„Jeder anständige Mensch schämt sich der Regierung, unter der er lebt“ (Henry Louis Mencken).
Nein — ich möchte mich nicht entscheiden, möchte keine Seite wählen. Ich will nicht meine Solidarität mit der einen oder anderen Gruppe bekunden. Schon gar nicht „bedingungslos“ oder „uneingeschränkt“. Ich lasse mich auch im Zuge des neuesten kriegerischen Konfliktes nicht zum Instrument gesellschaftlicher Spaltung machen oder solidarisiere mich mit einem System, das ich ablehne, nur weil es sich berufen fühlt, militärische Projekte seiner Komplizen zu unterstützen. Ich stehe weder hinter einem Staat noch irgendeiner anderen Organisation, die ihre Rivalitäten auf dem geopolitischen Schachbrett mit Gewalt lösen und für ideologische oder religiöse Ziele nutzen möchte. Ich verwehre mich einer Ordnung, die ihre Bürger als Zahlsklaven, Versuchskaninchen, unmündige Verfügungs- und Verhandlungsmasse oder Kanonenfutter missbraucht. Und ich lasse mich nicht dazu nötigen, eine Copy-Paste-Meinung, die „Leitkultur“ oder höfische Haltung zu übernehmen — auch wenn Hundertschaften gegen mich stehen. Denn genau dieser Weg des geringsten Widerstands führt meist gen Untergang.
Im Lichte dieser Position halte ich es für ein Unding, dass es für ein historisch komplexes Thema wie den israelisch-palästinensischen Konflikt kein „Ja, aber“ geben soll, keine Gegenrede. Das gilt gleichermaßen für die Forderung, dass geschichtlicher, geostrategischer oder militärischer Kontext bei Ereignissen der Gegenwart keine Rolle spielen dürfe.
Der neuerliche Krieg in Gaza begann ebenso wenig mit den Attentaten vom 7. Oktober 2023 wie der Ukrainekonflikt mit dem russischen Einmarsch am 24. Februar 2022.
Bei militärischen Auseinandersetzungen, die eine derart lange und komplizierte Vorgeschichte haben, nur im Präsens argumentieren zu wollen, weil man von der Kriegsberichterstattung emotional übermannt wird, wirkt, als negiere man Deutschlands dunkle NS-Vergangenheit im jetzigen Umgang mit dem israelischen Staat. Trotzdem ist genau diese Eindimensionalität vorauseilenden Gehorsams beim Umgang mit der Nahost-Problematik gerade Usus. Dabei sollte jeder, der anderen Menschen aufgrund divergierender Meinungen den Mund verbieten will, der Argumenten der Gegenseite kein Gehör mehr schenkt, sie ausblendet und blockiert, angehalten sein, sich nicht mehr als Demokrat zu bezeichnen.
Die Gräuelpropaganda aus Israel und Gaza erhitzt die geplagten Gemüter der neuen Normalität, die sich rasch um die jeweils bevorzugte Flagge scharen. Jeder hält seine Seite für „die Guten“. Für Opfer der anderen. Für die guten Killer. Logik, Rationalität und Empathie bleiben dabei weitläufig auf der Strecke. Ab wie vielen Toten ist es genug? Wann sollte man ein generelles Ende des Tötens fordern? Ab welchem Tribut an menschlichem Leben empfindet der Rachelustige endlich Genugtuung? Bis zu welcher Opferzahl darf man sich noch als Pazifist oder Humanist bezeichnen? Mit Stand vom 26. Oktober 2023 stehen wir nach Angaben des TIME Magazine derzeit bei 1.400 toten Israelis und 7.000 ins Jenseits gebombten Palästinensern. Laut CNN sind 2.913 davon Kinder. Wie viele sollen es werden — 10.000, 100.000, 500.000 —, bis die Fanatiker, Claqueure und Vernichtungsfans beider Lager die verkümmerten Reste ihrer Menschlichkeit wiederfinden?
„In der Demokratie verwendet eine Partei all ihre Kraft auf den Beweis, dass die andere unfähig zur Regierung ist — und im Allgemeinen sind beide darin erfolgreich und haben recht“ (Henry Louis Mencken).
Traurig, dass man so etwas nach den Lehren, die die Gesellschaft aus der Coronakrise hätte ziehen können, immer noch fragen muss. Doch gerade in Kriegszeiten, das kennen wir bereits vom Ukrainekonflikt, spielen Werte, rote Linien und Menschenrechte keine Rolle mehr. Und die Vergangenheit natürlich auch nicht.
Als Russland am 24. Februar 2022 in der von einem korrupten, nationalistischen und autoritären Regime regierten Ukraine einmarschierte, starben nicht nur Soldaten beider Seiten und unbeteiligte Zivilisten, sondern mit ihnen auch gleich die gesamte Vergangenheit dieses Konfliktes. Vergessen die Nazi-Historie des Landes, die jahrzehntelange Finanzierung erodierender Kräfte vor Ort durch internationale Nichtregierungsorganisationen (NGOs), der Krieg im Donbass seit 2014, die zweifelhafte Geschichte des Euromaidan, die illegalen Umtriebe des Biden-Clans in der Ukraine, oder die Rolle von Victoria „Fuck the EU“ Nuland und der US-Regierung bei der Entstehung dieser militärischen Auseinandersetzung. Es existierte nur noch die blau-gelbe Gegenwart.
Ähnlich verhält es sich in Bezug auf das neuerliche Aufflammen der israelisch-palästinensischen Fehde. Gut oder böse. Dafür oder dagegen. Schwarz oder weiß. „Stand with Israel“ oder „Free Palestine“. Zwischen diesen beiden Extremen: ein verödeter Todesstreifen herrschaftlicher Deutungshoheit. Gesäumt von Selbstschussanlagen des Sagbaren. Der Debattenraum als Hexenkessel.
Jeder Zweifel, jede Kritik am absorbierten Narrativ: ein Sakrileg. Das aktiviert die Schere im Kopf, die Selbstzensur, weil kaum jemand permanent mit dem überbordenden Hass verfeindeter Lager konfrontiert werden will.
Selbst mäßigende Worte oder der Versuch, eine differenzierte Sicht auf die Entwicklungen zu kommunizieren, scheitern an bis zum Maximalpegel pulsierenden Emotionsamplituden.
Aufgepeitscht von Monstrositäten, Bildern, Videos und Geschichten, deren Authentizität zumeist nicht zweifelsfrei belegbar ist, verfällt mancher Zeitgenosse in die gleichen Verhaltensmuster, die er zuvor in puncto Coronakrise, Klimawandel-Narrativ oder Ukrainekrieg kritisierte. Selbst vermeintlich kritische Journalisten scheinen in der Causa Nahostkonflikt nicht davor gefeit, gegen jede Vernunft, reflexartig und blindlings Partei zu ergreifen. Ein Lernkurvendesaster. Dabei warnte schon George Orwell:
„Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft. Wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit.“
Obschon es speziell hinsichtlich geopolitischer Disruptionen und bewaffneter Auseinandersetzungen zwischen Staaten nur vernünftig ist, die Prozesse mit einer gewissen Distanz zu analysieren, mit einem Urteil an sich zu halten, bis der Rauch des Gefechts sich etwas gelichtet hat, werden binnen Minuten Absolutismen ventiliert. „Real-time-Reaktionismus.“ Eine Geißel des Medienzeitalters.
So solidarisieren sich derzeit nicht wenige mit Regierungen, Organisationen und Akteuren, die sie vor dem 7. Oktober noch mit Verachtung straften. Oder mit Ignoranz — die im Lichte gefährlichen Halbwissens über Israel und Gaza vermutlich die bessere Wahl war. Da scharen sich Menschen in Massen um die Flagge von Staaten, von denen sie mehr als drei Jahre lang gegängelt, ausgegrenzt und desavouiert wurden. Machen sich die „Staatsräson“ einer Regierung zu eigen, die sie tyrannisiert.
Mir persönlich erschien es schon immer widersinnig, „Flagge zu zeigen“. Denn ich solidarisiere mich gerne mit der Bevölkerung eines Landes, mit den Menschen, aber nicht mit seiner Regierung. Ich möchte mich nicht mit der dunklen Geschichte eines Staates, seiner kriegerischen Historie und der Doktrin seiner Führungsriege gemein machen. Genau aus diesem Grund halte ich es für Verblendung, einen Staat zu unterstützen. Egal welchen. Denn sie alle haben Dreck am Stecken, scheren sich keinen Deut um das Individuum. Ein Menschenleben ist ihnen keinen Pfifferling wert. Zentralistische Staaten sind zuvorderst Machtapparate, um nicht zu sagen kriminelle Organisationen, die der Durchsetzung von Partikularinteressen dienen. Ihr Geschäft ist Piraterie. Warum also sollte man seine Peiniger beklatschen, wenn man nicht gerade am Stockholm-Syndrom leidet?
Schon im Zuge der vermeintlichen Jahrhundert-Pandemie erschloss sich mir nicht so ganz, warum beispielsweise ein Staat wie Schweden permanent als leuchtendes Beispiel für gekonntes Krisenmanagement angeführt wurde und damit Sympathiepunkte sammeln konnte, Kontrollgruppe hin oder her. Ja, die Bevölkerung wurde dort nicht so massiv schikaniert wie in anderen Ländern. Und ja, der schwedische Weg war weniger aggressiv, der Chef-Epidemiologe des Landes, Anders Tegnell, trat deutlich sympathischer auf als der soziophob wirkende Karl Lauterbach. Trotz oder vielleicht gerade wegen seines Sonderwegs, für den er international zunächst massive Kritik einfuhr, war Tegnell zwischen März und April 2022 übrigens im Gespräch für einen exponierten Posten bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO), wo er das COVID-Impfstoff-Management zwischen Herstellern und Gesundheitssektor koordinieren sollte. Angetreten hat er diesen allerdings nicht. Denn offenbar wurde man sich hinsichtlich organisatorischer Fragen nicht einig, wie die schwedische Gesundheitsbehörde mitteilen ließ.
Bei genauerer Betrachtung drängt sich jedenfalls der Verdacht auf, dass der Corona-Korporatismus in Schweden nur deshalb nicht so stringent durchgesetzt wurde, weil das Land samt seinen zehn Millionen Einwohnern längst an einem Punkt im überwachungsstaatlichen Koordinatensystem angelangt war, an den man die anderen UN-Mitgliedsstaaten durch den orchestrierten Viren-Wahnsinn noch treiben wollte — den „Point of no return“, jenen Punkt, an dem die Akzeptanzschwelle zur Biosicherheitstechnokratie eines paternalistischen Wohlfahrtsstaates überschritten und von der breiten Mehrheit der Bevölkerung als Normalität akzeptiert wurde.
Schweden ist ein durchdigitalisiertes QR-Code-Mekka. Es belegt nach Finnland, Dänemark und den Niederlanden Platz vier im Ranking des seit 2014 von der Europäischen Kommission überwachten „Digital Economy and Society Index“ (DESI). Bargeld ist nahezu ausgestorben. Und die schwedische Bevölkerung scheint nicht nur im Zuge der Coronakrise ein ausgewachsenes bis naives Vertrauen in die vermeintlich guten Absichten ihrer Regierung zu hegen. Konformismus im fortgeschrittenen Stadium. Siehe Booster-Impfquote von 93,2 Prozent. Auch im Rahmen der sich kontinuierlich verschärfenden Migrationskrise, die schwedische Vorstädte zusehends zum Schauplatz für Bandenkriege und Straßenschlachten werden lässt, glaubten die Bürger den Versprechen ihrer Führungsriege — nur um jetzt, wie der Rest Europas, entsetzt feststellen zu müssen, dass unkontrollierte und nichtintegrative Zuwanderung sozioökonomischer Sprengstoff ist.
So zeigt sich bereits an einem vordergründig sympathisch wirkenden Land wie Schweden, das ab Ende November 2023 als 32. Mitglied in die NATO aufgenommen werden soll und das man gern mit unberührter Natur, IKEA, Köttbullar und ABBA assoziiert, dass man auch einem noch so anheimelnden Image nicht blind vertrauen sollte.
Hinter Werbebannern und einer Fassade naheliegender Assoziationen wird es rasch dunkel. So wird Schweden zum Beispiel seit Ende des 19. Jahrhunderts maßgeblich von der Wallenberg-Dynastie kontrolliert, einem einflussreichen wie verschwiegenen Familienclan, der nach Schätzungen von Analysten zwischenzeitlich für etwa 40 Prozent der Marktkapitalisierung der gesamten schwedischen Industrie verantwortlich zeichnet. Das stellt eine in Europa beispiellose Machtkonzentration dar. Nicht ohne Grund schreibt der englische Guardian am 16. Juni 2006, dass man die Familie als „die Rockefellers, Gettys und Rothschilds Schwedens“ bezeichnet. Auch die New York Times nennt die Wallenbergs in einem Artikel vom 12. Mai 1996 unumwunden „die schwedische Antwort auf die Rockefellers“.
Ihren massiven Einfluss auf den schwedischen Staat manifestierte die Familie über die Gründung der „Stockholms Enskilda Bank“ im Jahr 1856 (heute Skandinaviska Enskilda Banken AB, SEB). Die SEB wird von Marcus „Husky“ Wallenberg (*1956) geführt. Hauptaktionär der Großbank ist die „Investor AB“. Über dieses 1916 gegründete Investmentunternehmen sowie die Beteiligungsgesellschaft „EQT Partners AB“ hält die Familie unzählige Mehrheitsbeteiligungen und kontrolliert eine Vielzahl internationaler Konzerne. Zur Wallenberg-Unternehmensgruppe gehören unter anderem Saab, Electrolux, Ericsson, SAS Scandinavian Airlines, ABB, der Börsenbetreiber Nasdaq Inc., AstraZeneca, Atlas Copco, Gardena, Husqvarna, Carl Zeiss Vision oder Kabel BW. Geleitet wird die die Investor AB von Jacob Wallenberg, der in den Jahren 2000 bis 2016 an ausnahmslos jeder Bilderberg-Konferenz teilnahm und zum Steuerungskreis des intransparenten Machtzirkels gehört.
Machthunger als Familientradition
Seit nunmehr drei Generationen sind die Familienpatriarchen der Wallenbergs Stammgast der Bilderberg-Meetings und Teil des Bilderberg-Führungszirkels. Marcus Wallenberg Jr. (1899 bis 1982), der mit Geheimdienstkreisen bestens vernetzte Großvater der heutigen Chefs von SEB und Investor AB, half nach dem Zweiten Weltkrieg im Rahmen von „Operation Gladio“ beim Aufbau des schwedischen Ablegers des NATO-nahen „Stay-behind-Netzwerkes“ und war, wie sein heute amtierender Nachkomme Marcus „Husky“ Wallenberg, Mitglied des wenig bekannten, aber supranational einflussreichen „The 1001 Club“.
Der 1982 verstorbene Marcus Wallenberg jr. war es auch, der sich von 1932 bis 1976 für den vom fabianischen Sozialismus geprägten „Mittleren Weg“ — bei Bill Clinton oder Tony Blair später „Dritter Weg“ genannt — engagierte. Damit nahm er maßgeblich Einfluss auf die Entwicklung von Staat und Gesellschaft. Zudem wurde Wallenberg jr. immer wieder in Verbindung mit der Ermordung von Schwedens langjährigem Premierminister Olof Palme gebracht. Unter anderem, weil einflussreiche Unternehmerkreise, die unter Wallenbergs Fuchtel standen, vor Palmes Wiederwahl 1982 eine millionenschwere Diffamierungskampagne gegen den Politiker lancierten. Dass Palme im seinerzeit schwelenden Konflikt zwischen US-Hegemonie und Sowjetunion für Schwedens Neutralität und damit sowohl für Abrüstung als auch gegen eine NATO-Annäherung des Landes plädierte, war den Transatlantikern um und unter Wallenberg wohl ein Dorn im Auge. Auch Palmes Kritik am Apartheidregime Südafrikas missfiel den Großindustriellen. Ein Ende der segregativen Politik stellte Millionenverluste für die Profiteure derselben in Aussicht.
Darüber hinaus legen Recherchen niederländischer Dokumentarfilmer und eines belgischen Ermittlers nahe, dass das Attentat auf Olof Palme nicht einem verwirrten Einzeltäter, sondern einem Operation-Gladio-Kommando anzulasten ist. Ein Geheimdienstbericht der South African Defense Force (SADF) vom 15. Oktober 1985 weist aus, dass Olof Palme als Staatsfeind klassifiziert wurde. Intensive Recherchen des Bestseller-Autors Stieg Larsson, der in den 1980er-Jahren für das antifaschistische Magazin Searchlight aus Großbritannien tätig war und über Jahrzehnte Material zu dem Mordfall sammelte, führen ebenfalls nach Südafrika und implizieren, dass der schwedische Premierminister einem Mordkomplott verschiedener Geheimdienste zum Opfer fiel. Am 28. Februar 1986 wurde Olof Palme auf offener Straße in Stockholm kaltblütig hingerichtet. Verurteilt wurde bis heute niemand.
Dass Schweden mit Bilderberger Carl XVI. Gustav einen König als Staatsoberhaupt hat, der gemäß Staatsorganisationsgesetz „wegen seiner Handlungen nicht zur Verantwortung gezogen werden darf“, verbessert den zweiten Eindruck vom NATO-Anwärterstaat nicht. Denn auch wenn offiziell Gewaltenteilung herrscht, rechtfertigt nichts die Fortführung des mittelalterlichen Feudalismus und die Herrschaft über Menschen durch Erstgeburtsrecht.
So steht der sympathisch wirkende Staat an der Ostsee — neben dem vielgepriesenen „schwedischen Weg“ — vor allem für über 1.000 Jahre Erbmonarchie, ein Jahrhundert Wallenberg-Clan, für extreme Machtgier, massive finanzielle Ungleichheit, verdeckte Korruption, Geheimdienstaffären, Auftragsmord, NSA-Abhörskandale, Cyber-Warfare, eine langjährige Top-Ten-Position auf der Liste international aktiver Waffen-Exporteure, Globalistenzirkel, ein effizientes mRNA-Injektionsregime und eine mehr als destruktive Migrationspolitik, deren Folgen der eigenen Bevölkerung derzeit zum Verhängnis werden. Auf den zweiten Blick gibt Schweden also kein allzu sympathisches Bild mehr ab.
Und das gilt gleichermaßen für jeden anderen Staat. Ob Frankreich, Spanien, Portugal, die Niederlande, Belgien, Dänemark oder das britische „Empire“ als brutale Kolonialmächte, ob Russlands grausameDiktatur unter Stalin, Maos Massenmord in China, der von Kriegen, Terror, Despoten und Revolten gezeichnete arabische Raum, Deutschlands blutige Vergangenheit und Nazi-Diktatur, ob internationaler Sklavenhandel, Apartheid, Eugenik, Neokolonialismus, „False Flag“-Operationen, Geheimdienst-Attentate oder die von imperialistischen Bombenteppichen gesäumte und auf dem Blut indigener Völker errichtete Kriegshegemonie der Vereinigten Staaten — an ausnahmslos jeder Flagge klebt Blut. Viel Blut.
Diese Aufzählung könnte man beliebig fortsetzen.
Denn Regieren bedeutet organisierte Kriminalität. Und Krieg. Nur aus diesem Grund gibt es Landesgrenzen überhaupt. Warum also sollte man das Banner eines solchen Verbrechersyndikats schwenken, sich mit seiner Historie, seinen Methoden und seiner korrupten wie tyrannischen Führungsebene gemein machen?
Wieso sehen Menschen über all die Gräuel der Vergangenheit — oder die eigene akute Unterdrückung durch ihren Staat, seine Financiers, Handlanger und Vasallen — hinweg und unterstützen die Agenda ihrer Leithammel, sobald diese jemandem den Krieg erklären oder ihre Komplizen bei einem solchen unterstützen?
Die gleiche Frage muss man sich in Bezug auf Religionen stellen. Denn gerade die fanatische Identifikation mit einer Glaubensgemeinschaft scheint rationales Denken häufig komplett zu verunmöglichen. Anders sind Selbstmordattentate und Glaubenskriege kaum zu erklären. Religiöser Fanatismus ist Wahnsinn. Das gilt für Christentum, Buddhismus, Judentum, den Islam und jede andere Glaubensgemeinschaft.
Wer im Wertewesten derzeit meint, sich mit islamophoben Parolen hervortun zu müssen, nur weil die von ihm geduldete oder gar gewählte Regierung Migration als Waffe missbraucht, vergisst offenbar, dass es in der Vergangenheit fanatische Christen waren, die auf Kreuzzügen Ungläubige in fremden Ländern niedermetzelten — und dass es die katholische Kirche war, die im Laufe von über 500 Jahren Inquisition die Hexenjagd zum Berufsstand erhob.
Engstirniger Glaube, Emoji-Emotionswellen, Social-Media-Profile, die mehr Flaggen führen als der Accountinhaber je selbst Länder besucht hat — selektive Solidarität. Ein Verhalten, das wir bereits aus der Coronakrise kennen, die diesen Begriff endgültig entwertet hat. Klerikale Verehrung der einen, der absoluten Wahrheit. Schuldkomplexe. Vermengt mit nebulösem Ehr- und Pflichtgefühl kindlicher Prägung. Ein seltsames Phänomen mentaler Entrückung, das man von der Polykrise bereits kennt, das man nun aber auch bei bisweilen kritischen Geistern in Bezug auf den Staat Israel beobachten kann. Denn obwohl Netanjahus Regierung selbst in hiesigen Leitmedien als „rechtsextrem“ oder „tiefreligiös“ bezeichnet wird und sogar das ZDF noch im Dezember 2022 fragte: „Ist Israels Demokratie in Gefahr?“, obwohl die Berliner Morgenpost noch im Januar 2023 titelte: „Rechtsradikaler Ben-Gvir: Das ist Israels neuer Brandstifter“, ergreift mancher reflexartig wie kritiklos Partei — und kann Bevölkerung, Staat und Religion wohl nicht auseinanderhalten.
So erhält Netanjahus extremistische Regierung angesichts der fraglos katastrophalen innenpolitischen Situation Israels derzeit wohl mehr Zuspruch aus dem Ausland als von der eigenen Bevölkerung. Die protestiert seit Monaten vehement gegen die rechtsradikal-orthodoxe Machtübernahme sowie die Erosion der Gewaltenteilung durch eine umstrittene Justizreform. Und auch gegen den neuerlichen Krieg in Gaza machen sich viele Israelis stark. Sie versammeln sich in den Straßen von New York, Tel Aviv und anderen Metropolen, sie demonstrieren vor dem israelischen Verteidigungsministerium — während Netanjahu versucht, Kriegsgegner mundtot zu machen und der Polizeichef Regierungskritikern gar damit droht, sie „in Bussen nach Gaza“ zu deportieren. Auch in Israel dominiert eine radikale Minderheit die friedliebende Mehrheit der Population.
Ähnliches — und Schlimmeres — widerfährt Palästinensern, die sich offen gegen die Hamas stellen. Kritiker werden oft kurzerhand hingerichtet. Demzufolge hält sich der Widerstand aus der eigenen Bevölkerung in Grenzen, obwohl die Terrororganisation bei den Bewohnern des Gazastreifens nie sonderlich beliebt war. Kein Wunder: Während die Menschen in der umzäunten palästinensischen Enklave am Mittelmeer zumeist in spärlichen Verhältnissen, ohne Reisefreiheit und Zukunftsperspektiven dahinvegetieren, leben führende Hamas-Mitglieder wie Khaled Mechaal auf großem Fuß in Katar oder anderen Golfstaaten und führen ihre Geschäfte aus Luxushotels.
Die Reaktion des Wertewestens auf Hamas-Terror und israelische Verstöße gegen das Völkerrecht erinnert jedenfalls frappierend an den Ukrainekonflikt, in dessen Kontext Konzernmedien und NATO-Groupies bis heute versuchen, ihren bevorzugten Akteur in einem besseren Licht erscheinen zu lassen.
So verklären sie mühsam die unzähligen Hakenkreuz-Tätowierungen des rechtsextremen Asow-Bataillons, die Einflussnahme der USA, meiden den Begriff „Stellvertreterkrieg“, relativieren die Ermordung der eigenen Bevölkerung im Donbass oder die in den „Pandora Papers“ dokumentierten Raubzüge von Selenskij und Konsorten. Schuld sind gemäß NATO-Narrativ ausschließlich „barbarische Russen“, die es demzufolge auszurotten gilt. Seit Putin den Befehl zur Invasion gab, gibt es sogar „gute Nazis“.
Der kriminelle wie korrupte Netanjahu hat wahrscheinlich sogar noch mehr auf dem Kerbholz als Selenskij. So ist — wie in Bezug auf das Regime in Kiew — auch blinde Solidarität mit dem rechtsradikal-orthodoxen und von Fanatikern durchdrungenen Staatsapparat Israels falsch. Genau wie lautstarkes Anfeuern dschihadistischer Agitatoren, Killerkommandos und Terroristen. Jede Form von Extremismus, Segregation, Gewalt oder Krieg ist abzulehnen. Kategorisch. Denn sie geht in der Regel nicht initial vom Individuum aus, sondern von dessen Lehrmeistern, die den hasserfüllten Samen der Gewalt ausbringen, seine Frucht transgenerational hochzüchten. Jeder Mensch trägt Verantwortung für seine Taten, ist aber stets selbst Opfer seiner Mentoren, Herrscher, Unterdrücker und Gurus, die ihn nach Belieben für ihre Zwecke manipulieren, radikalisieren und massakrieren.
So grausam die Taten Einzelner sein mögen, sie sind im Kontext einer seit Langem rotierenden Gewaltspirale zu diskutieren. Ja, Täter müssen sich verantworten. Vor Gericht. Denn „Auge um Auge“ ist keine Lösung. Außer man will sich selbst zu den Barbaren zählen.
Es gibt keine guten Toten. Und keine Auslegung von Menschen- und Völkerrecht nach Gutdünken oder Tagesform. Es ist auch keine „Notwehr“ mehr, wenn man einen 41 Kilometer langen und sechs bis zwölf Kilometer breiten Küstenstreifen zurück ins Mittelalter bombt. Vor allem, wenn dieser bereits seit Jahrzehnten ein hermetisch abgeriegeltes Freiluftgefängnis ist. Ein Knast mit zwei streng bewachten Ausgängen, für dessen Bewohner die Aufseher Wasser- und Stromzufuhr kontrollieren, das Internet, das Mobilfunknetz und die individuelle Mobilität.
Nein, Kritik am nichtsäkularen Staat Israel, seinem Propagandaapparat und seiner verwerflichen Siedlungspolitik ist kein Antisemitismus. Es ist Kritik an einer zunehmend extremistischen Regierung, die korrupt und machthungrig ist wie jeder andere. Eine „semiautokratische Theokratie“, nennt die taz das Land. „Totalitär“ nennt die libertäre israelische Publikation Haaretz Netanjahus Regierung seit 2020. Und nicht nurHuman Rights Watch, Amnesty International, Knesset-Mitglieder oder der frühere Premier Ehud Barak, sondern auch israelische Zeitungen, israelische Menschenrechtsorganisationen wie B’TSELEM, der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter und südafrikanische Journalisten bezeichnen Israel als Apartheidstaat. Und genau das ist es. Ich war dort. Habe lange dort gelebt und gearbeitet und kann zu keiner anderen Einschätzung kommen.
Auch wenn die blutrünstige Terrorattacke der Hamas aufs Schärfste zu verurteilen ist — die Reaktion des Staates Israel darauf hat längst den Rahmen jeder Verhältnismäßigkeit verlassen. Wenn radikale israelische Spitzenpolitiker wie Moshe Feiglin, Chef der zionistischen Partei „Zehut“, fordern, „Es ist Zeit, Gaza in Dresden zu verwandeln! Vergast die Palästinenser — jetzt!“, wenn an Fassaden in Tel Aviv „Wipe out Gaza“ und „Arabs to the Gas Chamber“ steht, sollte gerade der Deutsche hellhörig werden. Denn das klingt verdächtig nach „Endlösung“. Und nach der streben nicht nur radikal-islamische Dschihadisten, sondern auch militante Hardliner in Israels Regierung und Gesellschaft. Ich selbst habe vor Ort eine ganze Reihe zionistisch motivierter Israelis getroffen, die von Palästinensern sprachen wie Nationalsozialisten früher von Juden.
Wer annimmt, nur fanatische Dschihadisten bejubelten mit Häme das Töten ihrer Erzfeinde und wünschten sich deren endgültige Tilgung vom Angesicht der Erde, irrt gewaltig. Das tun auch Israelis. Nicht selten sitzen diese mit Popcorn auf Dächern, Balkons und Hügeln in Sichtweite der Grenzlinie, wenn Gaza bombardiert wird, feiern, beklatschen und bejubeln die Einschläge von Raketen. Als wäre industrialisiertes Töten ein Sport-Event. Auch die Schadenfreude, mit der sich viele israelische Social-Media-Nutzer und Influencer derzeit über das Leid der palästinensischen Bevölkerung lustig machen, ist schwer erträglich.
Wer sich also mit jemandem solidarisieren will, der ergreife Partei für unschuldige Zivilisten, ob Israelis, Palästinenser, Ukrainer, Russen, Syrier, Libyer, Iraker, Nigerianer oder Libanesen, für Kinder, Kranke und Senioren, die für Ideologien und Partikularinteressen sterben. Für all die unbeteiligten Artgenossen, die unter ihrer fanatischen Führung oder der Kriegstreiberei des postmodernen Neokolonialismus leiden.
Wir brauchen Völkerverständigung statt echauffiertem Etatismus — müssen uns hinter leidende Mitmenschen stellen, nicht hinter die Flaggen unserer Unterdrücker.
Zudem sei bemerkt: Opposition gegen technokratische Überwachungsstaatlichkeit bedeutet nicht, Klicks und Follower zu sammeln oder Bestätigung in der eigenen Echokammer zu suchen. Widerstand ist kein Geschäftsmodell. Es ist eine Frage des Charakters. Genau wie Journalismus. Der eigentliche Gegner kommt nicht aus einem anderen Land, gehört nicht einer anderen Partei, einem anderen Kulturkreis oder einer anderen Religion an — er regiert uns.
Wer zur Wurzel des Übels vordringen will, sollte nicht bei seinen Nachbarn suchen. Daher engagiere ich mich für „Team Menschheit“ — gegen Krieg, Unterdrückung, Unrecht und supranationale Strukturen, die das Konzept von Demokratie ad absurdum führen. Für Freiheit. Gegen Tyrannei. Dafür, dass jeder das Recht hat, in Ruhe gelassen zu werden. Unabhängig von seiner Herkunft, seinem Stand, seinen Überzeugungen oder seiner Religion.
Wer seine Stimme nur dann gegen Menschenrechtsverletzungen erhebt oder dazu publiziert, wenn es zum eigenen Weltbild, Narrativ oder Zeitgeist passt, wenn es der Karriere oder dem Social-Media-Account dient, sollte sie der Öffentlichkeit besser ersparen.
„Die schlechteste Regierung ist oft die moralischste. Eine, die aus Zynikern besteht, ist häufig sehr tolerant und menschlich. Wenn jedoch Fanatiker an der Spitze stehen, kennt die Unterdrückung keine Grenzen“ (Henry Louis Mencken)
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