von einem Soziologiestudenten
Soziologie und Philosophie haben auch gesellschaftskritische Funktionen. Ein Zentralthema in vielen ihrer Arbeiten bilden schon seit geraumer Zeit die US-amerikanische Silicon-Valley-Ideologie und ihre menschenfeindlichen Visionen. Einer der bekanntesten Vertreter dieser Kritik ist Jürgen Habermas. Er beschreibt den Posthumanismus beziehungsweise Transhumanismus als eine liberale Eugenik, „die den Menschen aus Fleisch und Blut zum Auslaufmodell verurteilt“ (1). Man möchte meinen, auch in Zeiten von Corona habe diese Thematik bei den beiden genannten Geistes- und Gesellschaftswissenschaften höchste Priorität — doch dem ist leider nicht so.
Interessanterweise ist dieser Zustand der akademischen Selbstzensur zusammen mit dem ersten offiziellen Lockdown eingetreten. Denn sichtet man die soziologischen und philosophischen Untersuchungen ab März 2020 bis heute, dann stellt sich heraus, dass trotz dieses einjährigen Zeitraums und trotz der überfallartigen Digitalisierungswelle zeitgemäße kritische Thesen über die Silicon-Valley-Ideologie relativ rar geworden sind. Ihre wissenschaftlich begründeten Zweifel an den antihumanistischen Zielen von Google, Apple, Facebook, Microsoft, von Ray Kurzweil, Bill Gates, Mark Zuckerberg und anderen haben sich mit einem Schlag verflüchtigt. Es ist vor allem die medial allgegenwärtige Persona Bill Gates, die dem transhumanistischen Menschenüberwindungskonzept von Ray Kurzweil, dem Chefingenieur von Google und selbst ernannten prätorianischen High-Tech-Hohepriester, mit großen Tönen in der Öffentlichkeit huldigt.
Gates, ein Transhumanist
Dementsprechend ist in Kurzweils Buch „Menschheit 2.0. Die Singularität naht“ ein vielsagender Kommentar von Gates zu lesen:
„Ray Kurzweil ist der beste Mensch, den ich kenne, um die Zukunft der künstlichen Intelligenz vorherzusagen. Sein faszinierendes neues Buch sieht eine Zukunft voraus, in der Informationstechniken so weit und so schnell entwickelt werden, dass sie der Menschheit erlauben, ihre biologischen Grenzen zu überwinden und unser Leben auf eine Weise zu verändern, die wir uns noch nicht vorstellen können“ (2).
Dass der Transhumanist Bill Gates — übrigens ein bedeutender Geschäftspartner unserer Bundesregierung in Sachen Corona-Impfstoff — Begrifflichkeiten wie „biologisch“ und „Grenzen“ erwähnt, ist kein Zufall.
Entsprechend den Analysen vieler sachkundiger Soziologen und Philosophen sieht die transhumanistische Ideologie die biologische Natur des Menschen als ein lästiges Hindernis, eine Beschränktheit, welche zunächst genetisch neuprogrammiert werden muss, um dann eine cyborgartige Verschmelzung von Mensch und Maschine einzuleiten. Letztlich soll der Mensch in naher Zukunft für eine überlegenere, hypertechnologisierte Halbroboterzivilisation — in der ausgewählte Eliten Unsterblichkeit erlangen — mit Hilfe von Nanotechnologie, biotechnischer Genforschung, Human Enhancement und künstlicher Intelligenz abgeschafft werden (3).
Wo sind die Kritiker des Transhumanismus?
Und gerade jetzt, in dieser in der gesamten Menschheitsgeschichte noch nie dagewesenen Ausnahmesituation, müssen Ideologie- beziehungsweise Gesellschaftskritiker ihre Arbeit dringend wieder aufnehmen. Sie müssen da weitermachen, wo sie aufgehört haben.
Gerade jetzt, wo die einflussmächtigen Konzerne und Eliten in der Coronapolitik eine entscheidende, fragwürdige Rolle spielen, entziehen sich vor allem die Disziplinen der Soziologie und Philosophie wie auch ihre Teilgebiete ihrer gesellschaftlichen Verpflichtung.
Da machen renommierte Autoren ununterbrochen und jahrelang ihre Leser- und Zuhörerschaft darauf aufmerksam, dass es seitens der „kalifornischen Weltanschauung“ antidemokratische Bestrebungen gibt, vor denen sich die Menschheit hüten müsse, um dann später, wenn es darauf ankommt, dieses Meinungsbild zu verwerfen. Angesichts ihres Glaubwürdigkeitsanspruchs und ihrer Verantwortung ist dies im hohen Maße bedenklich.
Ich als Soziologiestudent habe ehrlich gesagt ein Problem mit dieser radikalen Kehrtwende. Vielleicht klingt es zugespitzt, aber meiner Meinung nach ist dieses Verhalten ein Verrat an der Gesellschaft und ebenso ein Verrat an den eigenen Werken dieser Wissenschaft. Deuteten soziologische und philosophische Kulturkritiker noch in ihren Veröffentlichungen auf Gefahren, die der menschlichen Gattung in naher Zukunft bevorstehen, bevorzugen sie es heute, mit der Silicon-Valley-Thematik weitestgehend nicht in Berührung zu kommen oder sie zumindest nicht in Verbindung zu den heutigen epochalen Veränderungen zu bringen.
Der Verrat der Intellektuellen
Doch dass mit dieser widersprüchlichen Haltung mitunter große gesellschaftliche Nebenfolgen einhergehen, ist den akademischen Experten sicherlich nicht entgangen. Ihr plötzlicher Gesinnungswandel ist daher nicht ganz unverständlich. Angst um die berufliche Zukunft oder vielleicht eher die günstige Aussicht, mit regierungskonformen Aussagen die eigene Karriere voranzutreiben, könnten hier eine wichtige Rolle spielen.
Der einfache Bürger jedoch, der dieser Tage irgendwo in Deutschland für seine demokratischen Grundrechte protestiert, ist besorgt, wie die meisten anderen Demonstranten auch, um das Wohlergehen der eigenen Kinder — auf denen ohnehin schon wegen der Pandemieverordnungen und den Corona-Schnelltests in den Schulen ein immenser psychosozialer Dauerdruck lastet.
Der Bürger misstraut der Impfung, weil Bill Gates, einer der Wortführer der Silicon-Valley-Ideologie schlechthin, uns plötzlich eine globale Massenimpfung als letzte Rettung verkaufen möchte. Ein anderer Bürger fürchtet, dass sich sein übersichtliches und normales Dasein in eine von fanatischen Technokraten regierte, dystopische und amoralische Welt verwandeln könnte. Es ist ein Schlag ins Gesicht für die Menschen, die — angetrieben von den fundierten Informationen einiger Soziologen und Philosophen — auf die Straße gehen und jetzt paradoxerweise von ebendiesen Intellektuellen als Verschwörungstheoretiker verunglimpft werden. Warum werden dann eigentlich nicht auch die soziologischen und philosophischen Silicon-Valley-Kritiker als Verschwörungstheoretiker gebrandmarkt?
Regelmäßig warnen uns in den Bestsellerlisten angesagte Autoren — ob Psychologen, Soziologen, Philosophen, Ökonomen oder Neurowissenschaftler — in ihren aktuellen, gut verkauften Publikationen oder auch in ihren YouTube-Videos vor den diktatorischen Tendenzen einer durch und durch digitalisierten Welt. Die Besorgnis des vernünftigen Bürgers über das Zustandekommen einer autoritären Ordnung ist nach heutigem Stand realitätsnah und bei Weitem keine verschwörungstheoretische Irrationalität.
Soziologen im Dienste der Bundesregierung
Doch eine Irrationalität ist es, wenn der skeptische Bürger als Verschwörungstheoretiker stigmatisiert wird und soziologische Denker nun als staatstreue Wissenschaftler auftreten. Es ist äußert verwunderlich, dass besonders Soziologen die „neue Normalität“ als Naturgesetz anerkennen und Forschungen nachgehen, die der Regierung in vielen Fällen — besonders für machtpolitische Interessen und für gesellschaftliche Angsterzeugung — nützlich sind. Insofern ist es kein Zufall, dass die Wissenschaftsintellektuellen in ihren Abhandlungen dann auch die manipulativen Wortmuster der Massenmedien und der regierenden Obrigkeit übernehmen. Scheinbar ist ihnen ihre eigene soziologische Definition gleichgültig geworden. Denn unter Manipulation versteht die Soziologie eine Herrschaftstechnik, die gezielt als Machtinstrument für die Steuerung von Gedanken, Gefühlen und Meinungen dient (4).
Achtet man auf die gegenwärtigen Forschungsarbeiten oder medialen Äußerungen einiger Soziologen, dann lassen sich immer wieder identische Begrifflichkeiten finden. Diese manipulativen Stilmittel werden besonders in Bezug auf die Proteste gegen die Coronapolitik angewendet. Mal sprechen Soziologen von Verschwörungstheoretikern oder Verschwörungsideologen, mal von Verschwörungsmythen oder -mystikern. Die Anhänger solcher Weltanschauungen sollen einer Studie zufolge eine enorm radikale Einstellung vertreten und das gesellschaftliche Gefüge gefährden (5). Dann heißt es unter Soziologen: Coronaleugner, die ein „egoistisches“ Benehmen an den Tag legen — zum Beispiel Maskentragen verweigern —, sind unsolidarisch und eine Gefahr für die Gesellschaft (6).
Verschwörungstheorien werden wahr
Doch schauen wir uns zwei Verschwörungstheorien mal genauer an. Schon 2020 wurden in Deutschland auf den ersten Demonstrationen die drohende Impfpflicht und Ausgangssperren thematisiert. Gleichzeitig wurden in den Medien soziologische Analysen veröffentlicht. Die Ergebnisse dieser Analysen verlauteten, dass eine drohende Impfpflicht und Freiheitseinschränkungen nichts weiter als krude verschwörungstheoretische Übertreibungen seien (7).
Jedoch liest man heute, dass in Deutschland ab Juni 2021 ein digitaler Impfpass mit besonderem Augenmerk auf die Corona-Impfung eingeführt wird (8) — angeblich soll damit das gesellschaftliche Leben erleichtert werden —, und überdies sind Ausgangssperren in einigen Bundesländern längst zur Realität geworden. Also lagen die Demonstranten mit ihren Bedenken hinsichtlich Impfpflicht und Freiheitsverlust nicht falsch, sondern behielten Recht.
Soziologen für einen autoritär-digitalen Überwachungsstaat
Wer hätte jemals gedacht, dass Demonstranten im modernen Deutschland ausgerechnet vonseiten der Soziologie mit den Kampfbegriffen der Herrschenden stigmatisiert werden? Statt einer Wissenschaft, die Kritik betreibt, bedienen sie sich der Angst- und Manipulationsrhetorik und fordern von der Politik noch härtere Maßnahmen. So plädieren medial bekannte Soziologen für eine NoCovid-Strategie (9, 10), die der autoritären Coronastrategie der türkischen Regierung erstaunlich ähnelt (11). Das Ziel ist klar — ein digitaler Überwachungsstaat. Vielleicht dient sogar China als Vorbild? Jedenfalls:
Nachdem die aggressive Diffamierung von Menschen, die ihre Meinung äußern, so gut geklappt hat, möchten nun bekannte Gesellschaftsexperten offenbar dem Staat weiter ihre Dienste anbieten. Es ist der Bankrott so mancher Soziologen, der Tiefpunkt einer ganzen Wissenschaft.
Der Soziologe Hans Jürgen Krysmanski schrieb in seinem Buch „Das Imperium der Milliardäre“ über machtvolle Eliten, die gezielt Gesellschafts- und Geisteswissenschaftler sponsern, damit sie ihre ideologische Werbung verkünden. Sind Soziologie und Philosophie nur noch eine Wissenschaft für eine elitäre Gruppe? Haben sie mit den sozialen Belangen der durchschnittlichen Bürger nichts zu tun? Oder wie sonst kann man die derzeitige Soziologie und Philosophie charakterisieren?
Wo ist das aufklärerische Verantwortungsbewusstsein der Soziologie, die Widersprüche gesellschaftlicher und systemischer Verhältnisse aufzudecken? Oder hat sie nur noch Verpflichtungen gegenüber der Bundesregierung, einzelnen Unternehmen und den großen Medien, für die sie statistische und empirische Untersuchungen liefert? Auf wessen Seite stehen die heutigen Berufssoziologen und Berufsphilosophen? Die Antwort sollte nicht allzu schwer fallen.
Ebenfalls verlangt eine wichtige Frage nach Beantwortung: Ist den Soziologen ihre gesellschaftliche Zugehörigkeit noch bewusst oder für sie noch von Interesse? Schließlich hat doch die Soziologie klare gesellschaftliche Aufgaben. Sie beobachtet und erklärt die scheinbar chaotische und komplexe Zeit für diejenigen, die Zusammenhänge ohne Hintergrundwissen nicht herleiten können. Soziologen haben dafür das nötige Instrumentarium und können das aktuelle Zeitgeschehen hinterfragen oder sogar theoretische Ansätze einer Veränderung formulieren.
Doch sollte die Sozialforschung zunächst ihr jetziges Mitläuferdasein und ihren „wertneutralen“ Charakter ablegen und sich Reflexionen politisch-kritischer Art widmen. Anfangen könnte sie damit, dass sie wieder ihren Thesen über die kalifornische Weltanschauung nachgeht, die sie ohne jegliche Stellungnahme abgestoßen hat.
Eugenik bekommt Zuspruch
Doch keineswegs sollten wir gesellschafts- oder kulturkritische Schriften vernachlässigen, vor allem nicht Jürgen Habermas‘ Fachliteratur über die liberale Eugenik. Der Begriff Eugenik ist kompromisslos und klar: Er meint Stigmatisierung, Menschenversuche, Massenmord — und war reales Programm des Nationalsozialismus. Deshalb betonen Habermas und andere Soziologen und Philosophen, dass die Silicon-Valley-Ideologie lebens- und demokratiefeindlich ist, wenn sie die Überwindung des biologischen Menschen anstrebt.
Und ja, Bill Gates ist ein Anhänger des eugenischen Transhumanismus, darum sein Interesse an der Biotechnologie und der Corona-Impfung; und ja, die Kanzlerin hatte die Zusammenarbeit mit Bill Gates und seiner Impfallianz (Gavi) per Videobotschaft aus dem Kanzleramt verkündet (12).
Die neue akademische Intellektuellengemeinde hat die skandalöse Botschaft erhalten, und sie entscheidet sich gegen ihre moralischen Prinzipien und gegen das menschliche Leben. Das muss sich ändern.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Jürgen Habermas (2005), Die Zukunft der menschlichen Natur -Auf dem Weg zu einer liberalen Eugenik?, Seite 75
(2) Ray Kurzweil (2006), The Singularity is Near: When Humans Transcend Biology, Seite 2
(3) Thomas Wagner (2015), Robokratie — Google, das Silicon Valley und der Mensch als Auslaufmodell
(4) Karl-Heinz Hillmann, Wörterbuch der Soziologie, Seite 512
(5) https://www.aerzteblatt.de/studieren/nachrichten/122379/Forscher-sehen-erhebliches-Radikalisierungspotenzial-bei-Coronaprotesten
(6) https://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/corona-demo-in-berlin-die-aggressivitaet-wird-hinter-einigen-peace-fahnen-versteckt
(7) https://soziologieblog.hypotheses.org/13718
(8) https://www.augsburger-allgemeine.de/politik/So-koennte-die-Gastronomie-zum-1-Juni-geoeffnet-werden-id59392496.html
(9) https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/no-covid-coronavirus-strategie-lockdown-1.5202183
(10) https://www.nachdenkseiten.de/?p=70243
(11) https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/tuerkei-node/tuerkeisicherheit/201962
(12) Video: https://www.bundeskanzlerin.de/bkin-de/mediathek/corona-pandemie-impfstoff-1749832!mediathek?query=
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