Der lateinamerikanische Lebensstil soll anscheinend nicht mehr ausgelebt werden; Latinos, die bekannt sind für ihr soziales und lebensfrohes Wesen, die gerne und aus jedem Grund feiern, deren Familienkreis meist sehr groß ist und die generell keine Gelegenheit auslassen, sich zu treffen und beisammen zu sein, sollen nun isoliert und verängstigt zuhause sitzen und vor dem Weihnachtsbaum zittern.
Lateinamerika wird mit Farbenpracht, Tänzen und froher Laune assoziiert, und tatsächlich tun Lateinamerikaner nichts lieber als feiern, weshalb es in Panama auch 15 feste Feiertage im Jahr gibt. Fällt einer dieser Tage auf einen Sonntag, wird der Feiertag auf den folgenden Montag verlegt, was im Volksmund „dia puente“ (Brückentag) heißt.
Kurz vor Weihnachten, dem Fest der Liebe, werden vom Gesundheitsamt die neuen Corona-Regeln für die bevorstehenden Feiertage angekündigt: unbegrenzte Schließung von Stränden, Natur- und Freizeitparks und „totale Quarantäne“, sprich absolutes Ausgangsverbot über die Feiertage, angeblich bis zum 4. Januar 2021.
Glücklicherweise ist dies jedoch in Panama nicht so einfach zu bewerkstelligen; in den Arbeitervierteln und Gettos von Panama Stadt leben die Leute so eng beieinander wie eh und je, feiern Weihnachten nicht nur mit ihrer „Familienblase“ von sieben Personen, sondern mit der gesamten Nachbarschaft auf der Straße. Social Distancing interessiert hier niemanden, und Masken trägt, wer gerade Lust dazu hat.
Als die Polizei am Weihnachtsabend im Armutsviertel Curundu anrückte, um Corona-Regeln durchzusetzen, wurde sie nicht nur von dem auch an Weihnachten traditionell gezündeten Feuerwerk, sondern auch von Pistolenfeuer empfangen.
Der zivile Ungehorsam beziehungsweise der Drang zum Feiern beschränkt sich in Panama aber nicht nur auf die unteren Schichten, sondern dehnt sich auch auf die Kaste der Reichen aus, im panamaischen Slang „Yeyes“ genannt. So trafen sich beispielsweise der Neffe des Präsidenten und andere Kinder von prominenten Politikern und Medienleuten am 31. Dezember 2020 zu einer Luxusparty auf einer Jacht.
Sogar Panamas Präsident Laurentino Cortizo höchstpersönlich äußerte sich unlängst im Fernsehen wie folgt:
„Wenn ich dieses Virus bekommen sollte, werde ich an Gottes Hand gehen und nicht zuhause bleiben, ich bin nicht dazu geschaffen, zuhause zu bleiben! Ich gehe gerne raus und treffe die Leute und spreche mit ihnen.“
Allerdings kassierte der Präsident für diese Aussage sofort eine Klage wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung, woraufhin er auf Twitter seine Aussage wieder zurücknahm und die Bevölkerung ermahnte, die Corona-Regeln einzuhalten .
Infantilisierung und Spaltung
„Brave“ und „folgsame“ Bürger werden belohnt, indem in Gegenden mit niedrigen Fallzahlen ihnen kleine Teile der geraubten Freiheit zurückgegeben werden, beispielsweise in Form von kürzeren Ausgangsperren, während der Hass auf Maskenverweigerer, Partygänger und andere Ungehorsame geschürt wird.
Wird hier die Gesellschaft mittels Belohnung und Strafe infantilisiert? Bereits Noam Chomsky beschrieb dies als eine der Top-Ten-Strategien zur Manipulation der Gesellschaft — eine perfide Art und Weise, eine Gesellschaft zu spalten.
Ein Ringen zwischen nationalen und globalen Interessen
Während das Gesundheitsamt sich für eine mehrwöchige Quarantäne einsetzt, haben panamaische Geschäftsleute längst begriffen, dass Panama keinen weiteren Lockdown überleben wird.
Nachdem das Arbeitsministerium, der panamaische Verband von Gewerbeführungskräften (Apede) und die Union der Mikro-, kleinen und mittelgroßen Unternehmen (Unpime) vorgeschlagene Maßnahmen aufs Schärfste kritisiert haben, verlängerte die Regierung den Lockdown zwar bis zum 14. Januar, jedoch in etwas abgeschwächter Form: Beispielsweise bleiben Flughäfen offen, und ein großer Teil der arbeitenden Bevölkerung ist von den Maßnahmen ausgenommen.
Alles in allem sind in Panama überall Leute auf der Straße, sie arbeiten, gehen einkaufen oder ihren täglichen Aktivitäten nach, und diese Regeln, die angeblich dazu dienen, die Ansteckungsgefahr zu verringern, haben letztendlich nur dazu geführt, dass sich vor Supermärkten und Einkaufszentren Schlangen bilden, die Hunderte von Metern lang sind. Ob damit eine weitere Strategie der Zermürbung verfolgt wird, indem die Zeit der Menschen als wertlos behandelt wird, oder ob sich dies aus der Sinnlosigkeit der Maßnahmen zufällig entwickelt hat, ist unklar.
Es stellt sich die Frage, ob die globale Krise es dauerhaft schaffen wird, die Lebensfreude und das rege soziale Leben der Lateinamerikaner in den grauen, langweiligen, sich überall gleichenden Angstalltag der neuen Normalität zu verwandeln, oder ob immer mehr Menschen ihrem Instinkt folgen und ungeachtet Orwell‘scher Fantasien der Eliten ihr Leben weiterhin selbst bestimmen und in vollen Zügen genießen werden. Das Jahr 2021 wird es zeigen.
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