Es ist kein Zufall, dass diese „Kirchweihen“ ganz überwiegend zum Ausgang des Sommers stattfinden. Aber wie hätten die Kirchen landauf landab gerade nach der arbeitsreichen Erntesaison fertiggestellt sein können? Waren doch nur die wenigsten Handwerker am Bau Spezialisten. Die meisten Arbeiten mussten durch die fronpflichtigen Menschen vor Ort erfolgen, die aber im Sommerhalbjahr durch die Landwirtschaft voll gefordert waren. Alle logistischen Dienste oblagen den Besitzern von Pferde- und Ochsengespannen, die in Erntezeiten unentbehrlich waren. Der Gleichklang von Erntedankfesten und „Kirchweihe“ muss eine andere Erklärung haben.
Eigentlich handelt es sich bei Kerwa/Kirmes/Kirtag um alte Dorffeste, bei denen sich alles um eine „Kür“ drehte. Es fanden Wahlen und Wettbewerbe statt — ob für einen Gemeindevorstand oder andere Funktionen. Reste dieser Tradition haben sich in der Wahl eines Schützenkönigs oder einer Weinkönigin erhalten. Mannschaften konkurrierten in sportlichen Wettkämpfen, man konnte sich eine Trophäe in gefährlicher Höhe vom geschmückten Festbaum pflücken oder beim Kartenspiel („Schafkopf“) ein lebendes Tier gewinnen.
Die phonetische Ähnlichkeit von Küren und Kirche nutzte die Geistlichkeit, den Zweck der Veranstaltung umzudeuten und in ihr Hoheitsgebiet zu ziehen. Dabei sind die Wurzeln leicht bis in die naturreligiöse Zeit zu verfolgen. Das keltische Quartalsfest zur Getreideernte Anfang August und das Fest der römischen Göttin Diana zur Augustmitte gehören in diese Traditionslinie. Nicht zufällig fanden die Feste auf einer Dorfwiese im Grünen statt. Auch das hat sich bis heute erhalten in den Bezeichnungen „die Wiesn“ (München), „Wasen“ (Stuttgart) oder eben „Kerwas“. Mancherorts erinnern noch die traditionellen Festspeisen von „Bocksbraten“ bis Lebkuchenherzen an die bacchanalischen Ursprünge des Festes.
Ritualisierte Feste beweisen, dass uralte Überlieferungen des Dankes und der Freude über die Gaben der Natur bis in unsere der Natur entfremdete Welt überlebt haben.
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