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Diese Entwicklung war bereits in der Erfindung der repräsentativen Demokratie angelegt und wurde seitdem strukturell, prozedural und ideologisch konsequent und systematisch vorangetrieben. Sie findet in den vergangenen Jahrzehnten ihren Abschluss in der neoliberalen Extremform des Kapitalismus. Die hier entstandenen Organisationsformen eines autoritären Kapitalismus haben sich des Staates, der verbliebenen Hülsen einer repräsentativen Demokratie und aller relevanten Entscheidungsmechanismen des Gemeinwesens in totalitärer Weise bemächtigt. Da die relevanten politischen Entscheidungen nicht mehr durch demokratisch legitimierte Instanzen bestimmt werden, sondern durch öffentlich nicht sichtbare Akteure, werden die mit einer solchen Herrschaftsform verbundenen Phänomene gelegentlich als „Tiefer Staat” bezeichnet. Eine solche Bezeichnung ist deskriptiv-phänomenologisch verständlich; sie birgt jedoch die Gefahr , ein tiefer gehendes Verständnis der Natur dieser neuartigen Organisationsformen der Macht zu verstellen und somit die Entwicklung geeigneter Formen eines politischen Widerstandes zu blockieren.
Demokratie ohne Demokratie
Die Idee der Demokratie hat eine recht eigenartige Geschichte. Zweimal, d.h. im Athen der Antike und in der Zeit der Aufklärung, entfaltete und materialisierte sie sich kurzzeitig als historisch singuläre Erscheinung inmitten einer Kontinuität oligarchischer und autoritärer Herrschaftsformen und der maßlosen Verachtung, die die jeweiligen „Eliten” gegen das „gemeine Volk” und die „Massen” hegten. Ihren Überzeugungen nach sei das „Volk” überwiegend unfähig, sich am Gemeinwohl zu orientieren. Danach führe die Demokratie nahezu zwangsläufig zu einer „Pöbelherrschaft”, was insbesondere daran erkennbar sei, dass die Mehrzahl der Nichtbesitzenden die Eigentumsverteilungen zu ihren Gunsten zu korrigieren suche. Die Herrschaftsform einer Demokratie sei also schon ihrem Wesen nach nicht geeignet, eine dem Gemeinwohl dienende gesellschaftliche Ordnung zu garantieren. Die Stabilität der herrschenden Eigentumsordnung sei umso gefährdeter, je mehr eine Demokratie die Form einer wirklichen, also partizipatorischen Demokratie annehme.
Zu den Kernelementen einer wirklichen Demokratie gehört, dass „das Volk“ souverän im Sinne der „gesellschaftlichen Kompetenz der Selbstgesetzgebung“ ist und alle Staatsapparate dem demokratischen Gesetz untergeordnet sind. Die athenische Demokratie, in der „die Regierung im ganz buchstäblichen Sinn eine „Regierung durch das Volk“ war, war durch eine Herrschaft des Gesetzes und eine Teilhabe am Entscheidungsprozess gekennzeichnet. Jedoch fehlte eine rechtliche Sicherung der Eigentumsordnung, wie sie kennzeichnend für „liberale“ Demokratiekonzeptionen ist. Erst mit der Konzeption der „liberalen Demokratie“ wurden die Begriffe Freiheit und Eigentum aneinander gebunden. Partizipatorische Demokratiekonzeptionen, die die Grundgedanken der athenischen Demokratie weiterzuentwickeln suchten, wurden und werden daher von der Antike bis heute von den Besitzenden und von allen, die in der jeweiligen Gesellschaft einen höheren Status innehaben, ebenso bekämpft wie von der Mehrzahl der führenden Intellektuellen. Die Sozialgeschichte ebenso wie die politische Ideengeschichte ist seit ihren Anfängen durchzogen von einer tiefen Demokratiefeindlichkeit. Erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts trat ein Wandel ein, in dessen Gefolge „Demokratie” heute in der westlichen Welt als einzig legitimierte Herrschaftsform gilt.
Dieser Wandel ist erstaunlich und erklärungsbedürftig. Der wesentliche Grund liegt darin – wie in einer Vielzahl von sozialhistorischen und ideengeschichtlichen Studien aufgezeigt wurde –, dass man Wege fand, die Faszination, die die Idee der Demokratie für das Volk entfaltete, für Zwecke der politischen Machtausübung zu nutzen. Dazu war es nötig, die Demokratie für die jeweiligen Machteliten „risikofrei” zu gestalten. Alex Carey zeigt in seinem Klassiker „Taking the Risk out of Democracy“ entlang historischer Linien auf, wie sich dies mit wesentlicher Mithilfe der Sozialwissenschaften und der Psychologie bewerkstelligen ließ. Nur unter der Voraussetzung, dass auch in einer Demokratie der Status herrschender Eliten nicht gefährdet wird, konnte Demokratie zu einer auch von den jeweiligen Zentren der Macht anerkannten Herrschaftsform werden. In einer geeignet konzipierten „Demokratie ohne Demokratie” sollte also die Kontrolle über alle relevanten Entscheidungsprozesse weiterhin bei den jeweiligen Machteliten verbleiben. Dazu war es erforderlich, die Demokratie in geeigneter Weise umzudefinieren und zudem strukturell, prozedural und ideologisch so abzusichern, dass die Eigentumsordnung nicht gefährdet werden konnte.
Repräsentative Demokratie als Elitendemokratie
Der wesentliche Schritt zu dieser Bedeutungsverschiebung wurde mit der Erfindung des Modells einer „repräsentativen Demokratie” geleistet. Die Gründerväter der amerikanischen Verfassung entwickelten mit diesem Konzept einen Demokratiebegriff, der seiner Natur nach das Modell einer wirklichen, also partizipatorischen Demokratie ausschloss. Für diese Form einer durch freie Wahlen legitimierten Oligarchie wurde die Bezeichnung Demokratie beibehalten, um das Bedürfnis des Volkes nach einer Volksherrschaft zu befriedigen — und zwar durch die Illusion einer Demokratie. Die dabei zugrunde gelegte Form von Repräsentation wurde „als ein Mittel verstanden, um das Volk von der Politik fernzuhalten“ und „eine besitzende Oligarchie mit der Unterstützung der Masse der Bevölkerung über Wahlen an der Macht zu halten.“ Die repräsentative Demokratie wurde zu dem ausdrücklichen Zweck erfunden, dem Volk die Befähigung zu einer Selbstgesetzgebung ebenso abzusprechen wie überhaupt das Recht, ein eigenständiger politischer Akteur zu sein.
„Es ist wichtig, zu erkennen, dass der moderne Staat gewissenhaft und absichtsvoll zu dem ausdrücklichen Zweck konstruiert wurde, jeder gegebenen Bevölkerung, jedem Volk, die geistige Fähigkeit oder das Recht abzusprechen, für sich gemeinsam zu handeln, entweder unabhängig vom oder gegen ihren Souverän. […] Die Idee des modernen Staates wurde genau deshalb erfunden, um die mögliche Geschlossenheit demokratischer Ansprüche oder sogar auch nur echter politischer Aktion zurückzuweisen […] Die repräsentative Demokratie ist die für den modernen Staat gemachte Demokratie.“
Die repräsentative Demokratie hat also bereits den Intentionen ihrer Erfinder nach einen verdeckt autoritären Charakter. Begleitet wurde ihre Erfindung von einer zunehmend verfeinerten ideologischen Rhetorik, der zufolge sie die einzige Demokratieform sei, die dem modernen Staat und seinen Komplexitäten angemessen, also alternativlos sei. Diese Indoktrination war ausgesprochen erfolgreich: „Wir haben uns an die Formel der repräsentativen Demokratie so gewöhnt, dass wir zumeist vergessen, dass diese US-amerikanische Idee ein Novum war. In ihrer föderalistischen Ausformung bedeutete sie jedenfalls, dass das, was bis dahin als Antithese zur demokratischen Selbstbestimmung begriffen wurde, nun nicht nur vereinbar mit, sondern konstituierend für die Demokratie war: nicht die Ausübung der politischen Macht, sondern der Verzicht auf sie, ihre Übertragung auf andere, d. h. die Entfremdung von ihr.“
Die Konzeption einer repräsentativen Demokratie wurde also erfunden, um die Verwirklichung ernsthafter, partizipatorischer Formen von Demokratie zu blockieren. In den Worten der wohl bedeutendsten Repräsentationstheoretikerin, liest sich das folgendermaßen:
„Die Repräsentation, zumindest als politische Idee und Praxis, kam nur in der frühen modernen Periode auf und hatte nicht das geringste mit Demokratie zu tun.“
Der eigentlich autoritäre Charakter der repräsentativen Demokratie wird klar erkennbar in den Gründungsdokumenten der Federalisten. So machte James Madison (1751-1836) explizit deutlich, dass es im Rahmen einer dem Gemeinwohl dienenden Politik vorrangig um den Schutz der Eigentumsordnung geht und dass bei der Wahl der politischen Repräsentanten der Meinung der Bürger kein besonderes Gewicht zukommen könne. Die Eliten wüssten besser, was für das Volk gut sei, als das Volk selbst.
„Die öffentliche Meinung, die von den Vertretern des Volkes ausgesprochen wird, steht mit dem Gemeinwohl mehr im Einklang als die Meinung des Volkes selbst.“
Bei den im Wettstreit von Interessengruppen getroffenen politischen Entscheidungen müsse, so Madison, sichergestellt sein, dass die Gruppen der Erfolgreichen und Besitzenden einen größeren Einfluss auf die Gestaltung des Gemeinwesens und auch der öffentlichen Meinung haben als die Gruppen der Nichtbesitzenden. Mit dem Mechanismus der parlamentarischen Repräsentation lässt sich dies bewerkstelligen, da zwar die parlamentarischen „Volksvertreter” abgewählt werden können, jedoch nur durch andere Mitglieder aus dem Spektrum vorgegebener Elitegruppierungen ersetzt werden können. Diese Form einer repräsentativen Demokratie hat gegenüber offen autoritären Herrschaftsformen, wie etwa dem Feudalismus, den Vorteil, dass sich ein Veränderungswille der Bevölkerung nicht gegen die eigentlichen Zentren der Macht richten kann, sondern nur gegen ihre vordergründigen Erscheinungsformen, die parlamentarischen Repräsentanten und Regierungen. Hier ist also bereits im Kern ein Auseinanderfallen der vorgeblichen und der eigentlichen Zentren der Macht angelegt: die öffentlich sichtbaren demokratisch legitimierten staatlichen Apparate einerseits und die alle grundlegenden Entscheidungen bestimmenden praktisch nicht abwählbaren Elitegruppierungen andererseits.
Autoritäre Elemente in der kapitalistischen Demokratie
Diese Entwicklung einer „Demokratie ohne Demokratie“ setzte sich im 20. Jahrhundert so fort, dass sie den sich ausdifferenzierenden Erfordernissen und Ansprüchen einer kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung genügte. Die bereits etablierten Formen der repräsentativen Demokratie hatten sich aus Sicht der Machteliten bewährt, bedurften jedoch angemessener Anpassungen, weil sich neue soziale Konfliktgruppierungen etablierten und der Demokratiegedanke in der Bevölkerung immer wieder eine eigenständige Kraft entfaltete.
Die wesentlichen neuen Entwicklungen lagen im Bereich dessen, was zunächst als Propaganda später dann als „public relation” bezeichnet wurde. Zudem wurde die ideologische Rechtfertigung für die gewünschte Form der kapitalistischen Demokratie bzw. der Elitendemokratie weiter ausgearbeitet und über Medien und Erziehungswesen kulturell verankert. Besonders einflussreich waren dabei die Beiträge von Walter Lippmann, der in seinem Klassiker Public Opinion von 1922 die ideologischen Grundlagen einer verdeckt autoritären Elitendemokratie weiter ausarbeitete, wie sie dann von vielen Intellektuellen weitergeführt und zum Standardmodell einer kapitalistischen Demokratie wurde. In diesem Standardmodell wird den Bürgern die Rolle des politischen Konsumenten zugewiesen. Der „mündige Bürger” gehört dabei ebenso zur bloßen ideologischen Rechtfertigungsrhetorik wie der „rationale Konsument” in der Ökonomie: Beide sind tatsächlich gerade nicht erwünscht, sondern Bürger wie Konsumenten sind in ihren Einstellungen, Meinungen und Präferenzen so zu formen, dass diese mit den Interessen der jeweiligen Eliten kompatibel sind. Daher entwickelten sich politische Propaganda und Techniken des Meinungsmanagements Hand in Hand mit Techniken, Konsumenten hervorzubringen und zu formen.
Über diese Techniken der Meinungsmanipulation hinaus wurden weitere Mechanismen geschaffen und vorhandene verstärkt, um wirtschaftlichen Interessengruppen mehr Einfluss auf staatliche Institutionen und das Parteienwesen zu ermöglichen. Das gelang mit beträchtlichem Erfolg, da sich die repräsentative Demokratie als besonders geeignet für die Einführung verdeckt autoritärer Einflussmechanismen erwies. Schon 1912 hatte Theodore Roosevelt festgestellt: „Hinter dem, was wir für die Regierung halten, thront im Verborgenen eine Regierung ohne jede Bindung an und ohne jede Verantwortung für das Volk. Die Vernichtung dieser unsichtbaren Regierung und Zerschlagung der unheiligen Allianz von korrupter Wirtschaft und korrupter Politik ist die entscheidende politische Herausforderung dieser Zeit.“
Edward Bernays sprach 1928 in seinem Klassiker Propaganda ganz selbstverständlich von einem „invisible government" als der „true ruling power of our country“. In der Nachkriegszeit schienen Kapitalismus und repräsentative Demokratie vordergründig eine weniger autoritäre Allianz eingegangen zu sein.
Die repräsentative Demokratie erwies sich für den Kapitalismus als ein besonders effektives Mittel zur sozialen Pazifizierung:
Sie ließ scheinbar einen Klassenkompromiss zu, der im Austausch gegen sozialstaatliche Verbesserungen „die Hinnahme kapitalistischer Produktionsverhältnisse durch die nichtkapitalistische Mehrheit der Bevölkerung ermöglichen sollte.“ Durch einen solchen Klassenkompromiss konnte die repräsentative Demokratie zu einer gewaltigen kapitalistischen Produktivkraft werden. Dadurch verwandelte sich der Kapitalismus für drei Jahrzehnte „unter dem Einfluss demokratischer Politik und gewerkschaftlicher Organisierung [… ] aus einem gesellschaftlichen Klassenverhältnis in eine staatlich administrierte Prosperitätsmaschine.“ Der Kapitalismus freundete sich eine Zeitlang mit der repräsentativen Demokratie an, weil es gelang, die von den „Volksparteien“ vertretenen Positionen strikt innerhalb des Spektrums der Interessenunterschiede der Machteliten zu halten. Dadurch können die Volksparteien befriedend wirken, weil sie die Illusion einer demokratischen Kontrolle aufrechterhalten und zugleich die Stabilität der herrschenden Ordnung gewährleisten.
Vordergründig lockerten sich also autoritäre Zugriffe des Kapitalismus auf die Demokratie. Unter dieser Oberfläche entwickelten sich jedoch vielfältige autoritäre Strukturen und Mechanismen, die bei passenden historischen Konstellationen genutzt werden konnten, um ernsthaft demokratische Entwicklungen zu blockieren.
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Mit Beiträgen von Jörg Becker, Daniele Ganser, Bernd Hamm, Hansgeorg Hermann, Hannes Hofbauer, Jochen Krautz, Mike Lofgren, Rainer Mausfeld, Hermann Ploppa, Jürgen Rose, Werner Rügemer, Rainer Rupp, Andreas Wehr, Wolf Wetzel und Ernst Wolff.
Demokratie als Gefahr für den Elitenkonsens
Solange der Kapitalismus eine demokratische Politik für seine Belange und Anliegen nutzen konnte, waren weitere autoritäre Mittel zur Einhegung demokratischer Bestrebungen weitgehend unnötig. Natürlich waren sich die Eliten dieser grundsätzlichen Gefährdung stets bewusst und warnten immer wieder davor, die Demokratie „zu weit” zu treiben. Eigentlich fühlten sie sich bereits durch die etablierten und hochgradig „entschärften” Formen von Demokratie bedroht und warnten daher in den 1970er Jahren vor einer „Krise der Demokratie”. Mit einer solchen „Krise” meinten sie ein „Übermaß an Demokratie“ („excess of democracy“), wie der Bericht „The Crisis of Democracy“ von 1975 aufzeigt, der im Auftrag des von David Rockefeller initiierten Think Tanks „Trilaterale Kommission“ erstellt worden war. Für eine den wirtschaftlichen Sachzwängen angemessene effiziente Handhabung einer Demokratie sei es, wie der Bericht feststellt, erforderlich, dass die Bevölkerung politische Entscheidungen den Eliten überlasse.
Um der Demokratie, also der Herrschaft „verantwortungsvoller” Eliten, eine hinreichende Stabilität zu verschaffen, wurde eine Vielzahl von Entwicklungen gefördert oder initiiert, durch die sich dies erreichen ließ. Hierzu gehörte vor allem die Förderung und die Verstärkung des Einflusses von wesentlich autoritär organisierten Strukturen innerhalb der Gesellschaft. Vor allem der gesamte Bereich der Wirtschaft ist im Kapitalismus in prototypischer Weise autoritär, wenn nicht gar totalitär organisiert. Er bildet in kapitalistischen Demokratien geradezu die Basiszelle anti-demokratischer Haltungen und Organisationsformen. Durch eine Erhöhung der Durchlässigkeit zentraler politischer Instanzen für Einflüsse aus dem privaten wirtschaftlichen Bereich lassen sich also autoritäre Elemente in öffentlich kaum sichtbarer Weise in den politischen Bereich einbringen. Andere Kernzellen genuin anti-demokratischer, autoritär organisierter Systeme sind der militärische Bereich, die Geheimdienste, Think Tanks und Stiftungen.
Die Geheimdienste zeigten seit je die Tendenz, sich gegenüber parlamentarischer Kontrolle zu verselbständigen und bildeten dabei teilweise systematische Verflechtungen zum organisierten Verbrechen aus. Prominentestes, weil vergleichsweise gut untersuchtes Beispiel ist die CIA. Schon in den 1950er Jahren bildeten Ölkartelle, Wall Street und CIA ein enges Geflecht von Machtstrukturen, das sich der Kontrolle durch die Regierung weitgehend entzog. Heute verfügen die USA über 17 Geheimdienste mit einem offiziellen Budget 53 Milliarden Dollar im Jahr 2016 betrug. Die wichtigsten Dienste sind: CIA, NSA, NRO, NGA, DIA und FBI; allein die NSA hat etwa 40.000 Angestellte. Hinzu kommt eine sich bürokratisch verselbständigende und sich demokratischer Kontrolle entziehende Sicherheitsbürokratie und -industrie: In den USA sind 1.271 staatliche Organisationen und 1.931 private Firmen mit insgesamt fast einer Millionen beteiligter Personen in Programme eingebunden, die unter dem Banner „counterterrorism“ und „homeland security“ weitgehend eigenständige und autoritär organisierte Strukturen bilden.
„Marktkonforme Demokratie“ im totalitären Spätkapitalismus
Auch die ursprünglich in der Mitte der Gesellschaft verankerten Volksparteien verbanden sich immer enger mit wirtschaftlichen Interessengruppen und integrierten sich personell wie ideologisch in staatliche und wirtschaftliche Machtstrukturen. Durch ein großes Arsenal von Mechanismen, die bis in die Gesetzgebung reichen, wurde ein Spektrum offener und verdeckter Formen politischer Korruption etabliert und zunehmend institutionalisiert. Um nur ein jüngeres Beispiel zu nennen: Eine empirische Studie des Roosevelt Institute untersuchte „den Einfluss des Geldes auf Stimmabgaben zur Finanzregulation“ sowie im Telecom-Sektor „die Verbindung zwischen Industriespenden und Kongress-Stimmabgaben“ mit folgendem Ergebnis: „Viele Abgeordnete verkaufen das öffentliche Interesse für politischen Einfluss.“ So entstanden innerhalb einer vordergründig demokratischen Gesellschaft autoritär organisierte „Stabilitätskerne”.
Diese Entwicklungen beschleunigten und verstärkten sich in zuvor nicht gekannter Weise mit der Entfaltung des Neoliberalismus und dem mit ihm verbundenen Übergang vom demokratischen Kapitalismus der Nachkriegszeit zur „marktkonformen Demokratie” in einem zunehmend totalitären Spätkapitalismus. Die Demokratie erschien dem globalisierten Kapital nun nicht mehr als nützliches Mittel zur „sozialen Befriedung” und Produktivitätssteigerung, sondern als grundsätzlich hinderlich. Der Neoliberalismus verzichtete also zunehmend auf eine demokratische Rhetorik und ging dazu über, jede Form von Demokratie als Behinderung eines freien Marktes zu bekämpfen. Mit der wesentlich durch Think Tanks vorangetriebenen Entfaltung neoliberaler Ideologie fand der Übergang des Kapitalismus von einer autoritären zu einer zunehmend totalitären Organisationsform statt, die alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens nach dem neoliberalen Modell zu organisieren suchte.
Im Leitbild einer „marktkonformen Demokratie” wurde Demokratie darauf reduziert, „rationale“ Problemlösungen im Sinne einer Anpassung an die „Naturgesetzlichkeiten” globalisierter Märkte zu produzieren. Begleitet von ideologischen Kampfbegriffen wie „Strukturreformen” oder „Bürokratieabbau” wurden Kapital, Konzerne und Reiche über die Steuergesetzgebung und andere Mechanismen zunehmend von Beiträgen zu Gemeinschaftsaufgaben „entlastet”. Auf diese Weise wurde der Staat in seiner sozialen Handlungsfähigkeit ausgetrocknet und durch „ Austeritätspolitik” in die Schuldenabhängigkeit der Finanzmärkte getrieben. Der so erzeugte und den Finanzmärkten preisgegebene Schuldenstaat wurde in diesem Prozess weitgehend zu einem Umverteilungs- und Subventionsstaat für die ökonomisch Starken und zu einem Überwachungsstaat für die ökonomisch Schwachen umgebaut.
Die sogenannte Globalisierung machte das Kapital über nationale Grenzen hinweg mobil und flexibel, während die Mechanismen seiner demokratischen Einhegung national gebunden blieben. Hierdurch verschoben sich die tatsächlichen politischen Machtverhältnisse in einer für die Öffentlichkeit kaum noch zu ermessenden Weise zugunsten autoritär organisierter und öffentlich nahezu unsichtbarer Zentren der Macht. Den renommierten investigativen Journalisten Dana Priest und William Arkin zufolge gibt es mittlerweile „zwei Regierungen: die eine, mit der die Bürger vertraut sind, die mehr oder weniger öffentlich betrieben wird; die andere, eine parallele, streng geheime Regierung, deren Teile wie Pilze aus dem Boden geschossen sind und sich in weniger als einem Jahrzehnt zu einem gigantischen Universum eigener Art ausgebreitet haben, sichtbar nur für sorgsam überprüfte Kader — und in ihrer Gesamtheit nur für Gott.“
Damit wird die von den Erfindern der repräsentativen Demokratie aufgestellte Forderung, "Wem das Land gehört, der soll es auch regieren", unter den neoliberalen Bedingungen globalisierter Finanzmärkte in einer so radikalen Weise erfüllt, dass wohl keiner der Gründerväter der amerikanischen Verfassung das resultierende totalitäre Machtgebilde auch nur in die Nähe des Begriffs Demokratie bringen würde. Für diejenigen indes, die als Politiker im Rahmen der gegenwärtig vorgegebenen Machtkoordinaten operieren, ist die damit einhergehende vollständige Aushebelung der Demokratie eine ganz selbstverständliche Arbeitsgrundlage. Schon Hans Tietmeyer, Staatssekretär und Chefunterhändler der Regierung Helmut Kohl bei den Weltwirtschaftsgipfeln, hatte diese Arbeitsgrundlage am 3. Februar 1996 auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos klar zum Ausdruck gebracht: „Ich habe bisweilen den Eindruck, dass sich die meisten Politiker immer noch nicht darüber im Klaren sind, wie sehr sie bereits heute unter der Kontrolle der Finanzmärkte stehen und sogar von diesen beherrscht werden.“
Und auch der Bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer hatte das eigentlich Selbstverständliche am 20. Mai 2010 ganz beiläufig ausgesprochen: „Diejenigen, die entscheiden, sind nicht gewählt, und diejenigen, die gewählt werden, haben nichts zu entscheiden.“
Postdemokratie als totalitäre Herrschaft
Die postdemokratische Demokratie hat also längst ein autoritäres Gesicht. Die eigentlichen Zentren der Macht sind für die Bevölkerung weitgehend unsichtbar, demokratisch nicht abwählbar, unterliegen keiner öffentlichen Rechenschaftspflicht und sind in extremer Weise autoritär organisiert. Die Frage nach der tatsächlichen Herrschaftsform gegenwärtiger westlicher kapitalistischer Demokratien lässt sich also nicht einfach mit Verweis auf die Bezeichnung „Demokratie” beantworten. Vielmehr ist es eine empirische Aufgabe, durch geeignete Analysen der tatsächlichen Machtverhältnisse herauszufinden, wie hier Herrschaft organisiert ist.
Auf diesen wichtigen Punkt weist auch die Bundeszentrale für politische Bildung hin, wenn sie feststellt:
„Eine Herrschaftsform bezeichnet die Art und Weise, wie Herrschaft in einem Staat ausgeübt wird. […] Achtung! Bei der Frage nach der Herrschaftsform geht es nicht darum, wie sich ein Staat bezeichnet oder wie er nach seinen Gesetzen organisiert sein sollte. Entscheidend ist, wer tatsächlich die Herrschaft ausübt.“
Es geht also um die empirisch zu beantwortende Frage, ob die tatsächlichen Zentren politischer Macht bei den in demokratischen Wahlen gewählten Regierungen liegen, oder ob sie außerhalb des Bereichs demokratisch legitimierter Herrschaft liegen. Hierzu gibt es mittlerweile eine Fülle wissenschaftlicher Literatur und umfangreiche empirische Untersuchungen. Die vorliegenden Analysen, wie sie insbesondere in dem Bereich der Macht-Struktur-Analyse durchgeführt wurden, zeigen, dass die tatsächlichen Zentren politischer Macht weit außerhalb jeder demokratischen Kontrolle liegen und zugleich praktisch alle grundlegenden politischen Entscheidungen bestimmen. Obwohl sie im Binnenverhältnis ganz unterschiedliche Interessen aufweisen können, die sich gelegentlich in — für die Öffentlichkeit nur sehr indirekt sichtbaren — Konflikten entladen, sind sie in den grundsätzlichen Zielen recht homogen und verfolgen eine gemeinsame Agenda. Sie stellen die wesentlichen Akteure der neoliberalen Revolution dar, deren Ziel die Umverteilung von unten nach oben, vom Süden in den Norden und von der öffentlichen in die private Hand ist. Für diese Agenda sind sie auf die Etablierung autoritärer Strukturen angewiesen, durch die sie jede öffentliche Kontrolle und Rechenschaftspflicht verhindern können. Folglich sehen sie jede Form von Demokratie als ihren Hauptfeind an.
Ihre zentralen Knotenpunkte liegen, empirischen Studien zufolge, in der Finanzindustrie und in einer Reihe spezifischer wirtschaftlicher Komplexe, die auch Silicon Valley einschließen und überwiegend US-basiert sind. Sie sind eng verflochten mit Geheimdiensten, der Überwachungs- und Sicherheitsindustrie, dem militärischen Bereich, privaten Medien und Internetkonzernen sowie einem gigantischen Netzwerk aus Think Tanks und NGOs. Ihre Binnenstruktur ist hochgradig verteilt organisiert — vergleichbar mit der Architektur des Internet —, sodass sie in der jeweils geforderten politischen Machtausübung über ein hohes Maß an strategischer Flexibilität verfügen und politisch wenig störanfällig sind.
Die daraus resultierende Machtstruktur ist, Mike Lofgren zufolge, “so heavily entrenched, so well protected by surveillance, firepower, money and its ability to co-opt resistance that it is almost impervious to change.“ Durch Think Tanks, Medien und eine Reihe anderer Kanäle und Mechanismen haben sie sich mit einer Kultur der rechtlichen und gesellschaftlichen Verantwortungslosigkeit umgeben und diese abgesichert. Zudem haben sie Mechanismen der Transformation ökonomischer in politische Macht etabliert und durch ihren direkten Einfluss auf die Gesetzgebung ihren politischen Einfluss in einer historisch nie gekannten Weise vergrößert. Hierzu gehört beispielsweise die Steuergesetzgebung, die internationale Gesetzgebung zum „Freihandel”, die Verrechtlichung institutionalisierter Formen der Korruption und die rechtliche Gleichstellung von Konzernen mit natürlichen Personen („corporate personhood“).
Wenn man also das von der Bundeszentrale für politische Bildung empfohlene Beurteilungskriterium dafür, ob eine Herrschaftsform als Demokratie zu bezeichnen sei, zugrunde legt, erlauben die vorliegenden empirischen Analysen nur den Schluss, dass westlich-kapitalistische Demokratien tatsächlich eine neuartige Form totalitärer Herrschaft darstellen. Es ist eine empirische Aufgabe, auf der Basis geeigneter theoretischer Konzepte ein genaueres Verständnis der spezifischen Eigenschaften und Funktionsweisen dieser neuartigen Organisationsweise von politischer Macht zu gewinnen. Die traditionellen Konzepte und Kategorien der Analyse von Machtstrukturen sind vermutlich hierfür nicht ausreichend und müssen daher in geeigneter Weise angepasst und erweitert werden.
Gefahren des Begriffs „Tiefer Staat“
Das Konzept des „Tiefen Staates” ist für eine solche Analyse wenig geeignet, weil es historisch mit bestimmten Machtkonstellationen verbunden ist, die mit den Machtstrukturen, um die es hier geht, nur oberflächliche Gemeinsamkeiten haben. Zudem birgt es durch natürliche Dispositionen unseres Geistes eine Reihe von Gefahren, die ein wirkliches Verständnis der zu untersuchenden Machtstrukturen beeinträchtigen können. Wir neigen bei unseren intuitiven Kausalanalysen komplexer Prozesse zu bestimmten Fehlkonzeptionen und kognitiven Verzerrungen, insbesondere zu konkretistischen Ursachenzuschreibungen in personalen Kategorien. Da uns naturgemäß derartige intuitive Kausalanalysen in einem hohen Grad plausibel erscheinen, führen sie zur Illusion des Verstehens und verstellen dadurch das Verständnis der tatsächlichen Eigenschaften und Funktionsweisen dieser neuartigen Organisationsformen politischer Macht. Der Begriff „Tiefer Staat” verführt geradezu zur konkretistischen Personalisierung von Machtkonstellationen oder — schlimmer noch — ihrer Mystifizierung.
Man kann natürlich den Begriff „Tiefer Staat” metaphorisch verwenden, um die öffentliche Aufmerksamkeit auf den Sachverhalt zu lenken, dass die Zentren der politischen Macht nicht bei den Parlamenten und Regierungen liegen, sondern bei Akteuren, die weitgehend der öffentlichen Sichtbarkeit entzogen sind. Im Rahmen einer machtsoziologischen Analyse bezeichnet der Begriff „Tiefer Staat” lediglich eine phänomenologische Kategorie und keine theoretische Erklärungskategorie, auf deren Grundlage sich ein tieferes Verständnis der Eigenschaften und Wirkmechanismen der Machtstrukturen, um die es geht, gewinnen ließe. „Tiefer Staat” bezeichnet dann lediglich eine Erscheinungsweise politischer Macht: der Macht im autoritären und zunehmend totalitären Spätkapitalismus. Diese bedient sich der Hülse der repräsentativen Demokratie nur noch, um die eigentlichen Zentren politischer Macht für die Öffentlichkeit unsichtbar zu machen. Mehr noch: Die Öffentlichkeit soll möglichst nicht einmal wissen, dass diese überhaupt existieren — ein Ziel, das mit bedingungsloser Unterstützung der Massenmedien in einem beunruhigenden Maße erreicht wurde. Politische Veränderungsbedürfnisse der Bevölkerung können sich dadurch nicht mehr auf die Zentren der Macht richten, sondern nur noch auf Ablenkziele, womit sie politisch ins Leere laufen.
Prof. Rainer Mausfeld: Die Angst der Machteliten vor dem Volk
Prof. Rainer Mausfeld: Wie werden Meinung und Demokratie gesteuert?
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