Die sich auch gern Leitmedien nennenden Organe verlieren diese Leithammel-Funktion immer mehr. Die kulturelle Hegemonie, um diesen Schlüsselbegriff von Antonio Gramsci aufzugreifen, ist umkämpft wie lange nicht mehr. Wer nur Leitmedien kennt, gehört halt zum Establishment. Eliten, auf die die Mehrheit gerade nicht so gut zu sprechen ist. Weshalb auch deren großes Geld nicht mehr die große Wirkung garantiert.
Die allen zugänglichen Medien, die nicht zufällig die sozialen genannt werden, entwickeln eine subversive Kraft. Jenseits von Eigentum an Grund und Boden und von großem Finanzvermögen hat sich im Netz spontan eine Art Gemeineigentum gebildet. Wem gehören bahnbrechende Institutionen wie Wikipedia? Allen und niemandem. Sie sind unabhängig von Werbekunden.
Derartige Initiativen widerlegen das Vorurteil, dass etwas, was allen gehört, nicht verantwortungsvoll betrieben wird. Stattdessen ist es vielen frustrierten Medienkonsumenten der Versuch wert zu beweisen, dass solch alternative Medien, Archive und investigative Faktensucher sogar verantwortungsvoller arbeiten, als die durch vielerlei Zwänge im System gefesselten Angestellten. Viele Leser sind inzwischen besser informiert als die permanent unter Zeitdruck arbeitenden Journalisten. Das ist eine ungeheure Herausforderung.
Warum kann man den Großmedien das Monopol auf Information nicht überlassen? Der wirklich massenhafte Aufstand der Leser und Zuschauer begann mit der einseitigen Berichterstattung zur Ukraine. Damals quollen die Proteste, Gegendarstellung und Beschimpfungen der kritischen Masse auf den Webseiten von ARD, ZDF und den großen Zeitungen über und oft wurden die Kommentarseiten erstmalig seit ihrer Existenz einfach geschlossen.
Eine Bankrotterklärung? Die Vertrauenskrise hält seither ungebrochen an. In der ARD-Medien-Dokumentation „Vertrauen verspielt?“ räumte der Sender im Juli 2016 ein, dass 67 Prozent der Zuschauer, Leser und Hörer wenig oder kein Vertrauen in die Medien hätten. Von Kulturwandel war die Rede und von verunsicherten Diskussionen über das journalistische Selbstverständnis.
Doch die Selbstreflexion des Berufsstandes blieb nicht nur in dieser Sendung unter dem Niveau, das nötig gewesen wäre, um Vertrauen wiederherzustellen. Zwar wurde eingeräumt, dass bei der Maidan-Berichterstattung das Treiben der Faschisten weitgehend fehlte und im Fall der Hetzjagd auf den damaligen Bundespräsidenten Wulf war von „Rudeljournalismus“ die Rede. Einzelne Fehler, Übertreibungen und Versäumnisse eben, die schließlich überall vorkommen. Kritik an grundsätzlichen Problemen wurde ausschließlich im rechten Spektrum verortet. Die Denunziation der Kritiker als wirksamste Form, die Kritik selbst zu entsorgen.
Zwar fällt auf, dass insbesondere die öffentlich-rechtlichen Sender sich bemühen, Quellen transparenter zu machen, Fakten stärker zu hinterfragen und in Talk-Shows Andersdenkende zu Wort kommen zu lassen. Doch diese sind immer in der Minderheit und werden in aller Regel von der Mehrheitsmeinung in der Runde unterbrochen, übertönt, in die Ecke gedrängt, wenn nicht auf das Übelste beschimpft. Als Populist, Propagandist, Putin-Versteher, Verschwörungstheoretiker oder gar Lügner.
Und das täglich – so etwa am 9. April bei Anne Will gegenüber Michael Lüders, der es immer wieder wagt, die Verantwortung für den Flächenbrand im Nahen Osten und auch in Syrien beim Westen zu sehen. Und extreme Diffamierung am 10. April in hart aber fair, nicht vom Moderator, aber einigen Gästen gegenüber dem Ex-Planungsstabsoffizier der NATO Ulrich Scholz, der Trumps Bombardement in Syrien weder militärisch noch politisch nachvollziehbar fand.
Inzwischen übernehmen die Großmedien Methoden der Alternativen, betreiben Faktenchecks und Faktenfinder. Sie instrumentalisieren diese Werkzeuge aber ganz gern um nachzutreten: die Verfechter von abweichenden Meinungen gelten dann als „umstritten“, ihre Quellenlage als „dünn bis widersprüchlich“ und „nicht besonders substantiell“.
Es werden allerlei Leute zitiert, die die erwünschte Position bestätigen, während Gegenaussagen weggelassen werden. Bei der Fülle von kursierenden Behauptungen und Fakten ist es nicht schwer, ein Übergewicht an Beweisen zugunsten des eigenen Standpunktes zusammen zu tragen. Eine Gefahr, der sich natürlich auch die alternativen Medien bewusst sein müssen. Ihr Markenzeichen sollte dennoch ganz offensiv nicht die nur als Fiktion existierende Ausgewogenheit sein, sondern das andernorts Tabuisierte und Unterdrückte.
Denn noch bequemer als öffentlich vorzuführen ist die Methode, seriöse wissenschaftliche Analysen, gut recherchierte polemische Essays und anspruchsvolle alternative Webseiten öffentlich einfach nicht zur Kenntnis zu nehmen. Die Vorwürfe von Buchautoren wie Albrecht Müller, Uwe Krüger, Ulrich Teusch oder Walter van Rossum gegenüber Medien werden schlicht ignoriert. Die von all diesen Kritikern angesprochenen Schmerzzonen des gegenwärtigen Journalismus bleiben tabuisiert: die Folgen von Rücksicht auf die Interessen der Medieneigentümer und Anzeigenkunden, der Mangel an Zeit und Geld für Recherchen und der Rückgriff auf PR-Agenturen, die Existenz „diskreter Fabriken der Desinformation“ (Peter Scholl-Latour), die Disziplinierung durch Zeitverträge, der Zusammenhang von Karriere und Selbstzensur.
Schließlich Hofberichterstattung in Folge allzu enger Kontakte mit Politikern, der Mainstream als Parteinahme für die Elite, zu der man selbst gehört, die Kluft zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung, redaktionelle Vorgaben und Anpassungsdruck als Ursache für die Tendenz zu Selbstgleichschaltung, Meinungshomogenität und Ausgrenzung allzu deutlicher Abweichler.
Indem die selbsternannten Leitmedien bei ihrer Selbstreflexion diese Fragen weitgehend aussparen, belegen sie freiwillig den Hauptvorwurf gegen sie: Verbiegen und Lügen durch Weglassen.
Besonders viele Tabus und Einseitigkeiten finden sich dort, wo es wirklich um Macht, Geschäfte und Einflusssphären geht, also in der Außenpolitik. Wie schnell die meisten Medien wieder bereit waren, Trump, Hollande und Merkel zu folgen, die ohne auch nur den Ansatz einer Untersuchung sofort wussten, dass Assad der „alleinige Verantwortliche“ für den jüngsten Einsatz von Giftgas im syrischen Chan Scheichun sei, hätte man nicht für möglich gehalten. Gibt es doch bis heute nicht mal zu dem fürchterlichen Angriff 2013 in Ghouta einen eindeutig Schuldigen, sondern immer noch die widersprüchlichsten Angaben. Wer als erster die Deutungshoheit erobert, ist Sieger. Deutungshoheit ist wichtiger als militärische Lufthoheit geworden.
Simpelste journalistische Grundsätze werden hierzulande immer wieder missachtet – etwa, dass im Konfliktfall beide Seiten gehört werden müssen. Die Regeln unseres Feindbild-Journalismus besagen viel mehr, dass die Gegenseite unter keinen Umständen Gehör verdient, da sie a priori nur Propaganda verbreitet. Ausschließlich Lügen, die nicht mal wert sind, überprüft zu werden.
In unserer Medienlandschaft musste man annehmen, die syrische Regierung schweige zu den jüngsten Giftgas-Vorwürfen gegen sie. Aber es existiert ein Video mit der Stellungnahme des syrischen Außenministers al-Muallem (ja, der Diktator hat sogar richtige Minister). Die deutschen Fernsehsender haben diese nicht ganz unwichtige Erklärung übergangen. Doch hoppla, wie zum Beweis, dass die Qualitätsmedien keine Tabus kennen, findet man sie unvermutet auf Tagesspiegel-online. Nicht überraschend versichert darin der Minister, die syrische Armee habe in Chan Scheichun keine chemischen Waffen eingesetzt und werde auch künftig keine verwenden.
Soweit nicht gerade beweiskräftig. Aber hier, nach 33 Sekunden, schneidet der Tagesspiegel den Rest weg. Die Fortsetzung findet man, soweit zu übersehen, nur auf arabischen oder russischen Seiten. Darin die brisante, aber relativ leicht zu überprüfende Behauptung des Ministers, die syrische Regierung habe in letzter Zeit viele Dutzende Male den UN-Sicherheitsrat darüber informiert, dass die in Syrien kämpfenden Terroristen über chemische Kampfstoffe verfügen. Die Warnungen seien aber ignoriert worden. Warum eigentlich, wo doch UNO-Inspektoren schon Giftgaseinsätze von Terroristen festgestellt haben? Was denkt sich wohl der Tagesspiegel bei einem solchen Schnitt? Wie kann er widerlegen, dass er hier manipuliert hat?
Mündige Bürger haben ein Recht darauf zu erfahren, ob die schwerwiegende Behauptung des syrischen Außenministers stimmt. Und ob die Informationen an den UN-Sicherheitsrat Hinweise enthielten, wie IS und al-Nusra-Front an die Giftzutaten gekommen sind. Dies wissend, würde die russische Version des Vorgangs, dass nämlich chemische Kampfstoffe der Terroristen getroffen wurden, erheblich plausibler. Viel zu selten wird gefragt: Wem nutzt es? Was treiben die 27.000 allein vom Pentagon bezahlten PR-Leute? Soviel Power allein im Dienste der Wahrheit?
Das Institut Swiss Propaganda hat im Juni 2016 eine Studie über die Syrien-Berichterstattung der drei jeweils größten Zeitungen Deutschlands, der Schweiz und Österreichs in der Zeit unmittelbar nach Eintritt Russlands in den Syrienkrieg vorlegt. 78 Prozent aller Artikel basierten auf Meldungen der großen Agenturen, Null Prozent auf investigativer Recherche.
Die Ausrichtung der Meinungsbeiträge, Gastkommentare und Interviewpartner war in der Welt, der Süddeutschen Zeitung, der Neuen Züricher Zeitung und dem österreichischen Kurier zu 100 Prozent NATO-konform. Die FAZ konnte im Untersuchungszeitraum einen ausgewogenen Beitrag vorweisen. Alle Zeitungen haben Propaganda zu 85 Prozent in Russland verortet, zu null Prozent in NATO-Staaten.
Bei so viel vorauseilendem Gehorsam muss man sich nicht wundern, wenn die Leser vom Glauben abfallen. Eigentlich müsste diese Art von Journalismus als umstritten gelten. Das nötige Bewusstsein dafür wird sich nur durchsetzen, wenn alternative Medien wie der Rubikon gegenhalten. So qualifiziert und so permanent, dass diese Stimmen weder durch Diffamieren noch durch Ignorieren aus der Welt zu schaffen sind.
Wenn Sie für unabhängige Artikel wie diesen etwas übrig haben, können Sie uns zum Beispiel mit einem Dauerauftrag von 2 Euro oder einer Einzelspende unterstützen.
Oder senden Sie einfach eine SMS mit dem Stichwort Manova5 oder Manova10 an die 81190 und mit Ihrer nächsten Handyrechnung werden Ihnen 5, beziehungsweise 10 Euro in Rechnung gestellt, die abzüglich einer Gebühr von 17 Cent unmittelbar unserer Arbeit zugutekommen.