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Tödliche Hilfe

Tödliche Hilfe

Die Pharmaindustrie ist eines der gefährlichsten Kartelle der Welt. Teil 1/2.

Das Grundgesetz unseres Landes ist dem Buchstaben nach eine republikanische und demokratische Verfassung. Dem Grundgesetz liegt die auf die Aufklärung zurückgehende Vorstellung zugrunde, dass die Bevölkerung des Landes der Souverän ist und von ihr alle Macht ausgeht. Jeder Mensch ist von Natur aus frei, gleichwertig und niemandem Untertan, keiner anonymen Kapitalgesellschaft und auch nicht dem Staat.

Doch dieses politische Ideal hat mit der Realität, in der wir leben, immer weniger zu tun. Das gilt weltweit und ebenso bei uns in Deutschland. Denn Gesetze und Verordnungen werden immer mehr in Unternehmenskanzleien geschrieben und den Politikern von Lobbyverbänden eingeflüstert. Die Parlamentarier nicken oft nur das ab, was an anderer Stelle entschieden wurde. In vielen Fällen wissen die Politiker nicht wirklich, was sie beschließen. Der beste Beleg für diesen Verfall der Demokratie liefert ausgerechnet das Zitat eines hochrangigen Politikers, des Präsidenten der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, der in diesem Fall wohl ein wahres Wort gesprochen hat:

„Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter - Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt." (1)

Die wahre Macht im Staat haben immer mehr die Unternehmen, insbesondere die Kapitalgesellschaften. Da sie juristische Personen sind, unterliegen sie auch nicht dem Strafrecht, da sich in unserem Rechtssystem nur natürliche Personen strafbar machen können. Sie können sich dadurch fast immer der Verantwortung entziehen. Bei gravierenden Verstößen von Unternehmen, zum Beispiel gegen Umweltschutzgesetze, muss die persönliche Schuld einzelner Personen nachgewiesen werden. Dies ist jedoch in den meisten Fällen nicht gerichtsfest möglich, und so bleiben die meisten Verstöße ungeahndet.

Politik gegen die Pharmakonzerne ist unmöglich

Nirgendwo werden Einfluss und Macht der Unternehmen auf Politik und unsere Gesellschaft so deutlich wie bei der Automobil- und Pharmaindustrie.

Die Pharmakonzerne sind so mächtig, dass in Deutschland keine Politik gegen sie möglich ist. Als in den 1990er-Jahren eine Positivliste der wirksamen Medikamente erstellt werden sollte, lief die Pharmalobby Sturm, und das Gesetz wurde gekippt.

Doch damit nicht genug. Um die Politik auch noch zu demütigen, überreichte man ihr symbolisch die Liste geschreddert in tausend Schnipseln. In der 2008 gesendeten ZDF-Dokumentation „Das Pharmakartell“ (2) äußerte Horst Seehofer, der in den 1990ern Gesundheitsminister war, es sei noch niemanden gelungen, eine Positivliste einzuführen, auch ihm nicht. In der gleichen Dokumentation urteilt der Kriminologe Uwe Dolatar, dass die Pharmakonzerne in Deutschland machen könnten, was sie wollten.

Es wurde auch über den Fall meiner verstorben Frau berichtet, die sich 2005 das Leben genommen hatte – wenige Tage nach der Einnahme eines Antidepressivums. In Fachkreisen war schon seit Jahren bekannt, dass diese Medikamente das Suizidrisiko erhöhen können. Wenige Monate zuvor hatte die amerikanische Aufsichtsbehörde FDA deswegen einen solchen Warnhinweis zwingend vorgeschrieben (3). In Deutschland und Europa jedoch enthielt der Beipackzettel des Medikaments zu jener Zeit keinen Warnhinweis zum Suizidrisiko.

Was wie ein tragischer Einzelfall klingt, der immer mal wieder passieren kann, auch im besten Gesundheitssystem, hat jedoch tiefer liegende Gründe, die meistens unerwähnt bleiben. Welche besondere Rolle hierbei die Aufsichtsbehörde und unser Staat spielen, darauf wird – wenn überhaupt – in unseren Medien kaum eingegangen. Denn ohne Mitwirken und bewusstes Wegsehen der Aufsicht und unseres Staates wären viele Missstände und viele Skandale in unserem Gesundheitssystem nicht möglich. Das Beispiel, über das ich hier berichten werde, offenbart, dass in unserem Land sowohl in der Politik als auch im Staat die Interessen der Menschen immer weniger Beachtung finden.

Das geht sogar so weit, dass das Bundesministerium für Gesundheit Gesetze zum Schutz der Bürger gegen bedenkliche Arzneimittel bewusst missachtet. Auch Anfragen des Parlaments hierzu beantwortet die Bundesregierung nicht. Die gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion der Linken, die auf meine Bitte eine Kleine Anfrage gestellt hatte (4), äußerte sich in der Zeitschrift „Gute Pillen - schlechte Pillen“ (5) und in der Online-Ausgabe der Deutschen Apothekerzeitung dahingehend, dass die Bundesregierung die gut begründete Kritik nicht zur Kenntnis nimmt und sich schützend vor die Pharmakonzerne stellt. Dies sagt schon alles.

Hieran zeigt sich, dass es auch bei uns in Deutschland Strukturen gibt, die einige Tiefer Staat nennen. Es sind Strukturen hinter der offiziellen Fassade des Staates, die die Geschicke in unserem Land lenken, die bestimmen, was in den Nachrichten berichtet wird und welche Gesetze beschlossen oder aber verhindert werden, wenn sie den Herrschenden missfallen.

Beginnen möchte ich meine Geschichte mit einem Tag, an dem die Wahl des neuen Papstes die Berichterstattung in den Medien dominierte. Es ist der 19. April 2005, als nach vielen Jahrhunderten wieder ein Deutscher zum Papst gewählt wurde (6).

Black-Box Warnungen der FDA

Wenige Monate zuvor traf sich in London die Arbeitsgruppe für Human-Medizin zu einer Krisensitzung, um über das weitere Vorgehen bezüglich der SSRI-Antidepressiva zu beraten. Denn Anfang 2004 hatte ein Mitarbeiter der amerikanischen Arzneimittelaufsichtsbehörde FDA, der Food and Drug Administration, bei Kindern und Jugendlichen unter SSRI-Antidepressiva eine doppelt so hohe Rate von Selbstmorden im Vergleich zu Placebos festgestellt (7). Zu diesem Zeitpunkt enthielten weder die Fachinformation noch die Packungsbeilage der SSRI-Antidepressiva einen Warnhinweis zum Suizid-Risiko. Diese Medikamente standen jedoch schon seit Jahren in dem Verdacht, die Wahrscheinlichkeit von Selbstmorden zu erhöhen, doch von offizieller Seite wurde dies bisher immer wieder bestritten.

Nun hatte ein Mitarbeiter der FDA genau dies bestätigt. Doch auf der nächsten Sitzung der FDA sollte der Mitarbeiter hierüber nicht sprechen und sich stattdessen an eine genaue Anweisung seiner Vorgesetzten halten (8). Aber die Ergebnisse der internen Untersuchung kamen dennoch irgendwie ans Licht der Öffentlichkeit, was den Oberen der FDA missfiel. Sie erstatteten daher Anzeige gegen den unbekannten Informanten. Als im Herbst 2004 auch die Columbia Universität die Ergebnisse der FDA zum Suizid-Risiko der SSRI-Antidepressiva bei Kindern und Jugendlichen bestätigte, ordnete die FDA an, dass die Hersteller in einer Black-Box auf der Verpackung auf das erhöhte Suizid Risiko hinweisen müssten. Von diesen Vorgängen erfuhr die Öffentlichkeit in Deutschland und Europa jedoch nichts.

Die europäische Aufsichtsbehörde EMEA musste allerdings irgendwie auf diese neue Lage reagieren und ebenfalls das Suizid-Risiko der SSRI-Antidepressiva bei Kindern und Jugendlichen neu bewerten. Der Bericht der Arbeitsgruppe der EMEA ergab am 21. April 2005 das selbe Ergebnis wie der der FDA. Die Suizidalitätsrate unter SSRI-Antidepressiva war auch diesmal höher als unter Scheinmedikamenten. Doch bis auch in Europa Warnhinweise zum Suizidrisiko eingeführt wurden, sollte noch ein halbes Jahr vergehen.

Der Tag, der alles veränderte

Am Morgen des 21. April 2005 – es war ein Donnerstag – schien die Sonne in das Schlafzimmer, als ich mich auf den Weg zur Arbeit machte. Meine Frau war in der Nacht sehr unruhig gewesen, wie schon in den letzten Nächten, und erst gegen Morgen eingeschlafen. Sie schlief auch noch, als ich mich von ihr verabschiedete und fortfuhr. Es war das letzte Mal, dass ich sie gesehen habe.

Zwei Tage zuvor hatte meine Frau auf ärztliche Anweisung das Medikament abrupt abgesetzt, das sie erst wenige Tage eingenommen hatte. Als ich abends nach dem Sportstudio auf dem Weg nach Hause war, berichtete das Radio, dass die Entscheidung gefallen war: Die Welt hatte einen neuen Papst und weißer Rauch verkündete die frohe Botschaft.

Zuhause angekommen, war meine Frau hierüber nicht erfreut. Sie hatte gehofft, dass diesmal ein Reformer zum Papst gewählt würde, vielleicht jemand aus der Dritten Welt. Bloß nicht dieser Erzkonservative Kardinal Ratzinger, dachte sie.

Sie erzählte mir, dass sie am selben Tag bei der Ärztin gewesen sei und das Medikament nicht mehr nehmen würde. Es handelte sich um das Antidepressivum Zoloft der amerikanischen Firma Pfizer. Dieses wurde ihr von der Ärztin als „Stimmungsaufheller“ verschrieben, damit sie besser in den Tag kam. Denn in letzter Zeit ging es ihr nicht gut, seit sie vor mehr als einem Jahr ihre Arbeit verloren hatte. Ich fragte sie, ob es gut sei, das Medikament abrupt abzusetzen, da auch im Beipackzettel stand, man solle es langsam ausschleichen. Dies hatte meine Frau auch die Ärztin gefragt. Diese hatte ihr jedoch versichert, dass dies kein Problem sei, da sie das Medikament ja noch nicht so lange nehmen würde und auch in einer geringeren Dosis als üblich. Doch das war ein fataler Irrtum. Die Ärztin hatte ihr auch nicht gesagt, dass es gerade in dieser Phase besser wäre, wenn sie nicht allein zu Hause sei. Denn gerade wenn die Dosis geändert oder das Medikament vollständig abgesetzt wird, besteht ein erhöhtes Risiko, wie ich später erfahren habe.

Gegen Mittag erreichte mich auf der Arbeit der Anruf, dass meine Frau sich das Leben genommen hat. Sie hatte sich wenige hundert Meter von zuhause auf die Bahngleise gelegt und wurde von einem Güterzug überrollt.

Die Serotonin-Hypothese

Zum ersten Mal hatten meine Frau und ich von den SSRI-Antidepressiva in der Apotheken-Umschau gelesen. Das war im November 2004. Darin wurde auch über den Wirkmechanismus der modernen Antidepressiva geschrieben, wonach ein zu geringer Serotonin-Spiegel Depressionen verursachen würde und dies durch die modernen Antidepressiva, die sogenannten SSRIs, korrigiert werden könne, ähnlich wie Diabetes durch Insulin. Ein hochrangiger Arzt erklärte in dem Artikel, dass diese Mittel in über 70 Prozent der Fälle helfen würden und die SSRIs nur geringe Nebenwirkungen hätten. Dass dies aber alles nicht wissenschaftlich belegt ist und niemand bis heute wirklich weiß, wodurch Depressionen ausgelöst werden, dass die Serotonin-Hypothese in Wahrheit reines Marketing ist, davon wussten wir damals nichts.

Erst später habe ich erfahren, dass wenige Wochen vorher die amerikanische Aufsichtsbehörde FDA die Hersteller der SSRIs dazu verpflichtet hatte, in einer Black-Box vor dem Suizidrisiko der SSRIs zu warnen. In der Apotheken- Umschau stand hiervon natürlich nichts.

Strafanzeige gegen Pfizer

Da ich den starken Verdacht hatte, dass der Suizid meiner Frau durch das Medikament Zoloft® ausgelöst wurde und das Unternehmen Pfizer schon bei der Zulassung im Jahr 1996 wusste, dass das Suizid-Risiko unter Zoloft erhöht ist, hatte ich Strafanzeige gegen Pfizer wegen fahrlässiger Tötung und wegen Verstößen gegen das Arzneimittelgesetz eingereicht (9). Zuvor hatte ich fast ein Jahr lang alle Belege aus dem Internet gesammelt, um meine Anzeige zu belegen. Dabei bin ich auch auf das Memorandum eines FDA-Mitarbeiters vom Februar 2004 gestoßen, welches zu dem Ergebnis kam, dass die Suizidalitätsrate unter den SSRI-Antidepressiva, zu denen auch Zoloft (Wirkstoff Sertralin) gehört, bei Kindern und Jugendlichen doppelt so hoch war wie unter Placebos.

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Ferner hatte ich in der Strafanzeige auch auf Unterlagen aus einer öffentlichen Sitzung aus dem Jahr 1991 der amerikanischen Aufsichtsbehörde FDA verwiesen, in der Angehörige über Suizide und Gewalttaten nach der Einnahme von Prozac, dem ersten zugelassen SSRI-Antidepressivum, berichteten (10).

Die Gerichte blockieren

Doch die Staatsanwaltschaft Karlsruhe wies meine Strafanzeige als unbegründet zurück. Trotz zahlreicher Belege, aus denen hervorging, dass das erhöhte Suizidrisiko dem Unternehmen Pfizer bekannt gewesen sein musste oder Pfizer dies hätte vermuten können (11), weigerte sich die Staatsanwaltschaft, ein offizielles Untersuchungsverfahren einzuleiten, um dem gut begründeten Verdacht nachzugehen. Auch ein Widerspruch scheiterte, ebenso wie ein Antrag auf Erhebung der Anklage.

Die Begründung für den Antrag auf Erhebung der Anklage hatte größtenteils ich formuliert, da dies in der Kürze der Zeit von nur vier Wochen, die wir zur Verfügung hatten, nicht anders möglich war und die Anwältin nicht so mit dem Thema vertraut war wie ich. Doch trotz einer Erklärung der Anwältin, dass sie sich meine Argumentation zu eigen mache, wurde der Antrag aus formaljuristischen Gründen für unzulässig erklärt. Um dies festzustellen, brauchte die Staatsanwaltschaft fast ein dreiviertel Jahr. Da sie unsere Begründung nicht widerlegen konnte, blieben ihr letztendlich nur juristische Winkelzüge, um nicht tätig werden zu müssen. Dies war das erste, aber nicht einzige Mal, dass staatliche Institutionen einseitig Partei ergriffen haben, um das Unternehmen Pfizer zu schützen, und hiermit ihre Pflicht zur Unabhängigkeit verletzten.

Das Argument, mit der die Strafanzeige zurückgewiesen wurde, zeigt im vollen Ausmaß, wie sehr der Justizapparat sich zum Helfershelfer der Industrie gemacht hat und wie Gesetze zum Schutz der Bürger mit Füßen getreten werden.

Die Staatsanwaltschaft hatte entgegnet, es könne nicht mit der bei Gericht erforderlichen Sicherheit bewiesen werden, dass das Medikament den Suizid ausgelöst habe, andere Ursachen seien ebenfalls möglich. Daher bestand auch ihrer Ansicht nach keine Grundlage für staatsanwaltliche Ermittlungen. Dies ist quasi ein Freibrief par excellence für die Pharmaindustrie. Da es bei schweren Nebenwirkungen meistens mehrere Ursachen geben kann und neben dem verdächtigen Medikament zum Beispiel bei einem erlittenen Herzinfarkt auch Vorerkrankungen, Nikotinkonsum oder Übergewicht als Risikofaktoren in Frage kommen, ist es in der Regel nicht möglich, mit der bei Gericht geforderten Sicherheit zu belegen, dass das verdächtigte Medikament die alleinige Ursache für eine schwere Nebenwirkung war. Dadurch ist es den Pharmaunternehmen bisher stets gelungen, strafrechtliche Untersuchungen der Staatsanwaltschaft abzuwenden.

Selbst wenn durch Studien bewiesen werden kann, dass ein Medikament ein bestimmtes Risiko erhöht – zum Beispiel das Thromboserisiko bei den neueren Antibabypillen, das Risiko eines Herzinfarkts bei COX2-Hemmern wie Vioxx oder das Suizidrisiko bei den SSRI-Antidepressiva –, reicht dies für staatsanwaltliche Ermittlungen nicht aus. Selbst dann liegt die Beweislast beim Geschädigten beziehungsweise den Angehörigen. Es muss immer in jedem Einzelfall bewiesen werden, dass das Medikament die alleinige Ursache für die Nebenwirkungen war, was aber in der Regel nicht möglich ist. Dies ist die Verrechtlichung von Unrecht, wie Prof. Rainer Mausfeld es nennt (12). Die Pharmaindustrie hat durch intensiven Lobbyismus erreicht, dass die Gesetze eine Verfolgung von Unrecht verhindern.

Ein Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz?

Doch auch wenn die Anzeige wegen fahrlässiger Tötung abgewiesen wurden und die Staatsanwaltschaft keine Ermittlungen einleitete, so blieb noch die Anzeige wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz. Der Vorwurf gegen das Unternehmen war, dass das erhöhte Suizidrisiko des Medikamentes Zoloft dem Unternehmen bekannt gewesen sein musste und es hierauf über viele Jahre nicht hingewiesen hat. Dies wäre ein klarer Verstoß gegen die Anzeigepflichten des Arzneimittelgesetzes.

Die Akten zu meiner Anzeige leitete die Staatsanwaltschaft Karlsruhe daher Mitte 2007 an das Regierungspräsidium in Karlsruhe weiter. Das Regierungspräsidium erklärte jedoch, dass es für die zur Last gelegten Verstöße nicht zuständig sei, sondern das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn, und schickte also die Akten Anfang Februar 2008 wieder zurück an die Staatsanwaltschaft. In dem Begleitschreiben, das mir aufgrund einer Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den diensthabenden Staatsanwalt zur Verfügung gestellt wurde, schrieb das Regierungspräsidium, es bleibe der Staatsanwaltschaft überlassen, das BfArM in dieser Angelegenheit hinzuziehen.

Mehrere Monate geschah zunächst nichts. Doch dann Anfang Mai 2008, kurz nach Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist bei Ordnungswidrigkeiten – Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz werden nur als Ordnungswidrigkeiten eingestuft –, soll es angeblich einen Telefonanruf der Staatsanwaltschaft Karlsruhe beim BfArM in Bonn gegeben haben. In einer kurzen Randnotiz hielt die Staatsanwaltschaft in der Akte fest, dass eine Zusendung der Akten meiner Anzeige nicht für erforderlich gehalten wurde und man deswegen darauf verzichtete, da dem BfArM mein Fall bereits bekannt war.

Die Gerichte mauern

Ich hatte Anfang 2006 beim BfArM einen Antrag auf Akteneinsicht nach §84 des Arzneimittelgesetzes gestellt. Doch die Anzeige wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz war hiervon unabhängig und begründete nicht den Verdacht, dass gegen bestehende Gesetze verstoßen wurde. Auf Nachfrage beim BfArM konnte sich auch niemand an einen Anruf oder eine Anfrage der Staatsanwaltschaft Karlsruhe erinnern. In der Akte der Staatsanwaltschaft war auch weder die Telefonnummer noch der Name notiert, mit dem man beim BfArM gesprochen haben will. Dass man bei der Staatsanwaltschaft die Akten derart schlampig geführt hat, ist eigentlich nicht vorstellbar, erst recht nicht im Bundesland Baden-Württemberg.

Es ist auch höchst merkwürdig, dass die Staatsanwaltschaft Karlsruhe von Februar bis Anfang Mai 2008 mit diesem Anruf beim BfArM gewartet hat, bis die Vorwürfe der Anzeige verjährt waren. Welchen Zweck soll der Anruf bei BfArM jetzt noch gehabt haben, da man ohnehin nicht mehr ermitteln konnte? In der Akte der Staatsanwaltschaft war dies abschließend auch so festgehalten worden, dass die Verstöße inzwischen verjährt sind.

Da auch die Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Staatsanwalt zurück gewiesen wurde, hatte ich mich beim Ministerpräsidenten des Landes über das Verfahren beschwert. Ich führte an, dass der Staatsanwalt hier das Recht gebeugt hatte und ganz bewusst keine Maßnahmen eingeleitet wurden, um die Verjährung zu verhindern. Auch wurde bewusst abgewartet, bis die Vorwürfe verjährt waren. Zu diesem Zeitpunkt war Winfried Kretschmann von den Grünen Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Doch außer einer Beileidsbekundung kam auch von ihm nichts. Irgendwann erklärte das Präsidium des Ministerpräsidenten, weitere Fragen werde man nicht beantworten und betrachte die Sache als abgeschlossen. Es zeigt sich hier wie auch an späterer Stelle, dass –, immer wenn es kritisch wird – Regierungen die Antwort verweigern und keine weiteren Fragen zulassen.

Der machtlose Souverän

Unser neoliberaler Staat ist schon lange kein guter Vater Staat mehr, wie vielleicht einige immer noch meinen. Während er die Interessen der Mächtigen und Besitzenden schützt – zum Beispiel durch liberale Steuergesetze oder durch den Schutz von Privateigentum, werden die Bürger zunehmend überwacht und ihre Rechte eingeschränkt. Inzwischen kann in Bayern sogar unbeschränkt inhaftiert werden, wer als Gefährder gilt (13). Auf Antrag der Polizei können Richter eine beliebig lange Haft anordnen, wenn dies als unerlässlich betrachtet wird, um eine drohende Gefahr für die Allgemeinheit abzuwenden. Dieser Tatbestand ist damit nicht nur auf Islamisten beschränkt und könnte auch bei denjenigen angewendet werden, die das System gefährden oder gefährden könnten.

Wer sich gegen bestehendes Unrecht auflehnt und unser System hinterfragt, der wird von Staatsbeamten schnell als Querulant beschimpft, wie ich es selbst erlebt habe. Denn obwohl sie sehr wohl die Wahrheit kennen oder doch zumindest erahnen, unternehmen sie nichts, wie es ihre Pflicht wäre.

Sie erhalten somit das System und sorgen dafür, dass sich nichts ändern kann. Auch hierin zeigt sich der Tiefe Staat.


Quellen und Anmerkungen:

(1) Die Brüsseler Republik, Der Spiegel, 27. Dezember 1999, http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-15317086.html
(2) Das Pharmakartell : https://de.wikipedia.org/wiki/Das_Pharmakartell
(3) FDA Black-Box-Warning , 15.10.2004: http://wayback.archive-it.org/7993/20161024080940/http://www.fda.gov/Drugs/DrugSafety/PostmarketDrugSafetyInformationforPatientsandProviders/ucm161679.htm
(4) Kleine Anfrage zu Antidepressiva, Antwort der Bundesregierung, 30.08.2017, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/134/1813452.pdf
(5) Gute Pillen – schlechte Pillen, SSRI- Antidepressiva, Zulassung in der Kritik, 01/2018, http://gutepillen-schlechtepillen.de/ssri-antidepressiva/
(6) Wir sind Papst, Bild-Zeitung, 20.04.2005, https://de.wikipedia.org/wiki/Wir_sind_Papst!

(7) Mosholder review, August 2004, https://www.fda.gov/ohrms/dockets/ac/04/briefing/2004-4065b1-11-TAB09a-Mosholder-review.pdf
(8) United State Senate Committee on Finance, Senator Grassley’s Testimony to House Oversight Hearing on the Adequacy of FDA Efforts to Assure the Safety of the Drug Supply, 13.02.2007, https://www.finance.senate.gov/ranking-members-news/-senator-grassleys-testimony-to-house-oversight-hearing-on-the-adequacy-of-fda-efforts-to-assure-the-safety-of-the-drug-supply
(9) Focus-Magazin, 18.02.2008, https://www.focus.de/gesundheit/news/psycho-medikamente-die-unglueckspillen_aid_261754.htm
(10) FDA , Psychopharmacological Drugs Advisory Committee, 20.09.1991 , https://www.fda.gov/ohrms/dockets/ac/prozac/2443T1.PDF
(11) Dr. Roger Lane, Pfizer, interne Email 20.01.1994, https://www.dropbox.com/s/sp60f1i46a8d1k5/1994-01-20%20Roger%20Lane%20Pfizer%20Use%20of%20ZOLOFT.pdf?dl=0
(12) Interview Prof. Mausfeld mit Ken Jebsen, 5.08.2016, http://wwwmayr.informatik.tu-muenchen.de/personen/meixner/InterviewKenJebsenMitRainerMausfeld.pdf
(13) Süddeutsche Zeitung vom 27.02.2017 http://www.sueddeutsche.de/bayern/terror-abwehr-bayern-will-gefaehrder-unbefristet-einsperren-1.3397600


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