Auch das ist ein äußerst wichtiges, sachlich und fachlich gut recherchiertes, in pädagogischer Absicht verständlich geschriebenes Buch. Die Problemfelder sind in elf Kapitel gegliedert und mit aufschlussreichen — auch selbst gefertigten — grafischen Darstellungen, einschlägigen Zitaten und einem umfangreichen Quellenverzeichnis abgehandelt.
Für die konkrete Weiterbeschäftigung, die sich Storn von seinen Leserinnen und Lesern erhofft, hat er sein Buch mit einem Dokumentenanhang ausgestattet, der Statements verschiedener politischer Akteure der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft und einen offenen Brief zum genaueren Studium besonderer Probleme bietet.
Das Kernproblem, dem sich Storn widmet, ist der ständige Exportüberschuss zunächst des westdeutschen Provisoriums Bundesrepublik, aber besonders des wiedervereinigten Deutschland, denn erst nach der Wiedervereinigung trat Deutschland wieder als politische und wirtschaftliche Großmacht innerhalb der Europäischen Union und auf dem Weltmarkt in Erscheinung. Erst nach der Einverleibung der neuen Bundesländer durch die alten wurde Deutschland nicht nur von anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, sondern auch von den nicht zur EU gehörenden Staaten, vor allem von Rußland und der Türkei, man kann sagen weltweit, als bedrohlich für die eigene Wirtschafts- und Sozialordnung wahrgenommen.
Das äußerst erfolgreiche Wirtschaftsmodell der sozialen Marktwirtschaft des Frontstaats Bundesrepublik, das von 1949 bis zur Wiedervereinigung innerhalb der westlichen Wertegemeinschaft teils gewollt, sogar systematisch gefördert, von anderen zumindest wohlwollend geduldet war, weil er das sichere Bollwerk gegen die angeblich drohende Gefahr des Kommunismus war, steht, nachdem die „Einheit in Freiheit“ wiederhergestellt ist, inzwischen weltweit am Pranger.
Blickt man auf die Reaktionen einiger südeuropäischer Mitgliedstaaten, vor allem Griechenlands, aber auch Italiens und Spaniens, gewinnt man den Eindruck, sie hätten, zumindest in der Zeit der großen Finanzmarktkrise, als die deutschen zur Bankenrettung den überschuldeten Staaten ihre Austeritätspolitik aufnötigten, nun den Krieg gegen Hitlerdeutschland doch noch verloren.
Storn ist ein zwar kritischer, aber auch betont sachlich argumentierender Wirtschaftspädagoge. Er unternimmt es, dieses eigentlich alte, aber lange Zeit unter der Decke gehaltene, erst neuerdings immer heftiger kritisierte Problem der forciert angestrebten Exportweltmeisterschaften Deutschlands in die immer unsachlicher werdenden Debatten über die vielfältigen innergesellschaftlichen und europäischen Probleme einzuführen. Er hätte sich auch auf den Rüstungsexport beschränken oder mit der ausbeuterischen Seite der Entwicklungspolitik befassen können, aber er entschied, Ursachen und Folgen unserer aggressiven deutschen Exportpolitik aufzuzeigen.
Es gelingt ihm, plausibel darzulegen, welche Bedeutung diese von ihm als „heimlich“ bezeichnete, aber für diejenigen, die davon betroffen sind, unheimliche „deutsche Agenda“ für den internationalen Wettbewerb hat. Storn trägt Beweise über Beweise zusammen, dass es diese Politik ist, die maßgeblich zu sozialer Ungleichheit innerhalb wie zwischen den Gesellschaften und damit zu Konflikten und Armutsmigration führt.
Er zeigt, wie die systembedingten Wachstumszwänge mit der Beschäftigungspolitik und dem Klimawandel zusammenhängen, wie die deutschen Exportoffensiven, die Armut und Migrationswellen nach sich ziehen, bei uns Rechtsstaat und Demokratie gefährden.
Und er macht begreiflich, dass es vor allem diese Politik ist, die die wachsenden Zentrifugalkräfte erzeugt, die die mühselig aufgebaute Europäische Union wieder zu zerreißen droht.
Das 7. Kapitel — „Das deutsche Exportüberschussmodell spaltet Europa“ — bildet deshalb aus meiner Sicht den Höhepunkt dieses Buches. Besonders, weil Storn hier zeigt, dass die negativen Entwicklungen wie Überschuldung in einer Reihe von Mitgliedstaaten der Europäischen Union — hin zu autoritären Systemen — mit dem Export auch der deutschen Agenda 2010 zu tun haben. Viele Griechen hatten den Eindruck, nun habe Hitler den Krieg doch noch gewonnen. Manche unbegreiflich erscheinenden Entwicklungen in EU-Mitgliedstaaten scheinen auch mit der Abwehr dieser deutschen Übermacht zusammenzuhängen. Manche europäischen Regierungen versuchen, ebenfalls zu Lasten ihrer arbeitenden Bevölkerung, ihrer Handelspartner in aller Welt, ihrer sozialen Sicherungssysteme und der Umwelt, das deutsche Exportmodell nachzuahmen.
Storn aber fordert — und er kann dazu viele Zeugen aufrufen — den Ausstieg aus diesem Modell, um — grob zusammengefasst — Rechtsstaat und Demokratie im eigenen Land, Europa und den Frieden in der Welt zu retten. Er entwickelt konstruktive Alternativen und baut dabei, wie so viele globalisierungskritische Köpfe, auf die alten und die vielen neuen sozialen Bewegungen, die — inzwischen weltweit — gegen Macht und Machtmissbrauch der Weltkonzerne demonstrieren, auch gegen die diesen Machtmissbrauch duldenden, fördernden und mit juristischen Mitteln schützenden Regierungen und eine EU der Konzerne.
Das setzt natürlich aufgeklärte und widerständige Menschen voraus. An Gewalt glaubt Storn nicht. Daher ist dieses Buch für die geschrieben, die gewaltfreien Widerstand leisten. Sie sollten es studieren, auch wenn das Lesen als kulturelle Errungenschaft selbst schon gefährdet ist. Es enthält zahlreiche, sich auf Lebenserfahrung stützende, sachlich beratende Passagen, die man gründlich diskutieren und ins praktische Leben übertragen sollte. Denn anders als die Wirtschafts-, Finanz-, Industriekonzerne, die inzwischen gigantische Konzerne wie KPMG oder PricewaterhouseCooper als ihre „Berater“ heranziehen können, müssen diejenigen, die dem hybriden Wachstumswahn und den Exportzwängen entgegenzutreten versuchen, diese Beratungsgiganten als Gegner fürchten.
An dieser Stelle möchte ich eigentlich meine Rezension beenden und die Lektüre des Buches wärmstens empfehlen. Da sich aber Herbert Storn — wie schon in seinem ersten Buch — nun auch in diesem relativ ausführlich mit meiner Kritik der kriminellen Ökonomie befasst und offensichtlich ihre Bedeutung bei der Entstehung vieler kleiner und vor allem der großen gesellschaftspolitischen Probleme erkannt hat, versteht es sich sicher von selbst, dass ich mich darüber freue und dafür bedanke. Dies umso mehr, als sich das Thema „Wirtschaftskriminalität“ in den klassischen liberalen und konservativen Wirtschaftstheorien nur auf eine sehr einseitige, auf den Schutz des Eigentums und neuerdings auch der Verbraucher und des Weltklimas konzentrierte, in der Kritik der politischen Ökonomie des Kapitalismus der Linken aber so gut wie keine Beachtung findet.
Auch Herbert Storn, obgleich er eindringlich und ausführlich auf die Destruktivkräfte wirtschaftskrimineller Praktiken der Profitwirtschaft verweist, verzichtet in seinen beiden Büchern darauf, die demokratie- und wirtschaftstheoretischen Untiefen der kriminellen Ökonomie auszuloten. Hier wäre vor allem die Unzulänglichkeit der bestehenden Mitbestimmung zu diskutieren und die Frage zu beantworten, wie es — trotz dieser hart erkämpften, eigentlich der Kapitalkontrolle dienenden Mitbestimmungsrechte von Gewerkschaften und Betriebsratsmitgliedern in Aufsichtsräten — möglich war, dass sich die Deutsche Bank so lange Zeit unentdeckt wie eine kriminelle Vereinigung verhalten konnte, obgleich sich ihre Führung schon unter Hitler schwerster Verbrechen schuldig gemacht hatte.
Und wie erklären die Mitbestimmungsberechtigten der Arbeitnehmerseite, dass Konzerne unter ihrer Aufsicht derart schwere Gesetzesbrüche begehen und unermesslichen Schaden anrichten konnten? Wie zum Beispiel waren die umwelt- und verbraucherschädlichen Dieselbetrügereien der Automobilkonzerne möglich, wenn in den Aufsichtsräten — fast paritätisch — Arbeitnehmervertreter sitzen? Müssten die Aufsichtsratsmitglieder nicht für diese Schäden haftbar gemacht werden? Ist etwas falsch am Mitbestimmungskonzept? Immerhin wurde nach dem Zweiten Weltkrieg die paritätische Mitbestimmung in der Montanindustrie eingeführt, um Machtmissbrauch gar nicht erst zu ermöglichen.
Auch die unterparitätische Mitbestimmung, die im Jahr 1976 für andere Großunternehmen eingeführt wurde, sollte demselben Zweck dienen. Immer war der Hintergrund der, dass Hitlers Diktatur ohne Unterstützung der Konzerne nicht durchsetzbar gewesen wäre. Auch nicht die dann folgenden Verbrechen an Juden und anderen als Volksschädlinge entwürdigten Minderheiten.
Wissen die kapitalfrommen Politiker, die Großinvestoren, ihre Manager nicht, dass die politische Rechte die Wirtschaftsverbrechen traditionsgemäß den Juden anlastet? Warum also wundern sie sich, dass sich der Judenhass erneut verbreitet? Er ist nun einmal der Antikapitalismus der Nationalisten und Rassisten. Wo bleiben die empirisch orientierten Wirtschaftskriminologen, die untersuchen, ob die Wirtschaftsstraftäter tatsächlich überwiegend Juden sind? Ich behaupte, in der großen Mehrheit sind es Christen, in Deutschland und Europa vielleicht sogar Mitglieder der christlich-demokratischen und sozialdemokratischen Parteien. Hier müsste sich eine kritische Wirtschaftskriminologie herausgefordert sehen.
Im arabischen Kapitalismus vermute ich als Wirtschaftsstraftäter überwiegend Muslime. Im Chinesischen sind es wahrscheinlich Kommunisten, also Atheisten. Aber objektiv spielen im Wirtschaftsleben, das sich nach den Gesetzen des Marktes und des säkularisierten Staates, heute auch dem internationalen Recht, zu beugen hätte, Religionen überhaupt keine Rolle mehr. Auch dieser Aspekt müsste bei einer genaueren wissenschaftlichen Untersuchung des Problemkomplexes Wirtschaftsverbrechen berücksichtigt werden.
Dass die antikapitalistische Linke das Thema meidet, hat zum Teil seinen Grund darin, dass das Thema Wirtschaftskriminalität in den klassischen Wirtschaftstheorien keinen systematischen Ort hat.
Auch nicht bei Marx, obgleich im ersten Band des „Kapital“ das Problem — zum Beispiel der Einhaltung der englischen Fabrikgesetze — allgegenwärtig ist. Weder in den liberalen Wirtschaftstheorien, die bis auf Adam Smith zurückgehen, noch die marxistischen, als deren Stammväter Marx und Engels gelten, finden sich jedoch systematische Auseinandersetzungen mit den Problemen, die entstehen, wenn sich die Marktteilnehmer, vor allem die Kapitaleigner, nicht an die vom Staat vorgegebenen Gesetze halten.
Hier muss gefragt werden, warum kapitalfromme Parlamentsmehrheiten überhaupt Wirtschaftsstrafgesetze verabschieden, wenn Steuerfahnder, Staatsanwaltschaften und Gerichte nicht in der Lage sind oder in die Lage versetzt werden, sie effektiv zu bekämpfen.
Vielleicht schreibt ja Herbert Storn sein nächstes Buch über die kriminelle Ökonomie und zeigt einmal den Gewerkschaften, den Linken, den kapitalismuskritischen Ökonomen, zu denen er selbst gehört, dass ein erheblicher Teil ihrer Ohnmacht und damit eine der Ursachen des Aufstiegs der Rechten europa-, ja weltweit, mit der banalen Tatsache zu tun hat, das unser demokratischer und sozialer Rechtsstaat — als ob wir noch im Feudalismus lebten — die kleinen Diebe einsperren und die großen — und sei es gegen millionenschwere Kautionen — frei herumlaufen und unkontrolliert agieren lässt.
Quellen und Anmerkungen:
Dieser Text ist eine Rezension zum Buch von Herbert Storn, „Germany First! Die heimliche Deutsche Agenda.“, Büchner-Verlag, Marburg 2019, erschienen am 9. Oktober 2019.
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