Im Vorfeld der Preisverleihung, wir haben darüber ausgiebig berichtet, wurde die heutige Festveranstaltung seitens der Politik zu verhindern versucht. Die Friedensbewegung hat sich engagiert, gewehrt und hatte Erfolg. Sie hätte ausgelassen feiern können.
Es spielt eigentlich auch keine Rolle, ob es eine Preisverleihung, die Gründung einer Friedensinitiative, die Organisation eines Friedensfestivals oder die Entwicklung von Friedensverträgen ist. Der Effekt ist ähnlich wie beim Kindergeburtstag und Weihnachtsfest:
Alle wollen Frieden, doch das glatte Gegenteil passiert.
In der Friedensbewegung könnte man annehmen, sei das anders. Ist es aber nicht.
Die besten Ideen, die schönsten Projekte scheitern, weil es erbitterten Streit unter den Beteiligten gibt. Eine Friedensbewegung, die sich durch Mangel an Konfliktfähigkeit selbst sabotiert, kann keine Gegenmacht zu Krieg und Terror bilden. Das ist fatal für die Menschen, die in sinnlose Kriege getrieben werden. Wie kann die Friedensbewegung ihre Veränderungsenergie erhöhen und das tun, was ihre Aufgabe ist: Frieden in Bewegung bringen?
Alle Jahre wieder
Ähnlich wie eine Familie ist die Friedensbewegung nur auf den ersten Blick eine homogene Gruppe. Die Menschen in ihr sind in Wahrheit sehr unterschiedlich. Selbst wenn das Ziel „friedliches und harmonisches Zusammenleben“ bei allen dasselbe scheint, gibt es unterschiedliche Meinungen und Interessen. Diese können so unvereinbar aufeinandertreffen, dass relativ schnell der Entschluss gefasst wird, den Kontakt abzubrechen, die Zusammenarbeit zu beenden oder sich komplett aus der Friedensbewegung zurückzuziehen. Was übrig bleibt ist Stress, Resignation und Frust.
Aus „der linken Ecke“ kommend oder aus „konservativen Kreisen“ hervorgehend, großes Festival oder kleiner Friedens-Stammtisch, friedliches Kunstprojekt oder Friedensforschung: Keine Initiative ist davor gefeit, durch Konflikte so in ihrer Arbeit beeinträchtigt zu werden, dass sie beschädigt wird.
Man beschimpft den einen, der bloß seine Ideen hilfreich einzubringen versucht als hirnrissigen Idioten, will einer schlichten, ist er ein Opportunist ohne eigene Meinung, ein weiterer erhält auf einer Friedenskundgebung durch eifriges sowie dünn begründetes Drängen aus den eigenen Reihen heraus einen Platzverweis und so weiter und so weiter. Anstatt sich miteinander zu verbinden, ist man beflissen darauf bedacht, sich voneinander zu distanzieren, weil die Meinung und das Verhalten des anderen „ja gar nicht gehen“.
Die „alten Hasen“ der Friedensforschung haben teilweise so viele Jahre mit und gegeneinander gekämpft, dass sie sich gar nicht mehr vorstellen können, dass etwas dran sein könnte an dem, was jemand sagt, der nicht ihrer Meinung ist. Dabei sind sie so freudlos geworden, dass sie einer engagierten Jugend, die etwas verändern will, kein Vorbild mehr sind. Dabei könnte ihre Erfahrung das Fundament für die nachkommende Generation bilden.
In der Friedensforschung, in der es nüchterner zugehen sollte, und die im Idealfall in einem stützenden und tragenden Dialog mit der Friedensbewegung stehen sollte, sieht es kaum anders aus, was Werner Ruf schon vor etlichen Jahren in seinem Artikel „Quo vadis Friedensforschung“ eindrücklich beschrieben hat.
Auch wenn das zunächst ein düsteres Bild zeichnet, passt auch hier wieder der Vergleich mit dem Weihnachtsfest in der Familie: Man weiß, es ist vielleicht anstrengend, aber schließlich gelingt es meist doch irgendwie, sich darauf zu besinnen, dass es das Fest der Liebe ist und man kommt trotzdem.
Aufgeben gilt nicht. Das kann in der Friedensbewegung keine Option sein, denn es geht um Menschenleben.
Was ist dann die Option? Was für das Weihnachtsfest gilt, gilt auch für die Friedensbewegung: Die einzige Option ist Liebe. Liebe zu sich selbst, denn die meisten Menschen wollen in Frieden leben, und Liebe zu der (Menschheits-)Familie, der Gemeinschaft, in der man lebt. Liebe ist die Motivation, die all unser Handeln bestimmt und die einzige Motivation, selbiges zu ändern, wenn es in falsche Bahnen geraten ist.
Das klingt zwar wundervoll, aber Liebe ist nichts für Weicheier, denn wenn man in der Friedensbewegung liebevoll und friedlich agieren will, braucht es bestimmte Voraussetzungen: Das Erlernen und Üben von Achtsamkeit, ein tiefes Verständnis von dem, was ein Konflikt überhaupt ist und Wissen um die Dynamik von Konflikten (in Gruppen).
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Achtsamkeit bereitet der Friedensbewegung den Boden zu wirklicher Veränderung
Das Problem ist jedoch zunächst, dass wir nicht zu jedem Zeitpunkt voll und ganz im Saft unserer Liebe stehen, wenn wir handeln. Das würde beinahe Übermenschliches von uns verlangen. Es ist auch gar nicht notwendig, diesbezüglich Perfektionismus an den Tag zu legen und sich vorzunehmen, sich einfach nur nie wieder aufzuregen. Das wird nicht gelingen.
Wichtig ist, sich bewusst zu machen, wann wir liebevoll uns selbst oder anderen gegenüber handeln und wann gerade nicht. Dahinter verbirgt sich weder Urteil noch Wertung.
Es ist völlig in Ordnung, auch als friedensbewegter Mensch stinkwütend zu sein und sich tüchtig aufzuregen. Es ist allerdings wichtig, sich dabei zu beobachten und die eigenen Gedanken und Gefühle wahrzunehmen, ohne sich sofort mit ihnen zu identifizieren.
Achtsamkeit ist das Wort, beziehungsweise die Haltung, welche dieses Prinzip der Selbstreflexion beschreibt. Wer Achtsamkeit übt, ist wie ein Zuschauer im Theater seiner Gedanken und Gefühle. Er beobachtet, was auf der Bühne geschieht, ist aber kein Teil des Dramas.
Achtsamkeit ist kein Skalpell, mit dem man Konflikte aus der Friedensbewegung herausoperiert.
Sie ist eher ein Mittel, Abstand zu gewinnen, um die Handlungsspielräume in Konflikten zu erweitern. Wenn ich unachtsam bin, springe ich – um im Bild zu bleiben – auf die Bühne und werde Teil eines Theaterstückes, das ich nicht selbst geschrieben habe. Ich verliere die Übersicht und tue Dinge, die ich vielleicht gar nicht will.
Jeder Mensch wird eines Tages jenen Menschen treffen, der ihm genau das sagt, was ihm fremd ist oder ihn bis ins Mark trifft und das die Emotionen hochkochen lässt.
Weihnachtsfeste im Kreise der Familie sind ein guter Ort zum Üben. Nicht umsonst heißt es „Wenn Du denkst, Du bist erleuchtet, besuche mal wieder Deine Eltern.“ Wie automatisch verfallen wir in bestimmte Handlungsmuster und geraten in althergebrachte Konfliktmuster, an deren Ende wir uns fragen, wie wir eigentlich dahingekommen sind.
In der Friedensbewegung ist Achtsamkeit besonders wichtig, weil die Tragweite höher und die Verantwortung noch größer ist. Kriege können eher verhindert werden, wenn es viele Menschen gibt, die sich dem mutig und stark entgegenstellen. Das leuchtet unmittelbar ein. Doch trotzdem bleibt vielfach unbemerkt, dass man sich mit Scharmützeln innerhalb der eigenen Reihen beschäftigt, anstatt sich um das große Ganze zu kümmern. Das schwächt enorm.
Achtsamkeit in der Friedensbewegung bedeutet wahrnehmen zu können, wann man die Übersicht verliert und nicht mehr der eigenen, sondern einer fremden Agenda folgt.
Es ist bei der Organisation von Veranstaltungen, bei jeder Diskussion, innerhalb jeder Initiative wichtig zu prüfen: Was denke und fühle ich gerade? Das dauert nur einen Atemzug lang, hilft aber enorm. Dann kann ich beispielsweise weiter fragen: Verhandle ich hier der Sache wegen oder habe ich Angst, meine Position zu verlieren? Was ist dran an dem, was der andere gerade sagt? Bei welchen Gedanken kann ich mitgehen, bei welchen nicht?
Sich in einem Konflikt achtsam einen Moment zurückzulehnen und zu atmen dauert nicht lange, verhilft aber dazu, erst einmal schweigen zu können. Das bewirkt nicht nur, dass man merkt, dass man stinksauer ist und gerade keine freundlichen Gedanken seinem Diskussionspartner entgegenbringen kann, sondern es kann bewirken, dass man zwar immer noch stinksauer ist, das jedoch merkt und immerhin noch in der Lage ist, dem anderen zuzuhören. Dadurch wird der automatische Ablauf bestimmter, noch zu zeigender, Verhaltensweisen im Konflikt durchbrochen.
Achtsamkeit ist auch ein Mittel gegen Angst und Stress in Konflikten. Denn Konflikte haben immer etwas Bedrohliches und machen uns Angst. Wir wollen sie im Grunde nicht. Wir haben zum Beispiel Angst, verletzt zu werden. Deshalb ist es hilfreich, durch Achtsamkeit zu spüren, wie aufgeregt und ängstlich man ist. Das Beobachten der eigenen Gefühle verhilft dazu, einen Weg zu finden, sich um die Angst zu kümmern, zum Beispiel dadurch, dass man sich Informationen zu einer Sache oder einer Person (zum Beispiel durch ein persönliches Treffen) verschafft. Wissen hilft gegen Angst. Reagiert man jedoch rein aus der Angst gesteuert in einem Konflikt, dann verengt das die Perspektive und man reagiert blind.
Fazit: Achtsamkeit führt weg von der Annahme, dass Konflikte etwas sind, was nur die anderen haben. Denn wir beobachten in erster Linie die eigenen Gefühle und Gedanken. Somit verschafft Achtsamkeit auch wieder Handlungsspielraum, denn auf die Meinung und das Verhalten anderer haben wir keinen direkten Einfluss. Es hilft zum Beispiel nichts, jemanden in einer Diskussion anzuschreien, damit er seine Meinung ändert. Man vergrößert dadurch nur den Widerstand im anderen. Das führt von der Sache und vom anderen Menschen weg. Ändert man allerdings sein eigenes Verhalten, verändert das die gesamte Situation und die Chance steigt, dass der andere ebenfalls überlegt, was an dem dran sein könnte, was man sagt.
Konflikt ist nicht das, was „die anderen haben“
Wenn man durch Achtsamkeit schafft, seine Gedanken und Gefühle zu beobachten, kann man feste Gewohnheiten im Denken und Fühlen lösen. Für einen angemessenen Umgang mit Differenzen und Gegensätzen braucht es jedoch mehr: Ein Wissen davon, was ein Konflikt überhaupt ist, welche Arten von Konflikten es gibt und welche „Selbstansteckungsmechanismen“, wie es der österreichische Politikwissenschaftler und Konfliktforscher Friedrich Glasl bezeichnet, in Konfliktsituationen ablaufen können.
Nicht jede Differenz oder jeder Gegensatz ist beispielsweise ein Konflikt. Glasl definiert Konflikt wie folgt:
„Ein sozialer Konflikt ist eine Interaktion (ein aufeinander bezogenes Kommunizieren oder Handeln) zwischen Aktoren (Individuen, Gruppen, Organisationen...), wobei wenigstens ein Aktor Unvereinbarkeiten im Denken/Vorstellen/Wahrnehmen und/oder Fühlen und/oder Wollen mit dem anderen Aktor (anderen Aktoren) in der Art erlebt, dass im Realisieren eine Beeinträchtigung durch einen anderen Aktor (die anderen Aktoren) erfolgt“.
Das scheint auf den ersten Blick etwas unübersichtlich. Das strukturschaffende Wort ist Beeinträchtigung. Wenn man merkt, dass man sich in seinen Interessen oder Meinungen voneinander unterscheidet, heißt das noch lange nicht, dass man einen Konflikt hat.
An dieser Stelle braucht es Achtsamkeit, um sich fragen zu können: „Bin ich in meinem Denken, Fühlen und Handeln tatsächlich beeinträchtigt?“. Es könnte passieren, dass die Antwort lautet: „Nein, es ist nur eine andere Meinung. Er hat die. Ich habe eine andere.“ oder „Sein Verhalten gefällt mir nicht, aber beeinträchtigen tut es mich nicht“.
Die Frage, was ein Konflikt tatsächlich ist, zieht andere Fragen nach sich und es wird deutlich, wie wichtig dieser kurze Moment der Achtsamkeit ist, sich diese Frage(n) zu stellen, weil dadurch das Losbrechen stereotyper und eskalierender Verhaltensweisen unterbrochen ist.
Zu diesen stereotypen Verhaltensweisen in Konfliktsituationen gehört im Denken die Annahme, dass man selbst in einem Konflikt nur der Reagierende ist. „Ich musste ja so reagieren, weil der andere...“ und der Konfliktpartner sieht das umgekehrt genauso „Ich musste das mal sagen, weil der...“.
So dreht sich die Sache im Kreis.
Zirkularität von Konflikten
Konflikte haben eine zirkuläre Dynamik. Sie wird oft als „Gewaltspirale“ bezeichnet und beschreibt eine Art destruktives Perpetuum mobile in Konfliktsituationen. Bleibt dieser Charakter von Konflikten unbeachtet, kann er eine enorm, zerstörerische und Angst einflößende Kraft entfalten.
Am Anfang des Konfliktkreislaufes steht die Irritation: Man ist von dem Verhalten eines Menschen, dessen Meinung oder dessen Emotionen verunsichert. Das eigene Erleben wird als reaktiv erlebt, man sieht sich als Opfer. Das wiederum verzerrt die Wahrnehmung der Realität. Damit sich diese, nun verzerrte, Realität bewahrheitet, sucht man sich andere, die man von der Richtigkeit des eigenen Denkens, Fühlens und Handelns überzeugen kann. Glasl nennt das „soziale Ansteckung“, was den viralen Charakter eines Konfliktes unterstreicht. Schließlich kommt man an den Punkt, an dem es sehr schwer wird, sich überhaupt noch in die Lage des anderen zu versetzen. Es kommt also zu Empathieverlust. Dies wiederum führt zum dargestellten stereotypen Verlauf von Irritation, verzerrter Wahrnehmung, sozialer Ansteckung und Empathieverlust.
Der Schluss darf natürlich kein fatalistischer sein, dass dann alles so bleiben sollte, weil Konflikte nun mal so ablaufen.
Denn aus den eingangs gezeigten Gründen täte die Friedensbewegung gut daran, sich intensiv mit dem Thema Achtsamkeit und Konflikt auseinanderzusetzen, wenn sie erstens verhindern will, dass sie von innen heraus gespalten wird und zweitens zu einer Gruppenstärke heranwachsen will, die in der Lage ist, eine Gegenmacht zu Kriegsbefürwortern zu bilden.
Deshalb sind das Wissen um Konfliktmerkmale in Kombination mit Achtsamkeit wichtige Faktoren auf dem Weg zu einem friedlichen Miteinander. Einen Konflikt zu verstehen bedeutet, dass die Angst vor Konfliktsituationen abnimmt, weil man etwas darüber weiß, was abläuft. Dadurch kann man sein Verhalten ändern und das wiederum verändert den Ausgang des Konfliktes in etwas Konstruktives.
Auf das Wesentliche besinnen
Wozu die ganze Anstrengung? Glasl schreibt, dass Konfliktfähigkeit die Utopie vom Frieden retten könnte. Doch was ist der Nutzen? Auch hier ist wieder Achtsamkeit gefragt: Einmal einen Ein- und Ausatemzug lang könnte man sich vorstellen: Wer wäre ich, wenn ich Konflikte friedlich lösen könnte? Was hätte ich dadurch für eine Wirkung auf andere? Was könnte das zum Frieden beitragen? Was kenne ich für friedliche Momente, auch in meiner eigenen (Friedensbewegungs- und Menschheits-) Familie?
Wenn es einem dann gelingt, einen Konflikt durch Änderung des eigenen Verhaltens umzuwandeln, wird man vielleicht feststellen können, was für eine Erleichterung und Freude das sein kann. Wenn man etwas Neues ausprobiert, kann man auch positive Erfahrungen machen. Das Positive an Konflikten kann sein, dass man seine Kraft spürt und seine Bedürfnisse erfüllt bekommt. Ein Mensch, mit dem man sich in konstruktiver anstatt destruktiver Weise gestritten hat, rückt einem näher. Das wiederum nimmt Konflikten ihren bedrohlichen Charakter, führt uns aus der Angst und stärkt unseren Mut.
Man kann mit Achtsamkeit und Konfliktfähigkeit seine Empathie stärken und Wege ausprobieren, aus dem beschriebenen „Wutkreislauf“ in Konflikten einen „Mutkreislauf“ zu generieren.
In diesem Sinne wünsche ich allen Lesern friedliche Weihnachten und viel Spaß beim Feiern von Friedensfesten aller Art!
Quellen und Anmerkungen:
- Glasl, Friedrich (2004): Konfliktmanagement: Ein Handbuch für Führungskräfte, Beraterinnen und Berater, 8. Auflage
- Glasl, Friedrich (2000): Konfliktfähigkeit statt Streitlust oder Konfliktscheu: Die Chance, zu sich selbst und zueinander zu finden
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