Ich möchte kurz ein paar dieser „Angriffe auf meinen Verstand“ erörtern, die ich nach nur einem einzigen Kriterium ausgesucht habe: sie sind mir am 6.und am 7. Februar 2017 in großen deutschen Medien begegnet, als ich gerade überlegte, wie ich diesen Text hier beginnen könnte...
Der erste:
„Wer illegal über die Grenze gekommen ist, der sollte ein Angebot bekommen, freiwillig zurückzugehen. Wenn er dieses Angebot nicht annimmt, bleibt nur die Abschiebung.“
Dieser Satz ist an sich nichts Besonderes: Jemand hat gesagt, dass er mit der herrschenden gesetzlichen Lage (geregelt in § 58 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes) einverstanden ist.
Oskar Lafontaine hat sich in einem Interview mit der Tageszeitung "Die Welt" so geäußert [1], die Äußerung selbst ist nicht brisant oder spektakulär.
Die Wochenzeitung „Die Zeit“ hat das Zitat anschließend übernommen, abgedruckt und ergänzt um einen Kommentar:
„Damit ging der Oppositionsführer im saarländischen Landtag auf Distanz zu vielen Parteikollegen, die sich gegen Abschiebungen nach Afghanistan oder nordafrikanische Staaten einsetzen.“ [2]
Auf diese (grammatisch fehlerhafte) Bemerkung hin haben sich viele der erwähnten Parteikollegen eilig zu Wort gemeldet und gegen ihren Parteifreund protestiert, weil der Abschiebungen nach Afghanistan befürworte.
Viele, die gern Streit innerhalb der Linken sehen, weil es die Partei schwächt, wenn sie sich intern zerlegt und spaltet, haben sich darauf vergnügt die Hände gerieben, weil die Deppen darauf reingefallen waren, was die Wochenzeitschrift ihnen suggeriert hatte: dass nämlich Oskar Lafontaine gesagt habe: „Schiebt die Illegalen ruhig nach Afghanistan ab.“
Das aber hat Lafontaine nicht gesagt.
Die Praxis der Abschiebung in sogenannte sichere Drittländer war überhaupt nicht Thema seiner Aussage, ebenso wenig wie die Frage, ob Afghanistan eventuell als „sicheres Drittland“ gelten könne (woran die Bundesregierung „trotz angespannter Lage festhält“ [3], die Linke fordert dagegen einen sofortigen Stopp aller geplanten Abschiebungen nach Afghanistan). Lafontaine hatte lediglich gesagt, dass ein Staat darüber entscheiden können müsse, wen er aufnimmt und wen nicht. Dieser unstrittigen rechtsstaatlichen Selbstverständlichkeit hatte er noch hinzugefügt, das sei nun einmal die „Grundlage staatlicher Ordnung“. Stimmt genau.
Was er wiederum nicht gesagt hatte, war kurz darauf als Überschrift der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zu seinem Gespräch mit der „Welt“ zu lesen [4]:
„Lafontaine fordert mehr Abschiebungen.“
Das ist falsch: An keiner Stelle in seinem Interview mit der „Welt“ forderte Lafontaine mehr Abschiebungen.
Der „FAZ“ istdiese Überschrift allerdings nicht genug, sondern sie gibt dem Leser gleich noch eine Beurteilung der erfundenen Behauptung an die Hand und fährt unter der Überschrift ableitend fort, dass Lafontaine (a) seinem eigenen Parteiprogramm widerspreche und (b) auf die Wähler der AfD „schiele“. Diese Behauptungen sind ebenfalls (a) falsch und (b) vollkommen aus der Luft gegriffen und haben nichts mit dem zu tun, was Oskar Lafontaine gesagt hat, allerdings sind sie dazu geeignet, beim Leser einen ungünstigen Eindruck von Lafontaine zu erwecken.
Vor etwa fünfzig Jahren habe ich zufällig, als ich unerlaubt und sehr neugierig im Bücherschrank meiner Eltern nach Bildung (oder Aufklärung?) suchte, ein paar Bücher von Immanuel Kant gefunden. In einem dieser Bücher stand ein Satz von andauernder, brennender Gültigkeit, der mich seitdem völlig unbeirrbar begleitet und mir oft aus der geistigen Verwirrung herausgeholfen hat, in die jeder gerät, der nicht fassen kann, mit welcher Wahnhaftigkeit einige wenige mächtige Menschen (mit oder ohne Entscheidungsbefugnis) die gesamte Welt gnadenlos zugrunde richten, ohne dass der Rest der Menschheit, nämlich die überwältigende Mehrheit aller auf dem Planeten Lebenden, sie daran hindert.
„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen.“
Es ist mir längst ein Reflex geworden, wenn ich einen Satz wie den obigen aus der FAZ lese („Lafontaine fordert mehr Abschiebungen“), nachzuschauen, wann, wo und in welchem Zusammenhang dieser Satz erfolgt ist, und in diesem Fall alsbald zu erkennen, dass er gar nicht erfolgt, also von den Autoren der „Zeit“ und der „FAZ“ aus der Luft gegriffen worden ist. Danach kann es mir passieren, dass ich weitergehe und überlege, warum und zu welchem Zweck wohl ein solcher Satz erfunden worden sein mag.
Diese Überlegungen nun – warum wohl und zu welchem Zweck wird die Behauptung a) oder b) in die Welt gesetzt – diese Überlegungen sind gefährlich. Ich komme darauf zurück, allerdings möchte ich vorher ein zweites Beispiel vorstellen, einen ziemlich lustigen Zeitungstext aus der „Süddeutschen Zeitung“ vom 7.2.2017 [5], dessen beide Autoren, Georg Mascolo und Nicolaus Richter, offenbar sehr zuversichtlich davon ausgehen, dass ihre Leser komplett von dem Unvermögen befallen sein müssen, sich ihres Verstandes zu bedienen.
Der Artikel ist überschrieben: „Die Angst vor dem langen Arm des Kreml“.
Es geht um die im Augenblick medial unermüdlich vorgetragene Befürchtung, dass die Bundestagswahlen im September möglicherweise von der russischen Regierung manipuliert werden könnten.
„Die Faktenlage ist dünn“, heißt es gleich zu Anfang des Artikels.
Das könnte, so wird erklärt, zweierlei Ursachen haben: Entweder die russische Regierung manipuliert nicht, oder sie tut es doch, aber die deutschen Geheimdienste kriegen es einfach nicht raus.
An dieser Stelle fragt sich der geneigte und verstandesbewehrte Leser: Warum, zum Teufel, schreiben die dann was davon in die Zeitung, wenn’s doch nichts zu berichten gibt?
Kurz darauf erfahren wir, warum: Es gibt da doch etwas zu berichten, und zwar eine dunkle Vermutung des deutschen Geheimdienstes, der ja nicht gut sagen kann, Freunde, lasst gut sein, wir haben gesucht, aber nichts gefunden. Zu seiner eigenen Entlastung muss er also Finsteres auf der Gegenseite annehmen, nämlich: Der Kreml versucht, „mit einem ‚konfrontativeren Kurs’ Unruhe zu stiften, ist aber zugleich sehr geschickt darin, sich nicht dabei erwischen zu lassen“.
Oho, sagt da der an Kant geschulte Leser, na dann alle Achtung. Ganz der Russe. Dass der so geschickt ist, sich nicht erwischen zu lassen. Das ist wie mit den Mäusen, die uns nachts immer den Käse aus der Falle klauen, ohne sich fangen zu lassen. Abgefeimt.
Wirklich hinreißend finde ich die Schlussfolgerung aus dem Dilemma der dünnen Faktenlage, das man nach Lektüre des Artikels auch als komplette Faktenfreiheit bezeichnen könnte. Die „Süddeutsche“ gibt es folgendermaßen wieder:
„Aus Sicht der deutschen Dienste besteht kein Zweifel daran, dass die Fäden - sollte es welche geben - im Kreml zusammenlaufen.“
Da reibt man sich zunächst die Augen und fragt sich, ob man noch ganz richtig tickt, denn wenn man sich das übersetzt, klingt es etwa so: Wir wissen nicht, ob der Stine wirklich wer untern Rock gefasst hat, aber wenn wer der Stine untern Rock gefasst hätte, man weiß es ja nicht, aber könnte ja immerhin sein, wenn also wirklich der Stine wer untern Rock gefasst hätte, dann wüssten wir sicher, das kann nur der Hansi gewesen sein.
Dieser Befund wird nicht nur durch ein gedrucktes deutsches Leitmedium verbreitet, sondern am Abend davor hätte ich ihn mir auch im staatlichen Fernsehen ansehen können, wo er unter dem Titel „Keine Smoking Gun aus Russland“ gesendet wurde, der Autor war ebenfalls Georg Mascolo, diesmal alleine.
Was ich mir stattdessen viel später (23.45 h) zu nachtschlafender Zeit angesehen habe, war die Dokumentation „abgehört und abgenickt“ von Hubert Seipel, die sich mit den Praktiken amerikanischer Geheimdienste in Deutschland befasst und zu dem überraschenden Ergebnis kommt, dass die Bundesrepublik seit ihrem Bestehen und ohne Rücksicht auf irgendwelche dort etablierten Rechtslagen flächendeckend abgehört wird, Wirtschaftsspionage seitens der NSA inklusive, und dass das auch jeder weiß, der es wissen will, nur dass es offenbar niemanden interessiert, wer der Stine andauernd untern Rock fasst: weil’s blöderweise gar nicht der Hansi ist.
Der dritte Angriff auf meinen Verstand war um Klassen intelligenter, aber dennoch ein Angriff. Er stammt von Professor Marcel Fratzscher, dem Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und laut FAZ einem der wichtigsten deutschen Ökonomen. Fratzscher war Gast in der Talkshow „Hart aber Fair“, in der es hieß „Trump und wir – Experten beantworten Zuschauerfragen“.
Es ging um die Angst mittelständischer deutscher Unternehmen vor den Strafzöllen für ausländische Produkte, die der kürzlich ins Amt gekommene amerikanische Präsident Donald Trump angekündigt hat, und es ging darum, ob der Fragesteller, ein Arbeitnehmer in einem dieser mittelständischen Unternehmen, sich Sorge machen müssten. Ja, sagte Fratzscher, das müsse er.
Er erwähnt sodann in seiner ausführlichen Antwort etwas, das bislang eher selten Erwähnung gefunden hat, nämlich die deutschen Exportüberschüsse gegenüber den USA. Fratzscher nennt die sehr hohen Zahlen und gibt zu bedenken, dass an den amerikanischen Überlegungen „was dran“ sei, insofern nämlich, als Deutschland tatsächlich „Dumping“ betreibe und sich damit einen „unfairen Wettbewerbsvorteil“ verschafft hätte, gegen den sich Amerika nun zur Wehr setzen könnte.
Diesen Vorwurf, so Fratzscher weiter, machten die Franzosen und andere Europäer Deutschland im übrigen schon seit Jahren: nämlich, so die anderen Europäer, hätten die Deutschen zu niedrige Löhne, praktizierten Protektionismus, hielten gegenüber dem europäischen Ausland ihren Dienstleistungssektor fest geschlossen, kurz – ich fasse den Vorwurf mit meinen Worten zusammen – die deutsche Wirtschaft bereichere sich seit Jahren nicht nur auf Kosten der Amerikaner, sondern auch auf Kosten ihrer Nachbarn.
An dieser Stelle dachte ich, hoppla, und war gespannt, wie es weiter gehen würde. Was Fratzscher hier gesagt hatte, war ein ziemlicher Tabubruch.
Denn so wahr es ist, dass Deutschland Jahr für Jahr um Längen die Exportüberschussmarge reißt, die die EU für die einzelnen Mitgliedstaaten beschlossen hat, so richtig ist es auch, dass die Medien darüber bisher entweder gar nicht oder so ähnlich triumphal berichtet haben wie seinerzeit über die Papstwahl und den Sieg der Fußballer: „Wir sind Exportweltmeister!“, als ob die ungute und kreuzgefährliche Schieflage, die dadurch entstanden ist, ein Grund sei, in Deutschland die Sektkorken knallen zu lassen und sich überlegen zu fühlen gegenüber denjenigen Ländern, denen die brutale Missachtung der EU-Richtlinien sowie auch der nachbarschaftlichen Fairnessgebote seit Jahren schweren Schaden zufügt und denen zuweilen das Messer in der Tasche aufgeht, wenn sie an Deutschland denken, und natürlich auch wenn sie an Brüssel denken, das sich von Deutschland einiges gefallen lässt und nur manchmal mit dem Zeigefinger „du du du“ macht.
Und nun hat Herr Professor Fratzscher es also ausgesprochen: Wir sind unfair, und die Trump-Administration hat keineswegs unrecht, wenn sie das auch so nennt.
Ich bin gelernte Rhetorikerin und kenne die Mittel, die im Giftschrank der sprachlichen Verdrehungstechniken und -künste stehen, ziemlich genau.
Der Moderator hatte schon die Frage formuliert, ob „wir vielleicht mal auf die Bremse treten müssten“, und eigentlich hätte Fratzscher an dieser Stelle die logische Folgerung aus seinen Bemerkungen ziehen müssen: Na klar, müssten wir, eigentlich hätten wir schon vorgestern auf die Bremse treten sollen, und wie! Schluss mit dem deutschen Lohndumping, dem Export der Arbeitslosigkeit in unsere Nachbarländer! Schluss mit den unfairen Wettbewerbsvorteilen, die sich Deutschland auf Kosten seiner eigenen Bürger sowie seiner EU-Freunde und –Brüder verschafft und die das Klima in Europa seit Jahren vergiften. Es lebe die europäische Idee, das Fairplay und eine gemeinsame solidarische Wirtschaftspolitik!
Dies sagte Fratzscher allerdings nicht. Es gehört sich nicht, auf den Umstand hinzuweisen, dass „unsere“ prächtigen Wirtschaftsdaten ursächlich auf dem Rücken zweier sehr unschöner Phänomene in den Himmel gewachsen sind, nämlich zum einen auf dem Rücken unserer eigenen Bevölkerung, die wir zu großen Teilen am Hungertuch niedrigster Löhne und prekärer Beschäftigung nagen lassen, damit unsere Produkte billiger sind als die unserer italienischen, französischen oder polnischen Nachbarn, und da haben wir den zweiten Schönheitsfehler, den wir nicht gern zugeben. Niemals würden wir unsere Freunde ohne Erbarmen niederkonkurrieren, niemals, weil wir doch die Guten sind, die nichts Böses im Schilde führen, und eben weil wir die Guten sind, können wir absolut nicht verstehen, warum die anderen (unsere europäischen Nachbarn ebenso wie die Bürger unseres eigenen Landes, die wir zu unerfreulichen Existenzen verdonnert haben) die Regierungen nicht freudig wählen, die ihnen das eingebrockt haben, und das sind bei uns beinahe alle jetzt zur Wahl stehenden etablierten großen Parteien (oder auch das im amerikanischen Wahlkampf so genannte „Establishment“), angefangen bei Gerhard Schröders damaliger SPD und den Grünen, und dann ging das mit Angela Merkels CDU weiter, erst unter Beihilfe der FDP und danach seit Jahren wieder mit der SPD.
Aber da Herr Fratzscher das nicht sagen mochte und weil man nicht so ohne weiteres die Sache beim Namen nennen darf, sagte er etwas Verdrehtes,. Er sagte nämlich, er befürchte gar nicht mal so sehr, dass ein Konflikt zwischen den USA und Deutschland drohe (warum eigentlich nicht, frage ich mich) sondern viel wahrscheinlicher sei, „dass Trump Europa spalte“.
Wohlgemerkt, Fratzscher sagte nicht, was aus seiner Analyse der Lage glasklar und eindeutig hervorging, nämlich dass Deutschland Europa wirtschaftlich längst gespalten hat, sondern er drehte den Spieß um und schob die Spaltung elegant vom Verursacher der Schieflage weg und dem Präsidenten der Vereinigten Staaten in die Tasche.
Mit diesem Trick ist es ihm gelungen, die deutsche Wirtschaft schon mal prophylaktisch aus der Schusslinie zu nehmen, bevor noch der erste Schuss gefallen ist, und Deutschland also von vornherein zum Opfer eines künftigen amerikanisch-europäischen Handelskrieges zu erklären, anstatt darauf hinzuweisen, dass ein solcher Handelskrieg möglicherweise gar nicht stattfinden müsste, weil sich das Thema in dem Moment erledigt hätte, in dem Deutschland seine Dumping-Politik aufgäbe und seine Exportüberschüsse herunterschrauben würde.
Mit seiner Vermutung, Donald Trump könne womöglich die Spaltung Europas im Schilde führen, ist Marcel Fratzscher im Übrigen nicht allein, das sind Experten meiner Erfahrung nach nie, weil es ja schließlich Netzwerke gibt.
Auch für die Europa-Expertin Almut Möller vom European Council on Foreign Relations (ECFR) droht die EU zu zerfallen: „Die Spaltung der EU wird von Washington aus betrieben“, sagte sie mit Blick auf die Äußerungen des US-Präsidenten Donald Trump.
Wie ich jetzt von Marcel Fratzscher, dem aus Funk und Fernsehen bekannten Wirtschaftsexperten, auf Almut Möller komme, die keiner kennt?
Ich kenne sie übrigens auch nicht. Ich bin ganz zufällig auf sie gestoßen, als ich eben den US-amerikanischen Weltkonzern Google danach gefragt habe, was ihm zum Thema „Trump spaltet Europa“ einfällt, und da fiel ihm gleich als eine der ersten Almut Möller vom European Council on Foreign Relations ein, welche Institution mir bislang ebenfalls unbekannt war, aber was ich an meinem Beruf so liebe, ist das „learning by writing“, und den ECFR nicht zu kennen, wäre ganz einfach ein Fehler, weil er nämlich möglicherweise wichtig ist, etwa so wichtig wie der Umstand, dass ihn vermutlich nicht so viele Leute kennen. Er ist ein Thinktank, seine Organisationsform ist die des gemeinnützigen Vereins.
Was er will, sagt er auf seiner Homepage: „to combine establishment credibility with intellectual insurgency“. Also die Glaubwürdigkeit des europäischen Establishments mit intellektueller Insurgenz zu verbinden. Insurgenz? Was ist das gleich? Insurgency. Aufstand, mindestens Aufruhr. Nun. Über diese Kombination muss man eine Weile nachdenken, mir fällt ad hoc dazu nur das Wort „Farbrevolutionen“ ein, aber ich kann mich täuschen und werde dem später nachgehen.
Bei einem ersten Blick in die Veröffentlichungen dieser Denkfabrik erkennt man: Der Verein hängt – ganz im Sinne des europäischen Establishments – an und für sich nicht der Idee an, Europa werde von seinen amerikanischen Freunden gespaltet. Eher geht er davon aus, dass Russland eine gewaltige Gefahr für Europa darstellt, wobei Spaltung noch das geringste Problem ist – bei der Lektüre hat man das Gefühl, die russische Armee stehe schon kurz vor Warschau, wenn nicht gleich vor Berlin. Das wiederum würde die „aufständische“ Absicht des ECFR erklären. Jedenfalls vermittelt er keineswegs, dass NATO-Truppen soeben ihren Posten in Litauen an der russischen Grenze bezogen haben könnten, unter anderem deutsche, deren Vorgänger vor nicht sehr langer Zeit dort schon mal waren und allein nur in Litauen gleich nach ihrer Ankunft in den ersten fünf Monaten 137.346 Juden umgebracht haben [6].
Wenn jetzt also eine Mitarbeiterin dieser Nicht-Regierungs-Organisation ebenso wie Marcel Fratzscher und etliche andere zu der Vermutung gelangt, dass der amerikanische Präsident Europa spalten könne, dann sollte man das ernst nehmen.
Genau das werden die Leute tun, die unser Land regieren, und ihre politischen Konkurrenten im Wahlkampf werden exakt das selbe tun: Sie werden auf Politikberater hören, die wir nicht kennen, sie werden Routen einschlagen, die ihnen aus Thinktanks suggeriert werden, die wir ebenfalls nicht kennen , sie werden weiterhin den Rat der Unternehmensberater von McKinsey befolgen und Asylanten „effizient“ ausweisen, McKinsey wenigstens kennen wir, viele andere Unternehmensberater, deren Rechnungen wir bezahlen, kennen wir nicht.
Die Leute, die wir wählen, werden auch künftig auf der Grundlage undurchsichtiger Kalkulationen die Kosten unserer öffentlichen Bauten mittels privater Investorenfirmen in die Höhe treiben, die Expertise von Versicherungen einholen, um die Renten zu kürzen, sie werden die Bildung unserer Kinder in die Hände von Stiftungen legen und uns für die Veruntreuung der Gelder, mit denen wir unser staatliches Gemeinwesen zu finanzieren nur glauben, die Erklärung geben, die globalisierte Welt sei eben komplexer geworden, und wir seien leider zu doof, um da noch durchsteigen zu können (die deutsche Verteidigungsministerin regte kürzlich an, mit dem Volk in angemessener sprachlicher Schlichtheit zu kommunizieren, in einer einfachen Sprache, in Hauptsätzen)[7], weswegen wir es lieber nur bezahlen und ansonsten den Fachleuten und Thinktanks und Agenturen, den NGOs, Vermögensverwaltungen, den Consulting- und weltumspannenden Anwaltsbüros für Steuervermeidungs- und Freihandelsrecht überlassen sollten, die Einzelheiten unserer Leben auszuhandeln, die wir sowieso nicht verstehen, und wenn wir uns tatsächlich nützlich machen wollten, gäbe es ja das Ehrenamt (Eltern reparieren defekte Klos und Dächer in den maroden Schulen, Anwohner stopfen Löcher in den Straßen, und die Tafeln hungrige Mäuler).
Die Regierungsform, die auf diese Weise schon seit längerer Zeit praktiziert wird, heißt „Governance“, was bedeutet, dass neben staatlichen Akteuren oder anstelle staatlicher Akteure wesentlich nicht-staatliche an der Gestaltung der Politik beteiligt sind. Die sind natürlich ebensowenig gewählt wie zum Beispiel die Mitglieder der Europäischen Kommission in Brüssel oder die sogenannte Troika, die europaweit in nationales Regierungshandeln eingreift, bis man von Regierungshandeln nicht mehr sprechen kann.
Den diversen derart am politischen Geschehen beteiligten Beraterfirmen und -institutionen nun wieder – ich lasse hier mal den traditionellen Lobbybetrieb weg (Pharma, Energie, Waffen, Agrar, Finanz und all die anderen), der inzwischen zu weiten Teilen gesetzgeberische und parlamentarische Funktionen übernommen hat – diesen Beratern ist es gleichgültig, ob sie Frau Merkel oder Herrn Schulz zu Diensten sind, Hauptsache, sie selbst stehen in den Diensten des erst neuerdings so genannten „Establishments“ und können das auch so lange weiter tun und dazugehören, als die Glaubwürdigkeit desselben nicht derart angeschlagen ist, dass seine und somit ihre Position gefährdet wären.
Das Ding nannte sich, bevor wir das vornehme Wort Establishment dafür eingesetzt haben, Macht und funktioniert nicht erst seit gestern so, nur dass wir heute in der dummen Position sind, nicht mehr so ganz genau wissen zu können, wer sie mit Hilfe welcher globalen grauen Eminenzen ausübt, weil nur die wenigsten sich zu erkennen geben. Um es mit meinem Freund Reiner zu sagen, einem Physiker, der international unterwegs ist und der es auf den Punkt gebracht hat: „Ich wüsste sehr gern, von wem wir eigentlich regiert werden.“
Ich vermute: von denen, für die wir demnächst unsere Kreuzchen machen dürfen, wahrscheinlich eher nicht.
An dieser Stelle möchte ich einen Exkurs einschieben, der nach Beendigung dieses Textes entstanden ist, nämlich nachdem ich – aufgrund des Wortes „insurgency“ und meiner freien Assoziation dazu - der Frage nachgegangen bin, was der ECFR tut und wer ihn in seinem gemeinnützigen Tun finanziert. Hier also das Ergebnis, das im übrigen kein Geheimnis ist, es steht bei Wikipedia: Der European Council on Foreign Relations berät in außen- und sicherheitspolitischen Fragen und ist vor etwa zehn Jahren von fünfzig Gründungsmitgliedern ins Leben gerufen worden, von denen dem deutschen Leser einige bekannt sein dürften, so etwa Joschka Fischer, Cem Özdemir, Caio Koch-Weser (deutscher SPD-Politiker, Lobbyist und Mitglied im erweiterten Vorstand der Deutschen Bank, ehemaliger Vizepräsident der Weltbank), Dominique Strauss-Kahn, der beinah mal französischer Präsident geworden wäre, sowie George Soros, dessen Name bei Wikipedia ergänzt wird durch die Berufsbezeichnung „Investmentbanker, Spekulant und Finanzier von demokratischen Oppositionsbewegungen in Osteuropa (Soros-Stiftung)“.
Im ECFR sitzen massenhaft illustre Menschen[8], und zwar querbeet durch die Parteien und Konzerne. Darüber möchte ich an dieser Stelle nicht nachdenken, sondern kurz über ein Phänomen sprechen, das ich nur deshalb am Beispiel von George Soros erläutern will, weil ich seinen Namen zufällig in der Liste jenes oben erwähnten ECFR entdeckt habe (ich könnte auch Warren Buffet, Bill und Melinda Gates und viele andere nennen, statistisch findet man die meisten von ihnen in den USA, es gibt sie aber auch anderswo).
Dieses Phänomen geht so: Nachdem jemand im Schweiße seines Angesichts und mit seiner Hände Arbeit die ersten zehn oder zwanzig Milliarden Dollar entbehrungsreich zusammengekratzt und auf irgend einer Offshore-Insel fern des heimischen Fiskus steuer- und krisensicher angelegt hat, überkommt ihn sehr häufig der Drang, Gutes zu tun.
Die Philantropie ist in der amerikanischen Tradition fest verankert und hat sich inzwischen von dort über die Welt verbreitet.
Dem Spender ist die Rührung der Medien und der für Ordensvergabe zuständigen Einrichtungen gewiss, Tier- und Menschenfreunden auf der ganzen Welt kommen die Tränen. Wer hätte nicht ergriffen geseufzt, als er davon gehört hat, dass vierzig Milliardäre versprochen haben, die Hälfte ihrer Vermögen irgendwann den Armen zu schenken, wobei, wenn man genau hinschaut, das Versprechen ihnen heute Ruhm einträgt, während das „Irgendwann“ laut Vereinbarung ruhig in der Ferne liegen und im Grunde gegen unendlich laufen kann und irgendwo am Horizont stattfinden dürfte, ganz in der Nähe des Himmelreichs.
Die meisten guten Taten allerdings werden nicht irgendwann, sondern schon seit längerem angegangen.
Zu unserem Beispiel: George Soros hat nicht nur den aufrührerischen ECFR mitgegründet und bis heute unterstützt, sondern mittels einer Haupt- und vieler Nebenstiftungen eine ganze Menge Aufstände finanziert (überwiegend in Osteuropa, aber auch anderswo, überwiegend unblutig, gelegentlich aber auch blutig), von denen anschließend einige einen bunten oder botanische Namen bekamen.
Das kann man finden, wie man will, man sollte sich nur klar darüber sein, dass es so ist, und zwar ist es nicht nur bei der Aufstandsfinanzierung so, sondern es ist in allen Bereichen politischer Gestaltung seit langem gang und gäbe, und so kommt es (der Zufall war auf meiner Seite, das nennt man Recherche-Glück), dass auch zwischen dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, dessen Präsident der Hart-aber-Fair-Gast Marcel Fratzscher ist, und George Soros eine Verbindung besteht, insofern nämlich, als Soros eine Forschungsinitiative zum Klimaschutz finanziert und 2009 einen Ableger davon beim DIW installiert hat.
Das mit Soros und dem Klimaschutz ist wiederum eine Sache für sich: Soros war bislang als Förderer alternativer Energien bekannt, hat im vergangenen Herbst allerdings, das berichtet jedenfalls die englische Zeitung „The Guardian“, erhebliche Gelder in den Kauf von Kohleaktien investiert.
Noch einmal: Uns beschäftigt hier nicht die Frage, wie ich das finde, sondern was es bedeutet, dass Privatpersonen ab einer bestimmten Größe ihres Reichtums äußerst wirksam in die globale Geopolitik eingreifen können und die Menschheit auf Gedeih und Verderb davon abhängig ist, dass die Weisheit dieser Personen in halbwegs proportionaler Relation zur Größe ihres Vermögens steht und mit demselben zügig mitwächst.
Ach so, und George Soros ist bekanntermaßen ein leidenschaftlicher Anhänger der These, dass der Hansi der Stine andauernd untern Rock fasst, er schert sich in dieser Frage nicht darum, ob unsere Dienste dafür Beweise finden oder nicht, allerdings ist er auch, vornehm ausgedrückt, kein Freund von Donald Trump, womöglich weil Trump angedeutet hat, dass er den Hansi vielleicht doch nicht für den Leibhaftigen hält.
Ich habe nun auf die Schnelle keine detaillierte Aussage von Soros zu der Frage gefunden, mit welchen Tricks Donald Trump Europa am besten zu schaden und den Russen in die Arme zu treiben gedenken könnte, aber ich halte es für wahrscheinlich, dass auch George Soros - ebenso wie Professor Fratzscher vom DIW und Almut Möller vom ECFR - dem amerikanischen Präsidenten zutraut, Europa spalten zu wollen, und damit würde es richtig übel für uns alle aussehen und wir können – dies ist meine Schlussfolgerung aus dem ganzen Schlamassel - eigentlich nur hoffen, dass wenigstens die amerikanischen Dienste vor Ort bei uns ihre Arbeit weiterhin gewissenhaft verrichten und ordentlich auf uns aufpassen, zur Not eben auch mit Soros’ Hilfe gegen ihren eigenen Chef..
Man muss ganz allgemein daran zweifeln, dass die Weisheit eines Menschen proportional mit der Größe seines Vermögens ins Unermessliche wächst.
Ende des Exkurses.
Nach all diesen Befunden könnte es so aussehen, als wäre ich der Auffassung, wir hätten keine Wahl oder wieder einmal nur die sprichwörtliche Wahl zwischen Pest und Cholera.
Aber da hätte man die Rechnung ohne Immanuel Kant gemacht, der den Ausweg gekannt und genannt hat.
Um Kants Ausweg zu finden, werden wir uns jetzt kurz mal in die Lage eines Unternehmensberaters versetzen. Zu dem kommt ein großer Pizza-Konzern, der das Gefühl hat, im internationalen Pizza-Geschäft sei noch „Luft nach oben“. Recht hat er übrigens, im gesamten Lebensmittelbereich ist noch Luft nach oben, allerdings nicht mehr lange.
Diesem Business-Mann sollen wir einen Tipp geben, wie er seine Verkaufszahlen steigern könnte, und man braucht nicht lange darüber nachzudenken, weil einem sehr schnell einfällt, wie das geht. Leider wissen es inzwischen sämtliche Lebensmittelhersteller auch schon, und nicht nur die: Wenn du 900 Millionen Pizzen in Deutschland verkaufen willst, musst du vor allem dafür sorgen, dass landesweit möglichst kein potentieller Pizzakäufer darauf kommt, was das eigentlich ist. Nichts ist nämlich einfacher und billiger, als aus Mehl, Hefe, Wasser und Salz einen Teig herzustellen und mit Tomaten und Käse zu belegen.
Nur etwas allgemeiner ausgedrückt – ich bleibe im Bild des Lebensmittels – basiert unser Rat auf folgender Erfahrung: die Leute löffeln jede Suppe bereitwillig aus, solange sie nicht auf die Idee kommen, sie könnte mit Wasser gekocht sein.
Dummerweise, so wendet unser Geschäftsmann ein, dummerweise gibt es immer noch Subjekte, die tatsächlich selber Pizza backen können und das auch tun.
Also wird man den erfolgsorientierten Pizzaproduzenten beruhigen mit der Annahme, dass das Thema sich demnächst biologisch erledigen wird und von künftigen Generationen nichts zu befürchten steht, weil die anständig digitalisiert sind und sich sowieso längst aus der Mikrowelle ernähren, aber sicherheitshalber werden wir ihm noch den Tipp geben, er solle, bis es so weit ist, dafür sorgen, dass nicht pausenlos irgendwo irgendwer aus der alten analogen Welt herumposaunt, dass Pizza mit Mehl gebacken und Suppe mit Wasser gekocht wird und wie einfach das geht.
Stimmt, sagt der Pizzaproduzent, das wäre kontraproduktiv.
Das wäre nicht nur kontraproduktiv, es könnte verheerend werden: Man stelle sich vor, die Leute würden ihr Essen selber kochen, bloß weil es preiswerter und gesünder ist. Allein für die Plastikverpackungsindustrie wäre das eine Katastrophe! Und wenn sie dann noch wüssten, dass man Kaffeebohnen auch mahlen und überbrühen kann, nicht auszudenken.
Man stelle sich vor – wir schwenken mal kurz vom Lebensmittel- zum Finanzsektor -, man stelle sich vor, die Leute würden ihr Geld von der Bank holen, bloß weil die Bank ihnen keine Zinsen mehr gibt. Natürlich wissen wir alle, dass wir eigentlich keinen Grund mehr haben, unser Geld bei der Bank zu lassen, wenn’s keine Zinsen mehr gibt, aber wenn wir’s deswegen gleich abholen würden, oh je. Seit der Null-Zins-Politik berichtet das deutsche Fernsehen ununterbrochen von den Unmengen Wohnungseinbrüchen, die sich in der letzten Zeit ereignen, und unsere Wut auf die Rumänen und Bulgaren steigt, denn natürlich sind es die Rumänen und Bulgaren, die uns ans Geld wollen. Wer sonst?
Überhaupt das Geld: Man stelle sich vor, die Leute hätten einen Schimmer davon, was Geld ist. Zum Glück glauben die meisten an den Klapperstorch und das Ammenmärchen von den Staaten und ihren Notenbanken, die das Geld drucken und verteilen und den ganzen Kinderkram. Lassen wir sie um Himmels Willen in dem Glauben, sonst kämen sie auf Ideen, bevor die staatlichen Notendruckereien demnächst endlich abgeschafft werden; dann ist Schluß mit dem Bargeld, und die Gefahr ist gebannt.
Aber mit dem Geld ist es wie mit der Suppe: Es gibt tatsächlich Querulanten, die erzählen in der Gegend herum, dass die staatlichen Nationalbanken beim Geldschöpfen eigentlich nur noch für die Peanuts zuständig sind, ein Fünftel gerade mal ist staatlicher Cash, der Rest die reinste Luftnummer, Buchgeld, das nur im Computer steht. Fiktiv. Aber echt. Für jeden Kredit, den jemand aufnimmt, zieht seine Bank genau die Summe Geld aus dem Hut und schreibt sie sich aufs Konto, und dann ist es da (Paul Schreyer zum Beispiel trötet das heraus, ein Schweizer Autor, oder Norbert Häring, ein deutscher Volkswirt und Wissenschaftsjournalist). Wie war das noch mit den Milliardären, die im Schweiße ihres Angesichts und mit ihrer Hände Arbeit entbehrungsreich zugange waren, bevor sie die Welt mit ihrer Mildtätigkeit beglücken?
Für Leute, die solche unfeinen Wahrheiten unters Volk zu bringen versuchen, gibt es in unserer Welt nur ein Wort: das sind Verschwörungstheoretiker. Mit denen will man nichts zu tun haben. Nicht mal lesen will man, was die an konspirativem Quatsch ausbrüten. Das könnte am Ende auf einen abfärben, man erzählt ahnungslos im Büro herum, was man so gelesen hat, und eh man sich’s versieht, ist es aus mit der schönen Karriere.
Es ist natürlich nicht so, dass die Leute das nicht sagen dürften, wir haben schließlich keine Zensur, bei uns darf jeder Parano seinen Sermon ablassen, nur drucken werden wir das nicht oder senden (zur Not und ausnahmsweise mal um 23.45 h) oder in unseren Zeitungen besprechen, und lieber mag ich keinen kennen, der einen kennt, der mal eine Frage gestellt haben soll von der Sorte Fragen, von der wir doch alle wissen, dass man so was nicht fragt.
Es gibt übrigens, wo wir schon bei den Unbotmäßigkeiten sind, tatsächlich auch Leute, die nicht einsehen wollen, dass kriminelle Schlepperbanden in Nordafrika Millionen Afrikaner auf die Idee gebracht haben, in ihre überteuerten Schlauchboote zu steigen, von denen selbst Afrikanern bekannt sein dürfte, dass sie der TÜV-Prüfung nicht standhalten (was für ein geniales Marketing diese Schlepperbanden haben müssen, ganz nebenbei gesagt), und wegen dieser Schlepperbanden kommen so viele Afrikaner im libyschen Gewässer um, dass wir lieber zu ihrem Schutz vor den Schleppern einen Zaun errichten. Oft sind die Leute, die an der Schlepper-Theorie herumnörgeln, dieselben dubiosen Personen, die nicht glauben wollen, dass Russland den Syrienkrieg losgetreten hat, obwohl doch bekanntermaßen alle Fäden – so es sie denn gäbe – im Kreml zusammenlaufen.
Diese Personen nannte man bis vor kurzem Hansiversteher, damit jeder schon ab dem Kindergartenalter weiß: damit habe ich nichts zu tun, von so welchen hält man sich fern, aber das mit dem Hansiversteher ging natürlich nur so lange, wie wir Obama im Weißen Haus hatten. Da stand die Brücke über den Atlantik noch auf festen Pfeilern, inzwischen könnte es sein, dass sie wackelt. Unser Sprachvermögen wackelt übrigens auch, wenn wir mit Wörtern malträtiert werden, die mich daran erinnern, wie wir uns als Dreijährige darüber beschwert haben, dass der Tommy immer der „Bestimmer“ sein wollte, an Gefährder und Versteher kann ich mich jetzt gerade nicht erinnern, aber ich nehme an, das ist es ungefähr, was die deutsche Verteidigungsministerin mit „einfacher Sprache“ fürs Volk gemeint hat.
Und dann gibt es, um wieder auf die europäischen Provinzen und ihr Dilemma zu sprechen zu kommen, Leute, die am Sparen zweifeln. Die gebildeten Stände sagen Austeritätsgebot dazu, und wer daran zu zweifeln wagt, der kriegt richtig Ärger. Ich weiß nicht, ob das wirklich die Schlimmsten sind, wie unser Finanzminister sagt, aber bei denen muss man höllisch aufpassen, weil der Zweifel an der reinen Lehre inzwischen anfängt sich auszubreiten wie eine Grippe, und so was kann hartnäckig sein. Angefangen hat es vor zwei Jahren mit diesem griechischen Minister, wie hieß der noch gleich, dieser Typ, der keine Schlipse um hatte und mit dem Motorrad zur Arbeit fuhr, Janis Varoufakis (der soll inzwischen auch eine Bewegung gegründet haben mit der Parole: One simple but radical idea: to democratize Europe, was für eine Frechheit: was einfach ist, hat der doch nicht zu bestimmen, der ist doch kein Bestimmer), und inzwischen hat dieses Virus nicht nur unsere europäischen Freunde am Mittelmeer samt und sonders infiziert, sondern sogar schon den Internationalen Währungsfonds, und der will jetzt aussteigen, wo wir gerade so schön in Fahrt und ganz kurz davor sind, den Griechen endgültig den Hals zu brechen, jetzt ausgerechnet will der IWF aussteigen und den Griechen die Schulden erlassen, wo wir sie schon am Boden liegen haben mit unserem Spardiktat und die Spanier und Italiener sich nicht mehr trauen, die Klappe aufzumachen, weil sie Angst haben, es könnte ihnen womöglich genauso ergehen.
Wenn dem Trump das zu Ohren kommt, wird er es sicher in sein goldenes Präsidentenbuch schreiben, bestimmt auf die Seite, auf der sich alle amerikanischen Präsidenten immer ganz genau notieren, wen man am besten wo auf der Welt spalten und gegeneinander aufhetzen kann. Darin sind die amerikanischen Präsidenten übrigens allesamt ziemlich gut. Sie finden noch im hintersten Winkel der Welt irgendwelche ethnischen oder religiösen oder sonst welchen indigenen Stammesgruppen, die eigentlich gar keiner kennt, aber wenn’s dann mal los geht mit der Spalterei, staunt man, wie viele von denen es da gibt, von denen man vorher nicht mal die Namen kannte, und sobald man ihre Namen dann drauf hat, staunt man wieder, dass die tatsächlich die längste Zeit friedlich miteinander gelebt hatten, bevor die Spalterei losging und die Mission dann endet, wie sie eben enden muss: Failed State, Klappe zu, Affe tot.
Davon sollte man eigentlich lernen, wobei es, genau genommen, die Amis ja nicht erfunden haben, das Spalten. Das „Teile-und-Herrsche“. Divide et impera. Klingt lateinisch. Egal. Wir können das jedenfalls auch, obwohl wir, also wir Europäer, nicht so viele Militärstützpunkte rund um den Globus haben wie die Amis. Aber mehr als die Russen haben wir allemal (hoffentlich, man müsste mal recherchieren, wie viele die Russen haben)[9], vorausgesetzt, der Trump lässt uns jetzt nato-mäßig nicht hängen und zieht nicht am Ende von seinen 800 Stützpunkten ausgerechnet die paarunddreißig ab, die er bei uns noch am Laufen hält, aber so weit wird er’s hoffentlich nicht treiben, sonst hätte der Soros ja recht, und wir kriegen wirklich demnächst den Hansi auf dem Hals, und da würde uns und unseren demokratischen und sonstigen Werten nur noch eines helfen: eine eigene Atombombe müssten wir haben. Nicht wir als Europa (wir als Europa haben ja schon Atombomben), sondern wir als Deutsche. Das wäre doch was. Das haben sie letztens sogar in „Panorama“ gebracht.
Wenn ich der Trump wäre, würde ich mir das mit Griechenland jedenfalls notieren. Gleich neben dem deutschen Exportüberschuss und dem Dumping. Da kommt einiges zusammen, was sich zum Spalten eignet, und außerdem könnte es wirklich sein, dass das mit der Sparpolitik so ähnlich ist wie seinerzeit die Geschichte mit der unbefleckten Empfängnis, für die sie seit zweitausend Jahren am Suchen sind, aber bis jetzt können sie’s wissenschaftlich immer noch nicht beweisen, eher muss man vermuten, dass es nicht funktioniert (wer das genauer wissen möchte, dem erzählt es der Wirtschaftswissenschaftler Heiner Flassbeck sehr gern in dem Internet-Magazin “Makroskop“, das er seit kurzem gemeinsam mit Paul Steinhardt herausgibt: Kritische Analysen zu Politik und Wirtschaft).
Kurz: wir sind in der großartigen Situation, dass wir uns auch heute noch immer unseres Verstandes ohne Leitung eines anderen bedienen könnten. Allerdings sollten wir uns bei der Benutzung unseres Verstandes keinesfalls auf die Hilfe unserer Leitmedien verlassen, deren Aufgabe es im übrigen auch nicht ist, unseren Verstand zu schärfen oder unserer Mündigkeit auf die Sprünge zu helfen, sondern Inserenten zu werben, die uns zum Kauf ihrer Suppe überreden wollen, also müssen sie uns logischerweise so verblöden, dass wir nicht mehr wissen, was man mit Wasser alles kochen kann. Wir – im Unterschied zu den Menschen, die in den bereits gespaltenen Regionen noch am Leben gelassen worden sind – wir haben übrigens noch Wasser.
Statt uns und unsere Kinder also systematisch für dumm verkaufen zu lassen, könnten wir uns nach denjenigen umschauen, die es auch nicht fassen können, mit welcher Wahnhaftigkeit ein paar wenige Menschen versuchen, gnadenlos die gesamte Welt zugrunde zu richten. Es gibt nämlich Leute, die ebenso wie ich hoffen, dass der Rest der Menschheit, nämlich die überwältigende Mehrheit aller auf dem geschundenen Planeten Lebenden, diese paar wenigen daran hindert.
Aufklärung, dieser Ausweg aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit, ist – genau, wie Immanuel Kant es gesagt hat – selbstverständlich eine Frage „der Entschließung und des Mutes“.
Das ist nicht erst seit gestern so. Vor uns gab es auch schon Menschen.
Bei Seneca könnte man zum Beispiel lesen: „Nicht weil es schwierig ist, wagen wir es nicht, sondern weil wir es nicht wagen, ist es schwierig.“
Die für die Anschläge auf unseren Verstand im Detail zuständige Branche heißt übrigens „Meinungsmanagement“ (wenn’s der Hansi macht, nennen wir es Gehirnwäsche, manche sagen auch Propaganda dazu), und ein Mann, der gut darüber bescheid weiß und der auch toll erklären kann, wie und warum es funktioniert und was man dagegen tun kann, wenn man keine Lust hat, seinen Verstand abzugeben, ist ein Professor für Kognitionspsychologie in Kiel. Er heißt Rainer Mausfeld und hat die große Frage gestellt: „Warum schweigen die Lämmer?“[10]
Sie haben nämlich die Wahl, wenn auch vielleicht nicht gerade jetzt beim rituellen Alle-vier-Jahre-wieder-Spektakel in diesem September.
Eher jeden Tag von morgens bis abends.
Und wenn man das nicht mit dem Daumen-Hoch-Daumen-Runter-Spielchen bei Facebook oder der Fertigpizza verwechselt, ist es etwas Wundervolles, jeden Tag die Wahl zu haben.
Aber natürlich ist es gefährlich. Und wie.
Aber so wundervoll, dass es sich lohnt, mit aller Kraft darum zu kämpfen.
Redaktionelle Anmerkung: Die Erstveröffentlichung dieses Artikels erfolgte auf "Hinter den Schlagzeilen" (HdS), dem Magazin für Kultur und Rebellion. HdS wurde 2003 von Konstantin und Annik Wecker begründet, um ein Gegengewicht zur sehr einseitigen damaligen Berichterstattung über den Irak-Krieg zu schaffen. Die Seite bringt täglich Essays, Berichte, Satiren, Poesie, Musikvideos und Links über von den großen Medien vernachlässigte Aspekte unserer Realität, will aufklären, ermutigen und nicht-marktkonformer Kultur ein Forum bieten.
Quellen:
[1] https://www.welt.de/politik/deutschland/article161818446/Staat-muss-entscheiden-koennen-wen-er-aufnimmt.html;
[2] http://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-02/oskar-lafontaine-linke-abschiebungen-fluechtlinge-afd
[3] https://www.tagesschau.de/inland/abschiebungen-afghanistan-107.html
[4] http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/oskar-lafontaine-fordert-mehr-abschiebungen-14857893.html
[5] http://www.sueddeutsche.de/politik/demonstrationen-und-hackerangriffe-spur-und-vorurteil-1.3366393
[6] http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59536, für die gesamte Sowjetrepublik ist die Zahl der Getöteten bei Wikipedia nachzulesen: „Eine von Verteidigungsminister Dmitri Timofejewitsch Jasow eingesetzte Kommission ermittelte von 1987 bis 1991 insgesamt 37 Millionen sowjetische Kriegstote, davon 8,6 Millionen Soldaten und 27 bis 28 Millionen Zivilisten. Russische Forscher bestätigen die Zahl der gefallenen Soldaten, manche schätzen die Zahl der getöteten sowjetischen Zivilisten jedoch auf 17 Millionen.“
[7] https://www.welt.de/politik/deutschland/article159781765/Die-Political-Correctness-ist-ueberzogen-worden.html. Der Frau möchte ich das Notwendige ebenfalls in einer einfachen Sprache, in Hauptsätzen, erklären, Matthias Claudius hat es 1778 in seinem „Kriegslied“ gesagt, es ist hier zu lesen: http://gutenberg.spiegel.de/buch/matthias-claudius-gedichte-5209/11
[8] http://www.ecfr.eu/council/members
[9] Und weil wir das wahrscheinlich bis zum Ende dieses Textes vergessen haben, schreibe ich es als Fußnote hin: die Russen haben 7 Militärstützpunkte auf dem ehemaligen Sowjet-Territorium und zwischen ein und drei Basen außerhalb davon, die Schätzungen gehen da auseinander, insgesamt zwischen 8 und 10, das erklärt, warum sie bloß 60 Milliarden für ihre Rüstung ausgeben, genauso viel wie Deutschland demnächst in seine Verteidigung stecken will, die Nato hat sehr viel mehr, nämlich 900 Milliarden, zur Verfügung.
[10] https://www.youtube.com/watch?v=Rx5SZrOsb6M
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