Bricht ein Unheil aus, so rekrutiert ein System seine Wissenschaftler, um das Unheil loszuwerden. Die gescheitesten Köpfe werden eingeladen und die zeichnen im Austausch und um den besten Weg ringend vor, was die Politik umsetzen möge. Nicht immer allerdings scheint dieser beste Weg der gesuchte zu sein. Nicht dann nämlich, wenn der Weg schon vorgezeichnet ist und es bei der wissenschaftlichen Debatte naturgemäß nicht um diesen Weg gehen kann. In diesem Fall findet kein Austausch statt.
Das System sucht sich vielmehr die Köpfe, die den bereits vorgezeichneten Weg mit Verlass belegen. Und naturgemäß braucht es hierfür deutlich weniger Köpfe. Einer, den man vorzeigen kann, ist das Ideal.
Er steigt zum Wissenschaftler der Regierenden auf, und wie er selbst seine Rolle versteht, ob als nützliches Instrument oder, falls es ihn doch gar berauscht, sein Wort plötzlich mit so viel Auswirkung versehen, als Taktgeber von Maßnahmen, bleibt am Ende von untergeordneter Bedeutung.
Wesentlich ist allerdings, dass er ein paar Eigenschaften mit sich bringt. Nicht jede und jeder kann nämlich dieser Wissenschaftler oder diese Wissenschaftlerin sein. Von Bedeutung ist — zumal in dieser barocken Zeit — das Bild, das er äußerlich abgibt. Sein Auftreten, seine Bewegungen im Kittel. Da muss er den Topos bedienen, den Topos von den Göttern in Weiß. Er soll eine repräsentative Stellung innehaben und auf seinem Fachgebiet bestimmt eine Kapazität sein.
Die Betonung liegt ganz auf diesem Fachgebiet, im Idealfall — und man kann ja wählen — bleibt die Kompetenz darauf beschränkt. Für die, die ihn berufen, hat das den Vorteil, dass er keine Zusammenhänge erkennt und vom Weg nicht abgeht und keine Abkürzung durch den Wald nimmt. Er kennt, was er untersucht. Kleinste Teile, Viecher, was auch immer. Und werden daraus Experimente abgeleitet, an Menschen, an Kindern, an Alten, an ganzen Gesellschaften, so bleibt er doch stets mit seinem Denken gänzlich bei den Viechern haften.
Und so überzeugend er das durchzieht, so kräftig teilt er aus, fällt ihm jemand ins Wort — was allerdings so einfach nicht ist, liegt er doch ziemlich abgeschirmt im Bett der Macht, gleichwohl: ganz ruhig ist es ja doch erst am Ende —, und er spricht:
Ich bin der Experte, der einzige weltweit. Und bitte achtet nicht auf Titel und Ehren der anderen, denn ich habe diese Titel auch, auch ich bin Professor, aber bitte: Professor für diese Viecher, um die es geht, und da entgeht mir nichts und rein gar nichts, und die, die mir ins Wort fallen, erzählen Quatsch und haben ihren Titel auf dem falschen Gebiet, sind vielleicht darauf spezialisiert, wie sich die Viecher ausbreiten, wie man sich ansteckt mit ihnen, zugegeben, die Viecher selbst aber kenne nur ich. Und darum, so spricht er weiter, achtet darauf, wo der Titel herstammt.
Das sagt er, um im nächsten Satz einen niederzuringen, der den Titel auf dem gleichen Gebiet hat, nämlich bei diesen Viechern eben, und darüber hinaus nicht nur den Professorentitel, sondern auch den Nobelpreis auf diesem Viechergebiet, und über diesen anderen sagt er: Es ist Quatsch, was er sagt.
Und es stört ihn nicht, dass er das Kriterium mit dem exakten Fachgebiet, das er soeben ausgegeben, im nächsten Satz wieder streicht, indem er diesen anderen Viecherprofessor, nun mit dem Verweis, dessen These sei längst vom Tisch, abbügelt, wie er auch andere Viecherspezialisten abbügelt, die etwas weiter und also über die Viecher hinausdenken, das stört ihn nicht, weil er von Erkenntnistheorie und formaler Logik und überhaupt von Zusammenhängen, die über die Viecher hinausgehen, keine Ahnung hat, was ihn eben zuverlässig macht, zumal er diesen Verlass — idealerweise — bereits mehrmals schon beweisen konnte.
Konsequent hat er alles Philosophische und alle Zusammenhänge in seiner Ausbildung links liegen lassen und sich ganz auf die Viecher spezialisiert, um sich endlich daran zu berauschen, angemessen und spartanisch, wohlverstanden, das Bild des Gottes in Weiß nicht beschädigend, wie seine Studien, diese Viecher im Rachen von Kindern nachweisend, eben diesen Kindern die Schulen für Monate, bald aber für immer verschließen als Raum, in welchem dereinst Denken und Erkennen von Zusammenhängen geübt worden ist, und wie seine Studien stattdessen die vormals als sozialer Denk- und Erkenntnisraum angedachte Schule in eine hochsterile Virenabwehrzone verwandeln, in welcher den Kindern das Menschsein abgewöhnt und das Apparatedasein eingeimpft wird.
Seine bösen Worte, Quatsch, Verschwörung und so, mit denen er gegen andere austeilen muss, die in sein abgeschirmtes Bett einbrechen, schon klar, gäbe es nicht, ginge es beim Disput unter Wissenschaftler darum, das maximal beste Wissen zusammentragen und symbiotisch zur Anwendung zu bringen. Denn dann wären von Anfang an Epidemiologinnen und Infektiologen, Allgemeinmedizinerinnen und Kinderärzte, Lungen- und Herzspezialistinnen, Medienwissenschaftler und Soziologinnen, Erkenntnistheoretiker und Logikerinnen und vor allem auch Staatsrechtler zu gleichen Teilen an der Arbeit.
Und keiner von all denen bräuchte einen Podcast-Kanal, um die anderen anzubellen.
Weil es aber umgekehrt war, in jener Zeit, von der ich hier berichte, als die Welt zu Ende ging, weil das System den verlässlichsten Wissenschaftler gesucht hatte und nicht den besten Weg, einen Wissenschaftler, der alle Zusammenhänge ausblendete und sich ganz auf seine Viecher beschränkte und außerhalb dieser Viecher einzig und allein zum bezugslosen Ablesen von Todeszahlen befähigt war, gab es damals diese unschönen Szenen mit dem Niederbügeln all jener, die dem ins Gehege fielen, der sich an seinem Wort, wie gesagt, gar nüchtern und streng und doch missionarisch genug berauschte. Gespielt oder echt: egal.
Was, wenn eines Tages die toten Kinder vor ihm stünden, mit verlorenen Gesichtern und ausgehöhlten Augen, er an der Wand, verständnislose Hallos stammelnd, was würden sie wohl tun, die Kinder von einst, um Bildung und Freiheit und Leben betrogen, was würden sie tun mit dem Arzt, der an ihnen herumexperimentiert hat, stets und immer sein Fachgebiet vor Augen?
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