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Gute Tage, schlechte Tage

Gute Tage, schlechte Tage

Die Wechselfälle des Lebens verlangen uns extreme emotionale Flexibilität ab.

An normalen Tagen fahren die Busse pünktlich, sind die Kollegen erträglich, klemmt der Zigarettenautomat nicht. Normale Tage sind so normal, dass wir uns kaum etwas anderes vorzustellen vermögen. Gäbe es da nicht die penetranten Tage …

Man erkennt sie nicht auf Anhieb, auch an ihnen scheint gelegentlich die Sonne. Wenn uns der Briefträger auf dem Weg ins Büro anstatt des erwarteten Schecks einen Bußgeldbescheid aushändigt, sind wir noch lange nicht bereit, dies als Indiz einer ungeheuren Kette von Kleinstattacken zu werten, die uns zwölf Stunden später mürbe gekocht haben werden. Warum grüßt mein Gemüsehändler mich nicht, obwohl er doch sonst so beflissen um Freundlichkeit bemüht ist? Warum pickt sich der Verrückte mit der Bierdose ausgerechnet mich heraus, um mich in der U-Bahn mit seinem Schwachsinn vollzulabern? Wieso gibt es in der Kantine heute keine Krabbenbrötchen? Und warum klemmt das E auf meiner Tastatur?

Okay, ich habe verstanden: dies ist ein penetranter Tag. In einer Stunde bin ich mit dem Innensenator zum Interview verabredet. In seiner Privatwohnung. Wo zum Teufel habe ich seine Adresse gelassen? Zuhause! Die Wohnungsschlüssel hat der Besuch und der ist beim Zahnarzt. An einem Tag wie diesem ist das natürlich Grund genug, sich auf die Brille zu setzen. Es ist elf Uhr. Der Schabernack dauert jetzt gerade mal zwei Stunden. Ich werde im Chefsekretariat anrufen und mich für den Tag abmelden. Plötzliches hohes Fieber, das sollte als Entschuldigung reichen. „Ah, da sind Sie ja,“ sagt die Sekretärin, „Sie werden verzweifelt gesucht. Ich stell Sie durch ...“ — „Na endlich,“ herrscht mich mein Chefredakteur an, um dann eine Oktave tiefer sanft fortzufahren: „Ich möchte, dass Du heute für mich den Leitartikel schreibst. So eine Art Glosse über die Unwägbarkeiten des Alltags. Ich habe Fieber, ich muss unbedingt ins Bett ...“.

Die Hamburger Morgenpost, bei der ich damals Lokalchef war, hat das am 7. Dezember 1980 genauso gedruckt wie es hier steht. Einen Tag, bevor John Lennon erschossen wurde. Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich morgens in die Redaktion kam und von dem Attentat erfuhr. Gegen den Willen der Chefredaktion räumte ich drei Seiten frei, die sich ausschließlich um dieses tragische Ereignis drehten. Dann setzte ich mich noch völlig benommen an die Schreibmaschine und schrieb folgenden Leitartikel:

John Lennon ist tot. Ermordet. Unfassbar. Mit ihm ist ein Eckpfeiler jener Zuversicht verschwunden, die eine ganze Generation in Bewegung gesetzt hat. Die von ihm und den Beatles kreierte Musik bildete in den sechziger Jahren den Grundton für eine Aufbruchstimmung, die uns alle an eine bessere Welt glauben ließ. Nun müssen wir erfahren, dass jugendliche Naivität gegen die raue Wirklichkeit kaum etwas auszurichten vermag.

Lennon hat dies als einer der ersten begriffen. Er verließ die Beatles, als er in den Augen seiner weltweiten Fangemeinde zum Übermenschen avancierte. Sein Ausspruch: „Wir sind populärer als Jesus!“ war denn auch mehr ein Schrei der Verzweiflung als eine Anmaßung. Wie kaum ein Prominenter zuvor setzte er seine Popularität dafür ein, für den Frieden zu demonstrieren. Als der Prediger in ihm müde geworden war, zog er sich in die Isolation zurück. Fünf Jahre schwieg er, dann kam er zurück, mit neuen Ideen und voller Lebenslust. Ein Mann wie er hätte uns allemal etwas zu sagen gehabt.

Dazu sollte es nicht kommen. Er wurde von einem Wahnsinnigen abgeknallt, der sich mit einem Schuss weltweit in die Schlagzeilen katapultiert hat. In jene Schlagzeilen, die sein Opfer in den letzten Jahren so entschieden gemieden hatte.

Beide Ausgaben, die vom 7. und 8. Dezember 1980, fielen mir gestern beim Aufräumen meiner Bibliothek in die Hände. Welch ein Hohn! Dem seichten Geplapper um gute und schlechte Tage folgte unmittelbar darauf der unbeholfene Versuch, eine Tragödie zu kommentieren, die mich und Millionen, wenn nicht Milliarden anderer Menschen sprachlos gemacht hatte.

Beim Lesen spürte ich wieder den Schmerz, die Wut und die Trostlosigkeit, welche mich damals lange eingeschlossen hielten. Um die Erinnerung abzumildern, verließ ich meine Wohnung, um am Isekai eine Wiese zu besuchen, die die Stadtverwaltung in diesem Jahr zum ersten Mal eingezäunt ließ.

Nunmehr, da weder Menschen noch Hunde darauf herum trampeln konnten, war sie zu einem kleinen Paradies erblüht, an dem ich mich einige Wochen erfreuen konnte. Auf meinen Spaziergängen streichelte ich die meterhohen Mohn- und Kornblumen, die sich mir durch den Zaun entgegen streckten.

Die sich im Wind wiegende Blumenwiese übte eine beruhigende Wirkung auf mich aus — bis gestern, als ich diese Begegnung der besonderen Art so nötig hatte. Was ich vorfand war ein einziges Schlachtfeld. Meine Blumen lagen — von einer Mähmaschine — geköpft geknickt und verdorrt am Boden.

Es gibt eben nicht nur gute, schlechte und penetrante Tage, es gibt auch Tage, die man nicht benamsen kann, die dir das Herz umdrehen. Das war so einer.

Was eine Wiese voller Mohn- und Kornblumen doch anzurichten vermag, wenn es sie nicht mehr gibt ...


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