Es war ein „warmer“ Tag. Die Sonne schien. Der Wind blies mit fünf bis zehn Knoten über das Mittelmeer vor der Küste Israels und ließ die Flaggen der am 6. April 1945 vom Stapel gelaufenen „USS Liberty“ munter an den Masten flattern. Neben der Standardbeflaggung hatte die Crew an diesem Tag sogar die „Holiday Colors“ gehisst, ein übergroßes „Stars and Stripes“-Banner, welches das Schiff weithin sichtbar als amerikanisches Wasserfahrzeug auswies. Die „Liberty“ galt offiziell als Aufklärungsschiff der US-Navy, stand jedoch unter dem Kommando der 1952 gegründeten, international operierenden und für ihre Intransparenz berüchtigten „National Security Agency“ (NSA) — einem von mindestens 22 US-Geheimdiensten. Es war ein Spionageschiff.
Die Aufgaben der zu ihrer Zeit hochmodernen Liberty bestanden in elektronischer Kriegsführung und militärischer Aufklärung. Großkalibrige Bordgeschütze und Flugabwehrkanonen gab es an Bord nicht. An jenem ruhigen Morgen des 8. Juni 1967 kreuzte das Schiff in internationalen Gewässern — 14 Seemeilen vor der israelischen Küste. Die Liberty war das einzige Schiff dieser Größe, das sich zum besagten Zeitpunkt auf Patrouille in den Gewässern der Region aufhielt. Die 6. US-Flotte, inklusive zweier Flugzeugträger, zog gute 500 Seemeilen entfernt ihre Kreise durch die Wellen.
Der Sechstagekrieg, ein von Israel ausgehender Angriff auf Ägypten, Jordanien und Syrien, war bereits seit drei Tagen im Gange. Obwohl primär die USA für die militärische Aufrüstung Israels verantwortlich zeichnen, hatte die amerikanische Regierung ihre Unterstützung für einen solchen israelischen Präventivschlag gegen die Nachbarländer im Vorfeld vehement verweigert. Der damalige US-Präsident Lyndon B. Johnson warnte die Konfliktparteien in der Region vor Beginn des Sechstagekrieges mehrfach davor, „den ersten Schuss abzufeuern“, und suchte — völlig untypisch für den militärisch-industriellen Komplex der USA — nach einer diplomatischen Lösung. Zumindest offiziell.
Die israelische Regierung unter Levi Eschkol, zum damaligen Zeitpunkt Premierminister des Landes, ignorierte die Mahnungen aus Washington. Am 5. Juni 1967 griffen israelische Kampfflugzeuge die ersten Luftwaffenbasen in Ägypten an. Der Sechstagekrieg, der knapp 20.000 Menschen das Leben kosten und hunderttausende heimatlos machen sollte, hatte begonnen.
Das israelische Militär ging äußerst brutal vor. Tonbandaufnahmen belegen, dass „israelische Soldaten willkürlich Zivilisten und Unbewaffnete erschossen“. Die Liberty hatte demzufolge wohl den Auftrag, Funkverkehr, Luftraum, Truppenbewegungen und Kampfhandlungen in der Region zu überwachen, um die gesammelten Daten an die US-Regierung zu übermitteln, die sich vom nassforschen Alleingang Israels brüskiert zeigte. Dergestalt Observationen waren der israelischen Führung aber offenbar ein Dorn im Auge.
Schon in den frühen Morgenstunden des 8. Juni kreisten israelische Flugzeuge über der Liberty. Die erste Sichtung des Schiffes durch ein Aufklärungsflugzeug ist in den Logbüchern der israelischen Marine für 5:45 Uhr festgehalten — Position: 110 Kilometer westlich von Gaza. Zwei weitere Jets folgten um 9:00 Uhr. Die Besatzung der Liberty beobachtete die Überflüge. Die israelischen Piloten winkten aus dem Cockpit den Männern an Deck des Schiffes zu. Diese erwiderten die Grußzeichen aus der Luft mit entsprechend wohlwollenden Gesten. Eine Bedrohung sahen die Seemänner in den israelischen Aufklärungs- und Kampfjets nicht. Immerhin hatte man es mit „Freunden“ zu tun, mit einem Verbündeten, erinnert sich der ehemalige Navy-Offizier John Scott, der sich seit Tagesanbruch auf der Brücke der USS Liberty befand. Zudem flatterten ja die „Holiday Colors“ hoch über dem 139 Meter langen Aufklärer im Wind und waren auch aus der Luft gut erkennbar.
Nachdem die Besatzung der Liberty am Morgen eine anstrengende Übung absolviert hatte, ruhten sich die Männer am späten Vormittag an Deck aus. Als das Mittagessen in der Kajüte verzehrt war, legten sich viele auf Handtüchern in die Sonne und genossen das Wetter. Urlaubsstimmung machte sich breit. Währenddessen hatte die „Israeli Air Force“ (IAF) zwei „Mirage III“ Kampfjets in Richtung der Liberty entsandt. Gleichzeitig nahmen drei israelische Torpedoboote Kurs auf das amerikanische Schiff. Und um 13:57 Uhr nahm die ausgelassene Sommerlaune an Deck der Liberty ein jähes Ende — denn nach neun Stunden intensiver Observation erteilte der diensthabende Leiter der israelischen Luftraumüberwachung, Lieutenant-Colonel Shmuel Kislev, den beiden Mirage-Jets die Freigabe zum Angriff. Die Kampfflugzeuge stürzten hinab und eröffneten das Feuer.
Die israelischen Piloten nahmen die Liberty mit ihren 30-Millimeter-Kanonen unter Beschuss. 30 Besatzungsmitglieder starben sofort, weitere 75 wurden verwundet. Der Rest flüchtete ins Innere. Auf dem Vordeck des Schiffes rann das Blut in Strömen. Körperteile lagen herum. Gas-Tanks fingen Feuer. Antennen wurden zerstört. Der Funkkontakt zur 6. US-Flotte war nach einem letzten verzweifelten „Mayday“, das der 500 Seemeilen entfernte Flugzeugträger „USS Saratoga“ empfangen konnte, unterbrochen. Weitere Notrufe konnten nicht abgesetzt werden. Denn die israelischen Angreifer blockierten den Funkverkehr der Liberty mit Störsendern. Dabei unterdrückten sie allerdings nicht nur die taktische Frequenz, was im Gefecht gängige Praxis ist, sondern auch die internationale Notruffrequenz — was einen massiven Verstoß gegen Kriegs- und Völkerrecht darstellt.
Als den Mirage die Munition ausging, drehten sie ab. Sie wurden durch zwei Maschinen vom Typ „Dassault Super Mystère“ ersetzt, die mit Napalm-Bomben bestückt und bereits am Schauplatz des Schreckens eingetroffen waren. Nachdem die Mystère-Piloten das Napalm im tiefen Überflug abgeworfen und damit nahezu die gesamte Oberfläche des Schiffes in Brand gesetzt hatten, wendeten sie ihre Jets und bearbeiteten das brennende Vehikel mit ihren Maschinengewehren. „Mit Napalm gegen einen Verbündeten“, überschrieb die Neue Zürcher Zeitung einen diesbezüglichen Artikel vom 8. Juni 2017.
Um 14:20 Uhr, als die beiden Mystère gerade zu einer weiteren Attacke hinabstürzen wollten, befahl Lieutenant-Colonel Shmuel Kislev plötzlich, die Luftangriffe abzubrechen. Die Jets verschwanden. Dafür waren mittlerweile die drei israelischen Torpedoboote am Horizont zu erkennen. Sie näherten sich mit einer weit überlegenen Geschwindigkeit von circa 30 Knoten (56 km/h) der schwer beschädigten USS Liberty, die sich nur mit etwa fünf Knoten fortbewegen konnte. Trotz dieser schier aussichtslosen Lage ließ William McGonagle, Kapitän der USS Liberty, neuen Kurs setzen, um den noch nicht identifizierten Verfolgern zu entkommen. Da die Fernmeldetechnik an Bord nicht mehr funktionierte, versuchte er mittels Lichtsignalen, Kontakt mit den drei Torpedobooten aufzunehmen. Parallel dazu befahl McGonagle seiner Crew, Maschinengewehre an Deck zu bringen, um die Verfolger gegebenenfalls unter Beschuss nehmen zu können.
Doch als der Kapitän erkannte, dass die mittlerweile in klassischer Angriffsformation aufschließenden Torpedoboote israelische Beflaggung führten, war er erleichtert, gab Entwarnung und wies seine Männer an, das Feuer nicht zu eröffnen. Im allgemeinen Chaos schien dieser Befehl jedoch nicht alle Gefechtspositionen auf der Liberty rechtzeitig erreicht zu haben. Ein Warnschuss in Richtung der Verfolger war bereits abgefeuert worden.
Die Antwort der israelischen Angreifer ließ nicht lange auf sich warten. Mit ihren Bordkanonen nahmen sie das angeschlagene Spionageschiff unter Beschuss. Das Crew-Mitglied, das versehentlich die Maschinengewehrsalve von der Liberty aus abgegeben hatte, war das erste Opfer dieser neuerlichen Attacke der vermeintlichen israelischen Verbündeten.
Kaum befanden sich die drei Schnellboote in passender Position, feuerten sie fünf Torpedos auf die Liberty ab. Einer davon traf das Schiff auf der Steuerbordseite und riss ein zwölf Meter langes Loch in die Schiffswand. 25 Besatzungsmitglieder starben sofort. Dutzende wurden schwer verwundet. Hätte der Torpedo nicht aus reinem Zufall an einer Stelle der Schiffsstruktur eingeschlagen, die einen Großteil der Detonation absorbieren konnte, wäre die Liberty in der Mitte auseinandergerissen und zu einem nassen Grab für die gesamte Besatzung geworden. Die vier anderen Torpedos verfehlten ihr Ziel. Rettungsmissionen, die das Schiff längst hätten erreichen und den Verwundeten helfen können, wurden zurückgepfiffen. Und die israelischen Angreifer setzten nach, malträtierten die nun manövrierunfähige Liberty weiter mit ihren Bordkanonen — und nahmen dabei auch jene Crew-Mitglieder ins Visier, die Rettungsboote für die potenzielle Evakuierung zu Wasser lassen wollten.
Erst um 15:30 Uhr — nach über 90 Minuten massiver ballistischer Penetration — endete die Attacke auf die USS Liberty. Die Torpedoboote entfernten sich. Die israelische Militärführung übermittelte eine Entschuldigung an US-Navy-Attachée Ernst Carl Castle. Und die acht zwischenzeitlich von der „USS Saratoga“ gestarteten Kampfflugzeuge wurden auf den Flugzeugträger zurückbeordert. Um 16:00 Uhr setzte die israelische Regierung die US-Botschaft in Tel Aviv formell darüber in Kenntnis, dass Israel „versehentlich“ ein Schiff der Navy angegriffen habe. 40 Minuten später kehrten die drei Torpedoboote an den Tatort zurück, um den Überlebenden ihres eigenen Angriffs Hilfe anzubieten. Die Liberty lehnte ab.
Das Ende dieses Massakers markiert allerdings nur den Beginn einer nun fast sechzig Jahre andauernden Farce. Denn kaum hatte sich der Rauch über der von Projektilen durchlöcherten und von Napalm versengten Liberty verzogen, ergingen sich nicht nur die israelische, sondern auch die amerikanische Regierung in Relativierungen.
Ob aus Tel Aviv oder aus Washington — stets war von einem „tragischen Missverständnis“ die Rede. Von einer „Verwechslung“. Von „Fehlern“, „Leichtsinn“ und „Übereifer“ auf Seiten des israelischen Militärs. Die zuständige Kommandozentrale habe angenommen, es handele sich um ein ägyptisches Schiff, so der Tenor aus Tel Aviv und dem Weißen Haus. Auch die israelischen Leitmedien sind selbst nach Dekaden weiter bestrebt, diese Auslegung des Vorfalls zu gültiger Geschichtsschreibung zu machen. Siehe ein Artikel der Jerusalem Post vom 10. Oktober 2003, in dem einer der Mirage-Piloten zu den Ereignissen des 8. Juni 1967 befragt wird und erklärt, dass „Fehler passieren“ und es vor allem die Schuld der Amerikaner sei, „die sich zunächst einmal nicht hätten in diesem Gebiet aufhalten sollen“.
Wie belastbar sind solche Erklärungen, Entschuldigungen und Relativierungen? In Anbetracht der tatsächlichen Umstände muss die Antwort lauten: gar nicht. In den USA wurden von 1967 bis 1981 sieben offizielle Untersuchungen zu diesem Vorfall durchgeführt — U.S. Naval Court of Inquiry, Joint Chief of Staff, CIA, Clark Clifford Report, U.S. Senat, House Armed Services Committee und NSA — alle untersuchten sie die Attacke vom 8. Juni 1967. Auf israelischer Seite wurden drei offizielle Reports zu dem Vorgang angefertigt. Der erstaunliche Konsens dieser zehn Analysen: Die israelische Darstellung des Tathergangs ist nachvollziehbar, korrekt, akzeptabel und sollte nicht hinterfragt werden.
Dies, obwohl all die Untersuchungen nicht nur hastig und schlampig durchgeführt wurden, sondern sich großteils auch noch auf die fragwürdigen Ergebnisse vorheriger Berichte stützen. Die Aussagen von Besatzungsmitgliedern der Liberty fanden dagegen kaum Beachtung oder wurden gar als „missverständlich“ abgekanzelt. Auch nachrichtendienstliche und forensische Erkenntnisse wurden ignoriert oder heruntergespielt. So überrascht es kaum, dass all diese Reports die Frage nach den Gründen für den Angriff nicht zufriedenstellend beantworten können. Beide Regierungen bestehen auf ihrer Diagnose, der Vorfall sei durch Missverständnisse im Flugfunk, Unklarheiten bezüglich der Beflaggung der Liberty und durch Fehler bei der kartographischen Klassifizierung des Schiffes seitens der israelischen Marine zu erklären.
Eine wenig glaubhafte Darstellung, wenn selbst der offizielle Report der IDF (Israel Defence Forces) aus dem Jahr 1982 bestätigt, dass die israelische Kommandozentrale die Liberty schon mindestens drei Stunden vor dem Angriff als „elektromagnetisches Audioüberwachungsschiff der US-Marine“ identifiziert und auf taktischen Seekarten markiert hatte. Lediglich die letzten Berichte und das Archiv der NSA enthalten Dokumente, die die eingangs beschriebenen Aussagen der Liberty-Besatzung in Bezug auf Kenntlichmachung des Spionageschiffs bestätigten:
„Jedes offizielle Interview mit (..) Besatzungsmitgliedern der Liberty lieferte übereinstimmende Beweise dafür, dass die Liberty tatsächlich unter amerikanischer Flagge fuhr — und außerdem waren die Wetterbedingungen ideal, um ihre einfache Beobachtung und Identifizierung zu gewährleisten.“
Eine Vielzahl von Dokumenten und Tonbandaufnahmen, die den Vorfall betreffen, sind bis heute als geheim eingestuft und unter Verschluss. Die letzte Veröffentlichung der NSA zum Thema USS Liberty datiert aus dem Jahr 2007. Im Juni 2017 berichtete die US-Publikation The Intercept jedoch von neuen Erkenntnissen in der Causa Liberty, die seinerzeit durch Leaks des Whistleblowers Edward Snowden und ein Buch mit dem Titel „Remember the Liberty!“ ans Licht kamen. Auch die israelische Zeitung Haaretz griff das Thema einen Monat später auf und verkündete in einem Artikel vom 11. Juli 2017:
„Das Fazit der Autoren ist, dass der damalige US-Präsident Lyndon B. Johnson hinter dem Angriff steckte, mit einem Versuch, die Schuld dem ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser in die Schuhe zu schieben — ein Vorwand, der es den Vereinigten Staaten ermöglicht hätte, sich dem Sechstagekrieg anzuschließen.
Das Buch enthält unter anderem ein CIA-Dokument vom November 1967, das noch immer teilweise zensiert ist. In dem Dokument, das auch auf der offiziellen CIA-Website zu finden ist, wird eine anonyme Quelle mit den Worten zitiert:
‚Sie sagten, dass der damalige israelische Verteidigungsminister Moshe Dayan den Angriff auf das Schiff persönlich angeordnet habe, dass einer seiner Generäle entschieden dagegen war und sagte: ‚Das ist einfach Mord!‘ — es besteht kein Zweifel an der Echtheit des Dokuments (…) (Auch) zitiert das Buch eine Aussage des ehemaligen US-Botschafters im Libanon, Dwight Porter, der von einem Gespräch zwischen einem israelischen Piloten und dem Kommandozentrum der israelischen Luftwaffe berichtete, das von einem NSA-Flugzeug aufgegriffen und versehentlich an CIA-Büros auf der ganzen Welt weitergeleitet wurde.‘“
Der irritierende Wortlaut des besagten Gesprächs zwischen dem israelischen Piloten (P) und seinem Kommandozentrum (K) entlarvt jede offizielle Erklärung aus Israel oder den USA als Lüge:
„P: Das ist ein amerikanisches Schiff. Wollen Sie, dass wir trotzdem angreifen? K: Ja, folgen Sie den Befehlen. P: Aber Sir, es ist ein amerikanisches Schiff, ich kann die Flagge sehen! K: Egal, feuern Sie.“
Bereits zehn Jahre zuvor, im Oktober 2007, zum vierzigjährigen Jubiläum des Blutbads, hatte die Haaretz über NSA-Akten und Tonbänder berichtet, die jene eindeutige, für Israel mehr als blamable Gesprächspassage enthielten. Trotzdem weicht die israelische Regierung bis heute keinen Deut von ihrer initialen Erklärung ab und behauptet weiterhin, das Schiff damals verwechselt und die Flagge nicht gesehen zu haben. Aus Sicht des Täters ist dieses stoische Abstreiten des Vorsatzes eine durchaus nachvollziehbare Haltung. Doch was sind die Beweggründe der US-Regierung?
Warum ist Washington nicht an der Aufklärung des Vorfalls interessiert? Wieso sollen die Verantwortlichen für diesen Angriff, der 34 Amerikaner das Leben gekostet und 174 verwundet hat, nicht zur Rechenschaft gezogen werden?
Weshalb verhinderte das US-Militär nach der Bergung des Schiffes aktiv, dass Medienvertreter direkt mit Besatzungsmitgliedern der Liberty sprachen und schirmte diese ab? Wie kommt es, dass in den ersten Untersuchungen des Vorfalls, trotz entsprechender Zeugenaussagen der Crew, unterschlagen wurde, dass Israel Napalm eingesetzt hatte? Warum ignoriert die amerikanische Justiz bis heute das Telegramm des damaligen israelischen Botschafters in Washington, der in dem Schriftstück unumwunden eingesteht, dass Israel die alleinige Schuld an der Tragödie trägt?
Warum berichten amerikanische Leitmedien konsequent im Sinne Israels, während interne Memos des früheren stellvertretenden NSA-Direktors Louis Tordella die Berichterstattung als „Whitewashing“ für eine „Gruppe ignoranter, dummer und ungeschickter XXX“ bezeichnen? Warum sprechen die Crew-Mitglieder der Liberty in punkto medialer Aufbereitung des Vorfalls geschlossen von einem „Cover Up“, von Vertuschung? Und ist es reiner Zufall, dass Präsident Johnson nur ein Jahr nach dem Blutbad im Mittelmeer ein Geheimabkommen mit Israel namens „Stone Ruby“ unterzeichnete, einen Vertrag, der bis heute Bestand hat und dem zionistischen Staat den Austausch geheimer Waffentechnologie mit den USA garantiert?
Warum wurde Liberty-Kapitän McGonagle die höchste Tapferkeitsauszeichnung der US-Streitkräfte, die „Medal of Honor“, erstmalig in der Geschichte der Vereinigten Staaten unter Ausschluss der Öffentlichkeit verliehen, anstatt wie üblich im Rahmen einer pompösen Zeremonie mit dem Präsidenten? Warum wurde die USS Liberty still und heimlich in den Hafen von Valletta (Malta) gebracht, um nach ihrer Überführung in die USA schon 1968 außer Dienst gestellt und 1973 verschrottet zu werden? Warum wurde das Schiff in Malta optisch so auf Vordermann gebracht, dass die US-Massenmedien bei seiner Ankunft in Amerika keine Notiz mehr von den drastischen Schäden nehmen konnten? Und wieso ist der US-Regierung das Schicksal ihrer Veteranen — wieder einmal — völlig gleichgültig?
Wollten sich die USA tatsächlich am Sechstagekrieg beteiligen, wie „Remember the Liberty!“ impliziert? Oder wollte das israelische Militär durch die Zerstörung der Liberty am 8. Juni 1967 verhindern, dass die US-Regierung von dem für den 9. Juni angesetzten, völkerrechtswidrigen Angriff auf die Golanhöhen erfährt — eine Region, für die Israel erst im Jahr 2019 durch Donald Trump die Souveränität zugesprochen wurde? Wollte die Regierung in Tel Aviv verhindern, dass die NSA diesen Eroberungsfeldzug von der Liberty aus überwachen, dokumentieren und eventuell verhindern kann?
Die „American-Israeli Cooperative Enterprise“ (AICE), eine amerikanische Non-Profit-Organisation, die unter anderem die „Jewish Virtual Library“ betreibt, wiegelt ab und konstatiert in punkto USS Liberty lediglich: „Case closed!“ — Fall abgeschlossen! Es scheint, als berge eine wahrheitsgemäße Darstellung der Hintergründe das Risiko, die Bevölkerung verunsichert zu hinterlassen.
So kann über die tatsächlichen Motive und Gründe Israels für die tödliche Attacke weiterhin nur spekuliert werden. Zugeständnisse sind von beiden Regierungen nach fast sechzig Jahren vehementen Negierens der Faktenlage kaum mehr zu erwarten. Sicher ist: Viele von Lyndon B. Johnsons Freunden und engsten Beratern waren Befürworter eines radikalen Zionismus, der segregativen „Staatsräson“ Israels — die, um das noch einmal deutlich herauszustellen, auch gemäß der Ausführungen orthodoxer Juden absolut nichts mit Religionszugehörigkeit, nichts mit Kritik am Judentum zu tun hat. Es geht bei den Untersuchungen rund um die Attacke auf die USS Liberty nicht um Religion, sondern um Kriminalität, Mord und außerparlamentarische Einflussnahme.
Es geht darum, dass die vorsätzliche Tötung von 34 Menschen juristisch gesühnt werden muss. Um den Seelenfrieden der Hinterbliebenen. Es geht um eine angemessene Entschädigung der 174 schwer verletzten, traumatisierten und betrogenen Crew-Mitglieder, die an diesem verhängnisvollen Tag im Juni 1967 im guten Glauben an die Solidarität ihrer Staatsführung ihren Dienst auf der Liberty antraten.
Denn die knapp zwölf Millionen US-Dollar, die Israel bis 1980 der US-Regierung als Entschädigung bezahlte — die Hälfte davon für Materialschäden — werden dem Ausmaß des Verbrechens kaum gerecht. Es geht um die Wahrheit, auf die nicht nur Veteranen einen Anspruch haben, sondern auch die Öffentlichkeit, die die Streitkräfte mit ihren Steuergeldern finanziert.
Ja, die Besatzung der USS Liberty diente einem kriegslüsternen Hegemon. Sie musste im Rahmen ihres Einsatzes grundsätzlich damit rechnen, diesen mit dem Leben zu bezahlen. Dennoch ist es unter moralischen Gesichtspunkten eine Schande, dass es bis heute den Überlebenden der Attacke und den Hinterbliebenen der Opfer überlassen wird, die Öffentlichkeit über die wahren Begebenheiten aufzuklären. Vor diesem Hintergrund wurde im Jahr 2007 die Webseite USS Liberty Memorial online gestellt, die bis Mai 2022 gepflegt wurde und den Tathergang aus Sicht der Besatzung beschrieb — unterlegt mit dutzenden offizieller Quellen und Fotos.
Bereits seit 2003 existiert die Internetpräsenz der USS Liberty Inquiry, die eine neue Untersuchung des Vorganges von der US-Regierung fordert. Die vierteilige Dokumentation „Sacrificing Liberty“, die exklusiv von einer christlich-konservativen Organisation in Florida zum Streaming angeboten wird, schlägt in die gleiche Kerbe. Noch im August 2020 wurde eine Petition der „USS Liberty Community“ auf dem Online-Portal Change.org veröffentlicht, die Unterstützer für eine neue Untersuchung durch den US-Kongress mobilisieren möchte, bisher aber nur 1.390 Unterschriften sammeln konnte.
Von Erfolg gekrönt war augenscheinlich keines dieser Unterfangen. Die orwellsche „Geschichtsschreibung der Gewinner“ behielt bis heute ihre Gültigkeit. Ungeachtet der Tatsache, dass sie mit der Realität wenig gemein hat. Daran konnte auch die sehenswerte, weil mit Zeitzeugen, Originaldokumenten und unveröffentlichtem Bildmaterial aufwartende Dokumentation „The Day Israel Attacked Amercia“ nichts ändern, die 2014 veröffentlicht wurde und bei YouTube mittlerweile über zweieinhalb Millionen Aufrufe zu verzeichnen hat.
So stellt sich ausgangs unweigerlich die Frage, welche Rückschlüsse sich in Anbetracht dieser Vorgänge in Bezug auf das Verhältnis zwischen Israel und den Vereinigten Staaten ziehen lassen. Steht der 8. Juni 1967 für einen Wendepunkt in der Beziehung der beiden Staaten? Für einen Moment der Kräfteumkehr, den Nullpunkt einer tödlichen Freundschaft? Markieren die Attacke auf die USS Liberty und das vorsätzliche Töten von amerikanischen Soldaten den Emanzipationspunkt des israelischen David gegenüber seinem Gönner, einem hegemonistischen Goliath? Hatte die zionistische Lobby ihren Einfluss auf die US-Regierung zum Zeitpunkt des Sechstagekrieges bereits dermaßen ausgeweitet, hatte man die Führungsriege des Protektors so weit unterwandert, dass sich die Wahrheit bis heute unterdrücken ließ?
Folgt man den Indizien rund um dieses Verbrechen, lassen weder die kriminalistische Logik noch die gegenwärtige Berichterstattung in Sachen Nahost eine näherliegende Schlussfolgerung zu.
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