In ihrer Gründungsphase definierte die Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK) auf einer Tagung in Berlin-Wannsee am 24. und 25. April 1971 ihr Selbstverständnis folgendermaßen:
„Kritische Friedensforscher/innen lehnen eine am Status quo orientierte Befriedungsforschung ab. … Kritische Friedensforscher/innen begreifen sich als wissenschaftliche Parteigänger von Menschen, die durch die ungleiche Verteilung sozialer und ökonomischer Lebenschancen in und zwischen Nationen, das heißt durch strukturelle Gewalt, betroffen sind: von Ausgebeuteten, von sozial Diskriminierten und von unmittelbar in ihrer physischen Existenz Bedrohten“ (1).
Wird Friedensforschung konsequent gedacht, kann sie sich nicht auf Kriege in Form zwischenstaatlicher bewaffneter Auseinandersetzung beschränken, sondern sie muss die Frage nach dem Ursprung und den Ursachen von Gewalt stellen. Forschungsgegenstand werden dann alle Formen struktureller Gewalt, wie Johan Galtung sie versteht, ebenso — als Gegenmodell zum gewaltförmigen Widerstand — Formen der Gewaltfreiheit, wie Gandhi sie praktizierte.
Bis gegen Ende der 1980er Jahre verstanden sich weite Teile der Friedensforschung als wissenschaftlicher Arm der Friedensbewegung und sahen es (auch) als ihre Aufgabe, die Anliegen der Friedensbewegung durch wissenschaftliche Expertise zu unterfüttern. Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler engagierten sich in der Friedensbewegung. Die AFK und ihr Vorstand bezogen regelmäßig öffentlich politische Positionen und gaben Erklärungen zu aktuellen Konflikten ab. Ab Ende der 1980er Jahre veränderte eine Vielzahl von Faktoren die politischen Rahmenbedingungen der Friedensforschung in Deutschland:
- Während ihrer Konstituierung hatte sich die Friedensforschung eine eigene und selbst verwaltete Finanzierung durch die Deutsche Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung, DGFK, erkämpft, die vom Bund und den Ländern alimentiert wurde. Der Ausstieg der Länder Bayern und Baden-Württemberg führte schließlich zur Übertragung der Förderung an die Deutsche Forschungsgemeinschaft, DFG, deren Kriterien für die Förderung von Projekten auf schrumpfender finanzieller Basis hinfort gültig waren. Die Selbstbestimmung der Förderung innerhalb der Disziplin war damit beendet.
- Die politischen Kräfteverhältnisse veränderten sich, markiert durch die unter konservativem und neoliberalem Vorzeichen vollzogene deutsche Vereinigung. Diese ideologische Wende hatte sich bereits angekündigt in der Regierungsübernahme durch die CDU, sie kulminierte in Wandlungsprozessen innerhalb der SPD, die insbesondere Kanzler Gerhard Schröder symbolisierte, der gemeinsam mit dem grünen Außenminister Joschka Fischer Deutschland 1999 in seinen ersten und dazu noch völkerrechtswidrigen Krieg führte.
- Etwa zeitgleich wandte sich der mainstream der Sozialwissenschaften dem Paradigma des Konstruktivismus zu, der die Postulate der Positivisten wieder aufnimmt, indem es Wissenschaft als wertfrei versteht. Die „Expertokratie“ beansprucht damit zugleich gesellschaftliche Anerkennung und die Kompetenz der Verwissenschaftlichung wie der Steuerbarkeit von Politik. (Wissenschaftliche) Politikberatung wird standespolitische Aufgabe und verleiht den Wissenschaftlern Anerkennung als „Experten“: Die Wissenschaft entdeckt den Markt.
- Ein besonderes strukturelles Problem für die Friedensforschung war und ist, dass sie sich nur an wenigen Universitäten in Form von anerkannten Studiengängen etablieren konnte — womit noch nichts über die Inhalte der Curricula gesagt ist! Friedensforschung existierte an den Universitäten daher vor allem in der Rechtsform der „An-Institute“, heißt: Sie sind an Universitäten angegliedert, erhalten aber keine Mittel aus deren Etat, müssen also für ihre Finanzierung selbst sorgen. Der einzige Weg hierzu sind die „Drittmittel“: Zeitlich befristete und in ihrer Zielsetzung vom Auftraggeber formulierte Forschungsprojekte werden bei privaten, meist aber staatlichen Einrichtungen eingeworben. In Frage kommen hierfür die klassischen Ministerien, die mit Aspekten der Konfliktbearbeitung befasst sind: Das Bundesministerium für Verteidigung, das Auswärtige Amt und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit. „Der Markt“ — und dieser ist überdies eng und von der Konkurrenz der Auftragnehmer geprägt— bestimmt Art und Inhalt der wissenschaftlichen Produktion. Hier ergibt sich ein Teufelskreis, der nicht nur Wissenschaft in den Dienst der Herrschenden stellt, sondern auch das Bewusstsein der beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler prägt.
- Mit diesen Veränderungen, die auf eine „Verwissenschaftlichung“ der Friedensforschung abzielten, ging auch die Trennung der Friedensforschung von der Friedensbewegung einher: Die normativen, oft emotionalen Antriebe der friedensbewegten Menschen erreichten die sich zunehmend akademisch profilierende wissenschaftliche Community der Friedensforscherinnen und —forscher nicht mehr.
Die hier skizzierte Entwicklung der Friedensforschung hat durchaus paradigmatischen Charakter und gilt cum grano salis zumindest auch für die Sozial- und Kulturwissenschaften im Allgemeinen:
Die Einführung marktwirtschaftlicher Prinzipien an den Hochschulen, in der Forschung und erst recht an den An-Instituten hat die Wissenschaft nachhaltig verändert, ihre — auch kritische — Unabhängigkeit in Frage gestellt. Heute erhält Wissenschaft Ansehen, wenn sie am Markt erfolgreich ist, den jene beherrschen, die über finanzielle Mittel zur Erstellung von Expertisen verfügen.
Das neoliberale Prinzip des Marktes als Maßstab von Erfolg kulminiert schließlich in der Verleihung des Etiketts der „Exzellenzforschung“.
Scheinbar unbemerkt wird so ein neuer Sozialisationstyp des Wissenschaftlers/der Wissenschaftlerin produziert, der/die sich und seine/ihre Qualität selbst am Erreichten misst: Sitz in Kommissionen und Beratungsgremien, Zahl der Drittmittelprojekte und der dort (auf Zeit!) beschäftigten Mitarbeiter/innen. So wird die Wissenschaft, die vorgibt unpolitisch zu sein, in höchstem Maße politisch: Sie betreibt nach wie vor Sinnproduktion — aber nicht mehr im Sinne von Herrschaftskritik, sondern als Legitimation jener Strukturen, die zu kritisieren und zu bekämpfen zumindest sie einmal angetreten war.
Die Geschichte der Kritischen Friedensforschung ist hier ein vielleicht herausragendes, aber durchaus paradigmatisches Beispiel. Das neue Verständnis von wissenschaftlicher Leistung passt sich wie in einem Räderwerk in die hegemonial vorgegebenen politischen und ökonomischen Strukturen ein. Wissenschaftliche Auseinandersetzung verlagert sich von inhaltlicher, methodischer, auf Erkenntnisgewinn abzielender diskursiver Debatte zur Konkurrenz um Mittel, Anerkennung und Marktanteile.
Krieg nach innen Krieg nach außen. Die Intellektuellen als Stützen der Gesellschaft?
Kongress der Neuen Gesellschaft für Psychologie
Vom 7. bis 10. März wird in Berlin ein wichtiger Kongress stattfinden, organisiert von unserem Rubikon-Beiratsmitglied Klaus-Jürgen Bruder. Mit Vorträgen u.a. von Ernst Ulrich von Weizsäcker, Norman Paech, Michael Schneider, Arnold Schölzel, Friedrich Voßkühler und Werner Ruf. Darin wird vor allem die Rolle von Intellektuellen bei der Verbreitung von Kriegslügen und der Stabilisierung der herrschenden gesellschaftlichen Schieflage beleuchtet. Wir empfehlen unseren Leserinnen und Lesern die Teilnahme an dieser Veranstaltung wärmstens.
Email-Adresse: kongress-orga@ngfp.de
Weitere Informationen zum Kongress und Programm finden Sie unter:
https://www.ngfp.de/wp-content/uploads/2018/12/NGfP-2019-Programm.pdf
https://www.ngfp.de/kongresse/ngfp-kongress-2019/
Anmeldung: https://www.ngfp.de/veranstaltungen/krieg-nach-innen-krieg-nach-aussen/
Quellen & Anmerkungen
(1) Zit. n. Wasmuht S. 177.
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