„Unteilbar statt vereinzelt“
Mit einer Erklärung vom Frühling 2021 „Freiheit geht nur solidarisch. #unteilbar statt vereinzelt“ wenden sich zahlreiche Organisationen und Einzelpersonen, die sich als links verstehen gegen „Querdenken“ und andere „PandemieleugnerIinnen“ (1). Sie erklären, ein „Statement der solidarischen Gesellschaft“ abzugeben. Wer die Pandemie leugne, stelle sich außerhalb der „demokratischen Debatte“ und wolle eine Gesellschaft, die Demokratie durch das Recht der Stärkeren ersetze und in der Egoismus und Rücksichtslosigkeit anstelle des gesellschaftlichen Zusammenhalts träten. In dieser Gesellschaft werde die Zusammenarbeit mit Faschisten zur Normalität. Die Wahrheit werde ersetzt durch antisemitisch konnotierte Verschwörungsmythen.
Die Erklärung teilt die jetzige Gesellschaft in zwei unversöhnlich sich entgegenstehende Lager. Auf der einen Seite die Guten. Sie erkennen die eminente Gefährlichkeit der gesundheitlichen Bedrohung und halten dagegen solidarisch zusammen. Auf diesem Boden des solidarischen Zusammenhalts ist auch etwas Kritik an einzelnen Maßnahmen von Regierung und Staat erlaubt.
Die anderen sind die Bösen. Sie leugnen angeblich die Pandemie. Deren Kritik ist grundsätzlich unerlaubt, weil unwissenschaftlich, antidemokratisch, faschistisch und antisemitisch, wobei besonders das Letzte den Begriff „Leugner“ assoziativ in die Nähe des Holocaust stellt und damit emotional zutiefst diskreditiert.
Diese polarisierende Erklärung wurde unter anderem von der Partei Die Linke, von Attac mit vielen Verbänden, der DKP mit Untergliederungen, Gliederungen der SPD, des DGB und anderer Gewerkschaften wie den Hauptvorständen von Ver.di und GEW unterschrieben. Dazu kommen die Naturfreunde, DIDF, die Humanistische Union, die Interventionistische Linke, das Komitee für Grundrechte und Demokratie, Medico International, Pro Asyl, Seebrücke sowie viele Lokalorganisationen, Antifagruppen und eine lange Liste von nahezu 700 Einzelpersonen.
Eine Erklärung, die so viel Zustimmung findet, ist es Wert, näher beleuchtet zu werden.
In ihrer Selbstdarstellung bedienen sich die Autoren der Redefigur der umfassenden Inklusion. Wir sind Menschen mit Arbeitsplätzen und ohne, Menschen mit Behinderungen und ohne, Menschen mit Migrationsgeschichte und ohne. Damit vertreten sie eigentlich alle. Alle ist das Lieblingswort der Erklärung. Es taucht im Text achtmal auf. Es suggeriert, dass die „Unteilbaren“ eine riesige Mehrheit repräsentieren. Die Erklärung gibt vor, „die solidarische Gesellschaft“ zu verkörpern. Ihre Gegner sind also unsolidarisch.
Die allein solidarischen Unteilbaren geben als einziges positives Ziel an, „gegen die PandemieleugnerInnen auf die Straße zu gehen“. Ihr politischer Inhalt ist die Verteidigung der Demokratie gegen den angeblich faschistischen Angriff der „Querdenker“ auf die solidarische Gesellschaft. Sie sehen die Demokratie unmittelbar bedroht und verlangen so etwas wie eine Volksfront zur Verteidigung der Demokratie gegen die „Pandemieleugner“. In der jetzigen Lage, dem Krieg des Virus gegen das Volk, müsse man auf den „massenhaften Ausdruck unserer Forderungen“ ― welcher? ― verzichten. Das erinnert an den Burgfrieden der Sozialdemokratie im Ersten Weltkrieg, belohnt mit dem freudigen Ausruf des Kaisers, er kenne nun keine Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche. Historische Analogien sind immer ungenau, denn die Dinge wiederholen sich nicht gleichermaßen.
Wir haben keinen Krieg, Viren führen keine Kriege, Kriege werden von Menschen geführt. Die Beschwörung des Kriegszustands durch führende Politiker wie Emmanuel Macron und auch Angela Merkel war und ist Bestandteil einer bewussten Schocktherapie zur Angsterzeugung, der die „Unteilbaren“ vollkommen anheimgefallen sind. Wir haben weder Krieg noch Faschismus.
Wechselseitige Vorwürfe, Faschisten zu sein oder mit ihnen zusammenzuarbeiten
Ein herausragendes Merkmal der Diskussion um die Pandemie und und die politischen Maßnahmen ist exaltierte Aufgeregtheit auf allen Seiten. Viele Kritiker sehen in den Pandemiemaßnahmen der Regierung den Anfang vom Ende der Demokratie in Deutschland. Sie sprechen deswegen vom Recht auf Widerstand, berufen sich auf Widerstandskämpfer und Opfer des Faschismus, wie die Geschwister Scholl, und sehen sich als Verteidiger der Grundrechte. Diese Kräfte sind nicht identisch mit der AfD und den Flügelfaschisten. Gemeinsam mit den Faschisten ist, dass das Ende der Demokratie beschworen wird. Allerdings mit einem nicht unerheblichem mentalen und politischen Unterschied.
Die Grundgesetzverteidiger wollen subjektiv das Grundgesetz schützen. Die Faschisten benutzen die heftigen grundrechtlichen Einschränkungen, um Einfluss zu gewinnen, und tarnen sich als Demokraten. Allein schon diese Unterschiede verbieten es, alle Kritiker der Pandemiemaßnahmen als Faschisten zu beschimpfen und in einen Topf zu werfen.
Beide Kampfseiten ― Lockdownbefürworter und -kritiker ― gehen häufig von einer unrealistischen Überspitzung der Lage aus, wobei besonders pikant ist, dass sich „die Unteilbaren“ ihr Handeln allein von den vorgeblichen „FaschistInnen“ ― ist Gendern für die erlaubt? ― vorschreiben lassen. Sie verzichten auf eigene Politik, um die bürgerliche Staatspolitik zu retten. Alle Seiten benutzen Begriffe wie Krieg, Faschismus, Antisemitismus und auch „Pandemieleugner“ inflationär und undefiniert. Wir versuchen, einige Begriffe zu klären.
Was ist Faschismus?
Faschismus ist die offen terroristische Herrschaftsform der kapitalistischen Klasse zur Aufrechterhaltung ihrer ökonomischen und gesellschaftlichen Macht gegenüber der Arbeiterklasse. Die Erscheinungsformen des Faschismus sind unterschiedlich. Es können Militärdiktaturen sein ohne breite Massenbasis wie in Chile und anderen Staaten Süd – und Lateinamerikas oder, wie in Deutschland und Italien, Herrschaftsformen mit faschistischen Massenparteien. Der Zweck ist der Gleiche:
Die faschistische Diktatur zielt darauf, den sozialen Widerstand der Werktätigen mithilfe von Terror zu brechen. Die Repräsentanten der unterdrückten und ausgebeuteten Klasse werden eingesperrt, gefoltert, getötet. Jede politische Tätigkeit der unterdrückten Klasse wird umfassend verfolgt. Widerstand ist nur noch im Untergrund möglich.
Die herrschende ökonomische Klasse setzt gegenwärtig nicht auf Faschismus. Auch die bürgerliche Demokratie ist eine Herrschaftsform der Klasse, die die Produktionsmittel, den Boden, die großen Gelder besitzt. Aber sie gibt sich den Schein der Volkssouveränität. Der Staat diene vorgeblich allen Bürgern und allen Schichten gleichermaßen. Alle seien rechtlich gleich und zur Herrschaft berechtigt. Die Gesellschaft sei pluralistisch. Alle hätten die gleichen Möglichkeiten, auf politische Entscheidungen einzuwirken.
Die herrschende Klasse zieht die bürgerliche Demokratie der offenen Diktatur vor, weil sie ihr die Möglichkeit bietet, die Machtverhältnisse zu verschleiern und der Ausbeutung den Charakter der naturgegebenen Freiwilligkeit zu verleihen. Jeder sei seines Glückes Schmied, ist die Devise. Die Chancen stünden für alle gut. Gepaart mit dem hehren Ziel der Verwirklichung universeller Menschenrechte feiert das Bürgertum seine Herrschaft als bestmögliches Ende der Geschichte und macht sie zum politischen Exportartikel.
Sie leugnet noch nicht einmal die Existenz von Schichten und Klassen und den Klassenkampf. Die führenden Eliten wissen das genau. So sagte der Multimilliardär Warren Buffett:
„Es herrscht Klassenkrieg, richtig, aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die Krieg führt, und wir gewinnen“ (2).
Das Ergebnis dahingestellt, darf Klassenkampf geführt werden, wenn er in der kanalisierten Form angepasster Verbände verbleibt. Entscheidend ist, dass das heiligste „Menschenrecht“ des Bürgertums, das Recht auf Privateigentum, nicht angetastet wird. Dann nämlich ist Schluss mit der Gemütlichkeit. Wer es wagt, das Eigentum an Produktionsmitteln aufheben zu wollen, um die Produktionsmittel in gesellschaftliches Eigentum zu überführen, und wer es wagt, damit die Klassenherrschaft des Bürgertums grundsätzlich infrage zu stellen, dem tritt die eiserne Faust der bürgerlichen Diktatur entgegen.
Auch die bürgerliche Demokratie ist und bleibt Herrschaftsform. Ihr Hauptzweck ist es, den Klassengegner, die Arbeiterklasse, niederzuhalten. Der Übergang zur offenen terroristischen Herrschaft hängt von der Stärke des Klassenkampfes der Arbeiterklasse ab. Erst wenn diese in der Lage ist, die Macht des Bürgertums ernsthaft zu bedrohen, greift das Bürgertum zur offen diktatorischen Herrschaft. Davon sind wir heute weit entfernt.
Der Klassenkampf in unserem Land hat ein extrem niedriges Niveau. Die Arbeiterklasse in imperialistischen Kernländern ist in Schichten gespalten und entideologisiert. Eine Bedrohung für das kapitalistische System geht von ihr derzeit nicht aus. Deswegen ist es gegenwärtig Unsinn, so zu tun, als wäre das Ende der bürgerlichen Demokratie angesagt und es drohe eine offen faschistische Herrschaft. In einer solchen Situation auf eigene Forderungen― welche eigentlich? ― zu verzichten, wie die Erklärung der „Unteilbaren“ verkündet, ist nichts anderes als eine Generalkapitulation.
Die beiden Seiten der bürgerlichen Herrschaft: Demokratie und Faschismus sind nicht starr voneinander getrennt. Auch wenn gegenwärtig der Klassenkampf schwach ausgeprägt ist, können sich die Verhältnisse aufgrund der sich erschwerenden Verwertungsbedingungen des Kapitals schnell ändern. Das Bürgertum denkt strategisch und verlegt seinen Staatsschutz immer weiter nach vorn, das heißt, es ist immer latent faschistoid.
Tendenz der Faschisierung
In Deutschland gab es nie eine vollständige bürgerliche Demokratie. Schon 1956 ― im Zusammenhang mit der Wiederaufrüstung Westdeutschlands ― wurde die KPD verboten. Das unterscheidet die BRD wesentlich von alten bürgerlichen Demokratien wie England und Frankreich.
Die BRD, die dem Klassengegner die eigenständige Organisation untersagte und die Verfolgung seiner eigenen Ziele unter Strafe stellte, stellte sich mit dem KPD-Verbot bewusst in die Nachfolge des Nazi-Regimes und war deswegen von Anfang an erkennbar faschistoid. Das KPD-Verbot besteht bis heute fort und bedroht alle wirklich linken Kräfte unseres Landes. Wirklichen Demokraten stünde es besser an, eine Kampagne zur Aufhebung des KPD-Verbots zu führen, als sich gegen des Faschismus verdächtige, sogenannte Pandemieleugner zu wenden, wozu es wirklich wenig Mut bedarf.
Der nächste große Schritt der inneren Faschisierung waren die Notstandsgesetze von 1968. Mit ihnen wurde festgelegt, dass das Militär bei bürgerkriegsähnlichen Zuständen ― was ist das und wer definiert das? ― eingesetzt und grundsätzliche demokratische Rechte ausgesetzt werden können. Die Debatte um die Notstandsgesetze löste die bis dahin größte demokratische Bürgerbewegung der BRD aus. Der Widerstand war vergeblich.
Es vergeht kein Jahr, an dem die bürgerliche herrschende Klasse nicht am Staatsschutz dreht. Aber mit der „Coronapandemie“ und den Infektionsschutzgesetzen wurde eine neue Stufe der inneren Faschisierung erreicht. Eine Einschränkung von Grundrechten in dem jetzt erlebten Umfang hat es in der Geschichte der BRD noch nicht gegeben. Die Begründungen dazu sind äußerst windig. Willkürliche und falsche Inzidenzwerte dienen dazu, eine pandemische Bedrohung der Bevölkerung immer wieder auszurufen und zu verlängern.
Gleichzeitig wurde über längere Zeit nahezu mit einem Notstandskabinett regiert. Die Exekutive wurde gestärkt und der Föderalismus zurückgefahren.
Dass die herrschenden Repräsentanten nicht gerade Grundgesetzverteidiger sind, wird immer wieder deutlich, wenn sie bei der Planung und Verabschiedung von Gesetzen dermaßen über das Ziel hinausschießen, dass sie vom Bundesverfassungsgericht zurückgepfiffen werden müssen. Entschuldigungen oder gar Rücktrittsangebote hört man nie.
Das rein instrumentelle Verhältnis zu Grundrechten bestimmt auch die Debatte um Impfungen. Die Grundrechte werden behandelt wie Waren. Sie werden geknüpft an einen medizinischen Status.
Es sind keine Persönlichkeitsrechte, sondern nur Rechte, die von einem bestimmten angepassten Verhalten abhängig gemacht werden. Nur wer sich impfen lässt, darf die Ware „persönliche Freiheiten“ erwerben. Warenverkäufer sind die Regierung und die mit ihr verbündete Pharmaindustrie und Forschung.
Um die Impfstrategie und das damit verbundene gigantische Pharmageschäft durchzusetzen, bedarf es keiner offen faschistischen Maßnahmen. Es genügt, die Totalität der kapitalistisch-ökonomischen Marktbeziehungen in Anwendung zu bringen. Wer arbeiten, in die Schule gehen, reisen und überhaupt am gesellschaftlichen Leben teilnehmen muss und will, hat sich dem geforderten Impfstatus zu unterwerfen. Es braucht keinen gesetzlichen Impfzwang. Es reicht der Zwang der Verhältnisse.
Die große Mehrheit der Bevölkerung hat das sehr wohl begriffen und verlangt nach dem Impfstoff, der ihr wieder erlaubt, ein Leben in halbwegs normalen Bahnen zu führen. So erreicht man bei einer eigentlich eher impfskeptischen Bevölkerung eine nahezu 80-prozentige Impfbeteiligung, offenbar noch verbunden mit dem Schein freudiger Zustimmung.
Ist es völlig daneben gegriffen, wenn man das totalitär nennt? Ist es völlig falsch, wenn man im Infektionsschutzgesetz und der umfassenden Einschränkung der Grundrechte eine innere Faschisierung erkennt?
Ist es überempfindlich, wenn man dem dauernden Einsatz der Bundeswehr im Gesundheitswesen misstraut? Ist es überzogen, von Alltagsterror zu sprechen, wenn allein die Stadt Offenbach bis März 2021 über 500.000 Euro Bußgeld wegen Corona erhoben hat? Ist es falsch, von Pressezensur zu sprechen, wenn immer öfter coronakritische Kommentare aus dem Netz gelöscht werden? Ist es zu sensibel, wenn man nicht zulassen will, dass bekannten Coronakritikern strafrechtliche Verfolgung droht und man versucht, sie durch Ausschluss aus berufsständischen Organisationen zu ruinieren? Ist es bösartig, wenn man die maßlose Verunglimpfung kritischer wissenschaftlicher Positionen als offiziell geförderten Rufmord bezeichnet?
All diese Tatsachen gibt es und es ist Aufgabe wirklich linker Politik, diese Erscheinungen scharf zu kritisieren und zu bekämpfen, denn letztendlich sind alle illiberalen Eingrenzungen der bürgerlichen Rechte gegen die Arbeiterklasse gerichtet. Der Arbeiterklasse darf der Zustand der Verfasstheit der bürgerlichen Rechtsordnung deswegen nie gleichgültig sein. Und es sollte sich von selbst verbieten, die Unterdrückung bürgerlicher Kritiker auch noch zu beklatschen oder gar selbst zu fordern. All dieser Vergehen hat sich die angebliche „Linke“ unseres Landes aber in der sogenannten Coronakrise vielfach zuschulden kommen lassen.
Wie rechtslastig verkommen inzwischen die gesellschaftliche Diskussion ist, wurde durch die öffentliche Reaktion schlaglichtartig deutlich, die die satirische Aktion von 52 Bühnen- und FilmkünstlerInnen unter dem Motto: „#allesdichtmachen“ hervorrief. Fast die gesamte Qualitätspresse fiel über die KünstlerInnen her und bezichtigte sie, den Querdenkern zuzuarbeiten und für Faschisten offen zu sein.
Den Vogel schoss der SPD-Politiker Garrelt Duin, Mitglied des WDR-Rundfunkrates, ab: Er forderte Konsequenzen für die beteiligten Schauspieler. Sie hätten sich als Vertreter der öffentlich-rechtlichen Sender „unmöglich“ gemacht. Die zuständigen Gremien müssten die Zusammenarbeit ― „auch aus Solidarität mit denen, die wirklich unter Corona und den Folgen leiden ― schnellstens“ beenden (3).
Die Folge der einschüchternden Reaktion war, dass etwa die Hälfte der SchauspielerInnen ihre Beiträge zurückzogen. Das ist bedauerlich. Vom Rücktritt oder der Entlassung von Garrelt Duin ist bislang nichts bekannt. Der muss aber dringlich gefordert werden. Duins Vorgehen erinnert an den McCarthyismus.
Der McCarthyismus war zwischen 1947 und 1956 die Zeit der schlimmsten Kommunistenverfolgung in den USA. Dort wurde vor allem mit Berufsverboten gearbeitet. Vielen darstellenden Künstlern und Schriftstellern wurde die wirtschaftliche Existenz entzogen. Sie emigrierten oder starben in bitterer Armut. Einige verhungerten sogar. Das fand statt im gepriesenen Land der Demokratie und dem Hort der Freiheit. Es zeigt, dass das Bürgertum unter der demokratischen Fassade gleichzeitig auch die faschistische Fratze zeigen kann. Es sollte durchaus ernsthaft darüber diskutiert werden, ob der Begriff McCarthyismus nicht auf die gegenwärtige Pandemie-Notstandslage“ in unserem Land angewandt werden kann. Auch Wolf Wetzel sieht das so, wenn er in seiner Analyse der Antisemitismus-Debatte und die Vorgänge um die Leitung des Berliner Jüdischen Museums auf den McCarthyismus verweist (4).
Grundgesetz und Demokratischer Widerstand
Jedenfalls sind Zweifel an der demokratischen Gesinnung führender Politiker und des Staatsapparates durchaus angebracht. Dass diese Zweifel gerade bei denen am radikalsten ausfallen, die aufgrund ihrer Erziehung an die Demokratie und das Grundgesetz als ultimative beste Ordnung fest glauben, ist nur natürlich. Sie sehen in der Lockdown-Politik den Verfassungsbruch und sich im Widerstand:
Anselm Lenz drückt das deutlich aus:
„Ohnehin ist das Grundgesetz ein weiser Text, der jedem Bundesbürger in Artikel 20 Absatz 4 ein umfassendes Widerstandsrecht zusichert, wenn eine inländische oder fremde Machtgruppe den Versuch unternimmt, die freiheitlich-demokratische Grundordnung und den sozialen und föderalen Charakter zu beseitigen. Dies alles ist derzeit ohne jeden Zweifel der Fall.
Doch der Zivilisationsbruch einiger New-Age-Sektierer unter Führung eines Teils des US-Kapitals und chinesischer Profiteure ist nicht vollendet, sondern umkehrbar und damit in den längst überfälligen positiven Aufbruch für ein neutrales und souveränes, ungefährliches und menschenfreundliches Deutschland. Dieser Aufbruch findet allerdings unumkehrbar statt“ (5).
An anderer Stelle wird über den Klassencharakter des angeblichen Putsches gesagt:
„Wir erleben unter dem Stichwort ‚Corona‘ den Versuch einer terroristischen Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals.“
Während im ersten Zitat der „Putsch“ von unbestimmten Mächten vor allem des Auslands gesteuert scheint, nimmt das zweite Zitat unverhohlen auf Georgi Dimitroffs Analyse des Klassencharakters der deutschen Faschismus Bezug. Aber die Analyse der Klassenkräfte, die den „Putsch“ heute tragen, ist unbestimmt und oberflächlich. Tatsache sei aber, dass der Putsch, der der Machterhebung Hitlers 1933 angeblich ähnelt, stattgefunden habe. Widerstand sei daher berechtigt und notwendig. Ziel sei es, die Demokratie wieder herzustellen und zu vertiefen.
„Wir sind parteilose liberal eingestellte Menschen. MedizinerInnen, Journalisten, Arbeiter, Juristen, Künstler, Händler, Unternehmer, Mütter und Väter, Alte und Junge (...). Uns ist daran gelegen, dass die Freiheitsrechte unserer Verfassung, dem Grundgesetz, vollständig wiederhergestellt werden. Wenn uns das gelingt, werden wir diesen Erfolg gemeinsam mit allen feiern, die sich daran beteiligt haben, auch über Animositäten hinweg. Denn die Grundlage, sich politisch streiten oder gar schneiden zu können, sind die liberalen Grundrechte. Doch diese sind von der Regierung abgeschafft worden, die die Verfassung gebrochen und sich mit Verordnungen totalitär ermächtigt hat. Deshalb führen wir die Debatte um eine neue Verfassung an“ (6).
Die politische Analyse ist falsch, aber die ideelle Zielrichtung, Wiederherstellung und Ausbau von Demokratie, ist keineswegs faschistisch. Faschisten wollen einen straff organisierten Führerstaat. Sie wollen eine enge Volks- und Blutidentität. Ihr Hauptmerkmal ist Rassismus. Deutschland schafft sich angeblich ab, wenn man Zuwanderung zulässt. Der Gegner kommt von außen und die Kampflinie liegt zwischen den Ethnien. Im Inneren gilt Volksgemeinschaft. Die muss sich gegen Überfremdung wehren. Rückführung von Nicht-Deutschen wird gefordert. Sozialleistungen soll es nur für Deutsche geben und so weiter.
Wenn sich die AfD heute als Wahrer demokratischer Rechte aufführt, ist das Täuschung, um Masseneinfluss zu gewinnen, denn in Wirklichkeit hat sie mit bürgerlicher Demokratie nichts am Hut. Deswegen ist es richtig, den „Demokratischen Widerstand“ zu kritisieren, wenn er sich nicht deutlich von Neo-Faschisten abgrenzt. Falsch ist es aber, daraus zu folgern, dass sie selbst Faschisten seien.
Wir2020
Auch die Parteigründung von Bodo Schiffmann und anderen „Wir 2020“ ist keineswegs faschistisch, sondern eher offen und basisdemokratisch in ihrer Grundausrichtung. Zu Anfang der Präambel wird betont:
„Die Partei Wir2020 Deutschland (Wir2020) vereinigt Menschen ohne Unterschied der Rasse, ethnischen Herkunft, Hautfarbe, des Geschlechts, der sexuellen Identität, der Religion, einer Behinderung, des Alters oder Geburt, sozialer Herkunft, Vermögen oder sonstigem Stand. Ein fundamentales Selbstverständnis besteht in einem unverrückbaren Konsens, dass wir alle auf unserem Grundgesetz und der freiheitlich demokratischen Grundordnung basierenden politischen Meinungen willkommen heißen, jedoch jegliche extremistischen, totalitären, diktatorischen und faschistischen Bestrebungen entschieden ablehnen“ (7).
Den Parteigründern ist nicht faschistische Gesinnung vorzuwerfen, sondern politische Naivität. Wie viele andere glaubten sie an den unmittelbaren massenhaften Erfolg ihres politischen Auftritts und es mag auch Enttäuschung über die mangelnde Resonanz sein, die sie zur unscharfen Abgrenzung zu rechten faschistoiden Kräften bewegte.
Partei dieBasis
Auch die Partei „dieBasis“ nennt sich demokratisch und grenzt sich von Extremismus ab. In der Präambel des Programms steht an erster Stelle:
„Im Zentrum unserer Arbeit steht der Mensch mit seinen Bedürfnissen als körperlich-seelisch-geistiges Wesen, das in eine soziale Gemeinschaft und in die natürliche Umwelt eingebunden ist. Wir setzen uns dafür ein, dass das Leben des Einzelnen in größtmöglicher Freiheit, Sicherheit und Eigenverantwortung möglich ist. Das Zusammenleben in einer Gemeinschaft gleichberechtigter Individuen soll in gegenseitiger Verantwortlichkeit und Solidarität ermöglicht werden. Die Achtung vor der Natur und ihr nachhaltiger Schutz sind ebenfalls fester Bestandteil unserer Politik.
Wir stehen fest auf dem Boden des Grundgesetzes und setzen uns für die Aufrechterhaltung der Grundrechte ein. Diese müssen auch in Krisensituationen gelten. Von jeder Form extremistischer Bestrebungen, die die freiheitlich-demokratische Ordnung untergraben, grenzen wir uns eindeutig und entschieden ab und versuchen diese aktiv zu verhindern“ (8).
Querdenken
Auch die Bewegung der „Querdenker“ beruft sich auf Demokratie und nennt sich anti-extremistisch:
„Wir sind Demokraten. Wir sind eine friedliche Bewegung, in der Extremismus, Gewalt, Antisemitismus und menschenverachtendes Gedankengut keinen Platz hat.
Die Idee und Ideale von Querdenken sind: Wir reden mit allen, die friedlich und gewaltfrei agieren, egal wie sie von Dritten bezeichnet werden. Wir eröffnen einen freien und demokratischen Debattenraum. Wir stehen für Frieden, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Das ist der Debattenraum, in dem wir uns bewegen.
Querdenken steht für Eigenverantwortung, Selbstbestimmung, Liebe, Freiheit, Frieden, Wahrheit“ (9).
Bei so viel grundsätzlichem Bekenntnis zur bürgerlichen Demokratie bei gleichzeitiger nahezu devoter Abgrenzung von Extremisten ist es schon verwunderlich, dass die „Unteilbaren“ alle diese Kritiker unverhohlen als Faschistenfreunde beschimpfen, so als ob alle ihre Erklärungen nur Tarnung wären. Wer sich an einer Demonstration beteiligt, der das Etikett „Querdenken“ angehängt wurde, wird als Antidemokrat und Faschistenfreund abgestempelt, ganz unabhängig davon, welche eigene Motivation ihn zur Teilnahme leitet.
Wer Corona leugnet ― neuerdings reicht auch schon, es verharmlost ―, zieht sich den Vorwurf der Nähe zu Nazis zu. Darunter fallen inzwischen auch viele Christinnen und Christen, Anthroposophen, Naturheilkundler, Esoteriker ... Ganze Weltanschauungsgruppen fallen unter Generalverdacht, obwohl es sich gar nicht um politische Gruppierungen handelt, denn es gibt sehr wohl rechte wie linke Christen, rechte und linke Anthroposophen und so weiter.
Die Behauptung des Demokratischen Widerstand, wir befänden uns schon in der Diktatur, ist Verharmlosung des Faschismus. Diese Verharmlosung führt dazu, dass eine notwendige Abgrenzung gegenüber faschistischen Kräften schwerfällt, denn sie werden ebenfalls verharmlost. Insofern ist der Vorwurf, sie seien nach rechts offen, nicht unbegründet.
Aber wer in den kleinbürgerlichen Demokraten selbst schon Faschisten erkennt, verharmlost ebenfalls die Faschisten.
Außerdem ist, wer kritiklos eine Politik von rechten bürgerlichen Politikern wie zum Beispiel Markus Söder kritiklos unterstützt, selbst rechts offen. Es scheint fast so, als würden beide Seiten den Faschismus nur noch als Metapher, als bildlichen Ausdruck benutzen und nicht mehr als reale Gefahr.
So zitieren die einen als Symbolfiguren ihres Widerstands die Geschwister Scholl und die anderen regen sich genau darüber wieder entsprechend auf.
Im Gegensatz zu den affirmativen, die bürgerliche Coronapolitik mittragenden Linken formulieren die Protestparteien durchaus das kleinbürgerliche Unwohlsein an den kapitalistischen Zuständen.
Im Rahmenprogramm der Partei „dieBasis“ heißt es:
„Die Gesellschaft befindet sich in einem Wandel, der alles erfassen wird. (...) Immer mehr Menschen erkennen, dass wir mit unserem bisherigen politischen und wirtschaftlichen System an eine Grenze gekommen sind, die grundlegendes Umdenken und mutiges neues Handeln erfordert. (...) Wir sehen ein grundlegendes Problem der gegenwärtigen Menschheitskrise darin, dass immer mehr Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wirtschaftlichen Maximen der Gewinnmaximierung und/oder dem politischen Machtgewinn und -erhalt untergeordnet werden“ (10).
Darin drückt sich die Sehnsucht nach einer nicht an Profitinteressen erkalteten kapitalistischen Gesellschaft aus, die mit „Liebe“ überwunden werden soll. Ihre Abgrenzung gegen Extremisten ist vor allem eine Abgrenzung gegen links. Die kleinbürgerlichen Kräfte suchen nach einem dritten Weg zwischen Kapital und Arbeit. Die Partei „dieBasis“ gräbt dabei antikommunistische Ladenhüter aus wie „Die soziale Dreigliederung“ Rudolf Steiners, die schon zu ihrer Entstehung gegen die Arbeiterbewegung gerichtet war.
Dritte Wege sind illusionär, weil sie die gesellschaftliche Spaltung als objektive Wirklichkeit verleugnen und an deren Stelle ein mystisches Liebesideal setzen. Dennoch ist es vollkommen falsch, diese Kräfte als Faschisten zu bezeichnen. Vor allem diejenigen, die sich heute als die politischen Vertreter der Arbeiterklasse verstehen, müssten diese Kräfte als Bündnispartner gewinnen. Sie müssten aufzeigen, dass die Kritik berechtigt, aber unvollständig ist, und dass ihre Sehnsucht nur an der Seite der Arbeiterklasse im Kampf gegen die kapitalistischen Interessen Erfüllung finden kann.
Sie selbst müssten als Hauptgegner und Kritiker des Kapitalismus und der bürgerlichen Politik stets erkennbar sein und eine klare Analyse besitzen, um diesen Kräften Orientierung und Ziel zu geben. So könnten sie sich produktiv in die Kämpfe einmischen, anstatt am Rockzipfel der herrschenden Politik nur maulend herumzuhängen.
Quellen und Anmerkungen:
(1) https://www.unteilbar.org/unteilbar-statement-zu-querdenken-freiheit-geht-nur-
solidarisch/
(2) Warren Buffett, im Interview mit Ben Stein in New York Times, 26. November 2006.
(3) Berliner Zeitung online, , aktualisiert am 30. April 2021.
(4) Wolf Wetzel, NachDenkSeiten, , 11. August 2020.
(5) Anselm Lenz, Demokratischer Widerstand, Nummer 41, 20. Februar 2021.
(6) Demokratischer Widerstand, Nummer 45, 27. März 2021, Seite 1.
(7) www.wir2020-partei.de
(8) Partei „dieBasis“; Präambel, https://diebasis-partei.de/wp-content/uploads/2020/11/Rahmenprogramm.pdf, aufgerufen am 27. Mai 2021.
(9) https://querdenken-711.de/manifest/, aufgerufen am 27. Mai 2021.
(10) Partei „dieBasis“; Präambel, https://diebasis-partei.de/wp-content/uploads/2020/11/Rahmenprogramm.pdf, aufgerufen am 27. Mai 2021.
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