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Wie gehabt

Wie gehabt

Eine Zeitschrift vom Dezember 1945 beschreibt Zustände, die sehr stark an die heutige Weltlage erinnern — es wäre ratsam, diese Warnung zu beachten.

Durch Zufall halte ich die Jubiläumsausgabe einer schwäbischen Tageszeitung in der Hand, die Sonderseiten — ein Abdruck der gesamten ersten Ausgabe vom 4. Dezember 1945. Fassungslos lese ich die exakte Beschreibung dessen, was in unserem Land und weltweit seit Monaten geschieht.

Gerade noch dem Feuertod im Küchenofen entgangen ist diese Sonderausgabe, und ich erlebe, lesend, einen Aufruhr an Emotionen, ein Glücksgefühl, denn da steht es doch, schwarz auf weiß! Jeder kann es lesen, jeder kann es verstehen, denke ich. Und dann: Sie haben es gedruckt und ihrer aktuellen Ausgabe beigefügt. Was denken diese Menschen eigentlich? Wie verblendet kann man sein? Diese und noch mehr Fragen überwältigen mich fast, und ich weiß: Ich werde keine einzige aufrichtige Antwort erhalten.

Trümmer, überall!

Der erste Artikel, Seite eins: „Ende und Beginn“, zweiter Absatz:

„Zerstörte Fundamente: Seine zersetzenden und zerstörenden Kräfte, sein dämonischer Nihilismus hat sich vollendet. Die Vergötterung der Macht und der Gewalt kannte keine Grenzen; sie zerstörte zunächst im Innern die ethischen Fundamente des Staatswesens, das Recht und die Rechtssicherheit und setzte an deren Stelle die Despotie, Willkür, Drohung, Mord und Verbrechen. Eine raffiniert verlogene Propaganda mißbrauchte die Begeisterungsfähigkeit der Jugend; ihrer suggestiven Kraft erlagen viele. Seine innere Unabhängigkeit ihr gegenüber zu bewahren, erforderte ein hohes Maß geistiger Selbständigkeit; aktives Handeln war jedoch gelähmt durch die allmächtige Maschinerie des totalen Staates und weil er jegliche Mittel zur Lenkung der öffentlichen Meinung vollständig beherrschte. (…) Das Regime (…), das im Innern jedes echte und ursprüngliche Handeln aus Gemeinschaftssinn ausgelöscht hatte und anstatt seiner Befehl und blinden Gehorsam setzte.“

Gibt es eine passendere Beschreibung unseres heutigen Zustandes? Erschallte nicht jahrzehntelang ein „Nie wieder!“ und ein „Wehret den Anfängen!“? Gab es nicht hernach jahrzehntelang Lobreden, Ehrungen und Kränze für jene, die „ihre innere Unabhängigkeit“ mit einem „hohen Maß an geistiger Selbständigkeit“ erhalten konnten? Was geschieht heute mit solchen, die Kinder desselben Geistes sind? Verleumdung, Kriminalisierung, Zensur, das ist, was geschieht, heute, im 21. Jahrhundert — weltweit, doch allen voran, wie in alter Manier: Deutschland!

Grausamkeit — unerbittlich!

Einige Sätze weiter steht geschrieben in diesem geschichtlichen Dokument:

„(…) und so führte der Kultus der Macht zu ihrem eigenen Ende und zu dem Zusammenbruch jeder deutschen Staatlichkeit überhaupt. Noch nie ist ein Reich so leichtfertig zugrunde gerichtet worden (…), wie in keiner Phase der Geschichte stehen die Deutschen vor Trümmern des Staates, der Wirtschaft und überlieferter Lebensformen, in denen sie mit allen Fasern des Wesens verwurzelt waren. ‚Entwurzelt sein‘ — den Sinn dieses bildhaften Begriffes der Sprache, erst jetzt vermag man ihn in der Tiefe zu erfassen. Die Grausamkeit (des Krieges), das Übermaß seines Leides, das die Grenzen des Bewusstseins zu zersprengen droht, steht unerbittlich und schicksalhaft vor einem jeden.“

Zwölf entsetzliche Jahre — und danach nur noch Trümmer, Entwurzelung, Übermaß an Leid. Wie lange wird es dieses Mal dauern? Werde ich ein Ende, falls es eines geben kann, noch erleben? Wird es „danach“ überhaupt möglich sein, zu reflektieren, wieder aufzubauen, Mut und Kraft und Hoffnung zu schöpfen? Oder wird es dann nur wenige Wesen geben, die noch übrig sind, technokratisch entmenschlicht, gechipt und fremdgesteuert, ihrer Seele und ihres Geistes beraubt, unfähig, sich selbst und die eigenen Emotionen wahrzunehmen?

Ich möchte diesen historischen Artikel in die Welt hinausschreien! Ich möchte, dass sich ein jeder Journalist und Medienmacher Fragen stellt. Ich möchte alle Politiker auffordern, hierzu Stellung zu beziehen. Ich möchte alle meine Mitmenschen fragen, wo sie ihre „innere Unabhängigkeit“ hingetan haben, wo und warum sie diese abgegeben haben! Ich möchte alle Mitmenschen fragen, wie viel sie noch brauchen, was noch alles geschehen muss, damit sie die Augen aufmachen.

Ja, es gibt welche, die noch ihre innere Unabhängigkeit bewahrt haben, und sie bezahlen dafür einen hohen Preis. Wo sind die Ehrungen, die Kränze, die Lobreden für sie?

Ein einziges Printmedium kenne ich, ein einziges nur, das bei diesem bösen Spiel nicht mitmacht. Es ist neu entstanden in dieser Zeit, die Wochenzeitung Demokratischer Widerstand. Viele Menschen gingen und gehen auf die Straße oder leisteten auf andere Weise Widerstand, auch zu einem hohen Preis, doch sie tun es, immer noch, unermüdlich. Und ich bin über alle Maßen dankbar für jeden Einzelnen!

Zerstörte Fundamente

Weiter unten im Abschnitt „Zerstörte Fundamente“ steht:

„ Es war (…) nur möglich durch gewaltsame und unentrinnbare Unterdrückung aller ihm entgegenstehender geistigen Mächte, der Kirchen, der Wissenschaft und der Kunst. Er fesselte und band ihre Vielgestaltigkeit, terrorisierte ihren Drang nach Echtheit, Wahrheit und redlicher Erkenntnis mit dem Ergebnis, dass ihre Leistungen niedergingen.“

Man soll es nicht dürfen, Vergleiche zu dieser Zeit der deutschen Geschichte zu ziehen. Wirklich? Warum nur? Weil es so augenscheinlich ist? Weil jedes Kind das böse Spiel erkennen könnte? Weil es die Not der Gehorsamen mehren würde, müssten sie in diesen entsetzlichen Spiegel schauen?

Wo sind sie jetzt, die Kirchen und ihre Herren? Wo sind sie jetzt, die Wissenschaftler und die Künstler, die Denker? So wenige nur sind es, die es wagen, den Mund aufzutun. Aus Angst? Aus Berechnung? Habt ihr denn euer „Nie wieder!“ und euer „Wehret den Anfängen!“ ganz vergessen?

Doch die wenigen, die dennoch den Mund auftun, auf ihren beiden Beinen fest und sicher auf dem Boden der Menschlichkeit stehen, ihr klares Denken bewahrend und ihr Herz geöffnet, diese ehre ich jeden Tag, und auch ihnen möchte ich sagen: Ein jeder von euch ist ein Juwel und wird dringend gebraucht, auf keinen von euch kann diese Zeit verzichten.

Hoffnung?

Unter dem Abschnitt „Neue Maßstäbe“ keimt Hoffnung auf und auch der Wille, es neu und besser zu machen:

„Große und tragische Erlebnisse reifen den Geist und geben ihm einen anderen Maßstab der Dinge (…); das Ende des Krieges war das Ende der (…) Despotie. Zusammen mit dieser unmenschlichen Staatsform ist unendlich viel Wertvolles zugrunde gegangen, aber auch Wertloses, Mittelmäßiges, Überaltertes und Totes. Wir haben von vorn zu beginnen und müssen die Möglichkeiten sehen, die damit verknüpft sind. Wir sind auf dem Talboden unseres Unglücks angekommen. Jetzt muß der Weg aufwärts führen. Wir haben an uns erfahren, welche Dämonen eine falsche Idealisierung der Machtpolitik und des Staates als Selbstzweck weckt. (…) Wir wenden uns ab von ihr und nehmen den Kampf mit dem Schicksal auf, um an einem neuen demokratischen Staatswesen mit sittlichem Inhalt zu arbeiten.“

So wünsche ich von Herzen, auch der heutigen Menschengemeinschaft möge es gelingen, das Wertlose, Mittelmäßige, das Überalterte und das Tote, welches uns den Geist vermüllt zu haben scheint — denn sonst könnte das doch nicht wieder einmal genau so geschehen? —, all das über Bord zu werfen und die Ärmel hochzukrempeln.

Möge die heutige Menschheit sich ihres Geistes, ihrer Kultur, ihrer errungenen Werte und ihrer höchsten Ideale erinnern, noch bevor alles in Trümmern liegt.

Denn die höchsten und edelsten Ideale des Menschen sind es, die uns jetzt ein Leitstern sein können, die uns Kraft und Hoffnung geben können.

Gebrochene Versprechen

In einem Kasten am Rande dieser damaligen Erstausgabe steht eine Botschaft:

„Die Schwäbische Zeitung an ihre Leser: (...) Die Schwäbische Zeitung, die jetzt in Ihre Hände kommt, (…) wird durch Dienst an der Wahrheit und den Grundsätzen der Menschlichkeit zu ihrem Teile dazu beitragen, dass das deutsche Volk die Wirklichkeit und die Ursachen seines Unglückes erkennt, dass es die Wunden des Krieges zu heilen und sich mit Mut und Zuversicht ein neues Haus des Friedens zu bauen vermag.“

Bild

Bild: schwaebische.de

Ja, liebe Schwäbische Zeitung, ich wünsche sehr, dass Ihnen in Ihrer Redaktion auffällt, was Sie da aus Jubiläumsanlass verbreiten. Stehen Sie noch zu Ihrem Versprechen? Wie sieht Ihr „Dienst“ heute aus, und welchem Geist dienen Sie heute? Und wie ist es mit all den anderen Redaktionen in unserem Land?

Dank an die wenigen, die aufrecht stehen

Das „Nie wieder!“ ist verbrannt und verraucht. Stattdessen stehen wir bereits vor Trümmern, auch wenn man sie noch verborgen hält und die Menschen nicht gewillt sind, ihre Augen und Herzen darauf zu richten. Das wird uns nicht erspart bleiben. Wie lange soll das weitergehen, wie viel muss noch in Schutt und Asche zerfallen, wie viele Tote und Trümmer braucht die Menschheit noch?

Meine Hoffnung beruht allerdings allein auf den wenigen, denen es gelingt, ihre geistige Unabhängigkeit zu bewahren, und die genau das umzusetzen gewillt sind, was hier, in diesem Dokument „versprochen“ und nicht eingehalten wurde. Ihnen gebührt alle Ehre.

Schließt euch an! Um Himmels willen, schließt euch an!


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