Legitime Gewalt
Wenn wir voraussetzen, dass Gewalt als Mittel der Konfliktlösung abzulehnen ist, dann stellt sich die Frage, weshalb der Staat gerade zu diesem Mittel greift, wenn es darum geht, Konflikte mit der eigenen Bevölkerung zu lösen.
Der Staat verfügt über das Monopol an der Gewalt. Durch seine Organe übt er Gewalt auf die Bevölkerung aus, nicht nur, wenn diese die vom Staat gesetzte Ordnung infrage stellt. Dies gilt als legitim. Beim G20-Gipfel in Hamburg am 7. und 8. Juli 2017 ist dieses Verständnis von legitimer Gewalt allen deutlich zu Bewusstsein gebracht worden. Der massive Einsatz von Polizeigewalt gegen Demonstrierende wurde von den Vertretern der herrschenden Parteien und von den Herrschaftsmedien gerechtfertigt.
Gewalt, ausgeübt durch den Staat gegen die Bevölkerung ist demnach legitim. Aber wer legitimiert den Staat? Ist es nicht die Bevölkerung? Geht nicht alle Staatsgewalt vom Volke aus, ist nicht das Volk der Souverän? Dieser offiziellen Erzählung gegenüber steht eine andere Auffassung des Verhältnisses von Volk und Staat. Dem faschistischen Staatsrechtler Carl Schmitt zufolge ist Souverän, wer über den Ausnahmezustand verfügt. Über den Ausnahmezustand verfügt nach Schmitt aber nicht das Volk, sondern der Staat. In Hamburg verhängte die Regierung den Ausnahmezustand über einen Teil der Stadt und setzte damit die Grundrechte außer Kraft. Sie hat sich dazu selbst legitimiert. Kritische Bürgerinnen und Bürger wurden zu Feinden erklärt und von der Polizei mit brutaler Härte bekämpft.
Strukturelle Gewalt
Aber leben wir nicht in einer Demokratie? Wie kann es sein, dass Regierung und Polizei gegen die Bevölkerung den Ausnahmezustand erklären können und somit den Einsatz von Gewalt rechtfertigen? Sind die Ministerinnen und Minister nicht an die Verfassung gebunden? Sind sie nicht gestellt von Parteien und durch Wahlen demokratisch legitimiert? Wie kann es also sein, dass in einer demokratischen Gesellschaft, in welcher die Bürgerinnen und Bürger durch in der Verfassung festgeschriebene Grundrechte vor der Gewalt durch den Staat geschützt sind und die Parlamente durch freie Wahlen zustande kommen, der Staat diese Grundrechte nach Belieben außer Kraft setzen kann?
In der Kritik stehen konsequenterweise also diese demokratische Verfasstheit selbst und das mit ihr verbundene parlamentarische System. Die durch die Parteien gebildete Mehrheit in den Parlamenten erfüllt die Aufgabe, die Interessen der Besitzer von Eigentum und Vermögen gegen die Ansprüche der Menschen zu verteidigen, die diese Werte schaffen. Eine echte Demokratie und gerechte Verhältnisse können auf diesem Wege völlig legitim für alle Zeiten verhindert werden. Dies ist aber nichts anderes als Gewalt. Diese strukturelle Gewalt wird durch die Organisation des Staates auf die Bevölkerung ausgeübt. Ziel muss also die grundsätzliche De-Legitimierung von Gewalt sein, auch jener, die sich durch Wahlen, Parteien, Gesetze und Staatlichkeit den Anschein der Legitimität verleiht. In einer gewaltfreien Gesellschaft ist das Gewaltverhältnis mit dem Staat überwunden und die Menschen begegnen einander als Menschen.
Gewaltenteilung
Im modernen Staat teilen sich die Gewalten in die rechtsprechende, die gesetzgebende und die ausführende Gewalt, oder Judikative, Legislative und Exekutive. Die Organe dieser Gewalten sind an die Verfassung gebunden. In Bayern hat am 19. Juli 2017, also nur wenige Tage nach dem Gipfel in Hamburg, das bayerische Parlament mehrheitlich einen Gesetzentwurf von Innenminister Joachim Herrmann beschlossen, welcher die verfassungsrechtlich garantierten Schutzrechte der Bürgerinnen und Bürger vor dem Staat drastisch einschränkt. Dem bayerischen Innenminister sei wichtig, „die Bürger noch besser vor hochgefährlichen Menschen zu schützen, seien es beispielsweise Islamisten, Linksextreme oder Rechtsextreme“, wie es auf der Internetseite des bayerischen Innenministeriums heißt. Mit vier Änderungen im Polizeiaufgabengesetz will Herrmann rechtstaatliche Grundprinzipien, die seit der Magna Charta als selbstverständlich gelten, auf legitimem Wege annullieren.
Polizeiaufgabengesetz gegen Grundrechte
Menschen, deren Verhalten der Regierung nicht passt, werden als „Gefährder“ kategorisiert. Durch diesen Vorgang verlieren sie ihre Grundrechte. Sie dürfen jetzt solange in polizeilichen Gewahrsam genommen werden, wie ein Richter dies von Fall zu Fall entscheidet. „Damit können wir den Betreffenden solange präventiv festhalten, bis keine konkrete erhebliche Gefahr mehr von ihm ausgeht“, erklärt Innenminister Herrmann. Mit dieser modernen Version einer „Schutzhaft“ ist es nun rechtlich möglich, alle der Regierung unliebsamen Menschen aus dem Verkehr zu ziehen. Das Vergehen liegt darin, der Regierung nicht zu gefallen.
Mit einer elektronischen Fußfessel können die entrechteten Menschen dann von den Behörden immer und überall überwacht werden. Auch die Kommunikation muss freilich von den Behörden stärker ausgeschnüffelt werden. Verschlüsselte Kommunikation im Internet, wie über „WhatsApp“ oder „Skype“, ist für die Regierung in Zukunft kein Hindernis mehr. Natürlich nur zur Gefahrenabwehr und auf richterliche Anordnung. Auch wenn Menschen vielleicht oppositionelle Gedanken, oder damit verbundene Handlungsmöglichkeiten, entwickeln und ausarbeiten, kann nun die Polizei präventiv eingreifen. Denn schon der Gedanke ist strafbar! Damit er sich gar nicht erst entwickeln kann, „müssen der Polizei auch Maßnahmen zur Gefahrenerforschung und erforderlichenfalls auch zur Gefahrenabwehr gestattet sein“, so der Innenminister.
Wenn alle diese Maßnahmen umgesetzt werden, dann können die Menschen in Bayern in Sicherheit leben. In einer wunderbaren Zusammenarbeit haben das Parlament, die Justiz und die Regierung elementare Freiheitsrechte geschliffen und außer Kraft gesetzt. Aber das wichtigste Recht bleibt ja weiterhin bestehen: das Eigentumsrecht. „Unsere“ parlamentarische Demokratie hat ihr Soll erfüllt.
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