von Pepe Escobar
Präsident Rouhani bezeichnet den US-Präsidenten Donald Trump vernichtend als „ernste Gefahr für die regionale und die Weltsicherheit“ und bietet SCO-Unternehmen, die in sein Land investieren, Vergünstigungen an.
Während die Kriegshunde an ihren Ketten zerren, geschah auf dem 19. Gipfeltreffen der Shanghai Cooperation Organization (SCO, Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit) am Ende der Woche (der Gipfel fand vom 13.-14. Juni statt; Anmerkung der Übersetzerin) in Bischkek, Kirgisistan, etwas Außergewöhnliches.
Im Westen so gut wie unbekannt, ist die SCO die bedeutendste Politik-, Wirtschafts- und Sicherheits-Allianz Eurasiens. Sie ist keine eurasische NATO. Sie plant keine humanitären imperialistischen Abenteuer. Ein einziges Bild aus Bischkek erzählt eine aussagekräftige Geschichte — wir sehen Chinas Xi, Russlands Putin, Indiens Modi und Pakistans Imran Khan Seite an Seite mit den führenden Politikern von vier „-stans“ aus Zentralasien.
Diese Führungspersönlichkeiten repräsentieren die derzeit acht Mitglieder der SCO. Dann gibt es noch vier Beobachterstaaten — Afghanistan, Weißrussland, die Mongolei und, ganz wesentlich, den Iran — und sechs Dialogpartner: Armenien, Aserbeidschan, Kambodscha, Nepal, Sri Lanka und, ganz wesentlich, die Türkei.
Die SCO wird sich bis 2020 stark erweitern — sowohl die Türkei als auch der Iran erhalten bis dahin möglicherweise die volle Mitgliedschaft, womit die SCO dann alle wichtigen Spieler der eurasischen Integration vereinen würde. Betrachtet man das derzeitige Wetterleuchten auf dem geopolitischen Schachbrett, kann es wohl kaum ein Zufall gewesen sein, dass ein gewichtiger Protagonist in Bischkek der „Beobachter“-Staat Iran war.
Der Iran als Partner in der SCO
Der iranische Präsident Rouhani spielte seine Karten meisterhaft aus. Wenn Rouhani an einem Tisch direkt mit Putin, Modi, Xi und Imran spricht, so ist das sehr ernst zu nehmen. Er bezeichnete die USA unter Trump als „ernsthaftes Risiko für die Stabilität in der Region und weltweit“. Dann bot er diplomatisch allen Unternehmen und Unternehmern von Mitgliedsstaaten der SCO, die sich verpflichteten, in den iranischen Markt zu investieren, vergünstigte Bedingungen an.
Die Trump-Administration hat ohne echte Beweise behauptet, dass die Islamische Revolutionsgarde — die von Washington als „Terroristische Organisation“ bezeichnet wird — hinter den Angriffen auf die beiden Tanker im Golf von Oman in der Woche vom 13. Juni steckt.
Während des SCO-Gipfeltreffens brach dieses Narrativ bereits in sich zusammen, als Yutaka Katada, Präsident des japanischen Frachtunternehmens Kokuka Sangyo und Eigentümer eines der Tanker, sagte:
„Die Crew sagt, [das Schiff] sei von einem Flugobjekt getroffen worden.“
Der iranische Außenminister Javad Zarif hatte das Weiße Haus beschuldigt, „Sabotage-Diplomatie“ zu betreiben — dies ließ die Diplomatie Rouhanis in Bischkek jedoch nicht entgleisen.
Xi blieb eisern — Peking wird weiter an den Beziehungen mit dem Iran arbeiten, „unabhängig davon, wie sich die Lage ändern könnte“. Iran ist ein maßgeblicher Knotenpunkt auf der Neuen Seidenstraße, auch Belt and Road Initiative (BRI) genannt. Die Führung in Teheran ist sich dessen bewusst, dass eine vollkommene Integration in das riesige, Eurasien-weite Wirtschafts-Ökosystem der einzige Weg nach vorne ist. Europäische Nationen, die das Atomabkommen mit Teheran unterschrieben haben — Frankreich, Großbritannien und Deutschland —, können den Iran wirtschaftlich nicht retten.
Welchen Weg schlägt Indien ein?
Dann jedoch sagte Modi kurzfristig ein bilaterales Gespräch mit Rouhani ab und entschuldigte dies mit der lahmen Ausrede von „Terminproblemen“.
Dies war nun nicht gerade ein kluger diplomatischer Zug. Bevor die Trump-Administration vor gut einem Jahr das JPCOA-Atomabkommen verließ, war Indien Irans zweitgrößter Erdölkunde. Modi und Rouhani haben die Möglichkeit erwogen, dass Indien das iranische Erdöl in Rupien bezahlt und damit den US-Dollar sowie die US-Sanktionen umgeht.
Dennoch weigert sich Neu-Delhi im Gegensatz zu Peking und Moskau, Teheran in seinem Kampf um Leben und Tod gegen den US-Wirtschaftskrieg und die De-Facto-Blockade bedingungslos zu unterstützen.
Modi steht vor einer existentiellen Wahl. Er ist versucht, seine instinktive Haltung gegen die Belt-and-Road-Initiative dem Sirenenruf einer vagen, von den USA zusammengebrauten Indo-Pazifischen Allianz anzudienen — de facto einem Mechanismus gegen „China, China, China“, wie es die Führung des Pentagon offen zugibt.
Er könnte sich allerdings auch intensiver bei einer SCO/RIC (Russland-Indien-China)-Allianz engagieren, die ihren Fokus auf eurasische Integration und Multipolarität legt.
Die Einsätze sind hoch — deswegen wird gerade eine gemeinsame Charme-Offensive des BRICS- und SCO-Duos aufgefahren. Putin lud Modi für Anfang September als Hauptgast zum Eastern Economic Forum in Wladiwostok. Zudem ließ Xi Jinping Modi in einem bilateralen Gespräch wissen, dass er eine „engere Partnerschaft“ anstrebt — angefangen bei Investment- und Industrie-Kapazitäten bis zu einer Anfeuerung des Bangladesch-China-India-Myanmar (BCIM) Economic Corridor (ein Zusammenschluss dieser vier Staaten zur Stärkung ihrer Kooperation untereinander und mit anderen Staaten in der Region; Anmerkung der Übersetzerin), eines weiteren BRI-Anhängers.
Pakistan als Drehscheibe Eurasiens
Imran Khan dagegen scheint sich durchaus bewusst zu sein, wie Pakistan davon profitieren könnte, der perfekte Dreh- und Angelpunkt Eurasiens zu sein — Islamabad bietet neben dem SCO-Beobachter Iran einen begünstigten Zugang zum Arabischen Meer. Der Hafen Gwadar ist die wesentliche Drehscheibe des Chinesisch-Pakistanischen Wirtschaftskorridors, ist er doch viel besser positioniert als der iranische Hafen Chabahar, der gerade als wichtiger Knotenpunkt von Indiens kleiner „Neue-Seidenstraße“-Version Richtung Afghanistan und Zentralasien ausgebaut wird.
An der russischen Front lohnt sich die Charme-Offensive gegenüber Pakistan bereits — Imran bestätigte öffentlich, dass Pakistan sich in einer „sich verändernden“ Welt an Russland „annähert“. Zudem hat er starkes Interesse am Erwerb von Sukhoi Su-35 Kampfjets und Mi-35M Angriffshubschraubern bekundet.
Iran liegt im Herzen der Integrationsstrategie der BRI-SCO-EAEU (letztere ist die Eurasische Wirtschaftsunion; ihr gehören Kasachstan, Russland, Weißrussland, Armenien und Kirgisistan an; Anmerkung der Übersetzerin) — dem A und O der eurasischen Integration. Russland und China ist sehr daran gelegen, dass dem Iran nicht die Luft abgeschnürt wird — der Iran besitzt enorme Energiereserven, hat einen riesigen Binnenmarkt und steht an der Spitze des Kampfes gegen komplexe Schmuggel-Netzwerke für Opium, Waffen und Dschihadisten. All dies sind zentrale Anliegen der SCO-Mitgliedsstaaten.
Interessenskonflikte zwischen Russland und dem Iran
Es besteht kein Zweifel daran, dass die Interessen Russlands und des Iran in Südwestasien kollidieren. Die wichtigsten Anliegen Moskaus sind, die Dschihadisten daran zu hindern, in den Kaukasus und nach Zentralasien vorzustoßen, um dort Angriffe gegen die russische Föderation zu planen, dazu die Marine- und Luftwaffenstützpunkte in Syrien zu behalten und den Erdöl- und Erdgashandel ungestört aufrechtzuerhalten.
Teheran kann die Art geheimer Vereinbarungen auf keinen Fall unterstützen, wie sie von Moskau mit Tel Aviv für Syrien vereinbart wurden — wo angeblich die Hisbollah und der IRCG von Israel mit Bomben angegriffen werden, nie jedoch russische Anlagen.
Dennoch gibt es Verhandlungsspielräume für bilaterale Diplomatie, wenngleich sie gerade nicht groß zu sein scheinen. Der Oberste Führer Khamenei hat die neuen Spielregeln aufgestellt — Importe auf ein Minimum reduzieren, sich weniger auf Erdöl- und Erdgas-Exporte verlassen, den politischen Druck im Land mindern — schließlich sind sich alle darüber einig, dass man im Angesicht einer tödlichen Gefahr zusammenhalten muss —, und auch weiterhin davon ausgehen, dass der Iran keine zuverlässigen Freunde hat, nicht einmal China und Russland.
Der Iran befindet sich in einem Belagerungszustand. Eine interne Reglementierung muss oberste Priorität sein. Dies schließt jedoch eine Abwendung von den Bemühungen um eine eurasische Integration nicht aus.
Die pan-eurasische Verflechtung wurde unmittelbar nach den Ereignissen in Bischkek noch offensichtlicher — nämlich beim Gipfel der Konferenz für Interaktion und vertrauensbildende Maßnahmen in Asien (CICA) in Duschanbe, Tadschikistan.
Zusammenschluss der eurasischen Wirtschaftsorganisationen
Bischkek und Duschanbe erweiterten — wie bereits berichtet — das, was schon auf dem Petersburger Forum ausgiebig erörtert wurde. Putin selbst betonte, dass alle Vektoren — BRI (Belt and Road Initiative, Neue Seidenstraße), EAEU (Eurasische Wirtschaftsunion), SCO (Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit), CICA (Konferenz für Interaktion und vertrauensbildende Maßnahmen in Asien) und ASEAN (Verband südostasiatischer Nationen) — integriert werden sollten.
Die Deklaration von Bischkek, die von allen SCO-Mitgliedern verabschiedet wurde, hat als Dokument vielleicht keine Schlagzeilen gemacht, betonte jedoch die Sicherheitsgarantien des zentralasiatischen Abkommens zur Kernwaffenfreien Zone sowie „die Unannehmbarkeit von Bemühungen, die Sicherheit eines Landes auf Kosten der Sicherheit eines anderen Landes zu gewährleisten“, und verurteilte den „unilateralen und unbegrenzten Aufbau von Raketenabwehrsystemen durch gewisse Länder und Ländergruppen“.
Und doch ist die Deklaration ein getreues Produkt eines Strebens nach einer multilateralen, multipolaren Welt.
Unter den 21 unterzeichneten Vereinbarungen des SCO befindet sich auch ein Strategieplan für die wichtige SCO-Afghanistan-Kontaktgruppe. Hierbei wurde das von den strategischen Partnern Russland und China aufgestellte Gebot, dass eurasische Mächte die Entscheidung über das Afghanistan-Drama fällen müssen, betont.
Was Putin, Xi und Modi im Detail und hinter verschlossenen Türen in Bischkek erörtert haben, wird auf ihrem Mini-BRICS-Treffen, dem RIC (Russland-Indien-China), auf dem kommenden G20-Gipfel in Osaka Ende Juni weiterentwickelt werden.
Währenddessen wird der Industrie-, Militär- und Sicherheitskomplex der USA weiterhin von Russland als „revitalisiertem bösartigem Akteur“ (auf „pentagonesisch“) besessen sein — neben der allumfassenden „Bedrohung“ durch China.
Die US-Marine ist besessen von dem asymmetrischen Know-How „unserer russischen, chinesischen und iranischen Rivalen“ in „umstrittenen Wasserstraßen“ vom Südchinesischen Meer bis zum Persischen Golf.
Während die US-Konservativen „maximalen Druck“ aufbauen, um das angeblich schwache Zahnrad in der eurasischen Integration in die Zange zu nehmen, das sich bereits in einem totalen Wirtschaftskrieg befindet, weil es unter anderem den US-Dollar umgeht, kann niemand vorhersagen, wie das Schachbrett aussehen wird, wenn die SCO- und BRICS-Gipfeltreffen 2020 in Russland stattfinden werden.
Pepe Escobar ist ein brasilianischer Investigativjournalist, der über geopolitische Zusammenhänge berichtet. Als Auslandskorrespondent war er seit 1985 unter anderem in London, Paris, Washington, Bangkok und Hong Kong tätig. Er schreibt unter anderem für Asia Times und Russia Today.
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „Iran at the Center of the Eurasian Riddle“. Er wurde von Gabriele Herb aus dem ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteam lektoriert.
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