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Karl Marx als Verschwörungstheoretiker

Karl Marx als Verschwörungstheoretiker

Im Gegensatz zu früher sind bei der Forderung nach Untersuchung bestimmter Machenschaften verschworener Kreise heute auch manche Linke sehr schnell mit dem Vorwurf der „Verschwörungstheorie“ bei der Hand.

Ich hatte neulich zwei „Flatearther“ in meiner eigenen Küche sitzen und binnen zweier Stunden konnten sie mich restlos überzeugen von der Flachheit … ihres Intellekts. Ich bin also durchaus der Auffassung, dass wir ein Problem bekommen, wenn sich Hinz und Kunz seine Weltanschauung irgendwie zusammengoogeln, und wir uns dann noch darauf einigen, dass jeder alles halt so sehen darf, wie er oder sie das eben möchte.

Nein, es gibt – zumindest in meinem Weltbild – richtig und falsch, Fakten und Lügen, Tatsachen und Mythen. Herauszufinden und zu beweisen, was jeweils richtig und was falsch ist, ist freilich eine komplizierte Aufgabe – es ist die Essenz dessen, was wir Wissenschaft nennen.

Die Voraussetzung für wissenschaftliches Arbeiten ist nun, dass man sich zunächst über die Begriffe und deren Bedeutung verständigt, mit denen man operieren möchte.

Das Problem des Textes von David Meienreis beginnt folglich damit, dass er den Begriff „Verschwörungstheorie“ unhinterfragt verwendet. Er verzichtet darauf, seinen Ursprung in der Vertuschungskampagne rund um das Kennedy-Attentat zu benennen oder seine anschließende Karriere als Kampfbegriff zu analysieren.

Meines Erachtens reduziert dieses kritiklose Schwimmen in einem eindeutigen Herrschaftsdiskurs die Brauchbarkeit des Artikels von vornherein ganz erheblich. Und prompt versammelt der Autor die üblichen Adjektive - paranoid, antisemitisch, rassistisch, absurd - um den Begriff „Verschwörungstheorie“, ohne im Detail zu sagen, um welche Theorien es hier eigentlich geht.

Die fehlende Netzwerkanalyse kapitalistischer Verschwörungen

Aber selbstverständlich gibt es auch Theorien von Verschwörungen, die all das sind, in denen etwa Juden, Moslems oder andere Minderheiten das Unglück der Welt sein sollen. Und freilich trifft es auf viele Leute zu, wenn Meienreis schreibt:

„Verschwörungstheorien bauen und bauschen eine aus marxistischer Sicht eher banale Erkenntnis auf: die Dinge sind nicht so, wie sie scheinen. Regierungen und Verwaltungen handeln nicht für das Allgemeinwohl (…) In erster Linie geht es um die Vermehrung des Kapitals. Und der Staat und seine Organe schützen und erhalten diese Wirtschafts-, Eigentums-, und Gesellschaftsordnung.“

Ausdrücklich zuzustimmen ist Meienreis auch, wenn er schreibt:

„In gewissem Sinne gehören Verschwörungen zum Alltagsgeschäft des globalen Kapitalismus: ständig finden irgendwo mehr oder weniger geheime Treffen statt, bei denen unternehmerische, politische oder militärische Strategie besprochen werden, bei deren Umsetzung das Leid oder auch der Tod von Menschen und ebenso der Bruch von Gesetzen billigend in Kauf genommen werden.“

Genau an dieser Stelle wäre es nun spannend gewesen, ins Detail zu gehen und etwa eine Netzwerkanalyse vorzunehmen. Wer verschwört sich mit wem, um welche Strategien durchzusetzen? Wie ist die Macht im globalen Kapitalismus 2017 verteilt? Wer trifft welche Entscheidungen? Wie werden sie durchgesetzt?

Es sind diese Fragen, mit denen sich viele Autoren beschäftigen, die regelmäßig mit dem Vorwurf konfrontiert sind, „Verschwörungstheoretiker“ zu sein. Schon die Frage danach, wer heute welche Machthebel bedient und wer sich da mit wem im Geheimen trifft, zieht unweigerlich diesen Vorwurf nach sich.

David Meienreis büchst an dieser Stelle lieber in Allgemeinbetrachtungen aus, die noch dazu ziemlich fragwürdig sind.

Zusammengefasst argumentiert er: weil sämtliche Verschwörungen im Kontext der „Anarchie des Marktes und der internationalen Politik“ stattfinden, spielen sie letztlich keine entscheidende Rolle. Das kapitalistische System nämlich produziert immer wieder Krisen, es ist im Kern völlig chaotisch und deswegen kann „niemand das System des globalen Kapitalismus kontrollieren“.

Diese Annahme, dass das System chaotisch und unkontrollierbar sei, stellt das Gegenstück zu der Vorstellung dar, das System sei nach dem Masterplan einer winzigen Clique perfekt gelenkt. Beides ist falsch, aber ich will mich hier mit der These vom unbeherrschbaren Systemchaos beschäftigen, die viele traditionelle Linke immer wieder anführen. Ich halte diese Idee für grundfalsch.

Rosa Luxemburg stellt Marx vom Kopf auf die Füße

Erstens sind in der Geschichte der menschlichen Gesellschaft „die Handelnden lauter mit Bewußtsein begabte, mit Überlegung oder Leidenschaft handelnde, auf bestimmte Zwecke hinarbeitende Menschen; nichts geschieht ohne bewußte Absicht, ohne gewolltes Ziel.“ - So schrieb Friedrich Engels in seinem Werk: „Ludwig Feuerbach oder der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie“

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass diese richtige Auffassung von Engels unmittelbar darauf stark eingeschränkt, ja, geradezu aufgehoben wird. Laut Engels nämlich sind sich die Menschen, anders als Pflanzen und Tiere, ihrer Handlungen zwar voll bewusst. Aber das Ergebnis ihrer Handlungen ist nicht immer vorhersehbar und aus der Summe oftmals entgegengesetzt wirkender, bewussten Handlungen ergibt sich am Ende ein entsetzliches Durcheinander.

Soweit, so richtig, behauptet Engels weiter, vermittels dieses Durcheinanders würden sich dann auf dem Wege des Zufalls „innere, allgemeine Gesetze“ in der Gesellschaftsgeschichte durchsetzen, die denen in der unbewussten Natur gleichen.

Ich halte diese Vorstellung schon für die Geschichte der Natur für ziemlich fragwürdig und das Konzept „Zufall“ generell für wenig brauchbar. Diese Denkweise kam auch in den Debatten nachfolgender Marxisten über die Rolle des Zufalls und die Rolle des Individuums in der Geschichte stark unter Druck.

Man kann jedenfalls, wenn man diese Passagen bei Engels liest, recht gut verstehen, warum gerade er immer wieder Zielscheibe des Vorwurfs gewesen ist, der Marxismus sei „deterministisch“ - er gehe also von einer Vorherbestimmtheit der Geschichte entlang eherner Gesetzmäßigkeiten aus.

Ich persönlich neige einem Geschichtsbild zu, das Rosa Luxemburgs Umkehrung von Marxens berühmter Feuerbach-These folgt.

Marx hatte geschrieben:

„Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen.“

Rosa Luxemburg machte daraus:

„Die Menschen machen ihre Geschichte nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen. Aber sie machen sie selbst.“

Marx, Mehring und Lenin im Kampf gegen die Verschwörer

Eine allgemeine Betrachtung der Gesetzmäßigkeiten des kapitalistischen Systems erübrigt deshalb keineswegs, historische Ereignisse, die jeweiligen Netzwerke der Macht und ihre Akteure konkret zu analysieren. Denn mit diesen hat man es am Ende zu tun. Eine allgemeine „Krisenhaftigkeit des Systems“ führt eben nicht dazu, dass es egal wäre, ob nun die Nazis oder die Kommunisten 1933 den Reichstag angezündet oder ob islamische Fundamentalisten oder Geheimdienste die Anschläge am 11. September 2001 durchgeführt haben. Diese Fragen müssen gestellt und geklärt werden.

Ein Blick in die Klassiker marxistischer Geschichtsschreibung zeigt dann auch, dass für die Begründer dieser Denkrichtung die Analyse der Klassenkräfte nicht endete, bevor sämtliche Winkelzüge, Manöver, Listen und False-Flag-Aktionen haarklein analysiert und die Verantwortlichen ans Licht gezerrt waren.

Karl Marx nimmt sich in seinem Geschichtswerk „Der Bürgerkrieg in Frankreich“ ausführlich Zeit, die verschwörerischen Machenschaften eines Adolphe Thiers nachzuweisen. Er beschreibt ihn wie folgt:

„Ein Meister kleiner Staatsschufterei, ein Virtuose des Meineids und Verrats, ausgelernt in allen den niedrigen Kriegslisten, heimtückischen Kniffen und gemeinen Treulosigkeiten des parlamentarischen Parteikampfs; stets bereit, wenn vom Amte verdrängt, eine Revolution zu entfachen und sie im Blute zu ersticken, sobald er am Staatsruder…“

Liest man die Werke von Franz Mehring, des Doyens der marxistischen Geschichtsschreibung, so kann man nur staunen über die geradezu detektivische Akribie, mit der er den Machenschaften des „militaristischen Dreigestirns“ Bismarck, Roon und Moltke nachspürte. Schließlich konnte Franz Mehring, die vom Reichskanzler selbst gefälschte „Emser Depesche“ als eine klug gestellte Falle enttarnen, die Bismarck – „der klügere der beiden Schwarzkünstler“ – seinem Widersacher Napoleon III. in einem zähen, geheimdiplomatischen Zweikampf gestellt hatte, um den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 zu provozieren.

Solche Recherchearbeit spielte für die Ablehnung der Kriegskredite 1870 und die anschließende Befestigung der antimilitaristischen Haltung der Arbeiterbewegung im Kaiserreich eine herausragende Rolle.

Sehr praktisch wurde die Auseinandersetzung mit geheimen Machenschaften dann bei Lenins Bolschewiki, die sich nicht darauf beschränkten, im tagtäglichen Kampf mit der zaristischen Geheimpolizei Ochrana auf den „tendenziellen Fall der Profitrate“ zu verweisen, sondern immer neue Taktiken ersannen, um revolutionäre Literatur nach Russland zu schmuggeln oder dortige, illegale Zellen besser zu tarnen.

Übrigens ist für die Welle revolutionärer Erhebungen am Ende des Ersten Weltkriegs die Aufdeckung einer internationalen Verschwörung – die Veröffentlichung der Geheimkorrespondenz zwischen den kriegführenden Mächten nämlich, die den Bolschewiki nach dem Oktoberaufstand in die Hände gefallen war – von der allergrößten Sprengkraft gewesen.

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Auseinandersetzung mit Verschwörungen und mit Geheimdiensten in der Geschichte und in der Geschichtsschreibung der Arbeiterbewegung einen so großen Raum eingenommen hat, dass man sich gar nicht genug wundern kann, wie lapidar der gesamte Themenkomplex offenbar von einigen Marxisten heutzutage abgetan wird.

Wie chaotisch ist der Kapitalismus?

Drittens fragt man sich angesichts der Vorstellung des Kapitalismus als ungebremstes und unlenkbares Chaos, die Meienreis in einem Magazin namens „Marx21“ präsentiert, ob seine eigene Lektüre eigentlich bei „Marx19“ stehengeblieben ist. Die ausgedehnte Literatur der zweiten Generation des Marxismus über den Kapitalismus im Zeitalter der Monopolbildung und die Herausbildung des Imperialismus scheint an ihm vorübergegangen zu sein.

Anstatt lediglich auf den „tendenziellen Fall der Profitrate“ zu verweisen, der immer wieder zu Krisen führt – und der allerdings die explosive Dauerexpansion des Kapitalismus in den letzten 250 Jahren nicht verhindert hat - wäre vielleicht hilfreich gewesen, auf ein anderes Gesetz der kapitalistischen Warenwirtschaft hinzuweisen, welches Karl Marx himself ebenfalls herausgearbeitet hat.

Es ist dies die „Tendenz zur Zentralisation und Konzentration des Kapitals“. Die ist für die Weiterentwicklung des kapitalistischen Systems zum Imperialismus entscheidend gewesen. In seinem Werk „Imperialismus und Weltwirtschaft“ schränkte etwa Nikolai Bucharin deshalb das im Kapitalismus vorherrschende Chaos bereits 1917 erheblich ein:

„Obwohl aber die moderne Weltwirtschaft im großen und ganzen anarchisch aufgebaut ist, macht der organisatorische Prozeß auch hier einige Fortschritte und tritt hauptsächlich im Wachstum der internationalen Syndikate, Kartelle und Trusts in Erscheinung. (…) Diese Gebilde erfüllen das gesamte Wirtschaftsleben.“

Diese Gebilde - Monopole! - wirken der blindwütig-chaotischen Konkurrenz auf dem kapitalistischen Markt machtvoll entgegen - wobei die Kommandohöhe dieser neuen Form der Herrschaft … die Banken sind. Bucharin:

„Die internationalen wirtschaftlichen Beziehungen bilden zahllose Fäden, die in Tausenden von Knoten verknüpft sind, tausendfältig verflochten sind, um endlich in den Abkommen der größten Banken der Welt zusammenzulaufen, die ihre Fühler über den ganzen Erdball ausstrecken. Der internationale Finanzkapitalismus und die international organisierte Herrschaft der Banken ist eine unwiderlegliche Tatsache der ökonomischen Wirklichkeit.“

Dies also schrieb Nikolai Bucharin im Jahre 1917, in einem Kapitel namens: „Die organisierte Form der Weltwirtschaft“.

Gibt es Gründe anzunehmen, dass dieser Prozess der Zusammenballung gigantischer wirtschaftlicher Macht in immer größeren Einheiten seither zum Stehen gekommen ist? Oder hat er sich nicht viel eher fortlaufend verstärkt?

Sicherlich, dass heute 62 Einzelpersonen soviel Besitz angehäuft haben wie 3,7 Milliarden andere Menschen auf der Welt, muss nicht ausschließen, dass einige dieser 62 Personen miteinander in wütender Konkurrenz stehen, dass sich ihre Pläne durchkreuzen, dass sie ihre Projekte gegenseitig zum Scheitern bringen.

Aktuell erleben wir zum Beispiel eine tiefgreifende Spaltung der Herrschenden Klasse des Westens, die sich in den Kämpfen rund um die Trump-Administration entlädt.

Man wird sich aber auch gut vorstellen können, dass diese 62 Personen vielfältig miteinander zu tun haben, dass sie Absprachen treffen, dass das Heer ihrer Untergebenen vielfältig miteinander in Kommunikation steht. Und wenn Menschen mit solchen Machtmitteln sich gemeinsam entschließen, dann dürften die Auswirkungen entsprechend wuchtig ausfallen.

So erklärt sich, mit welch enormer, langfristiger, strategischer Disziplin Projekte wie TTIP/CETA oder die Abschaffung des Bargeldes global betrieben werden.

Das reine ungebremste Chaos sieht jedenfalls anders aus und in nahezu allen relevanten Wirtschaftszweigen ist die Herausbildung von sehr wenigen, weltweit operierenden Monopolen längst eine Tatsache.

Alan Greenspan, die FED und die „schöpferische Zerstörung“

Kommen wir zum vierten und bis zu einer Replik auf diese Replik letzten Kritikpunkt. Meienreis hält, als jemand, der analytisch offenbar noch nicht im Monopolkapitalismus angekommen ist, natürlich auch die These für „absurd“:

„…dass die herrschenden Klassen die Wirtschaftskrisen herbeiführen, um Sozialkürzungen durchsetzen und die arbeitende Klasse disziplinieren zu können.“

Richtig daran ist, dass der Kapitalismus unabwendbar Wirtschaftskrisen hervorbringt. Sie werden von daher nicht durch die herrschende Klasse „gemacht“, sondern sie entstehen zwingend durch die inneren Widersprüche des Kapitalismus.

Ansonsten möchte ich dringend das Buch des Marxisten Detlef Hartmann zur Lektüre empfehlen: „Krisen - Kämpfe – Kriege. Band 1: Alan Greenspans endloser ‚Tsunami‘ / Eine Angriffswelle zur Erneuerung kapitalistischer Macht“.

Hartmann weist anhand interner Protokolle der Federal Reserve, sowie zahlreicher Reden und Texte Alan Greenspans überzeugend nach, dass die von Meienreis pompös vorgestellte „Krisenhaftigkeit des Kapitalismus“ auch für den langjährigen Chefbanker der FED durchaus kein Geheimnis gewesen ist.

Allerdings hat Greenspan, basierend auf Joseph Schumpeters Konzept der „schöpferischen Zerstörung“, einen geradezu virtuosen Umgang mit diesen Krisen entwickelt. Die Entwicklung der Dotcom-Blase, sowie der Immobilienblase in den USA kamen demnach für Greenspan keineswegs überraschend. Im Gegenteil: er befeuerte diese Blasenbildung gezielt und vorsätzlich, um bei deren Platzen einen massiven Innovationsschub des US-Kapitalismus zu erzwingen.

Greenspans Strategie der „produktiven Zerstörung“ bestand, kurz gesagt, darin, die alte, schwerindustrielle Basis des US-Kapitalismus gezielt der Verwüstung anheimfallen zu lassen und gleichzeitig massiv Kapital in die digitale Wirtschaft umzuleiten. Dieses Manöver ließ junge Konzerne wie Google, Facebook und Co. zu Weltmonopolen reifen.

Auch das bedeutet natürlich nicht, dass Krisen für den Kapitalismus nunmehr vollends beherrschbar geworden wären. Die Krisen kommen nicht, weil Greenspan sie möchte, sondern weil der Kapitalismus sie immer wieder benötigt - um weiter expandieren zu können, aber auch, weil er in seiner ewigen Expansion an eine innere Wachstumsgrenze gerät.

Aber es bedeutet eben sehr wohl, dass auf den Kommandohöhen des Kapitals ein bewusster Umgang mit Krisen längst Einzug gehalten hat. Speziell Greenspan hat auch ihr Potential als Peitsche zur Disziplinierung der Arbeiterklasse nachweislich erkannt, offen ausgesprochen und diese Peitsche gnadenlos zum Einsatz gebracht.

Geheimdienste & Demokratie

All das bedeutet nun keineswegs - um Meienreis dann auch wieder einmal recht zu geben - dass der Grund für die Misere der Menschheit die FED, Greenspan, die Geheimdienste oder 62 Superreiche sind. Sie alle sind die Sachwalter und Strategen der kapitalistischen Misere und ihre ungeheuerliche Macht ist das Ergebnis des Kapitalismus und nicht dessen Ursache.

In der Tat verwechseln dies viele internetsozialisierte Aktivisten, die zudem eine gewisse Vorliebe für die Darstellung der Weltgeschichte in Form einer Familiensaga mit unterdurchschnittlichen Dialogen haben. Und wenngleich es spannender sein mag, sich mit den geheimen Machenschaften elitärer Kreise zu beschäftigen als sich mit der politischen Ökonomie des Kapitalismus herumzuschlagen, ist letzteres selbstverständlich unabdingbar.
Denn, so Meienreis richtig:

„Erklärungen, die (…) alles auf Verschwörungen zurückführen, verfehlen das Wesentliche und verhindern so eine effektive Kritik an den herrschenden Verhältnissen: (…) Alles wäre vermeintlich gut, wenn nur die Verschwörer aus dem Verkehr gezogen würden. “

Dem ist nun zweifellos nicht so. Würden die Superreichen lediglich ausgewechselt, würde sich vermutlich sehr wenig ändern, solange das System bleibt wie es ist.

Andererseits jedoch würde es auch nicht Nichts bedeuten, wenn „die Verschwörer aus dem Verkehr gezogen“ wären - wenn beispielsweise John F. Kennedy gelungen wäre, die CIA „in 1000 Teile zu zerschlagen und in den Wind zu verstreuen“.

Auch das hätte bestimmt noch nicht das Ende das Kapitalismus bedeutet - aber doch wohl eine ungeheuere Verschiebung der Machtverhältnisse, die Millionen Leben retten hätte können.
Die Strukturen der Macht, mit denen wir es zu tun haben, sind nicht abstrakt und folgen keinen ehernen Gesetzen. Ja, sie sind historisch exakt jener exorbitanten Konzentration wirtschaftlicher Macht entwachsen, die der Kapitalismus zwingend mit sich bringt. Sie sind aber auch die Garantie dafür, dass diese Machtkonzentration erhalten bleibt und weiter wuchert.

Eine Entblößung dieser wirtschaftlichen Macht von ihren vorgelagerten Strukturen ist deshalb eine zwingende Vorbedingung zur Durchsetzung jener echten Demokratie, die Freund Meienreis abschließend fordert:

„Das eigentliche Problem ist nicht, dass einige geheime Verschwörer sich illegal Macht und Reichtum aneignen, sondern dass eine winzige Minderheit ganz legal die Welt als ihr Privateigentum behandelt. Wer Verschwörungen ein Ende setzen will, muss die Welt demokratisieren.“

Das ist sehr schön und richtig gesagt. Aber die Wahrheit ist immer konkret. Und am Ende hat man es in der konkreten Auseinandersetzung um Demokratie nicht mit dem „tendenziellen Fall der Profitrate“ zu tun und leider auch sehr selten ganz direkt mit jener winzigen Minderheit, die die Welt als ihr Privateigentum behandelt.

Sondern man bekommt es mit den Agenturen der Machtausübung zu tun, die in ihrem Auftrag handeln. Von ihnen wird man dann mit gesteuerten Diffamierungs- und Rufmordkampagnen eingedeckt. Sie decken die Mörder des NSU. Sie organisieren die globale Totalüberwachung der Kommunikation. Sie haben alle entscheidenden Medien infiltriert. Sie liefern durch ihre Operationen Kriegsgründe.

Um es in abgewandelter Form mit Erich Fried zu sagen: Wer über die Machenschaften der Geheimdienste nicht reden möchte, sollte von der Demokratie schweigen!


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