Die Verwertungsgesellschaft Wort vertritt die Interessen der Autoren, sprich der Urheber/Schöpfer von geschriebenen Werken – von Belletristik bis Journalistik, von Übersetzung bis Sachbuch bis Fachtext. Die VG Wort sammelt als Urhebervertretung unter anderem Bibliothekstantiemen, aber auch „Maschinenabgaben“ ein, also Geld von Kopiergeräte- und USB-Stick-Herstellern, da ja manch urheberrechtlich geschütztes Werk ohne Zuhilfenahme eines Kugelschreibers kopiert wird. Das eingesammelte Geld wird am Jahresende anteilig an alle in der VG Wort als „Wahrnehmungsberechtigte“ gemeldeten Urheber verteilt.
Seltsamerweise sind auch die Verlage seit 57 Jahren Wahrnehmungsberechtigte in der VG Wort, weshalb an sie alljährlich 30-50 Prozent der VG-Wort-Einnahmen ausgeschüttet werden. Da Verlage aber eben keine Urheber sind (§7 Urhebergesetz: „Urheber ist der Schöpfer des Werkes“), bat Autor Martin Vogel 2011 die VG Wort, die Nichturheber (Verlage) von der Verteilung auszuschließen. Die VG Wort wies dieses Ansinnen zurück, Vogel klagte und gewann, die VG Wort legte Revision ein, in letzter Instanz aber urteilte der Bundesgerichtshof 2016, Vogel habe Recht, die Verteilung sei rechtswidrig, die an die Verlage verteilten Gelder seien daher zurückzufordern und den rechtmäßigen Empfängern auszuzahlen, den Autoren.
Der BGH bekam daraufhin reichlich Post. Beziehungsweise offene Briefe. Von Verlegern, Lektoren, Journalisten und vom Börsenverein des deutschen Buchhandels, die den Richtern attestierten, sie hätten keine Ahnung und würden mit ihrer korrekten Auslegung bestehender Gesetze all die schönen, bewährten Regelungen kaputtmachen. Aber auch Martin Vogel bekam Post bzw. offene Briefe von Autoren, die sich schützend vor ihre Verlage stellten und den Kollegen wüst beschimpften. Autoren können nämlich nur schreiben (manche), aber nicht rechnen. Und sie verstehen nichts von Recht. Denn das BGH-Urteil bedeutete ja mitnichten, dass nicht jeder Autor frei war und auch weiterhin blieb, „seinem“ Verlag zum Beispiel Geld zu schenken oder seinem Verleger gratis das Auto zu waschen oder die eigenen Kinder nach ihm zu benennen.
Die Urhebervereinigung freute sich – nicht. Sondern gab eine Million Euro Urhebergeld für ein Gutachten aus, um nach Löchern in der Rechtslage zu suchen und den status quo zugunsten der Nichturheber, also der Verlage, doch erhalten zu dürfen. Die in der VG Wort versammelten Autoren dürfen das Gutachten bis heute nicht einsehen. Auch und gerade da sie obendrein nicht einsehen, weshalb ihre Verwertungsgesellschaft ihr Geld ausgibt, um sie schlechter zu stellen.
Nachdem nun aber das Kind endgültig in den Bundesgerichtsbrunnen gefallen war und die Verlage – jahrelang gründlich vorgewarnt – endlich schwarz auf weiß in den Händen hielten, dass sie gegen geltendes Recht verstoßen hatten, standen Rückforderungen in Höhe von etwa 400-100 Millionen Euro im Raum. 400, sofern man die Verjährungsfrist bei 10 Jahren ansetzte, 100, sofern man für „3 Jahre“ plädierte. Aber selbst im günstigsten Fall (100) blieben zwei grundsätzliche Probleme bestehen, nämlich erstens eine dicke Rechnung und zweitens ein blödes Gesetz.
Das Jammern der Verlage war groß, laut und überall zu hören und zu lesen. Der Untergang des Abendlandes drohte. Oder wenigstens der so gut wie aller deutschen Verlage. Und offensichtlich hatte trotz der diversen Vorwarnungen und verlorenen frühinstanzlichen Prozesse einfach niemand damit gerechnet, die BGH-Richter könnten tatsächlich Gesetze lesen. So hatten die Verleger von 2011 bis 2016 weiter fröhlich all die unter Vorbehalt von der VG Wort an sie überwiesenen Millionen ausgegeben – und waren jetzt förmlich pleite. Oder ruiniert. Nur wegen des doofen BGH.
Die Aufgabe, die sich den Verlagen nun stellte, war indes überschaubar. Denn man musste ja nur a) den Autoren die ihnen zustehenden 100 oder 400 Millionen Rückzahlungen weiterhin vorenthalten und b) die Gesetze so umschreiben lassen, dass die bisher rechtswidrige Verteilungspraxis der VG Wort – rechtens würde.
Wer nun meint, so was ginge ja gar nicht, schreibt vermutlich Belletristik. Und wer meint, Gesetzesänderungen dauerten ewig, kennt unsere Verlagskonzerne nicht. Kurz vor Weihnachten 2016 ging die Gesetzesänderung rasch und in kleinster Abstimmungsrunde durch den Bundestag, und auch wenn das neue deutsche Gesetz nicht mit geltendem europäischem Urheberrecht vereinbar scheint, ist die Verlagsbeteiligung an Urhebereinnahmen ab sofort zulässig. Vulgo: der BGH kann sich zukünftig gehackt legen.
Unmittelbar nach dieser in vorweihnachtlicher nebliger Nacht vorgenommenen Änderung der Gesetzeslage erklärten dann die Verlage ihren Autoren, diese sollten doch der VG Wort umgehend mitteilen, sie verzichteten vollständig auf die ihnen für die Vergangenheit zustehenden Gelder. Den Schreiben lagen freundlicherweise frankierte Rückumschläge bei, um den Autoren Portokosten zu ersparen.
Die Lage ist nun, nach Rücksendung der Abtretungserklärungen, für alle Seiten zufriedenstellend geklärt. Die Urheber verzichten auf die ihnen aus der Vergangenheit zustehenden 100-400 Millionen, die Verlage behalten das Geld, und zukünftig treten die Autoren ihre Ansprüche freiwillig an ihre Verlage ab, das lässt sich im Kleingedruckten regeln. Da Autoren generell wohlhabend sind und Verlagskonzerne wie Random House und Holtzbrink eben nicht, geht das ja auch völlig in Ordnung.
Urheberrechtlich ist das alles sauber. Das neue Gesetz erlaubt die Beteiligung von Nicht-Urhebern (Verlagen) an Urheber-Einnahmen (denen der Autoren). Fertig. Problem gelöst. Fragt sich nur, am dicken Ende, was eigentlich das Finanzamt zu diesem schicken Deal sagt, spätestens Ende 2017. Denn die in der Finanzverwaltung tätigen Steuerrechtler (nicht: Urheberrechtler) werden ja korrekt bemerken: Die Einnahmen standen dem Urheber zu. Dass er sie weiterverschenkt hat, ohne sie direkt vereinnahmt zu haben, steht ihm natürlich frei. Allerdings sind die Einnahmen trotzdem ihm zuzurechnen. Also steuerpflichtig.
Aber das ist natürlich nur eine Petitesse. Denn Autoren verzichten ja nicht nur gern für ihre Verlage auf ihre Ansprüche aus der Vergangenheit, sie zahlen gern obendrein auch noch aus eigener Kasse drauf, in Form von Steuern. Autoren sind Feingeister. Lesen ist Kultur. Schreiben auch. Rechnen nicht.
Anmerkung: Zum Weiterlesen empfehlen wir den Artikel "Sogenanntes Verzichtsmodell" von Martin Vogel.
Wenn Sie für unabhängige Artikel wie diesen etwas übrig haben, können Sie uns zum Beispiel mit einem Dauerauftrag von 2 Euro oder einer Einzelspende unterstützen.
Oder senden Sie einfach eine SMS mit dem Stichwort Manova5 oder Manova10 an die 81190 und mit Ihrer nächsten Handyrechnung werden Ihnen 5, beziehungsweise 10 Euro in Rechnung gestellt, die abzüglich einer Gebühr von 17 Cent unmittelbar unserer Arbeit zugutekommen.