Haben Sie sich schon mal ein Fußballspiel in einem Stadion angesehen? Wenn ja, dann wissen Sie, dort geht es verbal nur selten auf höchstem philosophischem Niveau zu. Organisierte Fangruppen und einzelne Zuschauer unterstützen nicht nur das eigene Team lautstark, sondern gehen auch die Gegner und fallweise die Schiedsrichter mit Rufen und Schmähgesängen an. Auch die eigene Mannschaft kann das treffen, wenn sie sich schwach und lustlos präsentiert. Neben dem Auspfeifen und höhnischen Gesängen sind Beleidigungen unter der Gürtellinie dabei an der Tagesordnung.
Doch das ist weit weniger schlimm, als es sich anhört. Die Verbalattacken sind teils ritualisiert und viele Profis haben sich ein dickes Fell zugelegt. Rassismus und Homophobie sind nicht Teil der Rufe und Gesänge — Diskriminierungen dieser Art kommen zwar auch in Stadien vor, werden von den organisierten Fangruppen, den „Ultras“, in der Regel jedoch bekämpft. Die Pöbeleien sind hauptsächlich vereinsbezogen und wechselseitig. Alle Fangruppen müssen verbal nicht nur austeilen, sondern auch einstecken können. Jeder, der mit Fußball zu tun hat, weiß das und sollte damit umgehen können. Fußball ist nicht Reiten, Golf oder Tennis. Fußball war und ist „Proletensport“.
Absurdes Theater der Fußballelite
Dies im Hinterkopf ist es geradezu absurd, was sich seit Ende Februar im deutschen Profifußball abspielt. Spitzenfunktionäre, Vereinspräsidenten und namhafte Sportjournalisten überschlagen sich geradezu vor Empörung und Sanktionsdrohungen gegen Fans, weil der Milliardär Dietmar Hopp auf Plakaten in mehreren Stadien als „Hurensohn“ beleidigt und in einem Fadenkreuz gezeigt wurde.
Doch niemand sollte auf die Ablenkungs- und Empörungsstrategie der Fußball-Eliten hereinfallen. Hier geht es nicht um die Wortwahl, sondern ums Geschäftsmodell. Die organisierte Fanszene hat bereits mehrfach öffentlich erklärt, dass sie ihre inhaltliche Kritik im Fall Hopp mit zugespitzter Wortwahl nur deshalb ergänzt, weil jeder rein sachliche Protest von Medien und Fußballeliten ignoriert wurde.
Der SAP-Gründer Dietmar Hopp ist nicht nur einer der reichsten Deutschen sondern auch Hauptgeldgeber seines Heimatvereines TSG Hoffenheim. Kritische Fans werfen ihm vor, einen Dorfverein mit vielen Millionen Euro künstlich zu einem Bundesligaclub aufgebaut zu haben.
Zudem besitzt er die absolute Stimmenmehrheit in der Spielbetriebsgesellschaft der TSG. Eigentlich dürfen laut „50+1-Regel“ Einzelinvestoren nicht solche Macht im deutschen Vereinsfußball haben — für Hopp gilt aber eine Ausnahmegenehmigung. Der Multimilliardär ist für viele Fans das Symbol der extremen Kommerzialisierung des Fußballs.
Aktion gegen Kollektivstrafen
Fangruppen zahlreicher Vereine hatten während der Liga- und Pokalspiele zuletzt kritische und teils beleidigende Plakate gegen den Deutschen Fußball Bund, DFB, und gegen Hopp gezeigt. Es handelte sich dabei um eine Solidaritätsaktion der organisierten und sportpolitisch aktiven Fanszene: „In den Farben getrennt, in der Sache vereint“.
Die Proteste waren eine Reaktion auf den Ausschluss der Fans von Borussia Dortmund, die Hopp wiederholt kritisiert hatten. Der DFB hat allen Dortmund-Fans für die nächsten Jahre verboten, Auswärtsspiele in Hoffenheim zu besuchen. Solche sogenannten Kollektivstrafen sollte es eigentlich nicht mehr geben. Der DFB hatte sie ausgesetzt. Diese Form der mittelalterlichen Sippenhaft — alle werden bestraft, wenn andere aus der Gruppe, Regeln verletzen — existiert im Fußball also weiterhin.
Beim Spiel Hoffenheim gegen Bayern München zeigten Bayernfans im Stadion aus Solidarität mit den Dortmundern mehrere kritische Plakate auch mit der Aufschrift „Hurensohn“ — quasi direkt unter Hopps Augen. Besonders diese Aktion wurde anschließend zum Eklat und Skandal aufgeblasen. Das Spiel wurde unterbrochen und mit freundschaftlichem Ballgeschiebe zu Ende geführt. Hopp kam anschließend auf den Rasen und wurde von den Hoffenheimer Zuschauern, von Spielern beider Mannschaften sowie Bayern-Chef Karl-Heinz Rummenigge beklatscht.
„Hart durchgreifen gegen Chaoten“
Ebenfalls stellten sich große Teile des deutschen Vereins- und Verbandsestablishments sofort verbal hinter Hopp und drohten der Fanszene. Genau besehen handelt es sich dabei um eine Solidarität der Reichen und Abhängigen. Es sind nämlich größtenteils Multimillionäre oder Verbandsvertreter, deren Arbeitgeber von Hopps Unternehmen SAP gesponsert werden. Zudem legen sie eine ausgeprägt konservative Law-and-Order-Mentalität inklusive Bild-Zeitungs-Rhetorik an den Tag.
DFB-Präsident Fritz Keller bezeichnete die Bayernfans als „Chaoten“ und ihre Aktion als „Katastrophe“ und „Tiefpunkt“. Der Bayern-Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge sprach von einem „schwarzen Tag für den Fußball“. Er schäme sich zutiefst für diese „Chaoten“, sie seien „Feinde des Fußballs“. Schalkes Sportvorstand Jochen Schneider brachte sofortige Spielabbrüche bei ähnlichen Aktionen in Zukunft ins Spiel. Der deutsche Bundestrainer Joachim Löw sagte : „Wir müssen gucken, dass wir solche Leute vom Stadion fernhalten.“ Es müsse „so hart, wie es irgendwie geht“ durchgegriffen werden.
Auch viele Medien veröffentlichten zahlreiche solcher Äußerungen. Sie sprachen von Schande, Zäsur oder vom hässlichen Gesicht des Fußballs. Doch das ist nicht nur völlig unberechtigt, sondern eine reine Ablenkungsstrategie.
Zur Wortwahl: Selbstverständlich ist der Begriff „Hurensohn“ im normalen Leben eine Beleidigung und die Darstellung eines Menschen im Fadenkreuz würde dort als Mordaufruf verstanden werden. Es ist nachvollziehbar, dass Dietmar Hopp mit juristischen Mitteln dagegen vorgeht.
Heuchelei pur
Trotzdem sind all die zitierten und weiteren Aussagen der Hopp-Verteidiger extrem heuchlerisch. Denn entscheidend ist in diesem Fall der Kontext. Man sollte sich ins Bewusstsein rufen, dass es sich hier um Menschen handelt, die ihr halbes Leben als Spieler, als Trainer, als Reporter oder als Offizielle in Fußballstadien verbracht haben, also ganz genau wissen, was dort gerufen wird. Die Beleidigungen gegen Hopp sind in diesem Kontext alles andere als eine Zäsur.
In einem Fußballstadion als „Arschloch“, „Wichser“ oder „Hurensohn“ bezeichnet zu werden, ist für Akteure in diesen Positionen Alltag.
Es ist sozusagen Berufsrisiko. Auch Fadenkreuze gab es schon in verschiedenen Zusammenhängen.
Ich will die Wortwahl hier nicht verteidigen — es ist auch nicht meine. Ich will aber deutlich machen, wie künstlich die jetzige Aufregung um Dietmar Hopp ist. Gerade der Begriff „Hurensohn“ ist in Stadien dermaßen alltäglich und nichtssagend, dass er faktisch für alles und jeden gebraucht wird. Ein paar konkrete Beispiele finden Sie in den Anmerkungen (1,2). Die Mönchengladbach-Fans machen dies mit ihrem Banner besonders deutlich. Dort war zu lesen :
„Hurensöhne beleidigen einen Hurensohn und werden von Hurensöhnen bestraft.“
Zusammengefasst: Für Fangruppen sind alle, die sie nicht mögen, „Hurensöhne“. Jeder Interessierte kann mit den entsprechenden Suchbegriffen im Internet unzählige Videos mit derlei Vokabular von vielen verschiedenen Fangruppen in Stadien gegen alle möglichen anderen Fangruppen finden. Auf vielen Bannern wird auch der DFB — also gar kein Mensch, sondern eine Organisation — als „Hurensohn“ bezeichnet.
Sich von Beschimpfungen im Stadion nicht beeindrucken zu lassen, gehört zur Professionalität von Berufsfußballern. Man kann von dieser Fußballkultur halten, was man will. Aber man kann als Akteur des Profifußballs, als Vereinspräsident, als DFB-Funktionär oder als TV-Kommentator nicht ganz spontan so tun, als wären die Hurensohn-Banner gegen Hopp irgendetwas Außergewöhnliches. Zumal es genau diese Kritik an ihm und zwar auch in exakt dieser Form bereits seit Hoffenheims Bundesliga-Aufstieg im Jahr 2008 (!) gibt.
Zahlreiche Unterbrechungen in verschiedenen Stadien
Trotzdem führten die solidarischen Fanproteste in vielen Stadien zu Spielunterbrechungen durch die Schiedsrichter. Und das auch, wenn die Plakate überhaupt keine Beleidigungen enthielten. Das Drittliga-Spiel Meppen gegen Duisburg wurde beispielsweise wegen eines Banners unterbrochen, auf dem lediglich stand:
„Hat der Dietmar genug Kohle wird zu seinem Schutz und Wohle von Leuten, deren Wort nichts wert, mal wieder jemand ausgesperrt.“
Deswegen Spiele zu unterbrechen, ist nichts anderes als Zensur.
Die Schiedsrichter waren von Verbandsseite im Voraus angewiesen worden, konsequent die Spiele zu stoppen und bei Wiederholung auch ganz abzubrechen, wenn im Stadion Kritik an Hopp und dem DFB vorkommt. Zynischer Weise sollten die Schiedsrichter hierzu die Verfahrensweise gegen Rassismus und Diskriminierung des europäischen Fußballverbandes UEFA, den Drei-Stufen-Plan, anwenden. Eine Verfahrensweise, die bei rassistischen Beleidigungen in deutschen Stadien noch nie genutzt wurde, nun aber bei der „Diskriminierung“ eines Milliardärs Anwendung fand.
Bei Spielabbruch würden die Vereine sportlich bestraft, von deren Fans die Kritik ausging, indem die Spiele unabhängig vom tatsächlichen Ergebnis als verloren gewertet würden. Noch so eine Form der Sippenhaft. Die Fans sollten auf diese Weise erpresst und gespalten werden.
Kritik an Geldmaschine Fußball unterdrücken
Doch warum führt etwas im Stadion Alltägliches zu einer dermaßen krassen Reaktion des vereinigten Fußball-Establishments, die es sonst nicht gibt? Der Grund ist ganz offensichtlich darin zu suchen, dass die moderne Geldmaschine Fußball hier in ihren Grundfesten kritisiert wird. Dietmar Hopp ist nicht nur Teil dessen und persönlicher Freund vieler Vereinsbosse, sondern er steht symbolisch für das gesamte System. Das Hurensohn-Vokabular ist den Fußball-Eliten völlig egal. Es dient nur als willkommener Anlass und Hebel, um in Medien und bei uninformierten Stadiongängern Stimmung gegen die Kritiker zu machen.
Die sportpolitisch aktive Fanszene ist seit Jahren ein beständiges Ärgernis des Establishments. Die Ultras tun das, was viele Sportmedien nicht tun: Sie kritisieren öffentlich das unmoralische und korrupte Handeln großer Vereine und des DFB. Die Bayernfans etwa greifen Bayern-Vorstand Rummenigge dafür an, Geld von den Diktatoren aus Katar zu nehmen. Alle Fangruppen vereitelten gemeinsam Versuche von Verbänden und TV-Sendern, immer mehr Geld durch eine Aufsplittung der Anstoßzeiten zu verdienen, zum Beispiel durch Montagsspiele.
Die Fans verteidigen die 50+1-Regel, um zu verhindern, dass Reiche und Mächtige sich ganze Fußballclubs unter den Nagel reißen. Zudem kritisieren sie die unterwürfige Haltung des DFB gegenüber seinen Geldgebern. Dietmar Hopp pflegt mit seiner Firma SAP enge Geschäftsbeziehungen zum DFB und zu mehreren Vereinen — darunter Bayern München. Der Chefredakteur des Magazins 11Freunde, Philipp Köster schreibt in einem Kommentar : Es gebe „vielfältige Bemühungen des Fußballestablishments, endlich die renitenten Fanblöcke unter Kontrolle zu bekommen, deren Proteste seit jeher die Geschäfte mit dem Fußball vermiesen“.
Zusammenfassend gesagt: Auch wenn die Fans in den vergangenen Jahrzehnten bereits viele Schritte der Kommerzialisierung hingenommen haben, wollen sie zumindest einen Rest des Volkssports Fußball erhalten. Sie wollen verhindern, dass er — so wie in England geschehen — zur komplett künstlichen und stimmungslosen Geldmaschine der Superreichen degeneriert. Auch wenn die Vokabel tunlichst vermieden wird: Das Ganze hat etwas von Klassenkampf.
Framing: Kritik an Superreichen = „Hass und Hetze“
Für politische Menschen sind diese Vorgänge im Fußball auch deshalb interessant, weil die Mächtigen der Fußballbranche in ihrem Kampf gegen die aktive Fanszene genau dieselben manipulativen Mittel einsetzen wie die Mächtigen aus der Politik gegen die kritischen Teile der Bevölkerung. Die legitime politische Kritik an Dietmar Hopp wird dem Zeitgeist entsprechend als „Hass und Hetze“ etikettiert. Am Tag direkt nach dem Hoffenheim-Spiel gründete der FC Bayern aus diesem Anlass eine „Anti-Hass-Kommission“. Viele Medien machen diese Hass-Etikettierung unkritisch mit. Einige, so wie der bayerische Innenminister Joachim Herrmann, betitelten die Fanplakate bereits als „Hasssprache“.
Es ist vielleicht nur eine Frage der Zeit, bis kritische Fanplakate unter dem Vorwand der Bekämpfung von „Hate Speech“ verboten werden. Allerdings lässt sich so etwas in der analogen Welt, besonders in Fußballstadien, nicht ganz so leicht und unauffällig bewerkstelligen wie in der digitalen Welt. Vielleicht kommen alternativ bald auch Faktenchecker zum Einsatz, die — natürlich völlig unabhängig — Gegeninformationen recherchieren und Gegenplakate enthüllen, die die Segnungen Dietmar Hopps preisen.
Die Botschaft ist jedoch klar: Irgendetwas solle gegen die gefährliche Hasssprache getan werden. Die Zeit orakelte in diesem Zusammenhang bereits:
„Hatespeech kann zu Terror führen.“
Der Gladbacher Sportdirektor Max Eberl und andere brachten die Anti-Hopp-Plakate in Mönchengladbach sogar in direkten Zusammenhang mit dem Massenmord von Hanau, wogegen sich die Urheber und andere Fangruppen empörten. Die Mainzer Fanhilfe schrieb über die Gleichsetzung mit Terror:
„Das alles macht uns wirklich fassungslos. Wie ignorant muss man sein, in diesem Kontext auf rassistischen Terrorismus anzuspielen?! Das Plakat ist weder rassistisch, noch terroristisch. Punkt! Neun Menschen wurden in Hanau von einem Nazi als 'nicht deutsch' markiert und deshalb hingerichtet. In Gladbach wurde ein weißer, deutscher Milliardär beleidigt. Das eine hat nichts mit dem anderen zu tun! Diese beiden Dinge in einen Topf zu werfen, stellt nicht nur eine völlig überzogene Skandalisierung des Plakats dar. Vor allem ist eine unerträgliche Relativierung tödlicher rechter Gewalt!“
Fußballeliten setzen Kritik an Hopp mit Rassismus gleich
Gern wird der Fanprotest gegen Hopp mit Rassismus und Antisemitismus in einen Topf geworfen. Zum Beispiel tut dies Bayernspieler Thomas Müller mit diesem Tweet. Vorbildlich sind übrigens die fast ausnahmslos kritischen Antworten der Twitternutzer darauf. Dietmar Hopp selbst versuchte, die Kritik an ihm mit Nazideutschland zu assoziieren. In einem Interview erklärte er, das alles erinnere ihn „an ganz dunkle Zeiten“. Bei Wikipedia ist zu lesen, dass Hopp Sohn eines SA-Truppenführers ist. Also weiß er über die dunklen Zeiten aus erster Hand Bescheid.
Zudem sagte Hopp, er wisse gar nicht, was „diese Idioten“ im Stadion von ihm wollten.
Hier wird die auch in der Politik übliche Doppelmoral der Eliten deutlich: Wenn das Fußball-Establishment und Sportjournalisten die Fans als „Chaoten“, „Schwachköpfe“ oder „Irrsinnige“ bezeichnen, erkennen sie darin natürlich keine Hasssprache.
Medien stehen mehrheitlich hinter Hopp
Das Verhalten der Medien in diesem Konflikt ist eine weitere Parallele zu politischen Konflikten: Die Leitmedien sind auf Seite der Reichen und Mächtigen. Allerdings bröckelt die Front hier stärker. Vor allem der Sportjournalismus bezieht fast ausschließlich Stellung für Hopp. Ob das Aktuelle Sportstudio (ZDF), die Sportschau (ARD), das Magazin Kicker oder der Bezahlsender Sky — alle treten als Nachbeter des Narrativs und unkritische Stichwortgeber des Fußball-Establishments auf. Nur wenige nicht-traditionelle Sportmedien wie das Magazin 11Freunde halten dagegen.
„Diese #Hopp-Berichterstattung heute ist eine Schande für den deutschen Sportjournalismus“, kritisierte Stern-Journalist Swen Thissen. Wie dieses Zitat bereits andeutet, gibt es in der nicht auf Sport spezialisierten Medienlandschaft auch andere Stimmen. Hier verläuft die Konfliktlinie zwischen konservativen und liberalen Medien.
Die konservative Seite lobt Hopp in den Himmel und spricht sich wie üblich für massive Maßnahmen des Polizei- und Überwachungsstaates gegen Fans aus. Ein Autor des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) verlangt „ein knallhartes, ein unerbittliches Durchgreifen“. Auch die Zeitungen des Axel-Springer-Konzerns stehen unverbrüchlich zu Hopp. In der Welt deutet ein Kommentator an , das Fußball-Establishment spreche für eine Art schweigende Mehrheit gegen die „Chaoten“ und „Krawallos“. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung fordert, dass Dietmar Hopp in Schulbüchern gewürdigt wird und man ihm Denkmäler baut.
Andere Stimmen finden sich bei der Zeit, bei n-tv oder im Deutschlandfunk. Sie alle heben hervor, dass der DFB nicht konsequent auf Rassismus im Stadion reagiere, aber sofort mit dem schärfsten aller Schwerter drohe, wenn ein Milliardär beleidigt werde.
Drohkulisse der Eliten unrealistisch und nicht durchzuhalten
Doch schon am Tag der ganzen Drohungen von DFB und Vereinsbossen war klar, dass sie diese Drohkulisse von Spielabbrüchen und Stadionverboten nicht wahrmachen können, ohne ihr eigenes Geschäftsmodell zu zerstören. Sie können zwar mit Überwachungskameras und Richtmikrofonen in Stadien versuchen, einzelne Kritiker vor Gericht zu bringen, was Dietmar Hopp auch schon seit Jahren tut. Aber mehrere Spiele wegen Kritik und Beleidigungen an Hopp und DFB abzubrechen und wiederholen zu lassen, gibt der Terminkalender gar nicht her. Zumal auch das Wiederholungsspiel wieder abgebrochen werden könnte.
Ließe man diese Partien als „Geisterspiele“ ohne Zuschauer stattfinden, gingen massive Geldeinnahmen und der atmosphärische Reiz des Fußballs verloren. Dies werden die kommenden Geisterspiele wegen des Coronavirus bestätigen.
Alternativ bestünde die Möglichkeit, abgebrochene Spiele „am grünen Tisch“ nachträglich mit Punkten zu werten. Demnach würde der Verein als Verlierer verurteilt, dessen Fans die Kritik äußerten. Täten dies Fans beider Vereine, würden beide als Verlierer gezählt. Eine massiv verzerrte Tabelle wäre die Folge. Völlig unrealistisch wirkt diese Variante, da die Tabellenplatzierung entscheidend für Auf- und Abstieg, Teilnahme am Europapokal und damit für die millionenschwere Zuteilung von Geldern für die Vereine wäre.
Solch eine Praxis wäre letztlich das Ende der DFB-Sportgerichtsbarkeit — der Paralleljustiz des Verbandes. Viele Vereine würden bei solchen Benachteiligungen vor ordentliche Gerichte ziehen und freigesprochen. Für das Verhalten einiger Fans können sie wohl kaum verantwortlich gemacht werden. Der DFB würde sich mit Spielabbrüchen wegen „Schmähplakaten“ zudem ein ungeahntes Manipulationspotenzial in jedes Stadion holen. Jeder vom Konkurrenzverein bis zur Wettmafia könnte anschließend mit wenigen Komparsen einen Spielabbruch bei ungünstigem Ergebnis erzwingen.
Die Fußballeliten sind selbst zu Sklaven der Geldmaschine Fußball geworden. Sie können faktisch nichts anderes tun, als die sportpolitisch aktiven Fans öffentlich zu verleumden und darauf zu hoffen, dass andere Zuschauer gegen die Ultras vorgehen.
Ganz abgesehen davon, dass es aus Elitensicht auch ziemlich dumm wäre, die gesellschaftliche Ventilfunktion von Fußballstadien beschneiden zu wollen. Bislang fanden sich nur wenige zivile Mittel, die besser geeignet wären als die Fußballfankultur, um die politische Energie und das gesellschaftliche Veränderungspotenzial von Massen junger proletarischer Männer in ungefährliche Bahnen zu lenken.
Fans gewinnen, wenn sie zusammenhalten
Einstweilen haben die Verantwortlichen still und leise bereits ihre Rückzieher gemacht. Am vergangenen Spieltag gab es fast keine Spielunterbrechungen mehr, obwohl es wieder zahlreiche „Schmähgesänge“ und Plakate gegen Hopp und DFB gab. Die Verantwortlichen zeigten, dass sie den Mund zu voll genommen hatten und nun vor ihren eigenen Konsequenzen zurückschreckten. Offenbar hatten sie auch die Solidarität der Fanszene unterschätzt — hier deren Aufruf . Die organisierten Fans zeigten dabei mit zahlreichen kritisch-sarkastischen und Bannern ohne Beleidigungen ihre kreative und intelligente Seite. In solchen Fällen sind sie nicht einmal gerichtlich angreifbar.
Auch wenn Dietmar Hopp und der Rest des Fußball-Establishments ihren Kampf weiterführen und sich dazu noch das ein oder andere Mittel einfallen lassen, die Einsicht bleibt unumstößlich: Halten die einfachen Fans solidarisch zusammen — dann gewinnen sie diese Machtprobe. Vielleicht auch ein Vorbild für die restliche Gesellschaft.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Alle folgenden Schimpfworte sind Zitate. Falls Sie die Links anklicken wollen, regeln Sie bitte die Lautstärke ihres Gerätes herunter, einige Videos sind laut. Im Derby Schalke 04 gegen Dortmund singen die einen von „BVB-Hurensöhnen“ und die anderen von „Scheiße 04“. Die Fans von Hannover 96 bezeichnen die Gäste aus Bremen als „Hurensöhne“ und hier in einem Spiel in Dresden alle Sachsen ebenfalls als „Hurensöhne“. Für die Fans von Eintracht Frankfurt sind die Fans vom VfB Stuttgart „Hurensöhne“, für die Stuttgarter sind wiederum die Anhänger des FC Bayern „Hurensöhne“. Und so weiter und so fort.
(2) Natürlich gibt es diese Beleidigungen auch in personifizierter Form. Hier eine kleine Auswahl solcher Verbalattacken allein aus den letzten Jahren, die in Stadien aber überhaupt nichts Besonderes sind: 2013 wechselte der Mittelfeldspieler Mario Götze in einer umstrittenen Aktion von Borussia Dortmund zum Hauptrivalen Bayern München. Fortan wurde er bei Gastspielen in Dortmund immer mit massiven Sprechchören als „Hurensohn“ empfangen . Trotz zahlloser weiterer Beleidigungen wechselte Götze 2016 wieder zurück nach Dortmund. Im selben Jahr wurde RB-Leipzig-Spieler Timo Werner Nach einer Schwalbe im Spiel gegen Schalke zum „wohl meist gehassten Fußballprofi Deutschlands“. Fortan wurde er von gegnerischen Fangruppen — das heißt von tausenden Menschen in Stadien — regelmäßig als „Hurensohn“ beschimpft. Der Wolfsburger Stürmer Mario Gomez wurde im Mai 2017 wegen eines unberechtigten Handelfmeters in den Relegationsspielen gegen Eintracht Braunschweig von gegnerischen Fans permanent als „Hurensohn“ besungen. Das hat ihn und seine Mitspieler dermaßen „belastet“, dass sie das Lied bei der anschließenden Siegesfeier im Bus selbst anstimmten und Gomez lauthals mitsang. Torwart Manuel Neuer wechselte 2011 vom FC Schalke 04 zu Bayern München. Das machte ihn, der früher selbst in der Schalker Fankurve stand, zum Hassobjekt in seiner Heimatstadt. Jedes Jahr wird er bei Bayernspielen auf Schalke mit Sprechchören beleidigt. Bei seiner ersten Rückkehr etwa als „Judas“ und natürlich als „Hurensohn“. Nur wenige Tage nach dem Eklat-Spiel in gegen Hoffenheim musste der FC Bayern mit Neuer auf Schalke spielen. Auch da wurde er wieder als „Hurensohn“ empfangen, doch das Spiel wurde nicht unterbrochen. Neuer lobte die Schalker Fans danach sogar.
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