zu unternehmen, die Identität dieser Quelle zu schützen.“ Die Obama-Administration lehnte eine Strafverfolgung aufgrund dieser Anklage ab, weil man befürchtete, sie könnte den investigativen Journalismus gefährden.
Weitreichende Folgen für den Journalismus
Und genau hier befinden sich die Mainstream-Journalisten und -Medien, die ursprünglich gerne WikiLeaks-Material veröffentlicht, später jedoch Assange schlecht gemacht und verleumdet haben, in größter Gefahr — wenngleich sie sich dessen nicht bewusst zu sein scheinen. 2011 war in einem Leitartikel der Washington Post — „Warum die USA Julian Assange nicht vor Gericht stellen sollten“ — zu lesen, dass „eine Verurteilung auch Kollateralschäden für die US-Pressefreiheit zur Folge hätte. Man kann Assange oder WikiLeaks schlecht von der Washington Post unterscheiden.“
Das Vorgehen von Assange und WikiLeaks, auf das sich dieser Leitartikel bezog, ist heute, ein Jahrzehnt später, der Grund für die Anklage gegen Assange. Die Strafverfolgung von Assange hat weniger mit ihm als mit dem Wunsch zu tun, Kritiker eines unrechtmäßigen und skandalösen Regierungsgebarens zum Schweigen zu bringen. Indem sich die westlichen Mainstream-Medien weigern, sich gegen dieses neueste Beispiel extraterritorialer Übergriffe der USA zu wehren, laufen sie unbekümmert in eine Falle, die letztendlich auch ihr Ende bedeuten wird.
James O‘Neill ist Rechtsbeistand und geopolitischer Analytiker. Er ist unter joneill@qldbar.asn.au zu erreichen.
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „The Persecution of Julian Assange Sends Some Alarming Signals“. Er wurde von Gabriele Herb aus dem ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteam lektoriert.
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