Es lassen sich nicht nur weltweit Massenproteste von Erwachsenen beobachten, sondern insbesondere die Jugend ist es, die sich gegen Gewalt und Klimazerstörung zur Wehr setzt. Die US-amerikanischen SchülerInnen forderten beispielsweise im März 2018 beim „March for our lives“ sehr deutlich und lautstark eine gesellschaftliche Transformation im Bereich der Waffenindustrie und der sie kontrollierenden Gesetze, gegen die Interessen der Waffenlobby und der damit verbundenen Politik.
Anlässlich der Serie von Massenmorden in US-amerikanischen Schulen solidarisierten sich circa 800.000 SchülerInnen und Erwachsene zu einer eindrucksvollen Demonstration, die von Überlebenden des Massakers an der Marjory Stoneman Douglas High School in Parkland (Florida) mit dem Ziel organisiert wurde, eine längerfristige politische Bewegung gegen die Aktivitäten der US-Waffenlobby, insbesondere der National Rifle Association (NRA, Nationale Gewehr-Vereinigung) der entsprechenden Waffenindustrie und der von ihnen bezahlten Politiker aufzubauen (1).
Ebenfalls stellt der weltweit vorfindbare Widerstand indigener Völker und ihrer Unterstützergruppen gegen die Zerstörung ihrer lebensweltlichen und natürlichen Grundlagen durch die Fossilindustrie eine weitere nicht zu unterschätzende Gegenbewegung gegen den Raubbau an der Natur und der Klimazerstörung dar. Das Volk der Ogoni in Nigeria, die Sioux in Nord-Dakota, indigene Bewohner des Regenwaldes in Brasilien oder die Cree Nation im Norden Albertas führen einen Kampf mit Öffentlichkeitsarbeit, Blockaden, rechtlichen Auseinandersetzungen und Protestcamps gegen die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen. Sie politisieren sich im Laufe dieser Auseinandersetzungen und erkennen den Zusammenhang zwischen Kapitalismus, staatlicher Repression und der Vernichtung natürlicher Lebensräume. Junge Menschen arbeiten hier im Widerstand gegen die Fossilindustrie mit den älteren Generationen zusammen.
Auch dass zum Beispiel im März 2019 weltweit Schülerproteste in Verbindung mit Schulstreiks gegen die Zerstörung des Klimas und für effektiven und zeitnahen Klimaschutz in circa 2.000 Städten in 120 Ländern stattfanden (2), ist ein Zeichen dafür, dass sich in der Schülergeneration engagierter zivilgesellschaftlicher Widerstand formiert. Allein in Berlin waren 25.000 Schülerinnen und Schüler am Streik beteiligt (3).
Ein halbes Jahr später waren es zum Beispiel in Berlin bereits 240.000 Personen und weltweit mehrere Millionen Jugendliche, die den Klimastreik unterstützten. Insbesondere die Tatsache, dass hier auch mit dem Druck der institutionellen Verweigerung im Rahmen eines Schulstreiks gearbeitet wird, lässt aufhorchen.
Die von der 16-jährigen schwedischen Klimaaktivistin Greta Thunberg initiierte Bewegung „Fridays for Future“ (F4F) zeigt, dass Jugendliche zunehmend bereit sind, auch zu radikaleren zivilgesellschaftlichen Mitteln zu greifen. Sie haben verstanden, dass es um das Ganze geht:
„Wir sind hier, wir sind laut, da ihr uns die Zukunft klaut.“
„Es gibt keinen Planeten B.“
Es wird hochinteressant sein, welche Wirkung diese Massenproteste der F4F-Bewegung haben werden. Dies hängt davon ab, inwieweit sie sich stabilisieren, vernetzen und auf andere Aktionsfelder ausweiten sowie auch die älteren Generationen einbeziehen können. Auch stellt sich die Frage, ob der Zusammenhang zwischen international wirkenden Strukturmerkmalen kapitalistischer Ökonomie, des politischen Systems und der Zerstörung der Biosphäre hergestellt wird. Auch das eigene Konsumverhalten, zum Beispiel im Rahmen des Boykotts klimaschädlich hergestellter beziehungsweise betriebener Produkte, wird hier eine wichtige Rolle spielen.
Möglicherweise ist dies der Anfang einer weiteren kulturellen Revolution — nach den Brüchen mit der etablierten Kultur durch die 68er-Generation — die nun aber aufgrund der massiven Bedrohungslage wesentlich breitere Teile der Weltbevölkerung mit einer globalen Reichweite erfassen könnte.
Ungefähr 27.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (4) aus der Schweiz, Österreich und Deutschland, „Scientists for Future“, haben zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Erklärung unterzeichnet, welche die Klimaproteste der Jugendlichen unterstützt. In anderen Ländern entwickeln sich vergleichbare Aktivitäten. So ist eine internationale Unterstützung von derzeit circa 15.000 WissenschaftlerInnen der „Alliance of World Scientists“ aus 182 Ländern im Entstehen. Diese Wissenschaftler sagen:
„Die Schüler haben recht. Die wissenschaftlichen Ergebnisse stützen eindeutig ihr klimapolitisches Engagement.“
Parallel hierzu gebildete Vernetzungen von Eltern „Parents for Future“ und Lehrern „Teachers For Future“ unterstützen ebenfalls die Schülerproteste und fordern die Schulbehörden auf, auf schulische Ordnungsmaßnahmen im Falle der Streikbeteiligung zu verzichten. Auch an den Hochschulen bilden sich die „Students For Future“ und organisieren Streikaktionen an den Universitäten und „Public Climate Schools“.
Insbesondere das Engagement der jungen Menschen lässt hier hoffen, dass es zu wirksamen und längerfristigen Gegenbewegungen kommen wird und sich eine Generation aus der verdummenden medialen Umarmung durch den militärisch-ökonomischen Komplex, aus der Priorität einseitiger Karriereinteressen und aus der entpolitisierenden und klimaschädlichen Konsumorientierung im Sinne eines radikalen kulturellen Umbruchs lösen wird.
In diesem Zusammenhang könnte die westliche Gesellschaft etwas von dem zurückgeben, das sie über Jahrhunderte hinweg im Zuge der Kolonialisierungsprozesse den unterworfenen Völkern geraubt hatte — so der ehemalige bundesdeutsche Entwicklungsminister Jürgen Todenhöfer:
„Die Geschichte des Westens ist eine Geschichte brutaler Gewalt und großer Heuchelei. Nirgendwo auf der Welt kämpft der Westen für die Werte seiner Zivilisation. Sondern ausschließlich für seine kurzsichtigen Interessen. Um Macht, Märkte und Moneten. Oft mit terroristischen Methoden. Die Leiden anderer Völker und Kulturen interessieren ihn nicht. (…) Der Westen braucht eine gewaltfreie humanistische Revolution. Statt die Werte seiner Zivilisation zur Vergewaltigung anderer Völker und Kulturen zu missbrauchen, sollte er seine jahrhundertealten Versprechen gegenüber der Menschheit einlösen“ (5).
Dies bedeutet ebenfalls, dass die reichen Weltregionen, wie zum Beispiel die EU oder Nordamerika, mit der Verminderung von klimarelevanten Emissionen vorangehen müssen. Ärmeren Weltregionen muss hierbei noch etwas Zeit gegeben werden, Entwicklungen aufzuholen, die ihnen durch die Kolonialisierung und eine ungerechte Weltwirtschaftsordnung verwehrt wurden. Allerdings ist auch hier Wert auf eine möglichst früh zu erreichende Nachhaltigkeit in der Industrie, im Verkehr, in der Landwirtschaft et cetera zu legen.
Der inzwischen verstorbene ehemalige französische Widerstandskämpfer und Diplomat Stéphane Hessel forderte dementsprechend insbesondere die Jugend der Welt auf, sich gegen Ungerechtigkeiten zu empören und sich für eine gerechtere Gestaltung der Welt zu engagieren:
„Es mag ja sein, dass die Gründe für Empörung heute nicht mehr so deutlich zu erkennen sind. Wer befiehlt und wer entscheidet? Wir haben es nicht mehr mit einer kleinen Elite zu tun, deren Machenschaften leicht zu durchschauen sind. Die Welt ist groß, und wir spüren deutlich, wie sehr die Dinge miteinander verschränkt sind. Aber in dieser Welt gibt es Dinge, die unerträglich sind. Wer sie sehen will, muss genau hinsehen. Ich sage den jungen Leuten: Wenn ihr nur ein wenig sucht, werdet ihr solche Dinge finden. Am schlimmsten ist es, wenn man sagt: ‚Damit habe ich nichts zu tun. Das ist mir egal.‘ Wer sich so verhält, verliert eine der wesentlichen und unverzichtbaren Eigenschaften, die den Menschen ausmachen: die Fähigkeit zur Empörung und das Engagement, das daraus erwächst“ (6).
Zu diesem Engagement sollte zunächst der Erhalt der noch vorhandenen demokratischen Spielräume gehören, die von vorherigen Generationen unter großen Opfern historisch erkämpft wurden. Damit müsste der Einsatz für weltweite demokratische Strukturen unter dem Dach der Vereinten Nationen verbunden sein sowie die sozialökologische Umsteuerung von Gesellschaften im Zuge einer systemischen Transformation des Weltkapitalismus durchgesetzt werden. Der nachstehende Überblick, der sicherlich auch um viele weitere Initiativen zu ergänzen ist, gibt zumindest in Ansätzen einen Einblick in die Vielfalt der NGOs, Initiativen und Bewegungen, welche unter anderem die Initiatoren und Träger einer solchen globalen Neuordnung sein können:
Wer sind die gesellschaftlichen Kräfte einer sozialökologischen Neuordnung?
Alle sozialökologisch, demokratisch und friedenspolitisch engagierten BürgeIinnen, ParlamentarierIinnen, Parteien, Gewerkschaften, Parlamente und Institutionen in lokalen, nationalen, regionalen und globalen Kontexten sowie weltweit widerständige NGOs und Initiativen wie zum Beispiel:
Transparency International, ATTAC, Netzwerk für gerechten Welthandel, Forum Fairer Handel, food watch, Fridays For Future, Scientists For Future, Amnesty International, Alliance internationale pour la defense des droits et des libertes (AIDL), Extinction Rebellion (XR), Smash Cruiseshit, Seebrücke, Greenpeace, Global Witness, Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW), Ärzte ohne Grenzen, Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs — Ärzte in sozialer Verantwortung (IPNNW), World Future Council (WFC), Friedensinitiativen und -foren, Bundesausschuss Friedensratschlag, Netzwerk Friedenskooperative, International Campaign to Abolish Nuclear Weapons (ICAN), Peace Brigades International, Democracy without Borders, UNPA-Kampagne, Democracy International, Civicus, Asia Democracy Network (ADN), Asia Forum of Human Rights and Development (Forum-Asia), Asia Democracy Research (ADRN), Asian Network for Free Elections (ANFREL), Democracy for Hongkong (D4HK), Open Russia, Pussy Riot, Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI), Rete Italiana per il Disarmo, Movimento Nonviolento, Sea-Watch, Electronic Frontier Foundation (EFF), digitalcourage, International Commitee for Robot Arms Controll (ICRAC), Campaign to stop Killer Robots, WWF, Safe School Declaration, Save the Children, Global Partnership for the Prevention of Armed Conflicts (GPPAC), Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt, Energie, Fraunhofer Gesellschaft, Netzwerk der UNESCO-Schulen, International Rescue Commitee (IRC), The African Centre for Democracy and Human Rights Study (ACDHRS), African Commission for Human and Peoples‘ Rights (ACHPR), Comisión Interamericana de Derechos Humanos (CIDH), Arab Organization for Human Rights (AOHR), Palestinian Center for Human Rights, The Israeli Information Center for Human Rights in the Occupied Territories (B‘Tselem), Human Rights Watch, Beaver Lake Cree Nation, Athabasca Chipewyan First Nation (ACFN), Netzwerk politischer Kommunen (Kommuja), Tamera, Kommune Niederkaufungen, Greenpeace, Service Civil International (SCI), Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg, Ende Gelände, OXFAM, Global Justice Now, World Vision, LobbyControll, Campact, Mighty Earth, Global Ecovillage Network (GEN) …
Eine Weltregierung für den im kosmischen Maßstab kleinen Planeten Erde wird aufgrund der zukünftigen Anforderungen und Problemstellungen ohnehin irgendwann kommen müssen. Es wird allerdings darum gehen, dass es sich hierbei um kein totalitäres Weltregime einer sich bereichernden und Macht anhäufenden klandestinen Weltelite, sondern es sich um eine demokratisch strukturierte Weltgesellschaft auf der Basis der strukturell reformierten Vereinten Nationen in Zusammenarbeit und Subsidiarität mit den verschiedenen globalen Regionen handeln wird.
Mit dem internationalen Demokratisierungsprozess müssen des Weiteren Enteignungsprozesse und eine demokratische Inbesitznahme der Produktionsstätten und der Wertschöpfung einhergehen.
Insbesondere in dieser Verbindung unterscheidet sich der vorliegende Entwurf von den meisten Vorstellungen einer globalen Neuordnung.
Es gibt keine Alternative
Viele werden derzeit der Auffassung sein, dass die hier entwickelte Vision unrealistisch sei, sich dies niemals zukünftig umsetzen lasse, eine umfassende Gemeinwohlorientierung dem menschlichen Charakter widerspreche. Dieser negativen Anthropologie möchte ich noch einmal entgegensetzen:
Erstens: Wer kann denn jetzt am relativen Beginn der Menschheitsgeschichte schon sagen, welches Entwicklungspotenzial der Mensch als Gattungswesen und die Menschengemeinschaft in der Zukunft haben werden?
Und zweitens möchte ich fragen: Wo ist die Alternative? Ohne einen demokratisch kontrollierten globalen Zusammenschluss und eine einhergehende sozialökologische und demokratische Transformation von Politik und Ökonomie wird die Menschheit die Zukunft der kommenden Generationen nicht sichern können. Der Planet Erde wird im wahrsten Sinne über ökologische und militärische Katastrophen verbrennen. Die ersten Feuer brennen bereits.
Wer ist eigentlich naiv? Derjenige, der die Entwicklungen sieht, hier radikal gegensteuert oder derjenige, der für ein „Weiter so“ plädiert?
Hierbei ist Radikalität etwas völlig anderes als Extremismus. Radikalität im gesellschaftlichen Transformationsprozess meint an der Wurzel („radix“) von Problemen anzusetzen: Es geht um die weltweite und in allen Weltregionen vorzunehmende schrittweise Transformation des Kapitalismus zugunsten eines Verhältnisses von Ökonomie und Politik, das durch Verantwortlichkeit und Gemeinwohlorientierung gekennzeichnet ist. Ökonomie und Politik müssen sich in den Dienst der Versorgung der Menschen stellen und hierbei die Prinzipien von Gerechtigkeit, Demokratie, Friedfertigkeit, Wissenschaftlichkeit und ökologischer Verantwortlichkeit zu ihrem leitenden Paradigma werden lassen.
Ein solches sich weltweit durchzusetzendes System kann nicht mehr Kapitalismus genannt werden, sondern sieht eine staatliche Rahmung des Wirtschaftsprozesses im nationalen, regionalen und globalen Kontext vor, der marktwirtschaftliche Prozesse von ihrer Raubtiermentalität befreit, Fragen der Eigentums- und Vermögensverteilung anders regelt, das Spannungsverhältnis von Ökonomie und Ökologie beseitigt, die Technologieentwicklung ethisch kontrolliert und die kreative ökonomische Kraft der Menschen im Sinne der Gemeinwohlorientierung frei setzt.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Vergleiche: https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-03/march-for-our-lives-washingtondemonstration-waffengesetze-parkland, 25. März 2018, 17. März 2019.
(2) In: https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-516131.html, 15. März 2019, 15. März 2019.
(3) Vergleiche: https://www.tagesspiegel.de/politik/fridays-for-future-im-newsblog-veranstalter-25-000-teilnehmer-bei-demo-fuer-den-klimaschutz-in-berlin/24106530.html, 15. März 19, 15. März 19.
(4) Stand: 9. Oktober 2019, https://www.scientists4future.org/, 15. März 19, 9. Oktober 19.
(5) Todenhöfer 2019, Seite 292 folgende.
(6) Hessel (2011).
Video zum Buch „Neuordnung. Eine friedliche und nachhaltig entwickelte Welt ist (noch) möglich“ (Klaus Moegling):
Ein 7-minütiges Video zur neuen dritten und wesentlich erweiterten Ausgabe des Buches „Neuordnung“ von Klaus Moegling stellt zentrale Thesen des Buches durch den Autor vor. Das Buchprojekt ist als diskursives Zukunftskonzeption in mehreren Schritten und Auflagen konzipiert. So werden auch die über Kommunikation hergestellten Unterschiede der Neuauflage zu der vorherigen Auflage dargestellt. Durch zahlreiche Diskussionen, Besprechungen und Leserrückmeldungen ist eine weiterentwickelte gesellschaftspolitische Konzeption hin zu einer sozialökologischen Transformation im globalen Kontext entstanden, die auch das Lokale und die Einzelpersönlichkeit in einem Zusammenhang mit ihren lebensweltlichen Beziehungen thematisiert — Link zum Video.
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