Ich erinnere mich sehr gut an den Tag, an dem ich Elias Davidsson kennenlernte. Wir trafen uns in einem Bonner Teehaus, nachdem ich ihn ein paar Tage vorher kontaktiert hatte. Es war ein grauverhangener Tag im März 2017.
Zu der Zeit kannte ich weder ihn noch seine Bücher, sondern wusste nur, dass er einer der führenden Köpfe bei der Aufarbeitung der Terroranschläge des 11. Septembers war, und das war der Grund, warum ich mit ihm sprechen wollte. Ich hatte den Hinweis und die Kontaktdaten von dem Chemiker Niels Harrit bekommen, mit dem ich kurz vorher gesprochen hatte und der mich darauf hinwies, dass Elias ganz in meiner Nähe wohnt.
Elias, der gerade Arabisch an der Bonner Volkshochschule lernte, war zu der Zeit regelmäßig in der Stadt und so trafen wir uns zu einem ersten Gespräch. Es wurde ein langes, intensives Gespräch, das in den nächsten fünf Jahren nicht enden sollte. Regelmäßig, oft mehrmals in der Woche, telefonierten wir stundenlang, tauschten Gedanken aus, lasen und kritisierten unsere Texte gegenseitig und schärften unsere Argumente. Wir lernten gegenseitig voneinander; und dabei waren wir nicht immer einer Meinung. Elias war eine Person, mit der es sich vorzüglich streiten ließ. Wir konnten gegensätzliche Gedanken austauschen und genau den Punkt bestimmen, an dem sich unsere Geister schieden.
Auch wenn wir bei unterschiedlichen Auffassungen blieben, war das immer ein Gewinn, weil es mit ihm nie darum ging zu gewinnen, sondern immer darum, der Wahrheit und der Gerechtigkeit ein Stück näher zu kommen.
Elias Davidsson
Elias‘ Werk über den 11. September und andere Terroranschläge wie die in Mumbai, London oder Berlin sucht seinesgleichen; unvollendet seine Arbeit über die Pariser Anschläge. Der erste Schritt einer wissenschaftlichen Untersuchung ist das Feststellen der unzweifelhaften Begebenheiten, die dem zu untersuchenden Sachverhalt zugrunde liegen.
Der gewaltige Unterschied, der darin besteht, diese tatsächlich herauszuarbeiten oder sich durch einen vorherrschenden Glauben davon abhalten zu lassen, ist vielen Menschen, gerade auch in akademischen Institutionen, kaum bewusst, obschon oder weil es dieser Unterschied ist, der seit Menschengedenken ebenso prägend für den menschlichen Erkenntnisgewinn und Fortschritt wie auch für den Verlust derselben ist.
So ist die mangelnde Bereitschaft, überhaupt wissen zu wollen, wenn das Wissen ein durch hegemonialen Einfluss verzerrtes Wahrheitsabbild berührt, in jeder menschlichen Epoche das vielleicht schwierigste Hindernis der Erkenntnis.
Den außergewöhnlichen Wert, den die Pionierarbeit von Elias einnimmt, werden die nachfolgenden Generationen zu schätzen wissen.
Die Stationen seines erfüllten Lebens will ich hier nur lückenhaft und symbolisch aufzählen: 1941 in Palästina als Sohn deutscher Juden geboren, als musikalisches Wunderkind in dem neugegründeten Israel herangewachsen, kam er über verschiedene Stationen und viele Lebensjahre in Frankreich, Deutschland, der Schweiz, den USA und Island schließlich wieder nach Deutschland, das „Land seiner Ahnen“, wie er es einmal nannte. Dabei wurde mit den Jahren und Jahrzehnten aus dem Komponisten der Menschenrechtsaktivist, Kapitalismuskritiker und später dann der Terrorismusexperte, den ich kennenlernte.
Aus seiner Liebe zur Musik zog er in den letzten Jahren Inspiration und Kraft und sah — gerade in den jetzt aufziehenden Zeiten des Neofeudalismus und den damit einhergehenden einengenden Glaubenssätzen — in der Kunst einen wichtigen Beitrag, um die Virtuosität des menschlichen Geistes am Leben zu erhalten.
Das Gespräch, das wir an jenem grauen Märztag begannen, hat am 7. April 2022 geendet. Seine Stimme klingt weiter.
Seine Liebsten haben Vater und Ehemann verloren, die Welt einen Humanisten und Aufklärer, ich einen Lehrer und Freund.
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