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Wenn das vermeintlich Gute gegen das vermeintlich Böse antritt

Wenn das vermeintlich Gute gegen das vermeintlich Böse antritt

Das beredte lange Schweigen der Tageszeitung „junge Welt“ zu Ken Jebsen und seine Folgen.

Am 17. November 2017 veröffentlichten Christiane Reymann und Wolfgang Gehrcke den Aufruf: „Denunziation? Nein Danke! Stigmen statt Argumente sind von übel. Zur Diskussion um die Lederer-Babylon-Jebsen-Zensur“. Die Resonanz darauf war überwältigend. Hunderte schlossen sich der Erklärung an, darunter viele Mitglieder der Partei DIE LINKE. In oft langen Statements gaben sie ihrer Empörung über das Vorgehen des Kultursenators Lederer Ausdruck.

In einer Auswertung ihres Aufrufs schrieben Gehrcke und Reymann:

„Anhand der vielen Zuschriften zu unserer Wortmeldung ist uns nicht zuletzt klar geworden, wie viele Linke unter der Verbreitung von Stigmen wie Antisemitismus, Antiamerikanismus, Verschwörungstheorie oder Querfront leiden und sie entschieden zurückweisen, wenn sie gegen Menschen im friedensbewegten und sozial engagierten Spektrum ins Feld geführt werden; gegen Menschen und Gruppen also, die keine Rassisten oder Nazis sind, sondern die irgendwie anders ticken und denken als der mediale Mainstream und anders, als sich das einige linke Gruppen resp. einige Gruppierungen in der LINKEN so wünschen.“

Kein Problem mit diesem Zensurakt hatte dagegen die Tageszeitung „junge Welt“. Das war und ist erstaunlich, sind doch ihre Redakteure sonst stets sofort zur Stelle, wo auch nur der Verdacht staatlicher Repression oder Zensur auftaucht. Ausgerechnet jetzt aber verstummte das Blatt. Und das, obwohl es doch als Unterstützer des Kultursenators Lederer vorher nicht aufgefallen war. Im Gegenteil: Aus Anlass der Räumung der Volksbühne war er von der jW noch scharf kritisiert worden. Nun aber fand sie kein Wort der Empörung.

Am 20. November 2017 schrieb ich daher unter der Überschrift „Solidarität mit Ken Jebsen“ auf meiner Homepage:

„Es stellt ein bespielloses Versagen dieser selbsterklärten ῾marxistischen Zeitung῾ dar, dass ihr jetzt zu den Zensurmaßnahmen von Klaus Lederer nichts einfällt!“

Daran sollte sich auch in den folgenden Wochen nichts ändern. Lediglich eine Erklärung des jW-Autors Knut Mellenthin, in der er seine Empörung über Ken Jebsen zum Ausdruck brachte, fand den Weg ins Blatt. Und es wurden Auszüge einer kritischen Erklärung des Bundestagsabgeordneten der LINKEN, Andrej Hunko zum Beschluss seiner Partei zur Verteidigung von Lederer dokumentiert. Ansonsten herrschte Schweigen!

Erst am 14. Dezember 2017, also mehr als einen Monat nach der Twitterbotschaft Lederers und pünktlich zu der vorgesehenen, dann aber doch nicht stattgefundenen Preisverleihung meldete sich die „junge Welt“ unter der Überschrift „Kens Welt“ zu Wort. Als Begründung für das lange Schweigen führten die beiden jW-Autoren Daniel Bratanovic und Sebastian Carlens an, dass es sich „um eine provinzielle Berliner Geschichte“ gehandelt habe.

Das ist aber eine denkbar dumme Ausrede, denn eine „provinzielle Berliner Geschichte“ war und ist sie mit Sicherheit nicht, hatten doch die Berliner Zeitung, die taz, die Berliner Morgenpost, das Neue Deutschland, die Frankfurter Rundschau sowie der Deutschlandfunk von Beginn an und oft sogar mehrfach sowie zum Teil ausführlich über den Konflikt berichtet. Und mit der Entscheidung der Mehrheit des Parteivorstands der LINKEN am 3. Dezember 2017, Lederer beizuspringen, war klar, dass die Zensurmaßnahme auch noch zu einem zentralen Streitpunkt in der Linkspartei geworden war.

Doch wer gehofft hatte, dass man mit dem Artikel vom 14. Dezember zwar spät aber gerade noch rechtzeitig zur Einsicht gekommen sei, sah sich enttäuscht. Bratanovic und Carlens widersprachen in dem Artikel nicht etwa den hanebüchenden Vorwürfen Lederers, sondern sie setzten noch eins drauf.

Mit Hilfe wirrer Zusammenschnitte einzelner Sätze, Halbsätze, ja manchmal nur von Worten aus einem langen Audioclip, das bei KenFM schon seit Jahren nicht mehr im Netz steht und dessen Produktionsdatum von der jW mit „Frühjahr 2012“ nicht einmal exakt benannt werden konnte, wird aus einer unübersehbar antizionistischen Position Jebsens eine antisemitische gemacht.

Da der Text nicht mehr zugänglich ist, ist auch eine Überprüfung der Behauptungen der Autoren nicht möglich. Hängen bleiben soll aber der Verdacht der „Verbreitung typisch antisemitischer Denkmuster“, wie sie Klaus Lederer Ken Jebsen vorwirft. Nichtbeachtet wird dabei, dass sich Jebsen längst von einigen seiner Äußerungen distanziert hat.

Bratanovic und Carlens werfen in ihrem jW-Artikel Jebsen darüber hinaus vor, er weigere sich, die Denkkategorie von links und rechts zu akzeptieren. Was für ein Vergehen! Wie weltfremd muss man eigentlich sein, wenn einem entgeht, dass sich immer mehr kritische Menschen diesem Schema verweigern, und dass dies auch nicht anders sein kann „Wenn die Linke fehlt“, wie der Titel des neuen Buches von Domenico Losurdo so treffend heißt. Ein Buch, das übrigens erst kürzlich in der jW-Ladengalerie vom Autor vorgestellt wurde.

Es ist die Unattraktivität der sich selbst als links bezeichnenden Linken, ob bei der SPD, den Grünen oder bei der Partei, die sich sogar ganz offiziell DIE LINKE nennt, die immer mehr Menschen an der alten Richtungseinteilung zweifeln lässt.

Konservative wie etwa Willy Wimmer, Peter Gauweiler oder Jürgen Todenhöfer stehen daher inzwischen vielen näher als etwa das Mitglied der Atlantikbücke und Abgeordnete der Partei DIE LINKE, Stefan Liebich. Kann man das in der jungen Welt wirklich nicht erkennen?

Und da ist der Vorwurf der jW-Autoren gegenüber Jebsen, er habe nach der Wahl von Donald Trump auf eine Veränderung der US-amerikanischen Politik gehofft.

Damit stand er aber wahrlich nicht allein! Selbst Bernie Sanders hatte Trump unter bestimmten Bedingungen seine Zusammenarbeit angeboten. Und in Europa hatten viele der entschiedensten Kritiker der USA vor einer schnellen Verurteilung Trumps gewarnt und geraten, erst einmal abzuwarten, wie sich seine Präsidentschaft entwickelt, schließlich müsse jede noch so kleine Chance auf eine Verständigung mit Russland genutzt werden. Nicht alle sehen eben die Welt so eindimensional wie ganz offensichtlich die „junge Welt“.

Die Zeitung sollte sich aber durch ihre Beteiligung am Jebsen-Bashing nicht zu sicher fühlen. Auch sie kann schon morgen der Vorwurf der Verbreitung von Verschwörungstheorien treffen! Dann wird man auch ihnen die „Aluhüte“ aufsetzen. Man denke nur an die von der jungen Welt oft gestellte Frage, „wieviel Staat im NSU stecke“, oder an die dort immer wieder geäußerte Vermutung, dass V-Leute des Verfassungsschutzes von der Vorbereitung des Attentats auf dem Berliner Breitscheidplatz gewusst hatten. Auch die Zweifel am Hergang des Todes von Oury Jalloh können jederzeit von interessierter Seite unter das Verdikt der Verschwörungstheorie gestellt werden.

Die jW-Kampagne gegen Ken Jebsen ist daher nicht nur infam, sie ist auch ausgesprochen kurzsichtig, da sie die gemeinsame und solidarische Abwehr von Verboten unliebsamer Äußerungen unterminiert. Und solche Verbote in Form der Verweigerung öffentlicher Auftrittsorte häufen sich gegenwärtig in der ganzen Bundesrepublik. Darauf hat kürzlich erst der Appell „Für Meinungsfreiheit! Auch in der Palästina-Frage“ an den Deutschen Städtetag hingewiesen. Die Lederers sind heute eben leider überall! So könnte schon morgen die Verteidigung der palästinensischen Sache in der jW als „offen abgründiger Israelhass“ (Klaus Lederer) diffamiert werden.

Und wie steht es schließlich mit dem Werbespruch der Zeitung „Sie lügen wie gedruckt. Wir drucken wie sie lügen“? Könnten nicht bösartige Kritiker behaupten, er sei verdammt nah am Vorwurf der „Lügenpresse“, wie er etwa in Dresden auf den Pegida-Demonstrationen regelmäßig erhoben wird? Die „junge Welt“ war schon mehrfach Opfer von Boykott- und Diffamierungskampagnen — meist orchestriert von Rechten in der Partei DIE LINKE. Sie müsste daher jetzt eigentlich auf der Seite von Ken Jebsen stehen, schon aus eigenem Interesse.

Der Artikel von Bratanovic und Carlens dagegen zielt aber nicht nur auf Jebsen, sondern auch gleich noch auf die linken Kritiker Lederers. Gleich zu Beginn wird darin mit Sorge konstatiert, dass es ihm (Jebsen, A.W.) „gelungen (sei) Verbündete im linken Milieu zu finden“, ja sogar „Verbündete bis in den Funktionärsapparat der Linkspartei hinein“. Ausdrücklich genannt werden in diesem Zusammenhang Wolfgang Gehrcke, der Bundesvorsitzende des Freidenkerverbandes Klaus Hartmann, Oskar Lafontaine sowie der Autor dieses Artikels.

Mit Besorgnis fragen Bratanovic und Carlens, „welche Richtung diejenigen Kräfte einschlagen wollen, die Jebsen gegen jede Kritik verteidigen“. Ohne für die anderen hier Genannten sprechen zu können, vermute ich, das für sie alle gilt: Es geht uns um die Verteidigung der Freiheit des Wortes gegen jeden, und damit auch gegen die, die sie im Namen besonderer Radikalität einschränken wollen.

P.S.: Nach Abschluss des Artikels haben sich neue, ungute Entwicklungen ergeben, auf die hier kurz eingegangen werden muss:

Der jW-Artikel von Bratanovic und Carlens vom 14.12.2017 hat in Teilen der eigenen Leserschaft ganz offensichtlich für so viel Unmut gesorgt, dass sich die Redaktion in der Ausgabe vom 22.12.2017 gezwungen sah, auf der Schwerpunktseite ihre Haltung noch einmal zu unterstreichen und zu rechtfertigen. Dabei wurde die Kontroverse erneut verschärft, denn nun wird Ken Jebsen offen in die Nähe von Jürgen Elsässer und Jörg Kubitschek gerückt. Und einmal mehr taucht der Vorwurf der „Querfront“ auf.

Auf der Online-Plattform Rubikon reagierte Ken Jebsen fast zeitgleich in einem Interview auf Drohungen gegen ihn und seine Familie und beschuldigte in diesem Zusammenhang einen ehemaligen jW-Mitarbeiter, dafür verantwortlich zu sein. Er tat dies in einer menschlich zwar verständlichen, aber doch leider eher undifferenzierten Weise. Inzwischen hat die Zeitung angekündigt, deshalb gegen ihn gerichtlich vorzugehen.

Als seien der Probleme noch nicht genug, kommt Rubikon nun auch von der anderen Seite unter Druck. Der auf der Plattform veröffentlichte Artikel von Elias Davidson „Der Brunnenvergifter Gilad Atzmon“ über einen der Redner auf der Veranstaltung der Neuen Rheinischen Zeitung am 14. Dezember 2017 im Babylon hat bei einigen für Empörung gesorgt. Auch dort findet eine Auseinandersetzung statt.

Angesichts dieses langsam unübersichtlich werdenden Vielfrontenkampfes über eine angekündigte aber dann doch nicht vollzogene Preisverleihung an einen engagierten Journalisten ist es allerhöchste Zeit, einmal innezuhalten und einen Weg für eine Klärung der verfahrenen Situation zu suchen, auf dem dann vielleicht sogar eine Annäherung der sich gegenwärtig unversöhnlich gegenüberstehenden Positionen möglich ist.

Zu den jetzt gebotenen Einsichten könnte gehören:

  1. Das wochenlange Wegtauchen der „jungen Welt“ als linker Tageszeitung angesichts der offenen Zensurmaßnahme des Berliner Kultursenators Klaus Lederers war und ist blamabel und nicht entschuldbar, schließlich ging es bei der versuchten Versagung des vom Senat geförderten Kinos Babylon um eine – wie oben beschrieben – bundesweite Entwicklung, bei der der Raum für kritische Positionen mit Hilfe administrativer Maßnahmen in Form der Sperrung öffentlich finanzierter Räumlichkeiten immer weiter eingeschränkt wird.
  2. Kritik an der zionistischen Politik Israels wird häufig zu Unrecht als antisemitisch diffamiert, vor allem in Deutschland. Das heißt aber nicht, dass es keinen Antisemitismus, selbst einen von einem Juden vertretenen, gibt. Hier trifft die Verantwortlichen für die Veranstaltung im Kino Babylon die Schuld, mit Gilad Atzmon den Falschen eingeladen zu haben.
  3. Distanzierungen Ken Jebsens von früheren fahrlässigen und problematischen Äußerungen müssen endlich als das zur Kenntnis genommen werden, was sie sind: Als Distanzierungen. Es ist unredlich, sie ihm dennoch immer und immer wieder vorzuhalten. Das gilt auch für seine schon vor Jahren beendete Zusammenarbeit mit Jürgen Elsässer. Zur Erinnerung: Elsässer war vor gar nicht mal so langer Zeit auch Redakteur der „jungen Welt“, bevor er zum Neuen Deutschland wechselte! Wie würde die jW reagieren, würde man ihr das heute vorwerfen?
  4. Ken Jebsen sollte bei all seiner Empörung über „die linken Medien“ nicht länger übersehen, dass es ganz andere Medien und Kräfte gibt, die ungleich einflussreicher als die von ihm vor allem Kritisierten sind, die ihm nicht wohlgesonnen sind. Ein klarerer Blick auf die wirklichen Gegner ist daher geboten.

Dies sollen nur ein paar erste und vorläufige Ratschläge für die dringend notwendige Deeskalation der verfahrenen Situation sein. Weitere müssen hinzukommen. Man kann sie aber natürlich auch in den Wind schlagen und weiter munter aufeinander einschlagen wie bisher. Darüber freuen dürfen sich dann Anwälte und Politiker vom Schlage Lederers, die sowohl Ken Jebsen als auch Rubikon, vor allem aber der jungen Welt feindlich gegenüberstehen.


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