Die Dokumentation „Tod einer Polizistin – Das kurze Leben der Michèle Kiesewetter“ von Katja und Clemens Riha, die in der ARD am 24. April 2017 ausgestrahlt wurde, schlägt Wellen.
Es geht um den Mordanschlag in Heilbronn 2007, bei dem die Polizistin Michèle Kiesewetter getötet und ihr Kollege Martin Arnold schwer verletzt wurden.
Nachdem die Redakteurin der Süddeutschen Zeitung die Dokumentation als „krude“ bezeichnet hatte, um die Programmdirektoren dazu aufzufordern, uns so etwas nicht länger „vorzusetzen“, betritt nun auch der Vorsitzende des parlamentarischen Untersuchungsausschusses in Baden-Württemberg, Wolfgang Drexler (SPD) die Arena, um der Redakteurin zu sekundieren. Dabei fällt kein einziges Mal das Wort Zensur. Beide können sich darauf verlassen, dass sie genau so verstanden werden.
Die polizeilichen Ermittlungen zum Mordanschlag in Heilbronn 2007 führten zu dem Ergebnis, dass „vier bis sechs“ Täter daran beteiligt gewesen sein müssen. Nachdem sich die neonazistische Terrorgruppe „NSU“ Ende 2011 selbst bekannt gemacht hatte und man die entwendeten Dienstwaffen in dem Campingwagen fand, in dem die beiden NSU-Mitglieder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt tot aufgefunden wurden, machte man den NSU dafür verantwortlich. Auch eine Jogginghose dient als Beweis für diese Zwei-Täter-These. „In der ausgebrannten Wohnung des NSU-Trios in Zwickau wurde eine Jogginghose mit Taschentüchern von Mundlos entdeckt. Darauf fanden sich Blutspritzer von Kiesewetter. Der Träger muss laut einem Gutachter bei der Tat in Heilbronn dabei gewesen sein.“ (Die neun größten Rätsel, swr.de 9.12.2015)
Zu dieser These gibt es zahlreiche Widersprüche. Unter anderem äußerte sich der damalige SOKO-Chef Alex Mögelin auf die Frage: "Was haben Sie gefunden, was darauf deutet, dass Mundlos und Böhnhardt in Heilbronn waren?" vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Baden-Württemberg wie folgt: „Bei den objektiven Spuren: nichts.“ (Südwest Presse vom 29.5.2015)
Vor allem das Motiv dieser Mordtat ist völlig freischwebend und begründungsfrei: Die NSU-Mitglieder wollten in den Besitz von Polizeiwaffen kommen. Bis heute gibt es auf die Frage des jetzigen PUA-Vorsitzenden Binninger in Berlin keine plausible Antwort: Warum sollten bereits schwerbewaffnete NSU-Mitglieder 450 Kilometer fahren, um an zwei Dienstwaffen zu gelangen? Nicht minder unbeantwortet bleibt die Frage, warum man dafür Polizisten ermordet und das an einem Ort, wo Dutzende Aussteller für ein bevorstehendes Volksfest Zeugen sein könnten?
Es war also nicht nur sinnvoll, sondern geradezu notwendig, der Frage nachzugehen, ob die vorhandenen Beweismittel auch einen anderen Geschehensablauf zulassen und ein anderes Motiv glaubhaft machen können. Dies unternimmt diese Dokumentation.
Schon am Tag der Ausstrahlung veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung einen Filmverriss: Man warf den Filmemachern vor, sich im „Dschungel von Verschwörungstheorien“ zu bewegen. Was sie der offiziellen Version entgegenhalten, sei „krude“.
Kurz danach folgte diesem Aufruf auch der PUA-Vorsitzende in Baden-Württemberg Wolfgang Drexler mit einer Pressemitteilung vom 26. April 2017. Über diese Verlautbarung und deren Wahrheitsgehalt spreche ich mit dem Journalisten **Thomas Moser. Er hat über Jahre die PUA in Stuttgart und Berlin verfolgt, hat gerade auch in Baden-Württemberg eigene Recherchen unternommen und zahlreiche Radiobeiträge verfasst und sich an der hier zu Rede stehenden Dokumentation beteiligt.
Ein Interview mit dem Journalisten Thomas Moser
Herr Moser, gehen wir die Pressemitteilung des PUA-Vorsitzenden Drexler von oben nach unten durch. Eingangs betont er, dass er sich „ansonsten stets bewusst überaus zurück(halte) bei der Bewertung auch bisweilen weniger sachlicher Medienbeiträge.“ Stimmt das?
Der Satz geht ja noch weiter. Drexler schreibt, dass er die Intendanten der ARD angeschrieben habe und die Einhaltung journalistischer Grundsätze nach dem Rundfunkstaatsvertrag angemahnt habe. Er wendet sich nicht etwa an die verantwortlichen Redaktionen, sondern geht auf die politische Ebene. Das ist Denunziation. Und das geschieht bei Drexler nicht das erste Mal.
Vor knapp zwei Jahren haben Clemens und Katja Riha eine erste große NSU-Dokumentation gedreht. Damals für 3sat mit dem Titel: „NSU – Der Kampf um die Wahrheit“. Sie haben auch damals im Untersuchungsausschuss in Stuttgart gedreht. Schon über diesen Film hat sich Drexler beschwert, schon damals nicht etwa bei der Redaktion, sondern beim Intendanten des ZDF. Kurz danach hat der Sender den Film aus dem Programm genommen. Er wurde nie wieder ausgestrahlt.
Wolfgang Drexler hält es für „perfide“, wenn die Dokumentation den Versuch mache, „unmittelbare Kontakte von Michèle K. zu Rechtsextremen zu unterstellen.“
Da bin ich vielleicht der falsche Adressat, weil ich den Film nicht zu verantworten habe. Aber wenn ich als Beobachter gefragt werde, muss ich sagen: Dieser Anwurf ist komplett daneben. Der Film dokumentiert, wie vor Jahren, zum Beispiel durch eine Reporterin des SWR, die Familie Kiesewetter in die rechte Nähe gerückt wurde. Der Film zeigt das auf und behauptet das nicht. Clemens Riha lässt ja den Bürgermeister von Oberweißbach, dem Heimatort Kieswetters, zu Wort kommen, der diesen Vorwurf kontert. Drexler hat das offensichtlich schlicht nicht verstanden – oder nicht verstehen wollen, weil es ihm möglicherweise darum ging, irgend etwas gegen den Film zu finden und wenn man es an den Haaren herbeizieht. Das zeigt sich auch an seiner Wortwahl „perfide“. Wenn, dann müsste Drexler den SWR dafür attackieren, aber nicht die Rihas.
Wolfgang Drexler führt für die unumstößliche „Zwei-Täter-Theorie“ eine Teileinlassung von Beate Zschäpe im Prozess aus, die die Dokumentation „gänzlich ignoriert“ habe. Dort habe das NSU-Mitglied die „Täterschaft von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos (auch) an der Tat von Heilbronn einräumt“. Wie wichtig ist diese Einlassung?
Wenn es Zweifel an der (Allein-)Täterschaft der zwei Uwes gibt, - und die sind mehr als berechtigt - warum soll dann Zschäpe, die Komplizin der zwei, die Kronzeugin sein? Die Kronzeugen für eine andere Version sind die Ermittler der SoKo Parkplatz, die – vor November 2011 – auf mindestens vier bis sechs Täter kamen. Dass Zschäpe die offizielle Zwei-Täter-Theorie stützt, ist in der Tat auffällig, fügt den tausenden Ungereimtheiten im NSU-Komplex aber nur eine weitere hinzu.
Im weiteren Verlauf seiner Mitteilung kommt Wolfgang Drexler auf die zahlreichen Todesfälle in Baden-Württemberg zu sprechen, die die Frage aufgeworfen hatten: Warum sterben potenzielle Zeuge so jung und auf so ungewöhnliche Weise? Drexler sagt dazu klipp und klar, dass die „Todesfälle im Komplex Florian H.“ aufgearbeitet wurden, sprich: „der Verdacht von Fremdverschulden jeweils plausibel ausgeräumt“ seien. Wie plausibel ist das?
Tut mir leid, aber hier sagt dieser Mann, immerhin Landtagsabgeordneter, Sozialdemokrat, die Unwahrheit, meiner Meinung nach bewusst. Die Untersuchung des Todesfalles Florian H. hat dieser Ausschuss mittendrin abgebrochen und nicht zu Ende geführt. Anlass war die Weigerung der Familie H., dem Ausschuss Geräte Florians zu übergeben, weil sie das Vertrauen in den Ausschuss verloren hatte. Daraufhin hat Drexler eine Hausdurchsuchung bei den H.s durchführen lassen. Anschließend hat der Ausschuss seine Nachforschungen zum Tod von Florian demonstrativ eingestellt.
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart erklärt zwar, Florian H. habe Suizid begangen, restlos belegt ist das aber nicht. Ein Gutachter stellte fest, dass der junge Mann einen tödlichen Medikamentenmix intus hatte und handlungsunfähig war, als der Wagen explodierte. Florian H. ist in seinem Auto verbrannt. Dann folgte der zweite Todesfall, der die Ex-Freundin von Florian H. betraf, Melisa M. Sie starb an einer Lungenembolie. Das ist zweifelsfrei. Wie aber das Blutgerinnsel zustande kam, das die Lungenembolie ausgelöst hat, können die Gerichtsmediziner nicht sagen. Der Ausschuss hat sich mit diesem Todesfall überhaupt nicht beschäftigt. Drexler hat das damit begründet, dass das ja gar nicht durch den Untersuchungsauftrag gedeckt sei.
Etwas Befremdlicheres habe ich selten gehört. Nach der Drexlerschen Logik hätte man bei der Beschlussfassung des U-Auftrages ja geradezu davon ausgehen müssen, dass eine Zeugin, dass Melisa stirbt, um ihren Tod untersuchen zu können. Als drittes starb dann der neue Freund von Melisa, Sascha W. Er soll sich erhängt haben. Aber er war in einer neuen Beziehung und seine Frau erwartete ein Kind. Auch diesen Todesfall hat der Ausschuss nicht untersucht. Wir sind bei unseren Recherchen an den Nachbar geraten, der beide – Melisa und Sascha – gut kannte.
Von Beruf ist der Mann übrigens Polizist. Er hat uns erzählt, dass Melisa nach ihrer Vernehmung im Ausschuss Bedrohungen erhalten habe – „um ihr Leben“, sagte er wörtlich. Die Szene findet sich im Film. Doch was macht der NSU-Ausschuss und sein Vorsitzender in Stuttgart? Statt sich für diesen Zeugen zu interessieren und ihn zu laden, wird alles als „ausgeräumt“ erklärt. Dieser Ausschuss leistet einen Offenbarungseid. Tatsächlich will er nicht aufklären, sondern so tun als ob. Ich finde das unerträglich.
Am Ende seiner Pressemitteilung greift Drexler das „Urteil einer profunden Journalistin“ auf. Es handelt sich dabei um eine Redakteurin der Süddeutschen Zeitung, der er sich nur anschließen könne, „die schreibt, dass es ‚um so ärgerlicher sei, im öffentlich-rechtlichen Fernsehen eine krude Story vorgesetzt zu bekommen, die nicht zur Erkenntnis, sondern geradewegs hinein in den Dschungel der Verschwörungstheorien’ führe.“ Diese fordert ziemlich direkt die Programmdirektoren dazu auf, uns nicht länger solche „kruden Stories“ vorzusetzen. Kann man so etwas als Repressionsdrohung verstehen?
Wenn uns diese Story nicht vorgesetzt werden soll, heißt das, sie muss verschwinden. Das ist Zensur. Mit dem ersten Riha-Film ist das ja passiert. Mit dem zweiten soll, wenn es nach Anette Ramelsberger und Wolfgang Drexler geht – und er zitiert sie ja wahrscheinlich nicht aus Versehen – dasselbe geschehen.
Das ist bedenklich. Es ist aber mehr. Es ist die Demonstration des Misstrauens in Redaktionen und ihre Arbeit, ein Angriff auf die innere Pressefreiheit könnte man sagen. Der Film wurde vorgeschlagen und angenommen. Er wurde von verantwortlichen Redakteuren und Redakteurinnen betreut. Er wurde redaktionell abgenommen und produziert. Das alles soll nicht mehr gelten. Wenn so ein Film kassiert wird, – und der erste wurde ja kassiert – wird zugleich eine Redaktion entmündigt und zerstört.
Wissen Sie, wie die Filmemacher auf diese Pressemitteilung reagieren werden bzw. wie sie diese Art der „Diskussion“ erleben?
Ich weiß ein bisschen etwas. Aber hier möchte ich bewusst nicht für Katja und Clemens Riha antworten. Das sollen sie selber können. Sie haben das Recht dazu. Leider muss man nämlich feststellen, dass ihnen dieses Recht nicht von allen Medien gewährt wird. Medien haben die Pressemitteilung von Drexler veröffentlicht, ohne eine Stellungnahme der Rihas einzuholen. Die so hochgehaltene Sorgfaltspflicht als Standard, alle Seiten zu Wort kommen zu lassen, scheint manchmal nicht opportun zu sein.
Ich danke sehr für das Gespräch.
Redaktionelle Anmerkung: Wer die Dokumentation nicht gesehen hat und mehr über die Hintergründe dazu wissen möchte, dem legen wir diesen Beitrag hier ans Herz.
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