Und wieder wird am Tag danach in den massenmedialen Nachrichten hauptsächlich darüber gesprochen, dass die Polizei mit Wasserwerfern eine Demonstration am 18. November 2020 in Berlin am Brandenburger Tor, nahe dem Bundestag, auflöste. Die Teilnehmenden hätten sich nicht an Abstandsregeln und Maskenpflicht gehalten und trotz Aufforderung den Platz nicht verlassen, wie Polizeisprecher Michael Gassen auf Rubikon-Nachfrage vor Ort erklärte. Deshalb würden „Zwangsmittel“ eingesetzt, beschrieb er das gewaltsame polizeiliche Vorgehen. Selbst die Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Amira Mohamed Ali, bezeichnete laut Deutschlandfunk Kultur den Polizeieinsatz mit Wasserwerfern als gerechtfertigt, weil die Demonstranten sich nicht an die Regeln gehalten hätten.
Ganz offensichtlich gingen von den Protestierenden keine Angriffsgefahr und entsprechende Gewalt aus. Nach 13 Uhr begann die Polizei, den Platz des 18. März gewaltsam zu räumen, weil sich die etwa 10.000 Menschen trotz der offiziellen Auflösung der Versammlung nicht wegschicken lassen wollten. Dabei wurde ohne Rücksicht auf die Gesundheit der Menschen vorgegangen – einschließlich Pfefferspray, einer Chemiewaffe in den Händen der Polizei, und „Sprühregen“ (Polizeisprecher Gassen) aus den Wasserwerfern mitten im November. Da gab es Widerstand von einigen, die sich nicht gefallen lassen wollten, rücksichtslos weggeschoben, gestoßen und geschlagen zu werden. Dabei wurden laut Polizeiangaben einige Beamte verletzt. Wie viele der Protestierenden verletzt wurden, ist derzeit nicht bekannt. Erst als die Wasserwerfer vorrückten — insgesamt fünf waren laut Demonstranten im Einsatz —, waren mehrmals Explosionen, vermutlich von Feuerwerkskörpern, zu hören.
Bunte Mischung
Die Inhalte der Demonstrationen gegen das an dem Tag im Eilverfahren durchgewunkene „Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ gehen dabei wieder unter. Wichtiger scheint erneut zu sein, dass unter den Demonstrierenden am Brandenburger Tor nicht nur Vertreter der AfD, sondern auch solche verschiedener rechter und rechtsextremer Gruppen waren. Und wenn es dieses Mal keinen organisierten „Sturm auf den Reichstag“ gab, so können sich die etablierte Politik samt der mit ihr verbundenen Medien über angeblich von der AfD-Fraktion in den Bundestag eingeschleuste „Störer“ aufregen.
Doch es war dagegen erneut eine bunte Mischung aus allen Schichten der Bevölkerung, die an dem Mittwoch aus vielen Regionen des Landes in die Hauptstadt kam. Es dürften insgesamt bis zu 20.000 gewesen sein, die die Abgeordneten des Bundestages lautstark auffordern wollten, gegen das Gesetz zu stimmen. Viele erreichten aufgrund der zahlreichen Polizeisperren nicht die Kundgebungsorte. Die meisten dürften es bis auf den Platz des 18. März am Brandenburger Tor geschafft haben, wohin der „Demokratische Widerstand“ aufgerufen hatte. Die Zahl lag laut Polizeisprecher Gassen im „oberen vierstelligen Bereich“.
Bunter Protest am 18. November 2020 in Berlin
Am nächsten an die Abgeordneten in ihren Büros heran gelangten die Demonstrierenden der Initiative „Eltern stehen auf“. Sie hatten gemeinsam mit der Bewegung „Studenten stehen auf“ aufgerufen, auf der Marschallbrücke, nahe dem „Jakob-Kaiser-Haus“ des Bundestages, zu protestieren. Es dürften mehrere Tausend gewesen sein, die in den mehr als sechs Stunden kamen und gingen und zum Teil von der Polizei nicht durchgelassen wurden.
Einfache Wünsche
Auf der Brücke war es im Vergleich zum Geschehen am Brandenburger Tor ruhig, wenn auch nicht weniger engagiert und der Protest gegen das geplante Gesetz nicht weniger intensiv. Zahlreiche Menschen ergriffen zum Teil spontan das Mikrofon auf der kleinen mobilen Tribüne und erklärten, warum sie nach Berlin kamen. Die Motive, warum sie gegen die weitgehenden Grundrechtseingriffe durch das Gesetz demonstrierten, waren vielfältig. Eine Mutter las aus dem Brief ihrer Tochter an den Weihnachtsmann vor:
„… Dann wünsche ich mir, dass Corona aufhört und ich wünsche mir, dass ich keine Maske im Bus aufsetzen muss. Ich möchte meine Freunde wieder besuchen. …“
Eine Studentin sagte: „Viel mehr können die uns nicht wegnehmen, wenn das heute durchgeht.“ Sie sehe schwarz für ihre Generation und die noch Jüngeren, „die noch alles vor sich haben“. Sie sagte den Älteren unter den Teilnehmenden:
„Gebt nicht auf, denn die Jüngeren stehen jetzt auch langsam mit Euch auf.“
Das wurde mit Beifall, Jubel und Trommeln quittiert. Ein Redner nannte die verantwortlichen Politiker „Verbrecher, die uns das heiligste Gut nehmen wollen, nämlich unsere Freiheit“.
Für ihn sind die Proteste der letzten Monate gegen die Anti-Corona-Politik der Regierenden die „wichtigsten Demonstrationen, die die BRD jemals erlebt hat“. Immer wieder skandierten die Menschen auf der Brücke „Frieden - Freiheit“ und „Freiheit - Frieden“. Ebenso riefen sie wie vor dem Brandenburger Tor „Wir sind das Volk“, diese Parole der Proteste im Herbst 1989 in der DDR.
Absurde Erlebnisse
Der Akrobat Paul hat bis 2020 an der Hochschule für Zirkuskünste in Brüssel studiert, wie er auf der Bühne erzählte. Er berichtete aus eigenem Erleben, welche Folgen die Corona-Krise und die politisch verordneten Maßnahmen für die Kunst- und Kulturschaffenden haben. Dazu gehören Absurditäten: Er mache mit einer Partnerin Wurfakrobatik, so Paul. Ihnen sei für ihre Abschlusspräsentation gesagt worden, die könnten sie machen, solange sie den Abstand von 1,50 Metern einhalten.
Er müsse mehrere Stunden am Tag trainieren, was aber wieder nicht möglich sei. Für den Akrobaten ist es unverständlich, dass für den Schutz einer Minderheit die Mehrheit der Gesellschaft in den Bankrott getrieben und Existenzen zerstört werden. Er rechnet damit, dass die Einschränkungen noch Jahre anhalten – „wenn sich nicht schlagartig etwas ändert“.
Die Pädagogin Michaela berichtete davon, dass ihr auf dem Weg zur Demonstration auf einem S-Bahnhof das Attest für die Maskenbefreiung von der Polizei abgenommen wurde. Das Papier sei „definitiv gefälscht“ und sie begehe eine Straftat damit, hätten die Beamten erklärt. Der mögliche Anruf bei der ausstellenden Ärztin sei nicht erfolgt. Sie könne derzeit ihren Beruf an einer Berliner Grundschule nicht ausüben, weil sie sich weigere, als „Diktatorin“ die Kinder zu zwingen, eine „Mund-Nasen-Bedeckung“ zu tragen.
Klare Anliegen
Vor allem Eltern, die selbst in medizinischen Einrichtungen arbeiten und die Wirkung der Masken kennen, würden darauf mit Verständnis reagieren. Dagegen würden einige Kinder andere als „Verweigerer“ denunzieren, auch sie als Lehrerin. Die Schulleitungen seien von der zuständigen Berliner Senatsverwaltung ermächtigt worden, Kindern, die das Maskentragen verweigern, Bußgelder anzudrohen. In der Schulkonferenz zum Schuljahresbeginn habe die Leitung diskutiert, wie jene Kinder gekennzeichnet werden könnten, die durch ein Attest von der Maskenpflicht befreit sind. „Das finde ich ziemlich krank“, sagte die Pädagogin dazu.
„Es entwickelt sich eine sehr kaputte Gesellschaft und dem kann ich nicht mehr zuträglich sein.“
„Dieses Ermächtigungsgesetz kann nicht im Sinne unserer Demokratie sein“, sagte mir der 67-jährige Torsten Brandes. Der pensionierte Banker aus Hamburg trug eine Maske nach dem Modell der Pestmasken aus dem Mittelalter. Er wolle damit aufs Korn nehmen, was derzeit geschehe: „So etwas gab es ja schon einmal. Wer an Masken glaubt, dem hilft das vielleicht auch.“ Das Handeln seines ehemaligen Berufskollegen Jens Spahn, heute Bundesgesundheitsminister, kommentierte er so: „Er hat wohl keine Ahnung von dem, was er macht. Die höherwertigen Rechte des Grundgesetzes kann man nicht mit den Füßen treten, wie er es macht.“
„Das darf nicht sein, dass wir so in unseren Grundrechten beschnitten werden“, empörte sich Liane Gerstel (Jahrgang 1970) aus Gifhorn in Niedersachsen. Wenn die Impfflicht mit dem neuen Gesetz komme, sollen sich die verantwortlichen Politiker zuerst impfen lassen, forderte sie. „Die sollen ihre Nebenwirkungen in ihre schöne App eintragen.“ Für sie handelt es sich bei der auf den unzuverlässigen PCR-Tests gestützten Anti-Corona-Politik um „Lug und Trug“. Ihre Motive, mit zu demonstrieren, beschrieb sie so: „Ich will unsere Kinder schützen. Ich will nicht, dass wir geimpft werden. Und ich will nicht, dass das Grundgesetz geändert wird.“
Spätes Erwachen
Die freie Dozentin für Ernährungswissenschaft berichtete, dass sie seit März keine Aufträge habe, weil sie die Maskenpflicht ablehne. „Ich bin das erste Mal in meinem Leben auf einer Demo“, gestand die in der DDR aufgewachsene Frau. „Leider habe auch ich viel zu lange geschlafen. Erst als mir die Schulen sagten, ich sollte gegenüber meinen Zuhörenden die Maskenpflicht durchsetzen, bin ich aufgewacht.“ Was sie derzeit erlebe, komme ihr sehr bekannt vor, sagte sie mit Blick auf die DDR 1989.
„Ich war schon einmal zu spät. Ich will nicht wieder zu spät sein. Ich will jetzt kämpfen.“
Ebenfalls in der DDR hat der 88-jährige Physiker Horst Aden einen Großteil seines Lebens verbracht. Was er heute erlebe, sei schlimmer als das, was die Staatspartei SED sich in dem untergegangenen Land erlaubt habe, sagte er mir. Zuvor hatte er den Demonstrierenden auf der Brücke berichtet, warum er trotz der politischen und medialen Kampagne keine Angst um seine Gesundheit habe. Dabei gehöre er ja mit seinem hohen Alter zur sogenannten Hochrisikogruppe.
Der 88-jährige Physiker Horst Aden warnte vor dem Milliardengeschäft für die Pharmaindustrie
Er fühle sich mit seinen 88 „bei allen Verschleißerscheinungen“ gesünder als 50 Jahre zuvor, weil er sich vor vielen Jahren von der Pharmamedizin verabschiedet habe. Er sei zu einer natürlichen Lebens- und Heilweise übergegangen. Seitdem habe er unter anderem trotz Hang zu schnellen Erkältungen keinen Schnupfen und Husten mehr gehabt, so Aden. Ihm helfe dabei Vitamin C in einer entsprechenden Dosierung. „Diese Erkenntnis gibt es schon seit Jahren“, erklärte er den Demonstranten. Doch das in den Medien unterzubringen sei ohne Chance, „weil die Pharmaindustrie das unterbindet“.
Klarer Blick
Die Medien würden lebensnotwenige und hilfreiche Substanzen wie Vitamin C und D verteufeln, „im Auftrag der Pharmaindustrie“, betonte der Physiker.
„Wenn man nämlich davon genügend hätte, bliebe man gesund. Und die Pharmaindustrie will seit Anfang des vorigen Jahrhunderts ihre Geschäfte mit Medikamenten machen und nicht heilen.“
Wenn er sich nach dem gerichtet hätte, was ihm die Ärzte vor 50 Jahren sagten, bräuchte er heute mindestens drei oder vier Medikamente — „Ich brauche keins“, fügte er hinzu.
Das gelte auch für das neue Coronavirus als einem der Grippeviren, das ausgenutzt werde, „um das große Geschäftsmodell, sieben Milliarden Menschen zu impfen, durchzuführen“. Das treffe ebenso auf die gegen Covid-19 gepriesenen antiviralen Medikamente zu, „die sich schon in Afrika nicht bewährten und nicht bewähren können“, ergänzte der Physiker.
Vielfältige Positionen
Der Beifall der Protestierenden, den er bekam, galt ebenso der Hebamme, die berichtete, warum sie von Beginn an gegen die aus ihrer Sicht falsche Politik kämpft. Ihn erhielten gleichfalls der 20-jährige Orgelbau-Auszubildende Paul und der 23-jährige Medizinstudent Mathis von der Bewegung „Studenten stehen auf“. Paul warnte unter anderem davor, dass die politisch verursachte Corona-Krise die Gesellschaft „aufs Tiefste“ spaltet.
Er erlebe das täglich bei der Ausbildung und in der eigenen Familie. Seine Wohngemeinschaft in Stuttgart habe ihn rausgeworfen, weil er sich am 7. Oktober an der Demonstration in Leipzig beteiligt hatte. Das Ansteckungsrisiko sei zu hoch, wurde das ihm gegenüber begründet, wie er berichtete.
Die beiden gehörten zu einer Vielzahl von Menschen, die während der mehr als sechs Stunden auf der Marschallbrücke ans Mikrofon gingen. Sie hatten verschiedene Gründe, warum sie gegen das am Ende von einer Bundestagsmehrheit beschlossene neue Infektionsschutzgesetz protestierten. Zu ihnen gesellte sich am Nachmittag Hansjörg Müller von der Bundestagsfraktion der „Alternative für Deutschland“ (AfD). Er war kurz nach der Abstimmung auf die Brücke gekommen und erklärte, warum er gegen das Gesetz gestimmt hatte. Für die Mainstreammedien war auch das im Nachhinein Anlass, die Demonstrationen als rechtslastig zu diffamieren.
Historische Erinnerung
Die Frage, warum niemand von den Abgeordneten der anderen Parteien zu den Demonstrierenden sprach, wird gar nicht erst gestellt. Auch nicht die, was das für die Demokratie bedeutet, wenn während der Abstimmung friedliche Demonstranten mit Wasserwerfern angegriffen und mit Stößen und Schlägen von Polizisten in voller Kampfmontur von der Straße geräumt werden. Das geschah auf dem Platz, der an 18. März 1848 erinnert. An dem historischen Tag ließ der damalige preußische König Friedrich Wilhelm IV. Truppen gewaltsam gegen tausende Menschen, die für Demokratie demonstrierten, vorgehen.
Wasserwerfer und prügelnde Polizisten blieben den Demonstranten auf der Marschallbrücke erspart. Einige von ihnen wurden vorläufig festgenommen, um ihre Personalien aufzunehmen, weil sie angeblich gegen die Hygieneauflagen verstoßen hatten. Nachdem das Abstimmungsergebnis aus dem Bundestag über Lautsprecher mitgeteilt wurde, zogen viele der Menschen zum Schloss Bellevue, dem Sitz des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. Der unterschrieb dort das im Eilverfahren durchgesetzte „Bevölkerungsschutzgesetz“.
Polizei-Wasserwerfer gegen Demonstranten und Gandhi-Bild am 18. November 2020 in Berlin
Die Wasserwerfer vor dem Brandenburger Tor machten auch vor dem großen Bild von Mahatma Gandhi nicht halt, dass Protestierende mitgebracht hatten. Es war in den letzten Monaten schon auf mehreren Demonstrationen zu sehen. Doch durch gezielten Angriff mit einem Hochdruckstrahl aus einem Wasserwerfer wurde es zerstört, wie einer der Demonstranten mir berichtete.
Unaufhaltsamer Protest
Davon werden sich die Menschen nicht aufhalten lassen, weiter für ihre demokratischen Grundrechte zu demonstrieren und zu streiten, ebenso wenig wie durch das beschlossene Gesetz. Die Arroganz der Macht kann mit Bildern wie den Wasserwerfern gegen friedliche Demonstranten Menschen abschrecken, auf die Straßen zu gehen. Sie wird nicht verhindern können, dass der Protest fortgesetzt wird — auf verschiedenen Wegen, mit unterschiedlichen Mitteln und auch genährt von solchen Bildern, wie Macht auf demokratischen Widerstand reagiert.
Übrigens: Während viele tausende Menschen gegen den Demokratieabbau im Namen des Gesundheitsschutzes protestierten, versammelten sich einige wenige Gegendemonstranten. So standen auf dem weiträumig von der Polizei abgesperrten Pariser Platz auf der anderen Seite des Brandenburger Tors vielleicht zwanzig maskierte und vermummte junge Menschen. Sie trugen ein Transparent mit der Aufschrift „Gerade denken — Kein Platz für rechte Propaganda“. Sie gaben sich als angebliche Antifaschisten aus und zeigten mit einem anderen Transparent, wessen Geistes Kind sie sind: „Impfen ist Liebe“.
Am Ende des Pariser Platzes steht rechts neben dem Brandenburger Tor unter anderem das Max-Liebermann-Haus. Das ist nach dem Maler benannt, der nach der Machtübergabe an die deutschen Faschisten 1933 gesagt haben soll:
„Ick kann janich so viel fressen, wie ick kotzen möchte!“
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