Mit der Promotion geht es los, das Elend. Nein, ganz so dramatisch, wie dies nun klingt, ist die Lage nicht. Und dennoch: Nach dem hoffnungsvollen Start als Nachwuchswissenschaftler folgt oft erst einmal die kalte Dusche. Wer nicht das Glück hat, für eine Dauer von bis zu drei Jahren ein Promotionsstipendium im Rahmen der Begabtenförderung etwa einer parteinahen Stiftung zu ergattern, der schlägt sich während der Promotion oft entweder mit einer befristeten Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter durch, die keine Zeit mehr lässt für die Dissertation, oder aber mit mehr als schlecht bezahlten Lehraufträgen, die sich auf einzelne Lehrveranstaltungen beziehen, die also gerade mal ein Semester dauern, und die außerhalb solcher Zwänge weniger aus finanziellen Gründen angenommen werden, sondern eher, um Lehrerfahrung und dadurch Punkte für den Wissenschaftler-Lebenslauf zu sammeln.
Mindestens für den, der nach der abgeschlossenen Promotion in der Wissenschaft bleiben möchte, setzt sich diese Lebenssituation fort. Auch die sogenannten „Post-Docs“, also die promovierten Kolleginnen und Kollegen, die jedoch noch nicht habilitiert sind, arbeiten zumeist auf befristeten wissenschaftlichen Mitarbeiterstellen, während sie gleichzeitig mit der Habilitation möglichst schnell die nächste wissenschaftliche Karrierestufe erreicht haben müssen. Und selbst danach ist noch nicht Schluss mit der Dauerunsicherheit: Manch einer schlägt sich über Jahre hinweg als habilitierter Privatdozent mit Lehrstuhlvertretungen herum, bis – vielleicht! – irgendwann eine Professur winkt. Und auch diese ist – selbst nach all der mitunter sehr verdienstreichen Zeit in der Wissenschaft – mindestens in den Geisteswissenschaften alles andere als gewiss: Manche Kolleg/innen scheiden irgendwann frustriert aus dem Wissenschaftssystem aus oder werden, wenn ihre Hochschule zu den freundlicheren Arbeitgebern zählt, mit wenig erfüllenden „Ersatzpöstchen“ im Rahmen der universitären Selbstverwaltung „versorgt“: Bürokratie statt Forschung, aber wenigstens ein Arbeitsplatz.
Abseits der naheliegenden Konklusion, dass derlei Zustände des Wissenschaftssystems eines Industrielandes wie Deutschland unwürdig sind und dieses langfristig schädigen, weil die schlauen Köpfe lieber einen Weg in die Privatwirtschaft einschlagen, als sich derlei zuzumuten, gilt es sich hier bewusst zu machen, dass sich die beschriebenen Zustände nicht auf die Wissenschaft beschränken. Die „Amerikanisierung der Arbeitswelt“ ist ein Phänomen, das sich in viele Branchen eingeschlichen hat und dort seine unheilvolle Wirkung entfaltet: Der Arbeitnehmer des 21. Jahrhunderts kann nicht mehr auf ein stabiles Arbeitsverhältnis mit einem festen und sich kümmernden Arbeitgeber zählen, sondern muss „Flexibilität“ beweisen.
Für eine neue Stellung den Wohnort wechseln zu können ist inzwischen eine erwartete „Kompetenz“ und wird implizit vorausgesetzt. Was früher der deutsche „Beruf“ (im Sinne von „Berufung“) war, ist heute der amerikanische „Job“, auf dem man eine Weile herumkaut wie auf einem Kaugummi, ehe man ihn ausspuckt und einen neuen aus der Packung zieht. Man könnte es auch „McDonaldisierung“ nennen: Was Fast Food für die Welt der Ernährung ist, sind befristete Arbeitsverhältnisse für die Arbeitswelt. In diesem Gleichnis steckt mehr als nur Metaphorik. Denn wie auch das Fast Food haben Arbeitsbedingungen wie diese mitunter klar erkennbare negative Folgen für die Gesundheit – wenn auch, in diesem Fall, (erst einmal) für die psychische.
Auswirkungen auf die Arbeitssituation
Um einige der unmittelbaren Folgen solcher Arbeitsbedingungen erfassen zu können, bedarf es keiner sozialwissenschaftlichen Vorbildung – was deren Einführung umso unverständlicher und in negativer Hinsicht bemerkenswerter macht. Nehmen wir zunächst einmal die Perspektive des Arbeitgebers ein: Selbst von dessen Position aus gesehen dürfte so manches befristete Arbeitsverhältnis – mindestens auf lange Sicht – von defizitären Ergebnissen geprägt sein, denn zwar verfügt der jeweilige Betrieb – oder auch die jeweilige staatliche Einrichtung – dadurch über mehr Flexibilität, aber die Identifikation der Arbeitnehmer mit ihm – beziehungsweise ihr – wird beträchtlich vermindert. Wer befristet beschäftigt ist, begreift sich zumeist und konsequenterweise eben auch selbst nur als „Übergangslösung“, die zwar für den Arbeitgeber einen temporären Wert hat, aber eben nicht wirklich ein beständiger Teil des großen Ganzen ist.
Jeder, der schon einmal sozialversicherungspflichtig beschäftigt war, egal ob in der Privatwirtschaft oder im öffentlichen Dienst, weiß, dass es stets zwei Möglichkeiten gibt, seine Arbeit zu erledigen: Mit persönlichem Einsatz über das geforderte Mindestmaß hinaus – oder als „Dienst nach Vorschrift“. In der einen oder anderen Weise gilt diese Dichotomie des Arbeitseinsatzes an so gut wie jedem Arbeitsplatz. Befristete Arbeitsverhältnisse erhöhen – zumindest dann, wenn keine Aussicht auf Entfristung im Anschluss besteht – massiv die Wahrscheinlichkeit, dass sich das Pensum und die Qualität des Arbeitseinsatzes in die letztere Richtung bewegen.
Wer sich nur als Übergangslösung sieht, als für etwa zwei oder drei Jahre willkommener Gast in einer Organisation, der wird sich kaum als Teil dessen begreifen können und daher auch kaum bereit sein, Arbeit über das geforderte Maß hinaus zu übernehmen. Dies gilt nicht zuletzt auch deswegen, weil mindestens das letzte halbe Jahr des Beschäftigungsverhältnisses primär schon wieder von der Suche nach einer neuen (und mitunter ebenfalls befristeten) Stellung geprägt ist. Während sich also die eine Übergangslösung dem Ende nähert, muss der Betreffende in zahlreichen Bewerbungsschreiben erklären, wieso er hochmotiviert ist, fortan einem anderen Arbeitgeber als Übergangslösung zu dienen.
Doch selbst ein befristetes Arbeitsverhältnis mit daran anschließender Chance auf Entfristung birgt unschöne Eigenheiten in sich. So wird die Zeit der Befristung in diesem Fall dann zu einer Art verlängerter, „inoffizieller Probezeit“. Der betreffende Arbeitnehmer wird in diesem Zeitraum mit hoher Wahrscheinlichkeit davor zurückschrecken, selbst ihm gesetzlich oder vertraglich zustehende Rechte wahrzunehmen, deren Nutzung den Arbeitgeber womöglich abschrecken könnten oder ihn zu der Entscheidung veranlassen könnten, den betreffenden Arbeitnehmer nicht zu entfristen. Und dies gilt übrigens völlig unabhängig von der tatsächlichen Qualität des jeweiligen Arbeitgebers und davon, ob er tatsächlich deswegen zu einer solchen Entscheidung gelangen könnte. Die imaginierte Drohkulisse, das unausgesprochene Schwert des Damokles, das über dem befristet Beschäftigten schwebt, reicht völlig zur Etablierung eines solchen inoffiziellen Machtverhältnisses aus.
Sei es Schwangerschaft, sei es der Antrag auf Teilzeit, sei es das Daheim-Bleiben aufgrund von Krankheit, sei es das Ablehnen von Überstunden, sei es auch „nur“ die Artikulation einer anderen Meinung gegenüber dem Chef – die Drohkulisse der nicht erfolgenden Entfristung führt zu einer effektiven Schere im Kopf des befristet Beschäftigten, welche ein informelles Machtverhältnis begründet, das formal-gesetzlich kaum vorgesehen ist. Hier manifestieren sich neoliberale Strukturen in ihrer Reinform.
Psychosoziale Auswirkungen
Es liegt nahe, dass sich die negativen Folgen von, milde ausgedrückt, „schwierigen“ Arbeitsbedingungen nicht nur auf den Arbeitsplatz beschränken, sondern sich auch auf der anderen Seite der Wohnungstür fortsetzen, dass also betroffene Arbeitnehmer entsprechende Belastungen „mit nach Hause nehmen“. Es bedarf auch wenig Fantasie, sich vorzustellen, dass elementare Bestandteile (zwischen-)menschlichen Privatlebens wie die Familienplanung massiv leiden, wenn mindestens ein Partner sich in einem befristeten Arbeitsverhältnis befindet.
Wer nicht weiß, wo er im nächsten oder übernächsten Jahr arbeiten wird (und somit, ob nicht die Beziehung zur Fernbeziehung werden könnte); oder schlimmer noch, wer nicht weiß, ob er dann überhaupt noch eine Arbeit hat, der wird sich naturgemäß in Sachen Familienplanung eher zurückhalten (müssen). Ganz zu schweigen von der Partnerschaft selbst: Auch Beziehungen werden durch Entwicklungen wie die beschriebenen störungs- und krisenanfälliger, da eben nicht jeder Partner gewillt ist, eine Fernbeziehung durchzuziehen. Dass all dies im Ergebnis dann auch wieder die psychische Gesundheit der Betroffenen zu tangieren vermag, muss nicht weiter erklärt werden.
Doch das Thema birgt in Hinsicht auf psychosoziale Effekte noch mehr Folgeprobleme in sich. Um eben jenen Problemkomplex richtig erfassen zu können, müssen wir zunächst einmal eine grundsätzliche Beobachtung anstellen, die ein bestimmtes psychosoziales Bedürfnis, welches bei allen Menschen (und übrigens auch allen Organisationen), mal in größerem, mal in kleinerem Ausmaß, vorliegt, in den Fokus rückt: Das Bedürfnis nach der Reduzierung von Komplexität und – in diesem Fall noch wichtiger – von Kontingenz.
Das Begriffspaar der „Komplexität“ und „Kontingenz“ ist der soziologischen Systemtheorie nach Niklas Luhmann entnommen. Die Bedeutung des von uns auch in der Alltagssprache verwendeten Begriffs der Komplexität beziehungsweise des Bedürfnisses nach Reduzierung eben dieser dürfte einigermaßen auf der Hand liegen. Unser gesamtes soziales Leben besteht aus einem Übermaß an Komplexität, welches wir für uns – sozial und auch kognitiv – reduzieren müssen, um unsere soziale Umwelt wahrnehmen und ihr Informationen entnehmen zu können. Damit „sortieren“ wir in gewisser Weise unser Denken.
Ein Beispiel: Stellen Sie sich die Frage, welche natürlichen Haarfarben Sie kennen. Sie werden vermutlich so etwas antworten wie „schwarz, brünett, rot und blond“; sollten Sie schon etwas länger auf der Welt sein, fügen Sie dem eventuell noch „grau“ oder sogar „weiß“ hinzu. Nun wissen wir rein intellektuell aber eben alle, dass die Haarfarbenwelt eigentlich diffiziler ist: So gibt es pechschwarz und schwarz-braun, braun-rot und hellrot, „straßenköterblond“ und hellblond und so weiter und so fort. Was Sie also getan haben, ist Komplexitätsreduktion, um die – aber eben eigentlich komplexere – Welt um Sie herum einigermaßen sortiert zu kriegen. Genauso machen wir Menschen es tagtäglich immer wieder in allen möglichen Situationen, gewissermaßen aus Gründen der „kognitiven Ökonomie“, um uns nicht mit Informationen und Reizen zu überfluten. Direkt damit in Zusammenhang steht das Bedürfnis nach Reduzierung von Kontingenz.
Kontingenz meint im soziologischen Sinne etwa so viel wie Ungewissheit oder Unsicherheit. So wie wir Menschen nicht mit einem Übermaß an Komplexität leben können, so versetzt uns auch ein Übermaß an Kontingenz oftmals in einen Zustand mindestens der Unzufriedenheit, bis hin zu psychischem Ungleichgewicht oder gar psychischer Krankheit. Das mündet bisweilen darin, dass beispielsweise Krebspatienten zufriedener sind, wenn sie endlich die Krebsdiagnose erhalten haben, als sie es waren, als sie noch im Zustand der Ungewissheit auf die Diagnose haben warten müssen. Ein Zuviel an Kontingenz ist für die menschliche Psyche auf Dauer kaum zu ertragen.
Der aufmerksame Leser dürfte nun ahnen, in welche Richtung diese Argumentation zielt. Kehren wir nämlich nun zu unserem eigentlichen Thema zurück, so realisieren wir, dass befristete Arbeitsverhältnisse – jedenfalls dann, wenn sie sich in der Biografie eines Menschen häufen – dem Betroffenen ein Ausmaß an Kontingenz zumuten, das dieser in den meisten Fällen nicht aushalten kann. Um hier dem teils erwartbaren Widerspruch entgegenzutreten: Natürlich gibt es immer auch Ausnahmen. Für einen sprunghaften, radikalindividualistischen Freigeist etwa, der sich ohnehin nicht länger binden und sich stets „alle Möglichkeiten offenhalten“ möchte, sind befristete Arbeitsverhältnisse mitunter vielleicht kaum etwas störendes. Doch an diesem Punkt bestätigt die Ausnahme wieder einmal die Regel: Und diese Regel besteht in dem menschlichen Bedarf an Kontingenzreduktion.
Ein befristetes Arbeitsverhältnis verordnet dem betroffenen Arbeitnehmer eine ständige Kontingenz, die sich auch auf gleich mehrere Lebensverhältnisse erstreckt: Werde ich im Anschluss wieder etwas Neues finden? Kann ich weiterhin hier wohnen oder muss ich in eine andere Stadt ziehen? Wie vereinbare ich das mit meiner Beziehung / Ehe, Familie und so weiter? Wie sage ich es meinem Partner, meinen Kindern, wenn ich nichts Neues finde? Sollte ich jetzt schon anfangen zu suchen oder reicht es, wenn ich erst nächsten Monat Bewerbungen schreibe? Hat meine jetzige Arbeit überhaupt einen nachhaltigen Sinn? Was wird aus den Freundschaften, die ich im Rahmen meines aktuellen Arbeitsplatzes geschlossen habe? Finde ich in einer anderen Stadt ein neues soziales Umfeld, das mir zusagt?
Insbesondere anhand der letztgenannten exemplarischen Frage wird ein weiterer Komplex deutlich: Auch soziale Beziehungen außerhalb von Partnerschaft und Familie leiden tendenziell unter einem befristeten Arbeitsverhältnis. Durch ständig wechselnde Arbeitsplätze werden auch Freundschaften und kollegiale soziale Netzwerke weniger stabil und „auswechselbar“; man lernt auf Dauer vielleicht mehr Leute kennen, aber Quantität ersetzt Qualität. Das Individuum ist ständig gefordert, sich neu „einzuleben“, in seinem sozialen Leben wieder von vorne zu beginnen. Das wiederum aber geht in der Regel nur in den Zwanzigern gut – irgendwann möchte eben jeder einmal „ankommen“ (den oben genannten Charaktertypus auch hier natürlich ausgenommen).
Es dürfte nicht überraschen, dass dadurch, dass die Zufriedenheit und die psychische Gesundheit durch derlei Arbeitsbedingungen leiden, dies auch weitergehende Folgen für die physische Gesundheit nach sich ziehen kann. Wer mit ständiger Kontingenz leben muss, ist anfälliger für Stresssymptome: Verspannungen und Kopfschmerzen, Magen- oder Kreislaufprobleme; bis hin zum berüchtigten Burnout ist hier vieles denkbar und im Zuge der fehlenden sozioökonomischen und dadurch eben auch der fehlenden psychosozialen Sicherheit wahrscheinlicher als im Rahmen eines sicheren Arbeitsverhältnisses, bei dem all die oben beschriebenen Schwierigkeiten wegfallen.
Aus Jobs wieder Berufe machen
Im Rahmen der neoliberalen Struktur unserer Arbeitswelt übertreffen sich die einschlägigen „Experten“ regelmäßig in Sachen Forderungen nach allen möglichen Formen von „Management“ zur Optimierung der Arbeitnehmerschaft: „Personalmanagement“, „Zeitmanagement“, „Stressmanagement“, „Qualitätsmanagement“, „Wissensmanagement“, „Konfliktmanagement“, „Resilienz-Management“ – den Fantasien der Management-Fans sind hier keine Grenzen gesetzt. Zeit würde es jedoch, so viel Polemik sei hier gestattet, für ein umfassendes „Kontingenz-Management“, und zwar nicht auf einer betrieblichen Meso-Ebene, sondern auf der gesellschaftlichen Makro-Ebene:
Befristete Arbeitsverhältnisse drastisch zurückfahren, sichere Arbeitsbedingungen ermöglichen und aus „Jobs“ wieder „Berufe“ machen – eine solche zentrale arbeitsmarktpolitische Forderung müsste auf der Agenda endlich ganz weit oben stehen. Es dürfte manche sehr überraschen, wie schnell eine solche Veränderung zumindest einige der oben genannten „Management“-Varianten sehr schnell unnötig machen würde.
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