Das Durchdringen aller gesellschaftlichen Ebenen auf Basis niederschwelliger Botschaften, übermittelt von unverdächtigen Intellektuellen aus den Bereichen Bildung und Beratung, ermöglichte die flächendeckende Verbreitung solcher Botschaften. Ihr Erfolg entwickelte sich langsam, aber stetig. Zu diesem Zweck wurde eine Vielzahl an Problemlösungsstrategien in Form von Tools entwickelt, wie wir sie heute alle kennen. Am Anfang stand das so genannte Neurolinguistische Programmieren (NLP).
In zahlreiche Quellen wird die Verquickung von Wirtschaft, Public Relations und Psychologie mit der neoliberalen Ideologie angemerkt. Dennoch muss man heute mit heftigem Gegenwind rechnen, wenn man Solches behauptet. Aus diesem Grund war es mir wichtig, auf möglichst viele Quellen hinzuweisen und die Frage zu stellen. Hätte sich die neoliberale Ideologie genauso erfolgreich entwickeln können, wenn die Vertreter erziehender und beratender Berufe nicht über Jahrzehnte im selben Geist ausgebildet worden wären und ihn auf scheinbar unverdächtige Weise an unzählige Menschen herangetragen hätten?
Auserwählte und Verdammte
Nach den Lehren des Johannes Calvin aus Genf wurden die Menschen von Gott noch vor der Erschaffung der Welt in Auserwählte und ewig Verdammte geschieden. An diesem vorbestimmten Schicksal könne, so Calvin, kein Mensch etwas ändern, weder durch gute Taten noch durch Glauben. Allerdings könne der einzelne Mensch auch nie mit Sicherheit wissen, zu welcher Gruppe er gehört. Daher sei er auf Zeichen angewiesen – und das deutlichste Zeichen dafür, zu den Auserwählten zu gehören, ist laut Calvin wirtschaftlicher Erfolg. Die Spaltung der Menschheit in Auserwählte und Verdammte, wie sie die Johannes-Offenbarung verkündet, wurde auf das Wirtschaftsgeschehen projiziert, göttliche Ordnung und Marktlogik wurden eins (1).
Englische Auswanderer brachten die puritanisch-calvinistische Welt- und Menschensicht in die neuen Kolonien Amerikas, von wo sie sich rasch ausbreitete. Die kirchliche Legitimation der Zweiteilung der Menschen schien logisch, wurde gerne angenommen und war der Ursprung des amerikanischen Kapitalismus. Dieser wurde im Zuge der dritten „Hyper-Globalisierungswelle“ auch bei uns gerne aufgegriffen und mit ihm ein fast religiöses Bekenntnis zur Alleinherrschaft des Marktes als einer Art „Wesenheit“, welche bei Nicht-Einhaltung der Regeln gekränkt reagiert (2).
Positives Denken hatte seinen Ursprung im 18. Jahrhundert als Gegenbewegung zum strengen calvinistischen Protestantismus, in dem das Leben „Auserwählter“ von Zucht und Ordnung durchdrungen war. Der große Durchbruch gelang dem Konzept aber erst zur Zeit der großen industriellen Umwälzungen.
Prediger – die ersten Unternehmensberater
Aus der amerikanischen Tradition heraus waren es Prediger, die erneut die Idee des Positiven Denkens aufgriffen und darin zuallererst eine Erleichterung für ihre Gläubigen sahen. Auch Unternehmer entwickelten bald Interesse an dieser Idee, denn je erfolgreicher ein Unternehmen war, desto wichtiger wurde es, Arbeitskräfte so zu führen, dass sie die bestmögliche Leistung erbringen konnten.
Zur gleichen Zeit etwa, als die ersten „beraterischen“ Angebote für Unternehmen entwickelt wurden, nahm unter Milton Friedman und Friedrich von Hayek die Theorie des Neoliberalismus Gestalt an. Darin heißt es u.a., dass die Interessen des Marktes alternativlos seien, Menschen sich den Kräften des Marktes zu beugen hätten und „Freiheit durch Unterwerfung“ erlangen sollten. Menschen sind, laut Hayek, stets widerspruchsfreie, vernünftig denkende Eigennutzenmaximierer.
Anstelle des individuellen Wohlergehens trat zunehmend das Wohl der Unternehmen in den öffentlichen Diskurs. „Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut“.
„Wir müssen unsere Gürtel enger schnallen“. „Wertvolle Mitglieder der Gesellschaft dürfen sich nicht länger in der sozialen Hängematte ausruhen“. Das kollektive „Wir“ ermöglichte, dass aufgrund scheinbar unabänderlicher Sachzwänge soziale Errungenschaften aufgeweicht werden konnten. Ohne dieses „Wir“ wäre es in den sozialen europäischen Staaten kaum möglich gewesen, diese vor allem für Europa nachteilige Entwicklung durchzusetzen.
Linke blasen ins selbe Horn
Obgleich die neoliberale Ideologie kapitalistisch ist, sprach manches darin auch Humanisten an. Vor allem Freiheit und Eigenverantwortung. Freiheit bedeutet im Humanismus die individuelle Freiheit jedes Einzelnen, ohne Einschränkungen des Staates , während mit Freiheit im Neoliberalismus Kapitalfreiheit und Freiheit des Marktes ohne jede staatliche Regulierung und Steuerungsmaßnahme gemeint ist.
Eigenverantwortung hat im Humanismus die Bedeutung, persönliche Freiheit wahrzunehmen und sich als Individuum nach eigenen Bedürfnissen und Interessen zu entfalten. Im Neoliberalismus dagegen bedeutet sie Privatisierung von Kapital, Vergesellschaftung von Schulden und den Abbau sozialer Leistungen, also Entsolidarisierung. Der große Unterschied besteht darin, ob Eigenverantwortung freiwillig gewählt ist oder erzwungen wird. Während das eine ein Grundrecht auf freie Selbstbestimmung beinhaltet, ist das andere eine erzwungene, unsoziale Maßnahme, die individuelle Freiheit nur vorspiegelt: Freiheit durch Unterwerfung.
Selbstwirksamkeit, Selbstbestimmtheit, aber vor allem Mitverantwortung sind Qualitäten, die jeder von uns anstreben sollte.
Jemanden in seinem Bedürfnis nach Eigenverantwortung zu fördern ist grundsätzlich gut; ihm Verantwortung für etwas aufzuerlegen, was sich allein nicht tragen lässt, ist dagegen unsozial.
Um Eigenverantwortung übernehmen zu können, müssen die dafür notwendigen Voraussetzungen gegeben sein. Viel zu leichtfertig und aufgrund vorgegaukelter Sachzwänge haben wir stabilisierende Rahmenbedingungen und Sicherheiten gegen vermeintliche Freiheiten eingetauscht. Damit haben sich die Handlungsoptionen für die Menschen vervielfacht, psychische Instabilität und Überforderung haben in der Folge zugenommen.
„Positives Denken“ inspiriert die Wirtschaft
Bist du von negativen Menschen umgeben? Entferne sie aus deinem Leben, sie sind nur Opfer ihrer Negativität (3)!
Hast du unzufriedene Mitarbeiter? Du musst sie besser motivieren!
Zukunftsängste? Dazu schreibt Norman Vincent Peale:
„Wer entscheidet über Ihr eigenes Glück oder Unglück? Die Antwort heißt: Sie selbst!“(4)
Du schaffst etwas nicht, bist ausgebrannt? Vertrau auf die Kraft der positiven Gedanken!
Motivation ist alles. Wer sich nicht selbst motiviert, wird motiviert. Nur Mitarbeiter, die man in ihrem Tatendrang bestärkt, erbringen Bestleistungen. Die Motivationsindustrie wurde in Gang gesetzt, denn laut Hayek müssen Menschen ständig angetrieben werden. Dabei ist längst erwiesen, dass (fast) jeder Mensch gerne sinnvoll beschäftigt ist. Was jedoch individuell für sinnvoll gehalten wird, ist so verschieden wie die Menschen selbst. Das eigentliche Problem ist die Festlegung auf ökonomische Verwertbarkeit dessen, was als Arbeit gilt (5).
Statt zu drohen, wurde nun wohlformuliert aufgemuntert, bestärkt und mit der Fiktion eines freien Willens geködert. „Der Siegeszug der kollektiven Selbsttäuschung begann“ (6). Fortan musste alles, was sich nach Kritik oder Jammern anhörte und Unzufriedenheit zum Ausdruck brachte, aus der Sprache verbannt werden.
„Es ist verpönt mittlerweile, auf negative Entwicklungen (...) und Probleme aufmerksam zu machen. Es herrscht in der heutigen Gesellschaft (…) ein unglaublicher Druck (…) zur Behübschung der Wirklichkeit“ (7).
Das große Versprechen, das man in positive Gedanken hinein projiziert, können diese nicht erfüllen. Eine kurzfristige Verbesserung des Befindens ist möglich, ja, aber Unerträgliches bleibt meist unerträglich, und sobald sich jemand dieser Tatsache bewusst wird, stellt sich bittere Enttäuschung ein. Teilweise kann Sprache das Denken verändern; aber nie kann ein Gefühl „umgedreht“ werden, nur weil die Sprache eine andere ist. Im Gegenteil, eine zu angepasste und kalkulierte Sprechweise hemmt den Ausdruck, reduziert individuelle Authentizität und bewirkt ein Gleichschalten im Denken und Handeln.
Scheitern, Versagen und „falsche“ Entscheidungen hatten laut Abraham Maslow, einem der Begründer der Humanistischen Psychologie, eine innere Ursache, und diese muss gefunden werden.
„Genau da verbindet sich das Narrativ der Selbsthilfe und das des Leidens, denn wenn wir heimlich unser Elend wünschen, dann muss das Selbst direkt zur Verantwortung gezogen werden, um es zu beseitigen. (…) Das Narrativ der Selbsthilfe ist so nicht nur eng verwoben mit dem Narrativ des psychischen Scheiterns und Elends, es wird letztlich von diesem angetrieben. In diesem Bereich waren von Anfang an Psychologie und Liberalismus eng verwoben“ (8).
Das Konzept der individuellen Beratung war bis dato unbekannt, es musste den Menschen erst nähergebracht werden. So sollten sie sich von ihren inneren Hemmnissen befreien und in ihrem Leben erfolgreich werden. Unzählige Medienformate wurden zu diesem Zweck „erfunden“, Sachbücher gedruckt, Kummer-Telefone angeboten, Filme und Talkshows mit Psychotherapeuten in zentralen Rollen wurden ausgestrahlt.
„Eigenverantwortung“ wurde den Mediennutzern wie ein Glaubenssatz eingebläut. „Wenn jeder an sich denkt, ist an jeden gedacht“, „hieß es. Oder: „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott!“ So wurden Sprachfloskeln zu Wegweisern zur Vereinzelung eigentlich sozialer Wesen.
Beratung, beratende Dienstleistungen und die daraus entstehende Selbstoptimierung sind ein (fast) perfekter Markt (9). „Die neoliberale Ideologie der Selbstoptimierung entwickelt religiöse, ja fanatische Züge. Sie stellt eine neue Form der Subjektivierung dar. Die endlose Arbeit am Ich ähnelt der protestantischen Selbstbeobachtung und Selbstprüfung, die ihrerseits eine Subjektivierungs- und Herrschaftstechnik darstellt (…)“ (10).
Einfluss nehmen durch Sprache
Je besser die Kenntnisse über psychologische Vorgänge, umso wichtiger wurde die Erforschung der möglichen Einflussnahme. Psychologen waren die neuen Meister der Sprache und wurden für Wirtschaft, Politik und Werbeindustrie immer wichtiger. So schreibt der Soziologe Steve Brint: „Die Macht der spezialisierten Berufe ist dann am größten (…), wenn die professionellen Experten in einer entpolitisierten Umwelt arbeiten, die ihre Prämissen nicht weiter hinterfragt. (…)“ (11).
„Das positive Denken macht sich nicht nur zum Handlanger der Wirtschaft, indem es ihre Exzesse rechtfertigt (…) Seine Verbreitung ist vielmehr selbst zum Geschäftszweig geworden, der einen endlosen Strom von Büchern, DVDs und anderen Produkten hervorbrachte, sondern auch tausende Berater, Wirtschaftscoaches und Motivationstrainer, die allesamt daran arbeiten, möglichst rasch und lösungsfokusiert ein positives Ergebnis zu erzielen“ (12).
Es hatte den Anschein, die Betriebe würden „persönlicher“ geführt, und tatsächlich wurde das Arbeitsklima in manchen Betrieben besser. Es ging dabei aber weniger um soziale Bedürfnisse, als um die zu vermittelnden Botschaften, welche in freundschaftlichen Gesprächen einfacher zu vermitteln waren: Lohnminderung, Flexibilisierung, Auslagerung der Produktion – manche unangenehmen Sachverhalte wurden so positiv verkauft, dass sie lange Zeit nicht als Verschlechterung wahrgenommen wurden.
„Positiv Denken eignet sich gut als Rechtfertigung für die brutalen Züge der Marktwirtschaft. Wenn der Schlüssel zu wirtschaftlichem Erfolg Optimismus ist, wenn man sich eine optimistische Haltung aneignen kann, gibt es fürs Scheitern keine Entschuldigung mehr. Die Kehrseite der Positivität ist daher ein hartnäckiges Insistieren auf der persönlichen Verantwortung. (…) es muss daran liegen, dass du dich nicht genügend angestrengt, dass du nicht fest genug an deinen Erfolg geglaubt hast. (…) Je mehr Arbeitslose das Wirtschaftssystem produziert (…), desto stärker betonen die Vertreter des Positiven Denkens ihr negatives Verdikt“ (13).
Wer noch aufzubegehren wagte, bekam den Stempel des ewigen Nörglers aufgedrückt, welcher nicht bereit ist, alternativlose Sachzwänge hinzunehmen und sich anzupassen. „Raunzerfreie Zonen“ wurden eingerichtet.
Letztendlich halfen oft auch die allergrößten Anstrengungen nichts. Wer entlassen wurde, bekam eine neue Chance, sich neuen Herausforderungen zu stellen. Arbeitsämter vermitteln nun nicht mehr Stellen, sondern verwalten Arbeitslosigkeit im großen Stil und stecken Arbeitslose wie Arbeitsuchende in Bewerbungstrainings. Denn wer unablässig damit befasst ist, sich als Marke zu sehen und zu verkaufen, wer ständig an seinem Alleinstellungsmerkmal arbeiten muss, hat keine Zeit mehr, sich mit anderen Dingen zu befassen.
„Alsbald wuchs der Bedarf an 'Beschäftigungsprogrammen' für zornige Entlassene und depressive Arbeitslose. Um Anfeindungen, etwa Kündigungsklagen (…), in Grenzen zu halten, wandten sich die Arbeitgeber an sogenannte Outplacement-Firmen, die den Entlassenen nicht nur Bewerbungstrainings, sondern auch Motivationsworkshops zur Aufmunterung anboten. Der Verlust des Arbeitsplatzes ist ein Schritt nach vorne im Leben (…) ein Zuwachs an Erfahrung, an Rückbesinnung auf sich selbst, eine notwendige Auszeit (14).
Kollegialer Umgang und gemeinsam formulierte Ziele sollen die von Kündigung verschont gebliebene Belegschaft zu neuen Höchstleistungen anspornen, dafür war das neue Zauberwort „Teamwork“. Je größer der Druck am Arbeitsplatz, umso mehr Teamgeist wurde eingefordert. Dabei ist eigentlich fast jeder teamfähig, es kommt auf die Art der Tätigkeit und auf das Umfeld an, nicht aber auf eine imaginäre Eigenschaft, von deren Existenz man erst weiß, wenn sie (anscheinend) fehlt.
Beratungsdienstleistung im Schnelldurchlauf
Der Soziologe Ben Agger stellt in seinem Buch die Merkmale des „schnellen Kapitalismus“ vor:
„Die kapitalistische Technologie, die nicht mehr freie Zeit ermöglicht, sondern Zeit komprimiert um noch mehr in der gleichen Zeit leisten zu können (…). Indem man Individuen dazu bringt, aus freien Stücken so viel ihrer freien Zeit für soziale Dienste, soziale Medien, Unternehmen und Konsum zu opfern, werden sozial- und gesellschaftlich gewachsene Grenzen niedergerissen und den Individuen private Räume und Freizeit verweigert. Diese beiden Merkmale sind im Kapitalismus aufs engste verbunden, da die Technologie die Zeit zu Ware macht (…) und gleichzeitig Überwachungsmedien zur Verfügung stellt, um noch mehr Zeit sparen zu können“ (15).
Auch NLP, das Neurolinguistische Programmieren, wurde ursprünglich natürlich nicht zum Wohl der Menschheit entwickelt; erst im erfolgreichen Einsatz durch Militär und Werbung erkannten Psychologen das darin liegende Potential und entwickelten daraus ein Konzept wie auch Privatpersonen davon profitieren konnten, negative Glaubenssätze rasch loszuwerden.
Nebenbei musste ein meist selbstbestimmtes Leben hin zur Akzeptanz des Unabänderlichen und zu kritiklosem Hinnehmen gelenkt werden. Alles galt fortan als eine „Frage der Einstellung.“ Um sich tatsächlich aus einer problematischen Situation zu lösen, braucht es jedoch Handlungskompetenz, Selbstermächtigung und Selbstwirksamkeit, welche die wichtigsten Voraussetzungen für persönliches Wohlergehen und Selbstverwirklichung sind, womit aber gleichzeitig auch die Ansprüche des freien Marktes konterkariert würden.
Ratschlag und Lösung
Guter Rat hat sich bewährt. Seit Menschengedenken wenden sich Ratsuchende an Menschen mit Sinn für das Wesentliche und einer gewissen inneren Weisheit. Heute wendet man sich an einen Berater, der seine Verantwortung mit dem Argument, dass jeder für sich am besten wüsste, was gut für ihn sei, von sich wegschiebt.
Berater predigen immer wieder, doch endlich Eigenverantwortung zu übernehmen, anstatt sich dauernd mit den eigenen Problemen zu beschäftigen. Lieber optimistisch in die Zukunft blicken und ein schönes Ziel formulieren – ungeachtet dessen, dass für viele der individuelle Handlungsspielraum immer kleiner wird.
Die Aufgabe von Beratung wäre demnach auch, individuelle Selbstermächtigung zu stärken, Ängste und Sorgen anzusprechen und mit den Klienten über anstehende ökonomische und ökologische Herausforderungen, die jeden Einzelnen betreffen, nachzudenken sowie Visionen darüber zu entwickeln, wie in Zukunft unser Leben aussehen soll.
Wenn sich Berater vorwiegend um Alleinstellungsmerkmale und Vermarktung kümmern müssen, wird jedoch auch deren Aus- und Weiterbildung entsprechend einseitig, was dazu führt, dass man den vielfältigen Problemen einzelner Personen unmöglich gerecht werden kann.
Pläne, Ziele und Visionen
Ziele gibt es seit jeher, aber dass man sie extra positiv und wohlformuliert aussprechen muss, ist neu. Niemand vor unserer Zeit hätte wohl jemals ein Ziel erreicht, wenn die Art der Formulierung von Bedeutung gewesen wäre.
Visionen und undifferenzierte Zukunftspläne sind ökonomisch nicht verwertbar. Daher legen die neoliberalen Berater Wert darauf, dass wirkliche Utopien einer besseren Welt gar nicht erst entstehen. Die Formulierung „smarter“ und zweckdienlicher Ziele soll über diesen kompletten Utopieverlust hinwegtäuschen. In Selbständigen wie Arbeitnehmern soll eine Haltung der Art „alles ist möglich, wenn man nur fest genug daran glaubt“ verankert werden. Scheitert man dennoch, war der Glaube nicht groß genug.
Positive Formulierungen – positive Menschen?
Dem „Positiven Denken“ zufolge ist unser Gehirn nicht in der Lage, negative Formulierungen zu verstehen, was natürlich Unsinn ist. Unser Gehirn versteht alles, was es denken kann.
Wenn Negatives nicht klar benannt, sondern sprachlich weich gezeichnet wird, ist der Mensch außerstande, sich aktiv mit einem Problem auseinander zu setzen. Wer auch Schattenseiten und Unangenehmes beim Namen nennt, hat bessere Chancen, es tatsächlich einer Lösung zuzuführen.
„Lösen Sie sich von negativen Menschen“, schreibt Jeffry Gitomer ( ). „Sie verschwenden Zeit und ziehen Sie herunter. Wenn Sie sie nicht loswerden können (…), dann reduzieren Sie die Zeit, die Sie mit ihnen verbringen.“
Heute gibt es keine Ausrede mehr für den, der noch im Sumpf der Negativität verharrt. Du bekommst was dir zusteht, wenn du dich nur ausreichend bemühst. Positive Ziele stecken, anvisieren und ab geht die Post (16)! Negative Menschen sind demnach bloß Opfer ihrer selbst; Spaßverderber, Querulanten, denen man am besten gar nicht zuhören sollte, um nicht selbst auch so zu werden. Mit aufgesetzter Positivität wird hartnäckig an der Illusion festgehalten, positives Auftreten führe unbedingt zum Erfolg.
Lebe deine Stärken
„Lebe deine Stärken!“, „Sei ganz du selbst!“, „Sei glücklich!“, „Lebe dein Leben!“, „Sei…!“ – ja, was zum Kuckuck sollen wir denn noch alles sein? Die „Wohlfühl-Literatur“ ist voll von Ratschlägen, die genau jene wunden Punkte berühren, die Ratsuchenden erfahrungsgemäß zu schaffen machen. Robin Leidner schreibt: „Ich fordere Sie dazu heraus, eine gewinnende Persönlichkeit zu entwickeln.“ Wie dieser Slogan verdeutlicht, wurde Teilnehmern z.B. in Seminaren nahegelegt, ihre Persönlichkeit als etwas zu betrachten, „das bearbeitet und so zugerichtet werden muss, dass es dem Erfolg förderlich ist“ (17).
Sei wie du bist, aber hab‘ null Toleranz gegenüber deinen menschlichen Unzulänglichkeiten. Das kommt oft als paradoxe Botschaft an: „Sei du selbst – aber auch wieder nicht!“ Vor lauter Verbessern, Vermarkten, Weiterentwickeln, An-sich-Arbeiten usw. ist das eigentliche, innerste Selbst längst aus dem Fokus verschwunden. Das Selbst wird nicht kultiviert, sondern vermarktet. Genau zu diesem sollen wir ja eben keinen Zugang finden, sonst wären wir vielleicht nicht mehr fähig, den perfekten Mitarbeiter zu geben – nach außen hin immer freundlich lächelnd und zuversichtlich.
Komfortzonen
Die Aufforderung an uns, endlich die „Komfortzone“ zu verlassen, führt fast automatisch zu einem schlechten Gewissen. Dabei hört und liest man doch immer wieder, dass unsere Zeit zu hektisch sei, dass wir zu wenig Muße hätten, um wieder zu uns selbst zu finden. Da wäre unsere Komfortzone doch ideal. Damit ist ja nichts anderes gemeint als ein Bereich, in dem wir uns wohl, sicher und geborgen fühlen. Dieser Bereich hört dort auf, wo Ängste beginnen. Manchmal ist es nötig, sich anzustrengen, sich zu überwinden oder über den eigenen Schatten zu springen, um eine Situation zu verbessern – aber doch nicht immer!
Abschließend
Was ist nun aus dem „perfektem Markt“, als der Beratung einmal galt, geworden? Immer mehr Menschen folgten ihrer inneren Berufung, Anderen in schwierigen Situationen zu helfen, bereit, immer mehr Ausbildungen zu absolvierten, um diffusen Qualitätsstandards gerecht zu werden. Für viele Berater ist ihr Gewerbe mittlerweile zum finanziellen Überlebenskampf geworden. Davon leben kann kaum noch jemand.
Wenn fachliches Können mit der Fähigkeit gleichgesetzt wird, sich „auf dem Markt“ zu behaupten, werden diejenigen kaum Chance haben, die sich keine großen Marketingausgaben leisten können. Colin Crouch stellt fest, wer sich nicht behaupten könne, fliege vom Markt. Dies habe weniger mit beraterischen Fähigkeiten als vielmehr mit der Fähigkeit zu tun, sich auf einem unüberschaubaren Markt zu präsentieren. „Die Sorge um das Bestehen zwingt zu einem ständigen Bemühen um die Verbesserung der Position.“
Seitens der Wirtschaft geht es darum, uns im „Selbstverwirklichungsprozess“ zu halten. Als willfährige Konsumenten und fügsame Mitarbeiter haben wir an nichts anderes zu denken als daran, wie wir unseren Lebensunterhalt bestreiten und was wir als nächstes konsumieren wollen. Bedürfnisse Einzelner spielen keine Rolle, was dazu führt, dass vielfach eine große Sinnlosigkeit wahrgenommen wird. Dies aber schadet dem Selbstwertgefühl, führt zu Mutlosigkeit und letztendlich zu immer weniger Anteilnahme. Ein Teufelskreis aus Unverständnis und Desinteresse. „Das Demokratieverständnis der Menschen ist geschwächt worden, weil echte Demokratie immer weniger gelebt wurde, stattdessen wurde Autokratismus etabliert“ (18).
Positives Denken wurde schon früh kritisch hinterfragt. Einerseits werden damit unangenehme Situationen verleugnet und somit persönliche Einsicht verhindert; andererseits setzt es Persönlichkeiten unter Druck, deren Wesen eben nicht zuversichtlich und optimistisch, sondern eher melancholisch ist. Diese werden als „negative Menschen“ häufig falsch verstanden und zu wenig beachtet.
Ruhige, nachdenkliche, soziale Wesenszüge geraten gegenüber narzisstischem, oberflächlichen Denken und Handeln immer weiter ins Hintertreffen, was sich gerade heute, in Zeiten des Umbruchs negativ auswirken wird.
Es steckt eben nicht in allem ein verborgener, tiefer Sinn und es ist eben nicht alles auch irgendwie gut.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Scheidler, F.: (2016): Das Ende der Megamaschine. Geschichte einer gescheiterten Zivilisation, Wien, S. 101f
(2) Schulmeister, S.: 10 Jahre nach der Finanzkrise, Podiumsdiskussion, 29.01.2018
(3) Väth, M.: Burnout-Betroffene sind laut SPIEGEL Krankheitserreger (https://www.markusvaeth.com/kolumne/burnout-betroffene-sind-laut-spiegel-krankheitserreger (aktuell 6.12.17)
(4) Peale, N. V., amerikanischer Pfarrer u. Autor. Die Lehre von der Kraft des „Positiven Denkens“ machte ihn berühmt. Scheich, G.; Waller, K.: Positives Denken macht krank. Vom Schwindel mit gefährlichen Erfolgsversprechen, Frankfurt
(5) Väth, M.: Arbeitslosigkeit gibt es nicht (https://www.xing.com/news/klartext/arbeitslosigkeit-gibt-es-nicht-1915; (aktuell: 23.03.18))
(6) Ehrenreich, B.: (2010): Smile or Die. Wie die Ideologie des Positiven Denkens die Welt verdummt, München 2010
(7) Liessman, K. P.: Ein Loblied auf das negative Denken "Der größte Fehler ist, zu glauben, man habe alles im Griff", Deutschlandfunk Kultur (http://www.deutschlandfunkkultur.de/ein-loblied-auf-das-negative-denken-der-groesste-fehler-ist.1008.de.html?dram%3Aarticle_id=408019) (aktuell 22.01.2018)
(8) Illouz, E.: Gefühle in Zeiten des Kapitalismus, Berlin
(9) Ehrenreich B.: Smile or Die. Wie die Ideologie des Positiven Denkens die Welt verdummt, München 2010
(10) Han, Bjung-Chul: Psychopolitik Neoliberalismus und die neuen Machttechniken, Berlin
(11) Illouz, E.: Gefühle in Zeiten des Kapitalismus, Berlin
(12) Ehrenreich B.: Smile or Die. Wie die Ideologie des Positiven Denkens die Welt verdummt, München 2010
(13) ebd.
(14) ebd.
(15) ebd.
(16) ebd.
(17) ebd.
(18) Michalitsch, G.: 10 Jahre nach der Finanzkrise, Podiumsdiskussion, 29.01.2018
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