Eine Mail am frühen Morgen: „Ich fühle mich zurzeit so kraftlos …“. Das kann ich gut verstehen. Es geht mir oft ähnlich. Das antworte ich dann auch, und beim Schreiben fließt es plötzlich; mir werden Dinge bewusster, die vorher nicht so klar auf dem Tisch lagen. Zuerst erzähle ich, dass ich auch oft müde bin, obwohl ich nicht den Eindruck habe, dementsprechend viel gearbeitet zu haben.
Der schlechteste Film aller Zeiten
„Es“ geht nun auch schon so lange, diese ganze Paranoia und all das. Und immer wieder zerschlagen sich Hoffnungen, Erwartungen. Alles scheint gerade so nach Plan zu laufen, als wäre man im Kino und würde sich über die Maßen bemühen, die Personen auf der Leinwand zum Umdenken zu bewegen, ihnen etwas erklären zu wollen, sie auf Gefahren aufmerksam machen zu wollen, die Handlung beeinflussen zu wollen, obwohl doch alles längst festgeschrieben ist, längst gedreht, längst im Kasten und längst in der ganzen Welt angekommen, in jedem Kino der Welt derselbe schlechte Film, und man ist gezwungen, ihn zu sehen. Es gibt keine anderen Filme mehr, nur noch diesen. Das macht müde und kraftlos.
Und nun zieht sich, unmerklich zuerst, aber doch unabwendbar, die Sonne wieder zurück. Das macht mir jedes Jahr zu dieser Zeit eine gewisse Wehmut, doch in diesen Zeiten scheint es, als würde ich verlassen werden. So ein bisschen eben.
Und ich schreibe in meiner Antwort auch: „Ja, wir müssen irgendwie weitermachen. Ich frage mich immer öfter und intensiver, wie das nun aussehen soll. Ich schreibe auf meinem Blog in die endlose Weite der digitalen Welt hinein. Vielleicht ist das nur ein schwarzes Loch, und ich mühe mich vergeblich. Das weiß ich nicht. Auch andere Dinge tue ich diesbezüglich, doch alles scheint sich nur aufzulösen wie die Farben in zunehmender Dämmerung.
Am Ende wird alles grau, dann schwarz. Nichts Gutes scheint haften zu bleiben, wie bei einer Teflonpfanne. Müde lese ich Berichte von den Demos, lese ebenso müde die Zeitung Demokratischer Widerstand und diverse Nachrichten und „Hochhalteparolen“ nach dem Motto: „Vertraue!!!“.
Manchmal frage ich mich auch, ob diese Müdigkeit, dieses als sinnlos Empfinden von allem Widerstand und aller Mühe nicht auch ferngesteuert erzeugt sein kann.
Immerhin ist Deutschland wohl eines der am besten mit 5G abgedeckten Länder der Welt. Und genau aus diesem Grund wurde es doch installiert: Fernsteuern der Menschen mit ihren Gefühlen und allem anderen. Darum geht es doch in diesem Krieg, in dem man keine Bomben mehr braucht, keine Panzer, man braucht nur noch die unsichtbaren Waffen, die im Innersten wirken und das Menschlichste zerstören.
Sommerfrische
Vielleicht müssen wir uns gerade deshalb umso mehr darum bemühen, die Frische zu suchen, die Lebhaftigkeit und Lebendigkeit und sie wieder fest in uns aufnehmen und auch ausdrücken, weitergeben, teilen, in die Welt hinein. Eine Art Frischzellenkur, wie auch immer. Und ich überlege, wie das sein könnte, eine Frischzellenkur für die Freude und Zuversicht, für den Mut, für die Lebenskraft. Habe ich nicht genügend darüber geschrieben und bemühe ich mich denn nicht selbst darum, so viel wie möglich Gutes für mich zu tun und das Schädliche zu meiden, wo es geht? Ist es vielleicht jetzt einfach höchste Zeit, das Notprogramm namens „Wie erhalte ich Seele und Geist in Quarantäne und in Schockzustandszeiten gesund?“ aufzugeben?
Ja, es ist höchste Zeit! Zu den ganzen „seelenhygienischen“ Maßnahmen, so gut und wichtig sie sind in täglicher Anwendung, muss jetzt endlich wieder das richtige Leben dazukommen. Nur das echte, richtige Leben hält uns am Leben. Was für eine lächerlich einfache Erkenntnis!
Leben beflügelt
Ich hatte mich damit abgefunden: zu Hause hocken, meine Arbeit machen, Ideen entwickeln, Projekte gestalten und umsetzen, schreiben, energieraubende Kontakte reduzieren, die „guten“ Kontakte ausbauen, pflegen, und erweitern. Und nun musste ich einfach raus hier. Ich wollte etwas anderes sehen, meiner Seele die Nahrung geben, die sie braucht.
Ich nahm ein Augenbad und eine Seelendusche in schönen Landschaften, die ich bisher nicht kannte. Hörte Kuhglocken Tag und Nacht, Vogelgesang am frühen Morgen und zur Dämmerung, Grillenzirpen und das Plätschern kleiner Bäche die ganze Nacht. Nie wusste ich, wohin die kleine Reise führt – wo werden wir in einer Stunde sein, was werden wir morgen sehen, finden wir ein schönes Plätzchen? Und die Woche darauf gleich nochmal für drei Tage. Und dann nochmal. Und die nächste kleine Reise ist schon geplant.
Wie konnte ich das so sehr vergessen, wie schön diese Welt ist, wie wunderschön! Ein kleiner Bach nur, am Anfang, und immer größer anwachsend zu einem herrlichen Fluss, so klares, reines Wasser, so sprudelnd, so lebendig und fröhlich, fast kann man die Aufregung der zahllosen kleinen Wellen hören oder spüren! Herrliche Aussichten über die Wiesen, Wälder und Berge.
Ach ja, die Wiesen, es gibt sie noch: Sie stehen hoch und sind voller Blumen in allen Farben und mit vielen herrlichen Düften und immer dabei all die Bienen und Insekten und Schmetterlinge. Große alte Bäume in märchenhaften Mischwäldern, ganz anders als die traurigen Baumplantagen, die man so kennt.
Ich brauche nichts sonst als nur diese kleinen lustigen Bäche, das schöne Wasser, das Plätschern und Sprudeln, die Düfte, die Musik der Natur. Ich vermisse kein Museum, keine erhabenen Bauwerke, ich will kein Buch lesen, keine Nachrichten wissen. Ich bin glücklich in diesen Momenten.
Ich bin wieder näher an mir selbst dran. Ich gehöre dazu, zu dieser Natur, zu dieser Welt, ich bin ein Teil von ihr und sie ist ein Teil von mir. Das hier, es ist Medizin.
Wagnis beflügelt
Neulich war ich Gast bei einer kleinen Feier. Ich kannte nur wenige der anderen Gäste und diese eitentlich nur so vom Sehen. Für die anderen Gäste war es ähnlich: Man kennt höchstens zwei oder drei, die anderen sind fremd. Nur der Gastgeber kannte sie alle, und zwar sehr gut. Er hat es darauf ankommen lassen, er hat etwas gewagt, obwohl er sich zuvor Gedanken machte, ob das möglich ist und wie das nur werden soll. Er hat nicht getrennt, vorsortiert. Es war ein Risiko. Denn seit Corona kann man nicht mehr so einfach verschiedene Menschen an einen Tisch setzen.
Der Glaubenskrieg ist zu extrem geworden und hat sich in alle Lebensbereiche hineingefressen. Es geht dabei nicht mehr nur um dieses Thema. Inzwischen ist die Intoleranz in allen Bereichen fast unüberbrückbar. Vegan oder nicht, geimpft oder nicht, Tee oder Kaffee, Raucher oder Nichtraucher, Maske oder nicht, reich oder arm, spirituell oder Materialist, Fahrrad oder Auto, Aldi oder Bioladen, berufstätig oder arbeitslos, bildungsnah oder bildungsfern, Kind oder Hund.
Es gab kleine Reibungspunkte, mit denen gut umgegangen werden konnte. Ich glaube, viele Menschen sind ein wenig vorsichtiger geworden. Damit meine ich nicht nur die sogenannte Schere im eigenen Kopf, ich meine auch eine vorsichtige Behutsamkeit, ob sie nun ganz gelingt oder nicht. Es kamen Themen auf den Tisch, ganz kurz nur, sozusagen letztlich als „Hausaufgaben“ für den ein oder anderen, die man annehmen und daraus lernen kann oder auch nicht. Es wurden verborgene seelische oder zwischenmenschliche Tabus sichtbar, wenn auch nur sehr kurz.
Tatsächlich hatte ich den Eindruck, für den ein oder anderen gab es das Angebot eines ganz persönlichen Augenöffners. Wie seltsam, gab es das früher nicht, oder ist es mir bisher nur nicht so sehr aufgefallen? Kann es denn sein, dass die Menschen einander nun direkter, authentischer begegnen? Kann es sein, dass Menschen einander mehr beachten, besser wahrnehmen und man deshalb aneinander eher bemerkt, was da lebt, was sich da zeigt, was es in einem selbst bewirkt? Wie gut das ist, auch wenn es hier und da unbequem ist.
Begegnung belebt
Im Nachhinein dachte ich kurz daran, dass diese Zeit wohl in allen Bereichen die lang verborgenen Dinge ans Licht bringt, wo auch immer sie die Möglichkeit dazu hat oder herstellt. Zum Anschauen. Zum Hingucken sozusagen. Endlich. Und siehe da: Die Stimmung blieb bis zum Ende sehr gut. Bis auf kurze Momente des Unbehagens, des inneren Widerstandes, des Wunsches, zu widersprechen, konnte ich mich entspannen und genießen und war wach und neugierig auf diese Menschen bis zum Schluss. Sehr interessant und sehr, sehr gut. Und die anderen haben es wohl zum Teil ähnlich erlebt. Ich sah fröhliche Gesichter. Was für ein gelungenes Wagnis! Ich kam sehr spät abends heim und fühlte mich beschwingt, angeregt, wach und fröhlich.
Echte menschliche Begegnung mit allem, was dazugehört, wie früher, denke ich am nächsten Tag, doch ganz so ist es nicht. Etwas ist anders geworden, jedenfalls für mich. Wohl habe ich mich zuletzt sehr weit aus dem Hamsterrad entfernt. Es irritiert mich auf eine seltsame Weise, wenn jemand sich profiliert, ganz so wie ich es kenne mein Leben lang. „Schau nur, wie toll ich bin, wie reich, wie erfolgreich, schau nur, was ich habe, wie ich lebe, wer ich bin!“ Dies erscheint mir wie ein Verhalten aus längst vergangenen Zeiten. So überflüssig, so sinnlos, so peinlich und ja, armselig.
Und ich werde davon nicht wie sonst ärgerlich. Fast spüre ich eine Art von Mitgefühl für diesen traurigen Zustand solcher Personen. Dagegen die ganz andere Erzählung einer anderen Person: ein Reisemissgeschick, ein Hindernis, bürokratische Abartigkeiten auf eine so charmante und humorvolle Weise erzählt, dass es alle Gäste in den Bann zog. Was haben wir gelacht, es war bühnenreif. Schaue ich anders auf die Menschen als früher? Oder sind die Menschen anders geworden? Ich weiß es nicht.
Musik — selbst gemacht
Wir bekommen eine Einladung zu Kaffee und Kuchen bei einem Ehepaar. Die Herren kennen sich vom Posaunenchor, als es diesen noch gab. Nun ist er reduziert und hygienisch einwandfrei, deshalb geht mein Mann dort nicht mehr hin. Wir nehmen die Gitarre und unser eigenes Liederbuch mit. Mein Mann hat seine Posaune und diverse Notenblätter im Auto. Da ich kein Gastgeschenk habe, wie es sich gehört, pflücke ich bei uns ums Dorf noch Blumen. Wie weit muss man laufen, um ein kümmerliches Sträußchen zu finden, bei all den Wiesen und Feldern, die zu Tode gespritzt sind.
Es ist nett, wir sitzen draußen und unterhalten uns. Dann wird die Gitarre ausgepackt, und wir singen alle nach Herzenslust. Kanon darf nicht fehlen in dieser einsilbigen vereinzelten Zeit. Jeder findet im Liederbuch etwas, was er singen oder hören möchte. Danach packen die Bläser aus und spielen zweistimmig übers Dorf hinweg. Wie schön das ist, auch wenn es nicht immer perfekt ist. Fast habe ich den Eindruck, die Amseln stimmen mit ein. Lange könnte ich zuhören, viel länger, als den Herren die Puste reicht. Spät machen wir uns auf den Heimweg, und am nächsten Tag bekommen wir ein Foto von diesem kleinen Blumenstrauß. Die Knospen der Mohnblumen sind aufgegangen, und der kleine Strauß sieht jetzt wirklich richtig fröhlich aus.
Nur das echte Leben ist Leben
Kleine kostbare Erlebnisse, selbstverständlich für lange Zeit, und oft nicht wirklich so wertgeschätzt, wie es sein könnte. Und nun erlebe ich all das so intensiv und dankbar und spüre, was es mit mir macht, und sehe an den Gesichtern der anderen, dass es ihnen ähnlich ergehen muss. Wir können das. Jeder kann das. Es ist möglich, jeden Tag ist etwas davon möglich. So einfach kann es sein. Ganz Alltägliches kann man bewusster erleben und bewusster gestalten. An Kleinigkeiten kann man eigene Gewohnheiten ändern, seine Sichtweise verändern, in kleinen Schritten. Das ist der Stoff, aus dem ein jeder sein Leben neu weben kann.
Ja, wir befinden uns im schlechtesten Film, den sich die Menschheit jemals ausdenken konnte. Doch niemand zwingt mich mitzuspielen, ich muss ihn mir auch nicht die ganze Zeit anschauen. Ich kann das miese Kino verlassen. Jederzeit.
Ich nehme mir vor, das auszuweiten. Ich will nicht mehr „sparen“ oder aufschieben. Ich will jetzt leben. Und ich spüre, viele andere wollen auch jetzt leben. Nichts hält uns zurück, nur das gewohnte Hamsterrad, nur das gewohnte „Ich kann doch jetzt nicht einfach …“. Das stimmt aber nicht. Man kann. Jetzt. Und man kann es auch ganz leicht und einfach. Und dann beginnt das Leben, dann fließt die Kraft und dann strömt das Glück. Nur das echte, richtige Leben hält uns am Leben. Nur das ermöglicht es uns, uns selbst als Mensch zu erleben. Als Mensch unter Menschen. Als Mensch in dieser schönen Welt. Für die es sich lohnt, für Welt und Menschen, für die sich alles lohnt.
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