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Versüßter Krieg

Versüßter Krieg

Eine Schule in Baden-Württemberg stiftet Fünftklässler an, Süßigkeiten und Selbstgemaltes an Soldaten in Afghanistan zu schicken. Doch nicht die Lehrer, sondern die Kritiker stehen jetzt am Pranger.

Das Kollegium übernimmt auch das Porto für die süße Feldpost. Die Liebesgrüße von der Heimatfront sind am Hindukusch gut angekommen, die deutschen Soldaten zeigen sich begeistert. Auch Lokalpresse und Abgeordnete von CDU und FDP jubeln, nur Linke und Friedensgruppen stimmen partout nicht ein in den Freudenchor und stehen jetzt wegen Nestbeschmutzung unter Beschuss. Dabei gehört doch das Lehrerkollegium wegen Mandatsverletzung an den Pranger.

»Wünsche auf gesunde Heimkehr«

Der Vorgang ist von exemplarischer Bedeutung und verdient daher eine etwas ausführlichere Würdigung. Also der Reihe nach: Lehrerin Susanne Schweinfurth will ein »Zeichen der Solidarität mit den Soldaten im Auslandseinsatz setzen« und ihnen das Gefühl geben, dass sie aus der Heimat unterstützt werden. Die Klassenlehrerin der Klasse 5a mobilisiert nach Zustimmung durch Eltern, Schüler und Schulleitung zusammen mit anderen Klassenlehrern der fünften Klassen zur »Paket-Aktion Afghanistan«.

Die Rhein-Neckar-Zeitung (8. April 2017) berichtet unter der Schlagzeile »Fünftklässer schicken Osterpakete an deutsche Soldaten in Afghanistan« geradezu begeistert. »In der Feldpost waren diesmal Osterpakete mit Leckerbissen und Wünsche auf gesunde Heimkehr«, freut sich das Lokalblatt. »Unglaubliche 41 Kilogramm Leckereien kamen so zusammen. Aber das war noch nicht alles, was die Schüler zum Mutmachen versandten: In die Pakete legten sie für jeden Soldaten einen Osterbrief mit vielen Glücks- und Frühlingsbildern, der herzliche Grüße aus Neckargemünd nach Masar-e Sharif übermittelte sowie ein Foto der Klassen mit dem stellvertretenden Schulleiter Joachim Philipp, der ebenso wie Schulleiter Horst Linier das Vorhaben von Anfang an unterstützte.«

Die Feldpost ins ferne Kriegsgebiet funktioniert offensichtlich besser als ein Schriftwechsel in so manch nahe gelegene Kreisstadt. Der Lokalpresse zufolge kommt »bereits nach zehn Tagen« positive Rückmeldung von Hauptmann Eichborn und den Soldaten unter seinem Kommando. »Alle Pakete sind unversehrt in Afghanistan angekommen und waren für die Frauen und Männer im Einsatz eine tolle Überraschung, mit der sie nicht gerechnet hatten«, vermeldet die RNZ den Dank der Militärs für »die zu Herzen gehenden und liebenswürdigen Wünsche der Schüler für eine gesunde Rückkehr in die Heimat«. Die Truppe will weitere Kontakte mit ihren »Glücksbringern« aus dem Max-Born-Gymnasium halten, so das Versprechen von der Front.

»Kanonenfutter von morgen«

Kriegsgegner in der Region sind entsetzt. Das Verschicken von Osterpaketen an Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan Max-Born-Gymnasiums »unterstützt aktiv den Krieg der Bundeswehr am Hindukusch und instrumentalisiert Kinder für einen aktuellen militärischen Konflikt«, kritisiert Anja Lorenz vom Kreisvorstand Kraichgau-Neckar-Odenwald der Partei Die Linke.

Kinder zu solch einer »Solidaritätsaktion« anzuhalten sei an sich schon problematisch, heißt es in einer am 18. April verbreiteten Mitteilung. Die Kleinen würden zu Akteuren in einem Konflikt gemacht, »dessen Tragweite sie noch gar nicht ermessen können«. Schlimmer noch sei aber, die Aktion setze voraus, dass die Kinder den Auslandseinsatz der Bundeswehr bejahten, die »Arbeit« der Soldaten würdigten und den Soldatenstand als normalen Beruf empfänden, wenn sie ihn nicht sogar gegenüber zivilen Berufen idealisierten.

Diese Sicht auf das Militär und die Auslandseinsätze der Bundeswehr sei den Kindern nicht von »Natur aus« gegeben, so Lorenz, sondern werde durch involvierte Pädagogen erst vermittelt. »Sie machen die Kinder verfügbar für den Dienst an der Waffe und erinnern fatal an die Lehrerschaft am Vorabend des Ersten Weltkrieges. Die Osterpakete versendenden Kinder von heute sind das Kanonenfutter von morgen.«

»Unverschämte Äußerungen«

Die friedenspolitischen Generalkritik an dem Kindesmissbrauch für die Bundeswehrunterstützung hat gesessen, es wird ein Sturm der Entrüstung ausgelöst. In der Lokalpresse machen in der Folge Schulleitung, Stadt und andere Parteien mobil. »Ich hatte mir fest vorgenommen, dass ich mich vor meiner Pensionierung im Sommer nicht mehr aufrege«, meldet sich Schulleiter Horst Linier in der RNZ (22. April 2017) zu Wort. »Aber das schlägt dem Fass den Boden aus, das können wir uns nicht gefallen lassen.« Dass die Schüler damit »verfügbar für den Dienst an der Waffe« gemacht würden, sei eine absurde Behauptung.

Die »beispielhafte Aktion« haben einen »ausschließlich humanitären Charakter« gehabt. Und anders als die Armee im Kaiserreich vor dem Ersten Weltkrieg sei die Bundeswehr eine Parlamentsarmee, »deren Einsätze im demokratischen Prozess abgestimmt werden«. Auch Klassenlehrerin Schweinfurth will in der Süßwarenspende keine Kriegsunterstützung sehen. Die Aktion sei für die Schüler freiwillig gewesen.

Die »giftende Kritik« von links sei polemisch und diffamierend. Besonders der Vergleich mit indoktrinierenden Lehrern sei »ungeheuerlich und zutiefst beleidigend«, sagt sie dem Lokalblatt. Ein Elternvertreter spricht von einem »jämmerlichen Aufschrei« der Kriegsgegner, die versuchten, sich auf dem Rücken der Kinder zu profilieren. Der stellvertretende Bürgermeister Jürgen Rehberger bringt gleich ganz Neckargemünd in Stellung: »Die Stadt steht voll hinter dem Max-Born-Gymnasium und der Aktion.« Die Linke-Erklärung würde die positiv gemeinte Aktion »sehr tendenziös auf eine politische Ebene« heben.

Und schließlich schalten sich auch Vertreter der Parteien ein, die in schöner Regelmäßigkeit seit 2001 für die Beteiligung der Bundeswehr am Afghanistan-Krieg stimmen und wider besseres Wissen behaupten, der Einsatz habe im Land etwas verbessert. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Stephan Harbarth und sein Parteifreund Albrecht Schütte aus dem Landtag verwahren sich gegen die »völlig überzogenen, abwegigen und unverschämten Äußerungen«.

Für die Stellungnahme der Linken reiche »die aktuelle Notenskala leider nicht aus«. Die Aktion der Schule sei eine »schöne Geste« gewesen. Auch der FDP-Bundestagskandidat Jens Brandenburg gibt sich empört, die »lächerliche Kritik« sei »ein Schlag ins Gesicht« der Soldaten und der Fünftklässler. Die Schüler, Lehrer und Eltern hätten mit ihrer herzlichen Geste gezeigt, dass ihnen die Soldaten nicht egal sind.

»Wunden Punkt getroffen«

»Die Zusammenarbeit des Max-Born-Gymnasiums mit der Bundeswehr ist skandalös«, kontert Lorenz vom Linke-Kreisverband die Stimmungsmache am 23. April. »Wir sehen, dass wir mit unserer Kritik einen wunden Punkt getroffen haben. Über die Intentionen der initiativen Lehrerin – Naivität oder politisches Kalkül – können wir nur spekulieren. Tatsache aber ist, dass das Versenden der Osterpakete eine zutiefst politische Aktion war und den Bundeswehreinsatz de facto unterstützt.«

Die Bundeswehr versuche sich seit Jahren an Imagewerbung in Schulen. Es gehe um Akzeptanz der Truppe und auch die Soldaten im Kriegseinsatz sollen sich bestätigt fühlen. »Der Effekt einer solchen Aktion liegt auf der Hand«, so Lorenz. »Soldaten, die ihren Einsatz und den Krieg richtig finden, fühlen sich in ihrem Tun bestätigt. Und auf diejenigen Soldaten, die an ihrem Einsatz zweifeln wird Druck aufgebaut: seht her, die Heimat steht hinter euch und schaut auf euch.

So bringt man die Truppe auf Linie und sorgt für Sinnstiftung in einem ansonsten vollkommen sinnlosen Krieg. Ginge es einfach darum, den Soldatinnen und Soldaten etwas Gutes zu tun, hätten die Lehrerinnen die Osterpakete am Nachmittag als Privatperson packen können. Die Gummibärchen wären dieselben gewesen.« Und als »humanitäres Projekt« hätte sich eine Aktion zugunsten der Welthungerhilfe, von Ärzte ohne Grenzen oder dem UNHCR »mindestens besser geeignet«. Kann man wirklich von Zufall ausgehen, fragt die Linke-Lokalpolitikerin, wenn stattdessen Pakete öffentlichkeitswirksam im Namen einer einer öffentlichen Schule ausgerechnet zu Ostern als Kontrapunkt zu den Ostermärschen der Friedensbewegung verschickt werden?

Und Lorenz verweist auf das baden-württembergische Schulgesetz, das in Paragraph 1, Punkt 2 »Friedensliebe« explizit als Erziehungsziel an den Bildungseinrichtungen des Landes nennt. »Das Versenden von Süßigkeiten an Frontsoldaten kann man kaum als friedensliebend bezeichnen«, so ihr Diktum. »Dass unsere Kritik insbesondere bei der CDU, die vor zwei Jahren sogar den Parlamentsvorbehalt für Bundeswehreinsätze abschaffen wollte, inhaltsleere Empörungsblasen produziert, verwundert nicht weiter.« Die Linke werde auch in Zukunft nicht tatenlos zusehen, »wenn die Hilfsbereitschaft und der gute Wille von Kindern schamlos und in unverantwortlicher Weise für militärische Zwecke ausgenutzt wird«.

»Kinder für politische Zwecke missbraucht«

In einer gemeinsamen Erklärung weisen auch das Heidelberger Forum gegen Militarismus und Krieg, das Friedensbündnis Heidelberg und die Bunte Linke Heidelberg die »aufgesetzte Empörung über die Kritik an der Osterpaket-Aktion« zurück. Selbstverständlich wurden hier Zehnjährige, die von sich aus sicherlich nie auf den Gedanken zu einer solchen Aktion kommen würden, für eine politische Aktion im Interesse ihrer Initiatoren missbraucht.«

Die Empörung über die Kritik an der eindeutigen Instrumentalisierung von Kindern sei »an Scheinheiligkeit kaum zu überbieten«. Wenn sich Politiker ausgerechnet jener Parteien, »die die fortgesetzte Kriegsbeteiligung Jahr für Jahr bewilligen, gemeinsam mit der RNZ bemühen, ihre Empörung moralisch aufzubauschen, indem sie die Linke beschuldigen, Parteipolitik auf dem Rücken der Schüler zu betreiben oder diese gar »in die Pfanne zu hauen« (RNZ-Kommentar vom 22. April), »so werden die Kinder ein zweites Mal für politische Zwecke missbraucht«.

Die Friedensgruppen aus der Universitätsstadt werfen weiter ein: »Die Akzeptanz des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan ist zu Recht in der deutschen Bevölkerung sehr gering. Unabhängig davon, wie man die ursprüngliche Rechtfertigung des NATO-Krieges beurteilt, ist die Bilanz heute unbestreitbar vernichtend: Nach einer Studie der ›Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges‹ IPPNW über die Opferzahlen im ›Krieg gegen den Terror‹ wurden mehr als 200.000 Menschen in Afghanistan getötet, Millionen sind auf der Flucht und dennoch ist 16 Jahre nach der US-Invasion das Land von einer Stabilisierung weiter entfernt als zuvor.

Hätte man den Kindern erzählt, wie die Situation tatsächlich nach 16 Jahren NATO-Krieg aussieht, hätten sie die Süßigkeiten sicherlich eher an einige der Flüchtlingskinder unter den Hunderttausenden geschickt, die unter elenden Bedingungen in den Lagern an den Grenzen des Landes leben müssen, als an Berufssoldaten, die sich freiwillig ‒ ermuntert durch erhebliche Gehaltszulagen ‒ zum Einsatz am Hindukusch gemeldet haben. Dann hätte Schulleiter Horst Linier zu Recht von einem ›ausschließlich humanitären Charakter der beispielhaften Aktion‹ reden können.«

»Ich helfe nächstes mal gerne mit«

Ein politischer Kollateralschaden bei den Kriegsgegnern am Neckar ist zu vermelden. Edgar Wunder, seines Zeichens Fraktionsvorsitzender der Linken im Kreistag des Rhein-Neckar-Kreises, hat sich in der RNZ als Freiwilliger gemeldet: »Bei der nächsten Versandaktion des Max-Born-Gymnasiums mit Süßigkeiten für Bundeswehr-Soldaten in Afghanistan helfe ich gerne mit.«Die von von links geäußerte Kritik halte er für »unangemessen und in Stil und Inhalt für daneben«.

Sie erschwere zudem eine ernsthafte Diskussion der eigentlich wesentlichen Frage, behauptet Wunder: Welche Strategie ist geeignet, um Stabilität, Menschenrechte und Demokratie in Afghanistan nachhaltig zu fördern? »Dazu mag es verschiedene Ansichten geben. Alle Parteien sollten dazu aber einen konstruktiven und sachlichen Dialog führen.« Stattdessen einen Streit um einen Versand von Süßigkeiten anzuzetteln, so Wunder, erweise diesem Anliegen einen Bärendienst. Es lenke vom Thema ab. »Für die nächste Versandaktion rege ich an, auch afghanische Kinder als Empfänger mit einzubeziehen.«

Was die RNZ ihren Lesern vorenthält: Ihr linker Kronzeuge bekleidet mittlerweile kein Amt mehr in der Partei Die Linke, er ist im Februar aus dem Kreisvorstand und dem Landesvorstand ausgeschieden, als er Landesvorsitzender bei »Mehr Demokratie e.V.« wurde.

Weiterlesen:

RNZ vom 8.4.2017: "Max-Born-Gymnasium Neckargemünd: Fünftklässler schickten Osterpakete an deutsche Soldaten in Afghanistan"


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