Der letzte Plan Barack Obamas ist nicht aufgegangen. Eigentlich sollte die irakische Millionenmetropole Mossul von den Kämpfern des Islamischen Staats (IS) befreit sein, als der amerikanische Präsident die Amtsgeschäfte im Januar 2017 an Donald Trump übergab. Über Monate hatten Kampfflugzeuge der Anti-IS-Allianz Stellungen der Terrormiliz im Nordirak bombardiert und Zehntausende Regierungssoldaten und Milizionäre die Stadt am Tigris eingekreist — der größte Truppenaufmarsch seit der Irak-Invasion George W. Bushs.
Im Sommer 2014 hatte IS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi in Mossul ein Kalifat ausgerufen. Gebiete von Bagdad über Jerusalem bis nach Kairo wollte er eines Tages kontrollieren, ein Weltreich, wie vor tausend Jahren von den Abbasiden-Kalifen beherrscht — und bis vor hundert von den Osmanen. Dieser Albtraum ist vorbei, und der Anfang vom Ende der IS-Schreckensherrschaft ein Segen für Millionen Menschen, die unter Baghdadis Terrorregime überleben mussten — in Mossul und anderswo.
Seit jenem Schreckenssommer 2014, als der IS im Irak und in Syrien Gebiete halb so groß wie Deutschland eroberte, galt die Rückeroberung der zweitgrößten irakischen Stadt als Schlüssel zur Niederschlagung der Terrorkrieger. Mehr als sechzig Staaten schlossen sich der von den USA geführten Koalition an, allen voran NATO-Partner, wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien, sowie die sunnitischen Golfmonarchien Saudi-Arabien, Katar, Kuwait und die Vereinigten Arabischen Emirate.
Ein langer Krieg — mit ungewissem Ausgang, denn ein gemeinsames politisches Ziel für die Zeit nach der Befreiung Mossuls von der Terrororganisation gibt es nicht: Was die Anti-IS-Allianz eint, ist allein die militärische Gegnerschaft zu den bewaffneten Islamisten, die ihr Ziel eines totalitären Staats unbeirrt weiterverfolgen.
Das Problem dabei ist: So wie der Krieg gegen al-Qaida nach den Angriffen auf die Twin Towers in New York und das Pentagon in Washington im September 2001 zu einer globalen Aufrüstungswelle führte, so ist auch im neuen „Krieg gegen den Terror“ kein Ende in Sicht. Weder zeitlich noch örtlich: Nicht nur in seinem Kerngebiet Syrien und Irak, sondern auch im Jemen, in Ägypten und in Libyen hat der IS als Provinzen deklarierte Minikalifate errichtet. Waren es während des ersten Antiterrorkriegs die Interventionen in Afghanistan und im Irak, die der Rüstungsindustrie weltweit Milliardenaufträge bescherten, so ist der zweite getrieben von den Staatsauflösungsgefechten der arabischen Welt. Ein Prozess, der Jahrzehnte anhalten könnte.
Die Profiteure aber bleiben die gleichen — allen voran in den USA, deren Rüstungsgiganten mehr als die Hälfte der jährlichen Umsätze im internationalen Waffenhandel von zuletzt 370 Milliarden Dollar erwirtschaften (1).
Die Verteidigungsetats weltweit für Rüstungsinvestitionen und die Finanzierung von Armeen beliefen sich 2015 sogar auf mehr als anderthalb Billionen Dollar (2). Allein das Pentagon hat bis Anfang 2017 mehr als zehn Milliarden Dollar in die Operation „Inherent Resolve“ gesteckt; zwölf Millionen Dollar am Tag gibt die amerikanische Regierung für den Antiterrorkrieg im Irak und Syrien aus (3).
Direkt hinter dem unangefochtenen Weltmarktführer liegen China und Russland, das durch sein Eingreifen in den Syrien-Konflikt künftig Waffensysteme anbieten kann, die unter realen Kriegsbedingungen getestet wurden. In wechselnder Reihenfolge landen Frankreich, Großbritannien und Deutschland auf der Liste der größten Waffenexporteure der Welt seit Jahren auf den folgenden Plätzen — ein Bombengeschäft: Laut dem renommierten Branchenfachdienst Jane’s verkauften deutsche Firmen 2015 Rüstungsgüter im Wert von 4,8 Milliarden Euro ins Ausland. Ein Drittel davon ging nach Nahost und Nordafrika (4).
Abbildung 1: Schätzungen zu Militärausgaben der Top-Länder (5)
Unsummen stecken die arabischen Regime Jahr für Jahr in ihre Armeen — ein Auftragsbeschaffungsprogramm für die Rüstungsbetriebe in den Vereinigten Staaten, Russland und Europa. Die Militärausgaben im Nahen und Mittleren Osten beliefen sich allein 2014 auf 190 Milliarden Dollar (6).
In wessen Hände die Waffen eines Tages fallen, interessiert die Machthaber in Riad, Abu Dhabi und Kairo nur am Rande, solange der durch den Antiterrorkrieg angeheizte Rüstungswettlauf mit dem schiitischen Iran um die Hegemonie in der Region in vollem Gange ist. Mit schlimmen Folgen für Frieden, Freiheit und Wohlstand in den arabischen Krisen- und Umbruchstaaten: Dem Weltfriedensindex zufolge, der zeigt, wie hohe Militärausgaben für sinkende Investitionen im Gesundheits-, Bildungs- und Sozialbereich sorgen, landen der Irak und Syrien auf den letzten Plätzen von 163 untersuchten Staaten. Saudi-Arabien, Ägypten, Libyen und Jemen liegen auf den Positionen 129, 142, 154 und 158 (7). Gleiches gilt für politische Rechte und bürgerliche Freiheiten: Als „nicht frei“ werden diese sechs Staaten auf dem Freiheitsindex des amerikanischen Thinktanks Freedom House eingestuft (8).
An der unheilvollen Militarisierung der Region hat auch die Bundesregierung ihren Anteil. Rüstungsexporte in Rekordhöhe von 2,7 Milliarden Euro genehmigte Deutschland zuletzt an die Staaten des arabischen Krisengürtels, der von Nordafrika über die Levante bis in die Ölmonarchien des Golf-Kooperationsrats (GCC) reicht (9).
Besonders beunruhigend: Die Ausfuhr von Kriegswaffen in Drittstaaten außerhalb von EU und NATO oder deren Mitgliedern gleichgestellten Staaten wie Australien hat sich 2015 mehr als verdoppelt. Nicht nur die arabischen Potentaten, sondern Autokraten weltweit profitieren davon.
Abbildung 2: Entwicklung des Werts der Einzelgenehmigungen von 2005 bis 2016 (10)
Abbildung 3: Verteilung des Werts der Einzelgenehmigungen auf Ländergruppen (11)
Das Kalkül für die gelockerte Haltung ist klar: Die profitabelsten Märkte für die deutsche Rüstungsindustrie liegen in Konfliktregionen und Schwellenländern, wo die Freiheitsrechte am geringsten sind und die Gewalt am größten. Dabei sehen die deutschen Rüstungsexportrichtlinien eindeutig vor, die Ausfuhr in Spannungsgebiete nur im Einzelfall zu genehmigen. Auch der „Gemeinsame Standpunkt“ der EU für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern bekräftigt eine zurückhaltende Exportpolitik in Krisengebiete. Doch Begründungen liefern für ihre gelockerte Genehmigungspraxis, muss die Bundesregierung nicht. Die Beschlüsse fällt der Bundessicherheitsrat, ein geheim tagender Unterausschuss des Kabinetts, dem neben dem Chef des Bundeskanzleramts sieben Minister angehören — und Bundeskanzlerin Angela Merkel als Vorsitzende.
Profite vor Menschenrechten
Das schrittweise Aufweichen der restriktiven Rüstungsexportpolitik geht einher mit der Übernahme von mehr außenpolitischer Verantwortung oder anders formuliert: mit einer weiteren Militarisierung deutscher Außenpolitik. Eine breite gesellschaftliche Debatte darüber aber, weshalb ausgerechnet die Diktaturen am Golf die wichtigsten regionalen Partner im Kampf gegen islamistische Milizen sein sollen, bleibt aus.
Dabei geht der Riss in der Frage, welches Land wann und mit welcher Begründung mit welchen Waffen ausgestattet werden sollte, mitten durch Merkels Kabinett: Während Vizekanzler Sigmar Gabriel auf eine stärker an Menschenrechten orientierte Rüstungsexportpolitik drängt, betonte Außenminister Frank-Walter Steinmeier bis zu seinem Wechsel ins Bundespräsidialamt, dass man im Kampf gegen die Terrorgruppe den „Stabilitätsanker“ Saudi-Arabien nicht einfach fallen lassen dürfe. Dabei bombt die auch mit deutscher Technik ausgestattete saudische Luftwaffe Krankenhäuser und Schulen im Jemen seit März 2015 in Schutt und Asche.
Bundeskanzlerin Merkel ist die treibende Kraft hinter diesem Kurs. Unter dem Stichwort „Ertüchtigung“ mahnte sie 2012 die Ausrüstung regionaler Partner in Regionen an, in denen die Bundesrepublik nicht selbst mit Truppen präsent sein wollte.
Als „Merkel-Doktrin“ brandmarkten das Kritiker (12). 2010 schon hatte der damalige Bundespräsident Horst Köhler verlangt, „dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit“ wissen müsse, „dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege“, oder um „regionale Instabilitäten zu verhindern“ (13). Im Weißbuch zur Zukunft der Bundeswehr von 2016 wird die Beteiligung an „Ad-hoc-Kooperationen“ wie der internationalen Allianz zur Bekämpfung des IS ausdrücklich als Vorbild genannt (14).
Die Bundeswehrmission im Irak bedeutet deshalb eine Zäsur. Zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg stehen deutsche Truppen an der Schwelle zu einem Kampfeinsatz im Nahen Osten, zum ersten Mal haben sie sich mit eigenen Soldaten klar auf eine Seite gestellt: auf die der irakischen Kurden. Tausende Tonnen militärisches Material hat die Luftwaffe seit 2014 in den Nordirak geflogen, darunter G36-Sturmgewehre, Milan-Panzerabwehrraketen und Millionen Schuss an Munition. Im Zwei-Wochen-Takt landen die Antonow-Transportmaschinen der Bundeswehr inzwischen auf dem Flughafen der Kurdenhauptstadt Erbil. Ziel der Luftbrücke ist laut Bundesregierung die „Ertüchtigung“ der irakisch-kurdischen Peschmerga-Streitkräfte in ihrem Kampf gegen den IS. Dazu dient auch die Ausbildung der Peschmerga, die seit Herbst 2016 unweit der Front stattfindet.
Waffenbrüderschaft mit Autokraten
Davon jedoch war nicht die Rede, als Bundeskanzlerin Merkel die Entsendung deutscher Kriegsgüter mitten in ein Spannungsgebiet als politisch notwendige Nothilfe rechtfertigte: Die biblischen Bilder verzweifelter jesidischer Familien auf den Hängen des Sindschar-Gebirges hatten die Weltgemeinschaft im August 2014 zum Eingreifen bewegt. Den Angehörigen der religiösen Minderheit drohte ein Völkermord, Tausende jesidische Frauen waren von den Terrormilizionären bereits verschleppt, vergewaltigt und sexuell versklavt worden.
Ein Genozid wäre ohne die Bombardements amerikanischer Kampfflieger wohl wirklich nicht zu verhindern gewesen. Auch deshalb war die schnelle Unterstützung durch die Bundesregierung richtig: Wo Militäreinsätze helfen, Massaker zu verhindern, sind sie sinnvoll und keine Kriegstreiberei. Das gilt für Sindschar, das gilt für Kobane: Ohne Luftangriffe stünde die Kurdenenklave in Nordsyrien noch heute unter Kontrolle des IS.
Als IS-Kämpfer im November 2015 in Paris bei Attentaten hundertdreißig Menschen töteten, weiteten die NATO-Verbündeten ihre Operationen aus — und die Mission „Inherent Resolve“ bekam einen neuen Charakter. Aufklärungstornados der Bundeswehr beschaffen den Bündnispartnern seitdem Informationen über immer neue Angriffsziele, die Bundesmarine ist zum Schutz des französischen Flugzeugträgers „Charles de Gaulle“ ins Mittelmeer entsandt. Und mit Genehmigung des Bundessicherheitsrats liefern deutsche Rüstungskonzerne immer neue Waffen an die arabischen Verbündeten.
Zwar erscheint der deutsche Beitrag an der Anti-IS-Operation „Inherent Resolve“ im Irak und über Syrien gering gegenüber dem amerikanischen, britischen oder französischen Engagement. Doch bilden die Milan-Panzerabwehrraketen und G36-Sturmgewehre das Eintrittsticket in den von Korruption, Intransparenz und Mafiaseilschaften geprägten Milizenstaat Irak, der in seinen alten Grenzen heute nur noch auf dem Papier existiert.
Längst hat die kurdische Autonomieregierung Masud Barzanis mithilfe des NATO-Verbündeten Türkei begonnen, an Bagdad vorbei Öl auf den Weltmärkten zu verkaufen — ein erster Schritt Richtung Unabhängigkeit. Um hier Fuß zu fassen und von der internationalen Konkurrenz nicht an den Rand gedrängt zu werden, lohnt sich aus Sicht der Bundesregierung die Waffenbrüderschaft mit dem in Feudalmanier durchgreifenden Kurdenpräsidenten mitten in der konfliktreichsten Region der Welt.
Eine wertegeleitete Außenpolitik jedoch muss über die Eigeninteressen der deutschen Exportwirtschaft hinausgehen. Diese Debatte ist angesichts zerfallender Staaten in der Region dringend geboten.
Dazu will dieses Buch einen Beitrag leisten. Denn bislang erklärt sich die Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung ebenso wie die Bundeswehrbeteiligung an den Antiterroreinsätzen über Syrien und im Irak neben der Angst vor Anschlägen in Deutschland vor allem aus der Sorge um Energiesicherheit — und aus der Handelsfixierung der deutschen Diplomatie.
Hinzu kommt, dass die wichtigsten arabischen Bündnispartner inzwischen erheblichen wirtschaftlichen Einfluss in Deutschland selbst ausüben. Katars Exregierungschef ist Großaktionär bei der Deutschen Bank. Die Vereinigten Arabischen Emirate haben sich mit dem größten Staatsfonds der Welt in deutsche Reedereien und Fluglinien eingekauft. Air Berlin, Volkswagen und Hochtief sind nur noch dem Namen nach deutsche Konzerne.
Das schafft Abhängigkeiten, die Politiker der Bevölkerung gegenüber eigentlich offenlegen müssten. In der Regel aber wählen sie einen anderen Weg: Das Schweigen Steinmeiers zum Vorgehen der vom Königshaus in Riad geführten Militärallianz im Jemen ist ein Skandal. Etlicher Kriegsverbrechen sollen sich die Luftwaffen der Hauptempfänger deutscher Rüstungsgüter in der Region dort schuldig gemacht haben. Doch Forderungen, etwa des Europäischen Parlaments, angesichts der humanitären Katastrophe im Armenhaus der arabischen Welt die Militärlieferungen an Saudi-Arabien auszusetzen, versperrt sich die Bundesregierung. Knapp vier Millionen Barrel Erdöl passieren täglich die Meerenge von Bab al-Mandab an der Küste vor Jemen — eine Lebensader der Weltwirtschaft, die zu verteidigen der deutschen Diplomatie wichtiger ist als der Einsatz für ein sofortiges Ende der verheerenden Luftangriffe und der Seeblockade des Landes.
Blankoschecks zum Machterhalt
Auch bei den Vorständen der großen deutschen Rüstungskonzerne lassen Forderungen nach Waffenembargos die Alarmglocken läuten. Mit Verweis auf die Gefährdung Zehntausender Arbeitsplätze stempeln sie Kritiker als weltfremde Pazifisten ab, die die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus nicht begriffen hätten. Aus dem Blick gerät dabei, dass die globalen Kriegsfolgekosten die Profite durch Waffenexporte in den Industriestaaten bei Weitem übersteigen.
Gestützt in ihrer Haltung wird die Rüstungsindustrie dabei von den arabischen Regimes, die mit lukrativen Aufträgen winken — solange Deutschland bei der Missachtung von Menschenrechten und demokratischer Standards die Augen zudrückt. Die Drohung, Verträge andernfalls mit Firmen anderer Staaten abzuschließen, schwingt dabei immer mit. Auch deshalb wagt seitens der Politik kaum jemand, ein Handelssystem anzutasten, das vom permanenten Krieg gegen den Terror lebt — und nicht von mehr Partizipation benachteiligter Bevölkerungsgruppen.
Weil die Lage für die Menschen Nordafrikas und auf der arabischen Halbinsel durch den neuen „Krieg gegen den Terror“ nicht besser geworden ist, ist ein Umdenken dringend geboten. Denn eines ist klar: Geld, das in Waffengeschäfte fließt, fehlt für Gesundheit und Bildung. Schon das Aufbegehren gegen die autoritären Herrscher in Tripoli, Tunis, Kairo, Damaskus, Manama und Sanaa 2011 hatte gezeigt: Nur umfassende Reformen der dysfunktionalen Institutionen versprechen langfristig Besserung der miserablen Lebensbedingungen, nicht neue Antiterroreinsätze. Und die Lehre, die aus dem Antiterrorkampf nach 9/11 gezogen werden muss, lautet: Militärisch allein lassen sich die Gotteskrieger nicht besiegen.
Zwar konnte die Führung al-Qaidas im Irak vor einem Jahrzehnt zerschlagen werden. Doch in den Foltergefängnissen der amerikanischen Besatzer in Abu Ghraib und Camp Bukka organisierten sich die Kämpfer neu — es entstand der Vorgänger des Islamischen Staats, der sich im Zuge der Proteste gegen Baschar al-Assad rasch nach Syrien ausbreitete.
Auch in Ägyptens Gefängnissen wächst unter Militärmachthaber Abd al-Fattah al-Sisi eine neue Generation gewaltbereiter Islamisten heran.
Der neue Außenminister Gabriel hofiert die Militärjunta in Kairo trotz Zehntausender politischer Gefangener dennoch — Milliardengeschäfte für deutsche Energiekonzerne wollte er sich auch als Wirtschaftsminister nicht entgehen lassen. Man könne das Neunzigmillionenland am Nil nicht im Chaos versinken lassen, lautet die Logik hinter der augenzwinkernden Kumpanei mit dem einstigen Armeechef Sisi, „too big to fail“, die Formel einer Realpolitik, die Menschenrechte hintanstellt — und den Antiterrorkampf an erste Stelle setzt.
Seit dem Militärputsch 2013 gegen den ersten frei gewählten Präsidenten des Landes, den Muslimbruder Mohammed Mursi, konnte die Europäische Union unter anderem dank der deutschen Politik zum größten Rüstungslieferanten Ägyptens aufsteigen: Nicht nur Siemens, auch der U-Boot-Hersteller ThyssenKrupp Marine Systems profitiert von der Leisetreterei der Bundesregierung gegenüber Kairo.
Wie der „Krieg gegen den Terror“, der gegen al-Qaida geführt wurde, dient auch der gegen den IS, den arabischen Herrschern als Blankoscheck für den Ausbau ihrer Repressionsapparate zum eigenen Machterhalt. Deutschlands wichtigsten Bündnispartnern waren die Demonstrationen in Libyen, Tunesien, Ägypten, Syrien, Bahrain und Jemen von Anfang an ein Dorn im Auge, weil sie dadurch ihre eigene Herrschaft bedroht sahen. Allen voran Saudi-Arabien hat es sich seit 2011 zur Aufgabe gemacht, die Revolutionen in der Region einzudämmen und Proteste im eigenen Land im Keim zu ersticken.
Denn nichts fürchtet die Herrschaftsclique um König Salman bin Abd al-Aziz Al Saud mehr, als Proteste der stetig wachsenden jungen Bevölkerung. Rhetorisch auf einer Linie liegt das wahhabitische Königshaus dabei mit Syriens Diktator Assad, selbst wenn Salman islamistische Kräfte unterstützt, die den alawitischen Machthaber in Damaskus stürzen wollen. Doch Assads Lesart, dass terroristischen Bewegungen mit harter Hand begegnet werden müsse, teilt man in Riad — und zunehmend auch in den westlichen Hauptstädten.
Die Sichtweise, dass die einzige Alternative zu Assad al-Qaida oder eben der Islamische Staat sei, erklärt die Hinwendung der westlichen Staaten zu den repressiven Regimes der Region. Dass Menschenrechte dort flächendeckend missachtet werden, fällt gut ein halbes Jahrzehnt nach der Revolution auf dem Tahrir-Platz nicht mehr groß ins Gewicht — obwohl die von Berlin erhoffte Stabilität in Ägypten nicht eingekehrt ist. Auch dass die trügerische Ruhe in den repressiven Golfmonarchien ewig hält, glaubt angesichts des demografischen Drucks niemand. Dennoch konzentriert sich Deutschland mit seinen europäischen Partnern wieder auf die militärische Bekämpfung des Terrors — nicht auf jene, die sich Krieg und Staatsterror entgegenstellen. Welche Folgen diese kurzsichtige Politik für die Einwohner des arabischen Krisengürtels hat, wird dieses Buch zeigen. Gut sind sie nicht.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI): The SIPRI Top 100 Arms-Producing and Military Services Companies, 2015, SIPRI Fact Sheet, Stockholm, Dezember 2016.
(2) Trends in World Military Expenditure, 2015, SIPRI Fact Sheet, Stockholm, April 2016; 2016’s $1.57 Trillion Global Defence Spend to Kick off Decade of Growth, IHS Markit Says, IHS Markit, London, 12. Dezember 2016.
(3) U. S. Department of Defense: Operation Inherent Resolve, Washington 2017.
(4) Telefoninterview mit Ben Moores, Senior Analyst Aerospace, Defence & Security, IHS, London, 15. Juni 2016; siehe auch: Deutschland ist laut Jane‘s drittgrößter Exporteur von Rüstungsgütern, Spiegel online, 13. Juni 2016.
(5) Trends in World Military Expenditure, 2015, SIPRI Fact Sheet, April 2016.
(6) SIPRI: Military expenditure by region in constant US dollars, 1988 bis 2015, Stockholm 2016.
(7) Institute for Economics and Peace: Global Peace Index 2016, New York 2016.
(8) Freedom House: Freedom in the World 2016, Washington 2016.
(9) Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWI): Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter im Jahre 2015, Berlin 2016, Seiten 81 bis 85.
(10) BMWI: Entwicklung des Werts der Einzelgenehmigungen von 2005 bis 2016, Berlin 2016.
(11) BMWI: Verteilung des Werts der Einzelgenehmigungen auf Ländergruppen.
(12) Die Merkel-Doktrin, Spiegel 29/2012, Seite 20 bis 27.
(13) Sie leisten wirklich Großartiges unter schwierigsten Bedingungen, Deutschlandradio, 22. Mai 2010.
(14) Bundesregierung: Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr, Berlin 2016, Seite 81.
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