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Können wir uns wehren?

Können wir uns wehren?

„Was nützen Programmbeschwerden?“, fragt sich und uns Volker Bräutigam. Und liefert die Antwort gleich mit.

Liebe kritisch-besorgte Anwesende,

nach allem, was wir hier schon besprochen haben: Was nützen eigentlich Programmbeschwerden? Bringen sie die ARD-aktuell dazu, die kriegsbereite Aggressivität des Westens nicht mehr als Einsatz für „Freiheit und Democracy“ zu verklären?

Schaffen sie Abhilfe, wenn die Tagesschau große Friedensdemonstrationen in Ramstein und vor dem Reichstag in Berlin konsequent ignoriert? Oder wenn sie glatt unterschlägt, dass Deutschland in der UNO gegen die Abschaffung der Atomwaffen stimmte?

Friedhelm Klinkhammer und ich haben seit dem Putsch in der Ukraine mehr als 400 Beschwerden eingereicht. Nicht einer einzigen hat der NDR-Rundfunkrat stattgegeben. Was wir sonst noch erreicht haben, berichte ich gleich.

Wir beschränken unsere Kritik auf den Meinungsführer ARD-aktuell. Tagesschau, Tagesthemen und so weiter erreichen täglich mindestens zehn Millionen Menschen.

Adressat unserer Beschwerden ist der Rundfunkrat des NDR. Ihm obläge es laut Rundfunkstaatsvertrag, die Erfüllung des Programmauftrags und die Einhaltung der Programmrichtlinien zu überwachen. Stichworte: Umfassend informieren, sachlich, wahrheitsgemäß, die Völkerverständigung fördern, den Bürger zum selbständigen Urteilen befähigen.

De facto – Sie haben das schon diskutiert – bedient der Rat aber nur die Partikular-Interessen von CDU und SPD, mit allen schändlichen Konsequenzen fürs Programm. Seine Mitglieder tagen hinter verschlossenen Türen. Ihre Sitzungen und deren Ergebnisse lassen sie vom Management desselben Hauses organisieren und realisieren, dessen Produktqualität und Programmpolitik sie eigentlich überwachen sollten.

Fragt ein Rundfunkrat einen leitenden NDR-Mitarbeiter: „Haben Sie mal 'ne Freikarte für mich bei Anne Will?“ Nun, es gibt auch noch schöne Sitzungsgelder, Reisekostenpauschalen und großzügigste Bewirtung im Sender. Intendant und Direktoren scharwenzeln um die Räte herum. Und deren Selbstverständnis mutiert vom Kontrolleur zum Co-Manager.

Der NDR-Rundfunkrat unterliegt keiner Rechenschaftspflicht. Mit Programmbeschwerden verfährt er willkürlich. Seine Entscheidungen begründet er nicht. Der Rechtsweg ist in Programmfragen ausgeschlossen.

Die Ministerpräsidenten der Länder und ihre medienpolitische Kamarilla haben Kopfzahl und Zusammensetzung des Rundfunkrates ausgekungelt. Die Parlamente haben das gebilligt. Mit dem Gemeinwohl und mit einem freien Informationswesen ist das Ganze ebenso verwandt wie der Trüffel mit dem Fußpilz.

Was nützen bei solcher Sachlage Programmbeschwerden?

Die Anwälte des von uns verklagten NDR schrieben dem Verwaltungsgericht Hamburg sinngemäß, wir seien Querulanten. Ein kleiner Exkurs zu unserer Motivation muss deshalb sein: Bitte wagen Sie einen schnellen Blick in den mentalen Abgrund zweier gerichtsnotorischer Querköpfe:

Nahe bei Aleppo griffen al-Qaida-Milizionäre einen palästinensischen Jungen auf. Er war zwölf Jahre alt. Die Männer ernannten ihn zum „Kindersoldaten Assads“, fesselten ihn und warfen ihn auf einen Kleinlaster. Unter dem Gegröle der Kumpanei riss einer dem Kind den Kopf zurück und säbelte ihm den Hals durch. Das ging nicht glatt, es dauerte etwas.
Den Kopf, nachdem der endlich abgeschnitten war, warf der Mann achtlos beiseite. Den Kopf eines zwölfjährigen Kindes.

Sie werden es nicht glauben: Von solchen Leuten bezog Volker Schwenck, Chef des ARD-Büros in Kairo, regelmäßig das Material für seine „aktuellen“ Berichte über die Kämpfe im 1.000 Kilometer entfernten Aleppo. Er verarbeitete Informationen und Videos von Dschihadisten. Antisyrische und antirussische Propaganda. Eigenrecherche in Aleppo, so hieß es verständnisheischend seitens der ARD, sei oft unmöglich, weil zu gefährlich. Das Fremdmaterial habe Schwenck jedoch immer äußerst sorgfältig geprüft.

Ja freilich.

Die Tagesschau kürte das übelste Terroristengesindel zu „Rebellen“ und beharrte darauf, dieser Begriff sei neutral konnotiert. Falls eindeutig pro-westlich, wurde die Mörderbande sogar als „bewaffnete Opposition“ verharmlost. Gelegentlich deklarierten journalistische Verpackungskünstler den Dreck auch als „moderate Rebellen“. Die Contradictio in adiecto konnte nur Zwangsneurotikern entgehen.

Söldner-Gesocks aus mehr als 30 Ländern wurde zu Freiheitskämpfern stilisiert, zu neuzeitlichen Wilhelm Tells, Karl Moors und Robin Hoods. Puren Abschaum gab die Tagesschau als „Bürgerkriegs“-Partei gegen Präsident Assad aus, der seit 2011 nur noch „Machthaber" genannt werden durfte, wiewohl demokratisch gewählt.

Unser öffentlich-rechtlicher Rundfunk streut die Lebenslüge der Westlichen Wertegemeinschaft. Seine „Wording“ genannte Selbstzensur belegt die enge Komplizenschaft mit der herrschenden Politik.

Ein Nachweis besonderer Art ist die Stellungnahme des Chefredakteurs Dr. Gniffke an Intendant Marmor:

„In ihrer Programmbeschwerde (...) werfen die Herren Klinkhammer und Bräutigam ARD-aktuell vor, zu verschweigen, dass der Syrien-Einsatz der Bundeswehr völkerrechtswidrig und verfassungswidrig sei. (...) In der Berichterstattung über die Bundestagssitzung (...) ging es darum, zu vermelden, dass fünf Bundeswehr-Einsätze vom Parlament verlängert worden sind. (...) Es ging aber nicht darum, (...) noch einmal die Hintergründe dieser Einsätze und damit zusammenhängende juristische Fragen zu erörtern. (...) Es ist allgemein übliche journalistische Praxis, (...) nur die nachrichtlich relevanten Informationen zu vermelden und die Vorgeschichte des Ereignisses und damit zusammenhängende Debatten als bekannt vorauszusetzen“ (2).

Verehrte Anwesende, Sie können wählen, wen immer Sie wollen – von dieser Tagesschau kriegen Sie hernach gesteckt, dass es weitergeht wie gehabt. Die zynische ARD-aktuell-Bude ist nicht einvernehmlich in einen informationellen Volkspalast zu verwandeln, in dem Friedensliebe, Gerechtigkeitssinn und internationale Solidarität das ethische Fundament bilden. Das geht nur auf revolutionärem Weg.

Allenfalls Kleinstkorrekturen aufgrund öffentlichen Drucks kommen vor, allerdings nicht unbedingt zum Besten. Zwei Beispiele aus der Inlandsberichterstattung.

Rufen Sie sich bitte eine der typischen Wasserstandsmeldungen über den Arbeitsmarkt ins Gedächtnis. Sie wissen schon:

„Die Zahl der Arbeitslosen ist um X auf Y zurückgegangen, das sind Z mehr als im Vormonat. Die Arbeitslosenquote lag bei A-komma-B Prozent.“

Wie oft die Nürnberger Arbeitsagentur schon die Basis ihrer Statistiken nach Berliner Regierungswünschen ändern musste, weiß ich nicht. Wohl aber etwas über den Zweck des faulen Zaubers: Schönfärberei, damit das soziale Elend nicht gar zu nachdrücklich ins Bewusstsein der Wählerschaft dringe.

Die konformistische Tagesschau war stets mit von der Partie. „Die anderen haben es auch so gemacht“, lautet ein Standardsatz in Stellungnahmen des ARD-aktuell-Chefredakteurs. Wo liegt seine Schamgrenze?

Unsere Programmbeschwerde – die dritte zum Thema „Arbeitsmarkt“:

„Sehr geehrte NDR-Rundfunkräte, (...) erneut (...) übermittelten (Tagesschau und Tagesthemen) lediglich die Teilstatistik über in diesem Monat als arbeitslos registrierte Menschen (...) und unterschlugen die Arbeitslosigkeit der vielen anderen, die in sogenannten ‚Maßnahmen’ der Bundesagentur untergebracht sind oder als Unterbeschäftigte weniger als 14 Stunden pro Woche Arbeit haben.“

(Oder die aus anderen Gründen statistisch ignoriert werden, zum Beispiel fast eine Million Wohnungslose).

„Sehr geehrte Rundfunkräte, in Ihrem Gremium sitzen einige Gewerkschaftsvertreter. Wenigstens die müssten, wären sie nicht vollkommen rundgelutscht worden in Ihrem Club Harmonia, gegen die tendenziöse Berichterstattung der ARD-aktuell Einspruch einlegen.“

Darauf erhielten wir vorerst nur Antwort vom Intendanten: Nach seiner und der Ansicht des Chefredakteurs liege keine Verletzung staatsvertraglicher Pflichten vor. Ich zitiere wieder auszugsweise:

„Sowohl in „Tagesschau“ als auch „Tagesthemen“ (...) wurde über die aktuellen Arbeitsmarktdaten nur auf Meldungsebene berichtet. Die Meldungen waren zwischen 28 und 35 Sekunden lang. (...) Nachrichten zu machen, bedeutet stets, Nachrichten zu gewichten und eine Auswahl zu treffen, denn aus Tausenden von Meldungen muss zwangsläufig eine Auswahl getroffen werden.“

Das muss man sich auf dem Trommelfell zergehen lassen: Eine fraglos desinformative Meldung rechtfertigen Intendant und Chefredakteur mit dem Zwang zur Kürze. Mit anderen Worten: Berichte dürfen irreführend sein, wenn sie nur eine bestimmte Länge nicht überschreiten. Das Elend von Millionen Menschen in unserer Mitte ist unter diesem Aspekt scheißegal.

Vollkommen wirkungslos war unsere wiederholte Kritik allerdings nicht. Am 3. Januar ergänzte die Tagesschau ihr Klischee mit folgendem Zusatz:

„Die Gesamtzahl der sogenannten Unterbeschäftigten sank auf knapp 3,4 Millionen. Dazu zählen neben den Erwerbslosen auch Personen in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen.“

Besser, aber noch lange nicht gut. Es fehlen weiterhin Aussagen über die Dunkelziffer der in Nürnberg statistisch nicht mehr Erfassten und eine definitive Gesamtquote dieses Elends.
Dabei sind diese Fakten über unser armes reiches Land vollständig verfügbar, beispielsweise beim Statistischen Bundesamt Wiesbaden. Aber die Tagesschau bringt sie nicht. Sozialer Sprengstoff ist tabu. So blockiert sie Überlegungen, ob es nicht an der Zeit wäre, die politische Funktionselite zum Teufel zu jagen.

Sedieren statt informieren: Diesen Zweck erfüllt das sattsam bekannte Mantra journalistischer Dummschwätzer:

„Die Konjunktur brummt“.

Wer meine Anmerkungen für überzogen hält, möge sich bitte folgende Frage beantworten:
Warum hat die Tagesschau nur einmal im Monat Platz für eine zudem kaschierende, ignorante Kurzmeldung über den Arbeitsmarkt — nur einmal im Monat — aber fast täglich Platz für Nachrichten über die Börse?

Am 27. Dezember erstach ein afghanischer Jugendlicher seine gleichaltrige deutsche Ex-Freundin. Seine Motive: Rachsucht, Eifersucht. Die Tat gründet nicht auf ethnischen Unterschieden.
Rachebedürfnisse sind ein interkulturelles Phänomen. Das Verbrechen war allenfalls von lokalem Interesse.

Im ARD-aktuell-Blog hieß es zunächst wohlbedacht:

„(Die) Tagesschau berichtet (...) nicht über Beziehungstaten. Zumal es hier um Jugendliche geht, die einen besonderen Schutz genießen“ (3).

24 Stunden später berichtete sie trotzdem bundesweit. Woher der Sinneswandel? Dazu die Redaktion:

"Seit einigen Stunden wird uns in den Sozialen Netzwerken vorgeworfen, die Tagesschau würde darüber nicht berichten. Wir würden bewusst etwas verschweigen. [...] Andere Medien haben dies bereits groß berichtet“ (4).

Die ARD-aktuell-Redaktion warf aus Angst vor Kritik in den sozialen Netzwerken vernünftige journalistische Grundsätze über Bord und gab der Sensationsgier nach. Zugleich bediente sie xenophobes und rassistisches Denken.

So tief ist sie gesunken. Die Tagesschau ist schon lange nicht mehr der Fels der Seriosität in einer vom Kommerz-TV aufgewühlten Brandung. Eher ein Flaschenlager für Qualitätsabfüllungen von politischer Anbiederei und marktkonformen Auftragsbotschaften.

Dagegen können wir uns wehren. Die Anstalten sind Gemeinschaftseigentum. Wir sind zudem das zahlende Publikum. Programmbeschwerden finden immer Interesse. Sie bieten korrigierende Information. Sie machen nachdenklich, unterstützen eine Gegenöffentlichkeit.

Massive Kritik erzeugt darüber hinaus internen Rechtfertigungsdruck. Die ARD-aktuell-Chefredaktion reagiert zwar meist noch verstiegen, wirkt aber irritiert. Sie hat mittlerweile sogar – bitte halten Sie ein Taschentüchlein parat – ein „Qualitätsmanagement“ eingerichtet. Ein Qualitätsmanager passt auf die Qualitätsjournalisten auf.

Heilig's Blechle!
Was wird jetzt aus der Golineh Atai?
Beispielsweise.

Die Tagesschau untergräbt ihre Glaubwürdigkeit selbst. Sie ist Hauptverursacher der Vertrauenskrise des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Es könnte sich daraus sogar eine Legitimationskrise entwickeln. Die böte immerhin die Option einer Verbesserung.

Liebe Anwesende, zum Schluss die Hygiene.

Programmbeschwerden über das Nachrichten-Surrogat beleuchten nicht nur seine Schändlichkeit. Sie beweisen zugleich das Versagen der Aufsichtsgremien. Die sind, weil mit kantenlosen Heloten besetzt, schmiegsame Vollzugsorgane unserer Parteienoligarchie. Bloße Abziehbildchen einer demokratischen Kontrollinstanz über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Protest gegen dessen Angepasstheit an die transatlantischen Interessen der Plutokraten ist ein Freiheitsakt. Manchmal obendrein eine Frage der staatsbürgerlichen Selbstachtung.

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Quellen und Anmerkungen:

(1) http://www.ialana.de/arbeitsfelder/frieden-durch-recht/ialana-kongresse-frieden-durch-recht/januar-2018-kassel-krieg-und-frieden-in-den-medien/2114-einladung-zum-ialana-medienkongress-26-28-januar-2018-in-kassel
(2) https://publikumskonferenz.de/forum/viewforum.php?f=44&sid=de2a65bdd2eb55736c67bdf929f6f4e9
(3) http://blog.tagesschau.de/2017/12/28/kandel-wie-die-tagesschau-damit-umgeht/
(4) https://politikstube.com/unter-druck-der-oeffentlichkeit-tagesschau-berichtet-ueber-mord-von-kandel/


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