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Tötet uns der Kapitalismus?

Tötet uns der Kapitalismus?

Wenn es um Profit geht, zählen Leben nicht mehr.

Ökologische Ökonomen, zum Beispiel Herman E. Daly, betonen, dass die externen Kosten der Umweltverschmutzung und der Ressourcenerschöpfung nicht im Bruttosozialprodukt enthalten sind. Deshalb ist es uns nicht möglich, mit Bestimmtheit zu erkennen, ob eine Steigerung des Bruttoinlandsprodukts tatsächlich ein Gewinn ist oder vielleicht vielmehr ein Verlust.

Externe Kosten sind enorm hoch und werden immer höher. Es ist historisch nicht neu, dass Fabriken und Industrieunternehmen, von Großunternehmen betriebene Landwirtschaft, Stadtentwässerungssysteme und andere Schuldige die Kosten ihres Handelns der Umwelt und Dritten zur Last gelegt haben. Eine Flut von Berichten befasst sich in jüngster Vergangenheit mit dem Produkt „Roundup“ der Firma Monsanto, dessen Hauptbestandteil, Glyphosat, Krebserkrankungen auslösen soll.

Eine öffentliche Gesundheitsorganisation, die Environmental Working Group, veröffentlichte vor kurzem eigene Testergebnisse über Frühstücksprodukte für Kinder: In nur 2 von 45 untersuchten Produkten der Firmen Quaker, Kellogg und General Mills (Granola, Haferflocken, Müsliriegel) wurde kein Glyphosat festgestellt.

Tests in Brasilien ergaben, dass Muttermilch in 83 Prozent der untersuchten Fälle Glyphosat aufwies.

Das Münchner Umweltinstitut fand in 14 der meistverkauften Biere Deutschlands Glyphosat.

Glyphosat wurde im Urin mexikanischer Bauern und im mexikanischen Grundwasser nachgewiesen.
Nach Berichten des Scientific American über Roundup können dessen „inerte Inhaltsstoffe menschliche Zellen töten , insbesondere von Embryonen, der Plazenta und der Nabelschnur.“

Ein deutscher Toxikologe hat dem Bundesinstitut für Risikobewertung und der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit wissenschaftlichen Betrug vorgeworfen, weil sie die Schlussfolgerung einer von Monsanto geführten Arbeitsgruppe übernahmen, dass Glyphosat nicht krebserregend sei.

Als umstritten gelten diese Ergebnisse, weil durch die Industrie geförderte Wissenschaftler keinen Zusammenhang zwischen Glyphosat und Krebserkrankungen erkennen, während unabhängige Wissenschaftler diesen Zusammenhang sehen. Überraschend ist dies nicht – wer als Forscher von Unternehmen Gehälter bezieht, arbeitet in einem Abhängigkeitsverhältnis und es ist unwahrscheinlich, dass seine Erkenntnisse dem von seinen Geldgebern erwarteten Forschungsergebnis widersprechen.

Ebenso ist umstritten, welche Menge Glyphosat ein Produkt enthalten muss, um als gefährlich zu gelten. Dies hängt offensichtlich von dessen Gebrauch und einem Zeitfaktor ab. Offenbar reichert sich Glyphosat im Laufe der Zeit an und erweist sich früher oder später letztendlich wohl als schädlich.

Löst Glyphosat nun Krebs aus, geht dies nicht zu Lasten der Unternehmen Monsanto/Bayer. Genau dies ist hier der springende Punkt. Behandelte Monsanto diese Kosten nicht als externe Kosten, müsste der Konzern diese Kosten also tragen, wären die Kosten des Produkts so hoch, dass sein Gebrauch unökonomisch wäre. Sein Nutzen stünde in keiner Relation zu seinem Preis.

Die Wahrheit lässt sich nur schwer feststellen – Politiker und Regulierungsbehörden sind bestechlich und bereit, Geschäftspartnern entgegenzukommen. In Brasilien sind Abgeordnete tatsächlich dabei, die Nutzung von Pestiziden zu deregulieren und den Verkauf von Bio-Lebensmitteln in Supermärkten zu verbieten. Was Glyphosat betrifft, wendet sich nun möglicherweise das Blatt für Monsanto/Bayer: Der oberste kalifornische Gerichtshof gab dem Bundesstaat Recht, dieses Unkrautvernichtungsmittel der Liste der Krebserreger „Proposition 65“ hinzuzufügen.

Letzte Woche sprach ein Geschworenengericht in San Francisco einem ehemaligen Schulplatzwart 289 Millionen US-Dollar Schadensersatz zu für eine Krebserkrankung durch Roundup. An den Berufungsabsichten Monsantos bestehen kaum Zweifel – und der Fall wird die Gerichte vermutlich bis zum Tod des Klägers beschäftigen. Doch es handelt sich um einen Präzedenzfall, der das wachsende Misstrauen der Geschworenen gegenüber Auftragsforschern bezeugt. Circa weitere 1.000 ähnliche Verfahren sind anhängig. Erwiese sich Roundup als krebserregend, handelte es sich dabei doch zunächst nur um ein einziges Produkt einer einzigen Firma. Der gigantische Umfang externer Kosten lässt sich also erahnen. Die schädlichen Auswirkungen von Glyphosat deutet dieser Artikel lediglich an.

Genetisch manipulierte Futtermittel fordern unter Nutztieren bereits ihren Tribut. Darüber hinaus mache man sich die schädlichen Auswirkungen der chemischen Landwirtschaft in Luft, Wasser und Erdreich bewusst. In Florida verursachten chemische Düngemittel ein überhöhtes Algenaufkommen, und die Zuckerindustrie verwandelte nahezu einen ganzen See im selben Bundesstaat, nämlich Lake Okeechobee, in ein totes Gewässer. Der Abfluss von Düngemitteln bewirkt, dass Blaualgen wuchern. Sie töten das Leben im Meer und sind auch für Menschen gefährlich. Derzeit hat das Wasser des St. Lucie Rivers in Florida einen Verseuchungsgrad erreicht, der zehnmal über dem für menschlichen Kontakt zulässigen Grenzwert liegt.

Eine rapide Vermehrung toxischer Algen kann auf natürliche Weise entstehen, doch der Abfluss von Düngemitteln regt das Algenwachstum und ihre Langlebigkeit an. Zudem trägt die Verschmutzung zur Temperaturerhöhung bei, die wiederum das Algenwachstum befeuert, genauso wie die Entwässerung von Mooren zur Erschließung von Grundstücken. Sie resultiert darin, dass das Wasser ohne natürlichen Filter abfließt.

Auf die Verschlechterung der Wasserqualität und die Algenvermehrung reagierte Florida, indem es die landesweite Wasserqualitätsüberwachung einschränkte.

Wenn man diese erheblichen externen Kosten der intensiven Landwirtschaft berücksichtigt, sind die Werte, die man im BIP dem Zucker und anderen landwirtschaftlichen Produkten beimisst, völlig überhöht. Der Endverbraucher zahlt zu niedrige Preise, die Unternehmer verbuchen zu hohe Gewinne, weil sie die Kosten der Meeresverschmutzung, die Verluste für die Touristenbranche und die Erkrankungen nicht einrechnet, die durch die Algenvermehrung durch Düngerverschmutzung ausgelöst werden.

In diesem Artikel habe ich das Problem der externen Kosten nur angekratzt. Im US-Bundesstaat Michigan erwies sich das Leitungswasser als nicht unbedenklich: Chemikalien, die man jahrzehntelang in militärischen Stützpunkten und zur Produktion tausender Gebrauchsartikel benutzt hat, kommen aus dem Wasserhahn.

Eine kleine Übung: Man nehme ein x-beliebiges Unternehmen und bedenke seine externen Kosten. Man denke an die US-Unternehmen, die ihre Arbeitsplätze nach Asien verlagerten – die Firmengewinne stiegen, doch die Steuerbemessungsgrundlagen auf Bundes-, Länder- und Gemeindeebene sanken. Die Bemessungsgrundlagen für die Sozialversicherung und „Medicaid“ (der amerikanischen Pflegeversicherung, Anmerkung des Übersetzers) gingen zurück. Beide Säulen der sozialen und politischen Stabilität in den USA sind nun gefährdet.

Steuerbemessungsgrundlagen für Lehrer und Regierungsangehörige sanken. Hätten die Unternehmen nur im eigenen Land Arbeitnehmer angestellt, müssten sie entsprechende Abgaben zahlen. Müssten die Konzerne, die ihre Arbeitsplätze ins Ausland verlagert haben, diese Kosten schultern, würden sie keine Gewinne einfahren.

Oder stellen wir uns eine Tierhandlung vor: Beim Verkauf und Kauf von Pythonschlangen (45 bis 60 cm), Boa Constrictors und Anacondas beachteten die Beteiligten – somit auch die Regulierungsbehörden für die Einfuhr – nicht die enorme Größe, zu der diese Tiere heranwachsen können. Sobald den Käufern bewusst wurde, dass das Leben der eigenen Familie – auch von kräftigen Erwachsenen – mit einem solchen Haustier in höchste Gefahr geriet, „entsorgte“ man diese Schlangen einfach in den Everglades. Dort richteten sie in der natürlichen Fauna riesigen Schaden an und haben sich inzwischen unkontrollierbar vermehrt. Die externen Kosten von Tierhandlungen übersteigen bei weitem den Gesamtpreis sämtlicher verkauften Schlangen.

Ökologische Ökonomen betonen, dass der Kapitalismus in einer „leeren Wirtschaft“ funktioniert, in der Menschen und natürliche Rohstoffe kaum unter Druck stehen. Doch er versagt, wenn solche Ressourcen rar werden. Externe Kosten, die mit wirtschaftlichem Wachstum – wie durch das Bruttoinlandsprodukt beziffert – m einhergehen, sind weit höher als der Gewinnergebniswert.
Genau in einer solchen Situation befinden wir uns mit hoher Wahrscheinlichkeit. Tierarten verschwinden, in Lebensmitteln, Getränken, Wasser, Muttermilch, Luft und Erdreich treten Toxine auf, verzweifelt will man Energie aus „Fracking“ gewinnen und verschmutzt dadurch das Grundwasser und bewirkt Erdbeben. Das sind Warnsignale Kennzeichen eines bedrängten Planeten. Will man es auf den Punkt bringen, hat der Kapitalismus jahrhundertelang nur Profite hervorgebracht, weil die Kapitalisten nicht alle Kosten für ihre Produktion begleichen mussten. Diese übertrugen sie stattdessen auf die Umwelt und legten sie Dritten zur Last und behielten den Profit.

Update: Herman Daly weist auf Schätzungen der britischen Medizinfachzeitschrift Lancet aus dem vergangenen Jahr hin. Die Umweltverschmutzung verursache jährlich Kosten im Umfang von 6 Prozent der Weltwirtschaft. Das jährliche Weltwirtschaftswachstum dagegen betrage nur 2 Prozent. Jährlich verringert sich das Wohlergehen auf dem Planeten also um 4 Prozent und steigert sich nicht um 2 Prozent. Wir könnten uns, mit anderen Worten, bereits in einer Situation befinden, in der Wirtschaftswachstum unwirtschaftlich geworden ist.


Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „Is Capitalism Killing Us?". Er wurde vom ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteamlektoriert.


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