Die Analyse des verantwortlichen Beamten kommt zu einem deutlichen Ergebnis:
Bei der Warnung vor Sars-Cov 2 und Covid-19 handele es sich um einen Fehlalarm. Die Schäden durch die Maßnahmen seien größer als die gesundheitlichen Gefahren und Folgen durch das Virus.
Zudem werden dem offiziellen Krisenmanagement von Politik und Behörden gravierende Fehlleistungen in der Corona-Krise testiert.
Das hat der BMI-Mitarbeiter nicht nur seinen direkten Kollegen und den Fachkollegen in den Landesministerien übermittelt, sondern anscheinend gleichfalls Empfängern außerhalb dieses Kreises. So ist es inzwischen auch bei einigen Journalisten auf dem Tisch gelandet. Deshalb hat das Ministerium am Sonntag in einer Pressemitteilung erklärt, das Material gebe nur die Privatmeinung eines fachlich nicht zuständigen Mitarbeiters wieder. Es sei von ihm „außerhalb der sachlichen Zuständigkeit des Verfassers sowie der Organisationseinheit im BMI, für die er tätig war“, erarbeitet worden. Er habe dafür „weder einen Auftrag, noch eine Autorisierung“ gehabt.
Das Ministerium bestreitet also nicht die Existenz des Materials. Es behauptet aber, „eine strukturelle Einbindung aller am Krisenstab beteiligten Organisationseinheiten, wie sonst bei seriösen Analysen zwingend erforderlich und üblich“, sei nicht erfolgt. Der Vorwurf aus dem Ministerium, der Autor habe die Analyse „unter Verwendung behördlicher Symbole, z.B.: dem offiziellen Briefkopf, verfasst und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht“, ist falsch. Denn auf dem Material, das Rubikon vorliegt, ist an keiner Stelle der Briefkopf des BMI zu sehen oder verwendet worden.
Einblicke in ein Versagen
Was über die Fehler von Politik und Behörden in der Corona-Krise in dem Papier zu lesen ist, hat es viel zu sehr in sich, als dass es ignoriert werden dürfte. Nicht nur dass der Autor belegt, was er über die internen Entscheidungsprozesse schreibt. Er führt in dem umfangreichen Anhang zahlreiche Hinweise an, die seine kritische Sicht stützen. Darin sind ebenso Angaben zu seiner Tätigkeit als Oberregierungsrat im BMI und dem dortigen Referat KM 4 zu finden, das sich innerhalb des Ministeriums mit dem Schutz kritischer Infrastrukturen beschäftigt.
Die dort beschriebenen Aufgaben zeigen, dass der verantwortliche Mitarbeiter sehr wohl inhaltlich für Fragen zuständig ist bzw. war, die die Folgen der Corona-Krise und der angeblichen Schutzmaßnahmen für die gesamte Gesellschaft sowie der für ihre Existenz notwendigen Infrastruktur betreffen. Die Bundesregierung definiert das Sachgebiet so: „Kritische Infrastrukturen (KRITIS) sind Organisationen oder Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden.“
Eben diese Gefahr sieht der BMI-Beamte durch die von den politischen Entscheidungen verursachten Folgeschäden. Das Urteil seiner Analyse ist mehr als ein „Armutszeugnis“ für die Politik. Es bestätigt die zahlreichen kritischen Fragen, Zweifel und Aussagen von Experten aus verschiedenen Bereichen zu den vermeintlichen Schutzmaßnahmen. Dazu gehört: „Der Kollateralschaden ist inzwischen höher als der erkennbare Nutzen.“ Das belege bereits „ein Vergleich von bisherigen Todesfällen durch den Virus mit Todesfällen durch die staatlich verfügten Schutzmaßnahmen (beides ohne sichere Datenbasis)“.
Es handele sich um einen „Fehlalarm“, stellt der Autor mit Blick auf die Corona-Krise fest. Er begründet das unter anderem damit, dass die gesundheitlichen Auswirkungen von Covid-19 auf die Gesamtgesellschaft nicht das angekündigte bedrohliche Ausmaß erreicht haben. „Durch den neuen Virus bestand vermutlich zu keinem Zeitpunkt eine über das Normalmaß hinausgehende Gefahr für die Bevölkerung“, schreibt er.
„Mutmaßlicher Fehlalarm“
Die Gefährlichkeit von Covid-19 sei überschätzt worden, so eine seiner Grundaussagen. Die begründet er unter anderem mit dem Hinweis auf die Zahl von weltweit etwa 250.000 sogenannter Corona-Toten (Stand 7.5.2020) — weit unterhalb der 1,5 Millionen Toten während der Influenza-Welle 2017/18. „Die Gefahr ist offenkundig nicht größer als die vieler anderer Viren. Wir haben es aller Voraussicht nach mit einem über längere Zeit unerkannt gebliebenen globalen Fehlalarm zu tun.“
Aus Sicht des Autors blieb „der mutmaßliche Fehlalarm über Wochen unentdeckt“, weil die Instrumente für den Krisenstab und das Krisenmanagement es nicht ermöglichen, diese Entwicklung zu erfassen. So sei kein Alarm und kein sofortiger Abbruch von Anti-Corona-Maßnahmen eingeleitet worden, obwohl „abzusehen ist, dass die Kollateralschäden — und darunter insbesondere die Menschenleben vernichtenden Anteile — größer zu werden drohen, als das gesundheitliche und insbesondere das tödliche Potential der betrachteten Erkrankung ausmacht.“
Zu den Ursachen zählt der BMI-Beamte, dass in den letzten Jahren für das Krisenmanagement keine entsprechend notwendigen Instrumente zur Gefahrenanalyse und -bewertung aufgebaut worden seien. „Die Lageberichte, in denen alle entscheidungsrelevanten Informationen zusammengefasst werden müssten, behandeln in der laufenden Krise bis heute nur einen kleinen Ausschnitt des drohenden Gefahrenspektrums. Auf der Basis unvollständiger und ungeeigneter Informationen in den Lagebildern ist eine Gefahreneinschätzung grundsätzlich nicht möglich. Ohne korrekt erhobene Gefahreneinschätzung kann es keine angemessene und wirksame Maßnahmenplanung geben.“ Aufgrund dessen habe die Politik nur eine „stark reduzierte Chance“ gehabt, die sachlich richtigen Entscheidungen zu treffen.
„Der (völlig zweckfreie) Kollateralschaden der Coronakrise ist zwischenzeitlich gigantisch“, stellt er fest. „Ein großer Teil dieses Schadens wird sich sogar erst in der näheren und ferneren Zukunft manifestieren. Dies kann nicht mehr verhindert, sondern nur noch begrenzt werden.“ Der Fachbeamte warnt, dass in Folge der Maßnahmen bei den kritischen Infrastrukturen die Versorgungssicherheit nicht mehr gewährleistet sei.
Diese Strukturen bilden nach seinen Aussagen ein hochkomplexes System, dessen Widerstandsfähigkeit (Resilienz) geschwächt worden sei. Zu den Folgen gehöre eine „gestiegene Verletzlichkeit und höhere Ausfallrisiken von lebenswichtigen Infrastrukturen“. Das könne fatale Folgen haben, falls „eine wirklich gefährliche Pandemie oder eine andere Bedrohung eintreten würde“.
Staatliche Fake News
Immer noch seien die staatlich angeordneten Schutzmaßnahmen und die sie begleitenden gesellschaftlichen Aktivitäten größtenteils in Kraft, so der Autor am 7. Mai. Dabei hätten diese Maßnahmen massive Kollateralschäden hervorgerufen und „inzwischen jeden Sinn verloren“. Der BMI-Beamte empfiehlt dringend, „sie kurzfristig vollständig aufzuheben, um Schaden von der Bevölkerung abzuwenden — insbesondere unnötige zusätzliche Todesfälle —, und um die möglicherweise prekär werdende Lage bei den Kritischen Infrastrukturen zu stabilisieren.“ Letzteres zeige sich in letzter Zeit bereits insbesondere bei der Trinkwasserversorgung in der Bundesrepublik, wie er in seiner Analyse feststellt.
Der Autor warnt außerdem: „Die Defizite und Fehlleistungen im Krisenmanagement haben in der Konsequenz zu einer Vermittlung von nicht stichhaltigen Informationen geführt und damit eine Desinformation der Bevölkerung ausgelöst.“ Deshalb könne ein Vorwurf lauten: „Der Staat hat sich in der Coronakrise als einer der größten Fake-News-Produzenten erwiesen.“ Ein Beispiel dafür lieferte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) im März. Wenige Tage vor den beschlossenen massiven Einschränkungen des öffentlichen Lebens am 16. März ließ er via Twitter erklären, dafür gebe es keine Pläne. Danach gab Spahn in einer ZDF-Sendung zu, dass dieser Schritt längst vorher von der Bundesregierung vorbereitet worden war.
Der Beamte aus dem Innenministerium stellt fest, die Eingriffe unter anderem in die Rechte der Bürger seien nicht verhältnismäßig, „da staatlicherseits keine angemessene Abwägung mit den Folgen durchgeführt wurde“. Zudem fordert er, dass die Lageberichte des Krisenstabes aus Bundesinnenministerium und Bundesgesundheitsministerium eine „angemessene Gefahrenanalyse und -bewertung vornehmen“ müssen, was bisher nicht der Fall sei. Dazu gehöre, aussagekräftige Daten über die Kollateralschäden der Maßnahmen zu erfassen. Die Berichte sollen außerdem von „von überflüssigen Daten und Informationen, die für die Gefahrenbewertung nicht erforderlich sind, weil sie die Übersicht erschweren“, befreit werden. Als Quelle solcher „überflüssigen Daten“ nennt der Beamte in seiner 83-seitigen Analyse mehrfach das Robert-Koch-Institut (RKI).
Er warnt davor, dass der Staat ohne angemessene Gefahrenanalyse und -bewertung für entstandene Schäden haftbar gemacht werden könne. Schutzmaßnahmen können nach seinen Angaben selbst zu einer Gefahr für die Gesellschaft werden und nicht beliebig präventiv eingesetzt werden. Sie würden selbst „das Potential in sich tragen, außergewöhnliche Schäden zu erzeugen“. Deshalb müsse das Krisenmanagement in einer Pandemie immer mindestens zwei Gefahren im Blick haben: Gesundheitliche Schäden durch einen Krankheitserreger und in gleichem Maße Kollateralschäden durch Nebenwirkungen der Schutzmaßnahmen „oder (als Spezialfall) einen Fehlalarm“.
Schwere Kollateralschäden
Der Beamte fordert eine systematische Multi-Gefahrenanalyse, die bisher nicht vorgenommen worden sei, wie er in seinem Papier mehrfacht feststellt und belegt. Diese Analyse fehle, obwohl es sich bei der Coronakrise laut Aussagen der Politiker um eine der schwersten Krisen der Bundesrepublik seit ihrer Gründung vor mehr als 70 Jahren handele. Dabei sei auf Grundlage bisheriger Studien, Übungen wie „LÜKEX 2007“ und Risikoanalysen wie die von 2012 bekannt, „dass bei der Bekämpfung einer Pandemie stets Kollateralschäden entstehen (als Auswirkungen von ergriffenen Schutzmaßnahmen), und dass diese Kollateralschäden einer Pandemie bedeutend größer sein können, als der durch den Krankheitserreger erreichbare Schaden“.
„Ein immer in Kauf zu nehmender Kollateralschaden hat dann das beste Aufwand-Nutzen-Verhältnis, wenn er nicht größer ist, als zur Erreichung eines Schutzziels mindestens erforderlich ist. Er hat dann das maximal schlechteste Aufwand-Nutzen-Verhältnis, wenn sich die ursprüngliche Warnung vor einem unbekannten Virus am Ende als übertrieben oder im Extremfall sogar als Fehlalarm herausstellt, denn dann besteht der Gesamtschaden der Pandemie ausschließlich aus dem völlig zweckfreien Kollateralschaden.“
Der BMI-Mitarbeiter fordert in der Kurzfassung seiner Analyse, sich aktiv mit den systemischen Effekten auseinanderzusetzen, „die in ihrer Gesamtdynamik in der Coronakrise zu einer existenziellen Schädigung des Gemeinwesens und auch der staatlichen Ordnung führen können“. Er sieht das Krisenmanagement, aber auch den gesamten Staat „in einer prekären Situation“. Es könne „keinen vernünftigen Zweifel mehr daran geben, dass die Coronawarnung ein Fehlalarm war“, betont er. Das Krisenmanagement verrichte die Arbeit der Gefahrenabwehr nur „suboptimal“ und habe Fehler gemacht hat, „die einen großen Schaden verursacht haben und jeden Tag weiter verursachen (einschließlich Todesopfer), an dem die Maßnahmen nicht ersatzlos gestrichen werden“.
Dem Autor schien klar, dass seine Analyse ohne Folgen bleiben würde, wenn er sie nur intern im Ministerium abgestimmt und weitergegeben hätte. Das nicht getan zu haben, wird ihm in der BMI-Pressemitteilung vorgeworfen. Er schreibt dazu:
„Schon eine Abstimmung der vorliegenden Analyse mit allen tangierten Stellen der Ministerialverwaltung würde aufgrund der heterogenen Interessen und Verantwortungslage der zahlreichen zu Beteiligenden voraussichtlich bzw. erfahrungsgemäß zu einer Nivellierung (oder zum Aussortieren) ihres Inhaltes führen.“
Gewaltenteilung und Medien ausgeschaltet
Einen „regelkonformen Totalschaden für unser Land zu vermeiden“, erscheint ihm aktuell „nur mittels kreativer Informationsstrategie derer möglich, die in der Lage wären, einen praktikablen Ausweg zu ermitteln und zu organisieren“. „Eigentlich müsste jetzt eine neue Krise festgestellt und ein Krisenmanagement eingerichtet werden, um die Gefahren eines verautomatisierten und dadurch außer Kontrolle geratenen Pandemie-Krisenmanagements zu bekämpfen. Das wäre sachgerecht.“
Da die Exekutive in Gestalt der Bundes- und Landesregierungen und der Behörden dazu nicht in der Lage sei, wären die beiden anderen Elemente der Gewaltenteilung gefragt, die Parlamente und die Gerichte. Doch in seiner ausführlichen Analyse kommt er mehrfach zu dem Schluss, dass auch diese beiden grundlegenden Pfeiler des bundesdeutschen Staatswesens derzeit ihrer Verantwortung nicht gerecht werden. Das gilt aus seiner Sicht ebenso für die Massenmedien, die nicht das notwendige Korrektiv bilden.
Für Letzteres gibt er zwei mögliche Ursachen an: Zum einen suboptimale Rahmenbedingungen für Medien, die „offenkundig faktisch die ursprünglich beabsichtigte Meinungsvielfalt in unserem Lande“ erschweren. Zum anderen die in der Folge eingetretene „relative Einheitlichkeit“ in der Berichterstattung. Diese orientiere sich nicht an oppositionellen Meinungen und Richtungen, „sondern an etablierten Politikrichtungen, insbesondere an den Intentionen von Regierungen“. Damit werden nach seiner Einschätzung „bestehende Regierungen indirekt stabilisiert und gegenüber einer Opposition abgeschirmt, auch in dem Fall, dass sich ein konkretes Regierungshandeln z.B. aufgrund eines sachlichen Irrtums gegen die existenziellen Interessen des Landes richtet“. Und: „Die Leitmedien und vor allem die öffentlich Rechtlichen scheinen sich offenbar überwiegend als Überträger der als gemeinsam angesehenen
Grundpositionierungen der dominierenden politischen Richtung auf die Bevölkerung zu sehen.“
Massive Gesundheitsschäden — nicht durch das Virus
In dem Papier, das der ausführlichen Analyse vorangestellt ist, gibt der BMI-Beamte einen Überblick über die gesundheitlichen Schäden, die durch die staatlich verordneten Beschränkungen des gesellschaftlichen Lebens eingetreten sind. Diese haben nach seinen Angaben zehn hochrangige Experten und Wissenschaftler bestätigt. Zu massiven Kollateralschäden haben demnach die verschobenen und abgesagten Operationen in den Krankenhäusern geführt, seitdem die einseitig auf die Versorgung möglicher Covid-19-Patienten ausgerichtet wurden.
„Im März und April wurden 90 Prozent aller notwendiger OPs verschoben bzw. nicht durchgeführt. Das heißt 2,5 Millionen Menschen wurden in Folge der Regierungsmaßnahmen nicht versorgt.“
Die dadurch verursachte Sterberate lasse sich nicht seriös einschätzen, so der Regierungsbeamte. Experten würden von „zwischen unter 5.000 und bis zu 125.000 Patienten“ ausgehen, die aufgrund der verschobenen Operationen versterben werden bzw. schon verstarben. Ebensolche schweren Folgeschäden würden durch verschobene oder abgesagte Folgebehandlungen zum Beispiel für chronisch Kranke oder Krebs-Patienten erwartet. Zwar seien die Prognosen dazu „schwierig“, aber Experten gingen „von bis zu mehreren tausend zusätzlichen Toten aus, die bereits in März und April 2020 verstarben oder noch versterben werden“.
Ähnliche Aussagen kamen zuvor von Fachärzte-Verbänden und Organisation wie der deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). So kritisierte DKG-Chef Gerald Gaß in der Zeitung „B.Z.“ am 17. April, dass bei den von Bund und Ländern vereinbarten Lockerungen zwar an Autohäuser, aber nicht an die Krankenhäuser gedacht worden sei. Mehr als 50 Prozent aller bundesweit geplanten Operationen seien nach dem 16. März abgesagt worden, so die „B.Z.“. Es handele sich um Tausende notwendige Eingriffe. Gaß warnte laut der Zeitung: „Es drohen Menschen zu sterben, weil sie wegen Corona nicht rechtzeitig behandelt werden.“
Der DKG-Chef sagte gegenüber der Zeitung zudem, ihn störe, dass zum Thema Sars-Cov 2 und Covid-19 zu häufig nur der Präsident des Robert-Koch-Institutes (RKI), der Tiermediziner Lothar Wieler, und Charité-Virologe Christian Drosten gehört würden. Gaß laut „B.Z.“: „Wir brauchen einen viel breiteren öffentlichen Diskurs“. Die einseitige Orientierung der Politik auf das RKI und einzelne Experten wie Drosten kritisiert der BMI-Beamte ebenso in seiner ausführlichen Analyse.
Patienten und Pflegebedürftige im Stich gelassen
Bei ihm ist ebenfalls zu lesen, worauf unter anderem die Deutsche Diabetes-Gesellschaft (DDG) laut einem Bericht der „Ärztezeitung“ vom 20. April hinwies: Diabetiker würden nicht mehr ausreichend versorgt. Es gebe einen starken Rückgang der Patientenzahlen in Praxen, Ambulanzen sowie Notambulanzen. Mancherorts seien Diabetes-Abteilungen der Krankenhäuser sogar geschlossen worden. Gerd Nettekoven von der Deutschen Krebshilfe berichtete am 7. April im Sender „Deutschlandfunk Kultur“ von verschobenen und abgebrochenen Therapien. Ebenso seien Rehabilitationsmaßnahmen abgesagt worden.
Der Beamte aus dem Innenministerium verweist außerdem auf die entstandenen Folgeschäden im Pflegebereich, was er mit Material im umfangreichen Anhang seiner Analyse belegt. Bei der Versorgung der rund 3,5 Millionen Pflegebedürftigen „sinkt aufgrund von staatlich verfügten Beschränkungen das Versorgungsniveau und die Versorgungsqualität“, warnt er. Mitte April kritisierte die Deutsche Stiftung Patientenschutz (DSP), Bund und Länder hätten bei den Lockerungen der strengen Corona-Auflagen den Pflegebereich vernachlässigt.
Stiftungsvorsitzender Eugen Brysch habe den Beschluss von Ministerpräsidenten und Kanzleramt vom 15. April als „absurd“ bezeichnet, berichtete die „Ärztezeitung“. Dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (RND) hatte Brysch dazu erklärt: „Die Größe der zu öffnenden Läden wird deutschlandweit quadratmetergenau festgelegt. Jedoch werden bundesweit keine verbindlichen Kriterien aufgestellt, um pflegebedürftige Heimbewohner zu schützen.“
Die im März und April 2020 erzwungene Niveauabsenkung habe vorzeitige Todesfälle ausgelöst, so der BMI-Beamte in seinem Papier. haben. „Bei 3,5 Millionen Pflegebedürftigen würde eine zusätzliche Todesrate von einem Zehntel Prozent zusätzliche 3.500 Tote ausmachen.“ Ebenso werde eine Zunahme von Selbstmorden (Suiziden) zu verzeichnen sein, von denen jährlich durchschnittlich etwa 9.000 in der Sterbefallstatistik gemeldet werden. Ursache dafür sei die „langeandauernde erhebliche Beeinträchtigung aller Lebensbedingungen, die für psychisch instabile Persönlichkeiten kritisch werden können“. Es sei aber auch mit zahlreichen Suiziden als Reaktion auf die wirtschaftliche Vernichtung von Existenzen im Bereich der klein- und mittelständischen Unternehmen, aber auch von Beschäftigten zu rechnen.
Besorgte Ärzte warnen
Zu den Kollateralschäden sind der Analyse nach ebenso zusätzliche Todesfälle durch Herzinfarkte und Schlaganfälle zu rechnen, die nicht mehr wie bisher in vielen Fällen frühzeitig ausreichend behandelt werden. Diese entsprechenden Versorgungsketten seien durch die Anti-Corona Maßnahmen „in vielfacher Weise geschädigt“. Zudem würden, „bedingt durch einseitige und übertriebene Informationspolitik“, die Betroffenen unberechtigter Weise Corona mehr als diese Erkrankungen fürchten und Warnzeichen unterdrücken. Sie würden zum Teil befürchten, mit diesen Erkrankungen in der derzeitigen Corona-Fixierung im Krankenhaus nicht gut behandelt zu werden.
Auch das wird durch Fachärzte bestätigt: Bundesdeutsche Kardiologen berichteten wie ihre Fachkollegen aus Ländern wie den USA oder Italien, dass die Herzinfarkt-Klinikeinweisungen zurückgegangen sind. Das berichtete unter anderem Andreas Zeiher, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK). Er ist Direktor der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Nephrologie am Universitätsklinikum Frankfurt. „An meiner Klinik in Frankfurt kommen 20 bis 25 Prozent weniger Patienten mit akutem Koronarsyndrom notfallmäßig in die Klinik als sonst“, so Zeiher in einem Interview auf der DGK-Website. Das sei ein dramatischer Rückgang, „und dies in einer Zeit, in der man eigentlich aus den Erfahrungen vergangener Influenza-Epidemien eine Zunahme an Herzinfarkten erwarten würde, deren sofortige Behandlung ohne jeden Zweifel lebensrettend ist“.
Der Beamte aus dem Bundesministerium weist auf weitere gesundheitliche Schäden durch die beschlossenen politischen Maßnahmen hin, vor allem solche psychischer Art durch die Kontaktverbote. Er warnt in dem Zusammenhang vor einem „Verlust an Lebenserwartung“: „Dies dürfte langfristig zu einem größeren Schaden der Krise werden.“ Das in den Jahrzehnten des Bestehens der Bundesrepublik gestiegene Wohlstandsniveau habe eine zunehmend aufwendige Gesundheitsvorsorge und Pflege ermöglicht.
„Bei stark negativer wirtschaftlicher Entwicklung und einer entsprechenden Reduktion des Wohlstandsniveaus geht die Entwicklung in die entgegen gesetzte Richtung: die Lebenserwartung wird sinken.“ Bei über 80 Millionen Einwohnern könne durch die staatlichen Schutzmaßnahmen — „nicht durch den Virus“ — „ein entsprechend hohes Volumen an Lebensjahren der Bevölkerung vernichtet worden sein“. Der Experte für kritische Infrastrukturen schätzt ein, dass der entstandene Schaden lange weiter wirkt, auch wenn die Maßnahmen aufgehoben worden sind.
Warnung vor „ungünstiger Dynamik“
In der Kurzfassung seiner Analyse erklärt er, warum er das Material „ohne vorherige Konsultation anderer zuständiger Stellen“ an seine Fachkollegen in den Länderministerien direkt versendet hat: „Es ist Gefahr im Verzug! Durch vermeintliche Schutzmaßnahmen entstehen im Moment jeden Tag weitere schwere Schäden, materielle und gesundheitliche bis hin zu einer großen Zahl von
vermeidbaren Todesfällen.“ Diese Todesfälle würden durch das Agieren des Krisenmanagements ausgelöst und seien von diesem zu verantworten.
Für ihn als Teil des Krisenmanagements sei Abhilfe „nur möglich, wenn das vorhandene Wissen weitergegeben und zur Kenntnis genommen wird. Alle Möglichkeiten vorgelagerter Intervention wurden vom Absender ausgeschöpft.“ Er warnt vor den Folgen bei den „geschädigten Außenstehenden“: Diese könnten befürchten, „dass das bestimmende Schutzziel des nationalen Krisenmanagements nicht mehr die Sicherheit und Gesundheit der Bevölkerung ist, sondern die Glaubwürdigkeit und Akzeptanz von Regierungsparteien und Regierungsmitgliedern“ sei.
Dieser Eindruck sei „nicht per se irrational“ und könne für das auf Zusammenhalt angewiesene Gemeinwesen zu einer „ungünstigen Dynamik“ führen. Das könne noch „gut begrenzt“ werden, „vor allem mit rationalen Folgeentscheidungen durch Krisenmanagement und Politik — auf der Basis vollständiger Analysen“.
Diese Aussagen am Ende der Kurzfassung ebenso wie alle Einschätzungen und Vorschläge des Beamten in der ausführlichen 83-seitigen Analyse vom 7. Mai belegen, dass es ihm nicht um wie auch immer gearteten Widerstand an sich geht. Stattdessen betont er immer wieder, dass es darum gehe, den Schaden für die bundesdeutsche Gesellschaft insgesamt zu begrenzen und zu verhindern, dass mehr Menschen in Folge der Beschränkungen sterben oder erkranken als es durch das Virus Sars-Cov 2 überhaupt möglich ist.
Vom Versagen der Medien
Die Reaktion des BMI auf die bekannt gewordenen öffentlichen Auszüge folgen dem Muster, bei dem solche Fachleute, die sich an den inhaltlichen und sachlichen Ansprüchen ihrer Tätigkeit orientieren und diese ernstnehmen — weshalb sie zu Whistleblowern werden –, dann als mindestens fachlich Unzuständige dargestellt werden, die nur eine private Meinung äußern, die nicht abgestimmt sei. Das sind noch die harmlosesten Vorwürfe. Dem folgen nicht nur disziplinarische Maßnahmen und Verleumdungen und Diffamierungen in der Öffentlichkeit, auch mit Hilfe der etablierten Medien.
Dabei werden durch das BMI Fakten unterschlagen und zurechtgebogen, die durch das Material und den darin enthalten Mail- und Schriftverkehr des Beamten dokumentiert sind und nachgeprüft werden können. Danach hat er spätestens seit dem 23. März 2020 dienstlich und schriftlich seine Vorgesetzten über seine Erkenntnisse und einen ersten Zwischenbericht seiner Risiko-Analyse hingewiesen. Seine Denkanstöße wurden dabei sogar „zutreffend und gelungen“ gelobt. Der Verfasser versuchte innerhalb des Ministeriums mehrfach seine kritische Analyse in den Prozess einzubringen, wurde aber am 5. Mai rigide ausgebremst — durch die „Abteilung Krisenmanagement und Bevölkerungsschutz“ des BMI.
Über die Vorgänge berichteten die etablierten Medien nicht, die am Sonntag zwar die Pressemitteilung des BMI meldeten, aber dabei vor allem dessen Sicht wiederholten. Dazu gehört die Ankündigung, dass dienstlich gegen den Verfasser vorgegangen werden, ebenso die Erwähnung, dass vermeintlich rechte Online-Medien über das Material berichten. Sich stattdessen mit den insgesamt fast 200 Seiten zu beschäftigen kostet natürlich Zeit und Aufwand. Da geht das Anheften unpassender Etiketten schneller — und hilft jene abzuschrecken, die durch das Material erfahren könnten, welche Fehler Politik und Behörden in der Corona-Krise begehen.
Die etablierten Medien versagen ein weiteres Mal in ihrer gesellschaftlichen Kontrollfunktion und überlassen unabhängigen Online-Medien das Feld, so dem Portal achgut.com von Henryk M.Broder, das in mehreren Beiträgen ebenfalls wiedergibt, was der Beamte tatsächlich schreibt. Dieser stellt dazu selbst in seinem Bericht vom 7. Mai fest:
„Als Korrektiv für Fehlentwicklungen z.B. in einem suboptimalen Krisenmanagement scheint der übergroße Teil der (freien) Presse mehr oder weniger unbrauchbar. Aus gesamtstaatlicher Sicht muss das als Warnsignal angesehen werden. Es empfiehlt sich sehr, bei künftigen Anpassungen der rechtlichen oder Rahmenbedingungen auf eine wieder größere Unabhängigkeit und Kritikfähigkeit hinzusteuern. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Presse die Regierung geschlossen massiv einseitig und ungerecht kritisierte, und durch ihren Einfluss eine politische Machtveränderungen einfach auslösen könnte, dürfte gegen null gehen. Die Gefahr, dass die Bevölkerung alles glaubt, was sie von den meisten Medien serviert bekommt, und sich dies unkritisch zu eigen macht, liegt sehr hoch.“
Das vollständige Material, einschließlich des E-Mail-Verkehrs des Beamten mit seinen Fachkollegen, der Kurzfassung, der Langfassung sowie dem umfangreichen Material-Anhang liegt dem Rubikon vor. Die Analyse selbst — 93 von 192 Seiten — ist inzwischen online zugänglich.
Allen, die sich fragen, was in der Coronakrise tatsächlich läuft und welche Rolle Politik und Behörden dabei spielen, ist dringend zu empfehlen, dieses Material zu lesen.
Wenn Sie für unabhängige Artikel wie diesen etwas übrig haben, können Sie uns zum Beispiel mit einem Dauerauftrag von 2 Euro oder einer Einzelspende unterstützen.
Oder senden Sie einfach eine SMS mit dem Stichwort Manova5 oder Manova10 an die 81190 und mit Ihrer nächsten Handyrechnung werden Ihnen 5, beziehungsweise 10 Euro in Rechnung gestellt, die abzüglich einer Gebühr von 17 Cent unmittelbar unserer Arbeit zugutekommen.