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Die verratene Geliebte

Die verratene Geliebte

Die Freiheit wurde von der Mehrheit derer im Stich gelassen, die ihr unendlich viel verdanken — es wird Zeit, sich neu in sie zu verlieben. Exklusivabdruck aus „Strategien der Macht“.

Das Streben nach Freiheit kommt der Macht in die Quere. Der Machtimpuls, dieses zu unterdrücken, geht eine unheilige Allianz mit jener Neigung des Durchschnittsmenschen ein, bei einem vermeintlich Stärkeren unterzukriechen. Erich Fromm hat dies mit seiner Wortprägung „Die Furcht vor der Freiheit“ auf den kürzesten Nenner gebracht. Würden Verfechter der Freiheit zu viel „säuseln“, so entglitte dem Ärztepräsidenten, der auch für Wendungen wie „Die Tyrannei der Ungeimpften“ bekannt ist, wohl ein Gutteil der Verfügungsgewalt, die er über ein Volk von Patienten auszuüben gedenkt.

Macht und Freiheit sind also als Gegensatzpaar aufeinander bezogen und stehen in einem gewissen Spannungsverhältnis zueinander. Wenn wir an die Energieraub-Hypothese denken, die James Redfield in seinen „Prophezeiungen von Celestine“ aufstellt, so bedeutet Freiheit im Negativen zunächst, sich dem räuberischen Zugriff dominanter Persönlichkeiten und Institutionen zu entziehen: „Meine Energie gehört mir.“ Freiheit wäre demnach das Ergebnis erfolgreicher Abwehrmaßnahmen gegen den omnipräsenten Zugriff von Machtlüsternen. Es wäre jedoch eine Definition der Freiheit nur „ex negativo“.

Es tobt ein ewiger Kampf zwischen den Freiheitsbemühungen der Menschen, die eine Erweiterung ihrer Ausdrucks- und Betätigungsmöglichkeiten anstreben, und den Versuchen der Macht, diese einzuschränken. Die eine Seite will Optionen vermehren, die andere ihre Zahl vermindern; die einen wollen neue Spielräume hinzugewinnen, die anderen diese einengen.

Dieser Freiheitsbegriff wurde von vielen als zu plump und einseitig verworfen. Philosophen unterscheiden zwischen der „Freiheit von“ (negative Freiheit) und der „Freiheit zu“ (positive Freiheit). Die „Freiheit von“ birgt in sich die Gefahr des Missbrauchs bis hin zur allzu freien Entfaltung böser Neigungen. In Albert Camus’ Stück über den Tyrannen Caligula wird diese anschaulich dargestellt: „Diese Welt ist ohne Bedeutung, und wer dies erkennt, hat seine Freiheit wiedergewonnen“ (2), sagt der antike Tyrann bei Camus. Gemeint ist: Angesichts der Absurdität des Daseins und des Fehlens jeder objektiven moralischen Instanz ist es eigentlich egal, wie man handelt — man kann also im Prinzip auch grausam handeln.

Die „Freiheit zu“ scheint demgegenüber die seriösere Wahl zu sein, denn diese führt die bloße Abwesenheit von Begrenzungen einem sinnvollen Zweck zu. Unsere Alarmsirenen sollten jedoch immer dann aufheulen, wenn Politiker und andere Machtmenschen den Zeigefinger erheben und uns eine „Freiheit zu“ aufschwatzen wollen. Man landet dann schnell bei einem Phänomen, das ich die „Joachim-Gauck-Freiheit“ genannt habe. Der ehemalige Bundespräsident, der seine prägende Lebensphase in der DDR verbracht hatte, sagte: „Freiheit der Erwachsenen hat einen Namen: Sie heißt Verantwortung“ (3). Schon mit Beginn seiner Präsidentschaft wurde dem Wahlvolk erzählt, Freiheit sei das Lebensthema dieses Politikers. Unermüdlich verbreitete Gauck das Narrativ, nach den Schrecken des SED-Regimes sollten die Bürger Gesamtdeutschlands froh und dankbar für die nunmehr „gewährte“ Freiheit sein.

Statt daran mitzuwirken, ein besseres Land zu schaffen, wollte Gauck die Bürger dazu verführen, ihr Land einfach besser zu finden. Die Kombination aus Freiheitsrhetorik und der Mahnung zu Verantwortung macht mich jedenfalls misstrauisch, zumal Verantwortung nicht selten das Schlagwort derer ist, die sich der Verantwortung entziehen wollen — speziell auch, wenn es um das Thema soziale Gerechtigkeit geht.

Sicher war Gauck gegen Mauer und Stasiknast und insofern für die Freiheit; aber auch die Freiheit der Märkte lag ihm, mehr als für den sozialen Frieden im Land gut war, am Herzen.

Der Altpräsident also war eindeutig ein Vertreter der „Freiheit zu“. Man solle das Geschenk, das der beglückten Menge durch die Umsicht von Politikern zuteil geworden war, auch ordentlich nutzen und sich für die Gemeinschaft einsetzen. Ich will gar nicht behaupten, dass dies eine falsche Ideologie sei. Auch ich finde es gut, wenn sich jemand in seinem Beruf und im Ehrenamt für konstruktive Zwecke einsetzt, sich um die Schwachen in seiner Familie kümmert und — im allermindesten Fall — niemandem schadet. Nur: Durch das Gerede von einer „Freiheit zu“ kann die Freiheit auch kaputtrelativiert werden. Sobald sich für die Menschen ein Freiraum auftut — sei es durch Arbeitspausen, durch angemessene finanzielle Mittel oder durch das Erlangen von mehr emotionaler Freiheit —, steht fast immer jemand bereit, der diese Freiheit in die von ihm gewünschten Bahnen lenken will.

Sehr gern wird „gewährte“ Freiheit auch immer mit dem Hinweis auf sie einschränkende Pflichten und Grenzen garniert. Speziell wenn Mächtige solche Ermahnungen aussprechen, kann man die Absicht spüren, der Freiheit schon von Anfang an die Färbung der Unterdrückung und Selbstunterdrückung zu geben. Freiheit als „Hohlraum“ und Bereich potenziell unbegrenzter Möglichkeiten soll sogleich mit speziellen Inhalten und Zielen gefüllt werden. Und über diese wollen durchaus auch andere bestimmen.

Nehmen wir an, Sie hätten einen Samstag zur freien Verfügung. Dann kann es sein, dass eine Stimme in Ihrem Kopf spricht: „Freiheit — ja, aber nur in Kombination mit Verantwortung“, und schon hängt man eine Stunde mit der lange vernachlässigten Tante am Telefon. Das ökologische Gewissen sagt: „Freiheit — ja, aber Mülltrennung muss sein“, und man sortiert eifrig Flaschen und Metall-Materialien, die man säuberlich im Wertstoffhof entsorgt. „Freiheit — ja, aber man sollte sie sinnvoll nutzen“, und schon ist man dabei, ein Buch zu lesen, dessen Inhalt man auch beruflich brauchen kann. „Freiheit — ja, aber man sollte doch über die politische Aktualität informiert sein, damit man im Gespräch mit Kollegen und Freunden gut mithalten kann“ — also verbringt man Teile des Nachmittags vor diversen politischen YouTube-Videos. „Freiheit — ja, aber dem eigenen Mann sollte man doch mal eine Freude machen“, und schon verbringt man eine gute Stunde mit Plätzchenbacken. Und ein Wochenende, ohne die Mails zu checken, geht auch nicht, sonst findet man am Montagmorgen erdrückende 200 Stück davon im Postfach vor. Und die Steuererklärung ist ja auch überfällig…

Sie verstehen, worauf ich hinauswill. Ein freier Tag kann auf diese Weise unversehens zu einer dicht mit Pflichten und Inhalten gefüllten Folge von kleinen „verantwortungsvollen“ Tätigkeiten werden. Die „Freiheit zu“ kann so lange bis zum Exzess betrieben werden, bis sie gar keine Freiheit mehr ist. Unser Leben ist, wenn wir es genauer analysieren, zum großen Teil determiniert von allerlei äußeren und inneren Zwängen. Nicht an allen davon sind „Machthaber“ schuld. Aber schon das Menschenbild, das uns zu idealerweise immer unermüdlich Tätigen und Dienenden erklären will, kann durch über Jahrzehnte konsumierte Herrschaftsdiskurse in unserem Unterbewusstsein verankert worden sein. Auch ohne dass äußerlich „Befehle“ ausgesprochen worden wären, sind wir auf diese Weise selbst oft unser erbarmungslosester Antreiber.

Mit Blick auf diese Überlegungen und auf mein generell offenbar ausgeprägtes Misstrauen gegenüber dem Zugriff der Macht auf unser Leben werden Sie verstehen, wenn mein hier verwendeter Freiheitsbegriff eher auf eine „Freiheit von“ hinausläuft. Es geht zunächst darum, so weit wie möglich in Ruhe gelassen zu werden von Forderungen, Übergriffen, Propaganda, Zwängen und Nötigung. Es geht nicht zuletzt auch um die Fähigkeit, sich selbst — wenigstens immer wieder für einige Zeit — in Ruhe lassen zu können. Im süddeutschen Sprachraum sagt man auch, „etwas gut sein lassen“: etwas als gut und somit nicht mehr korrekturbedürftig zu betrachten, etwas dabei bewenden lassen. Schafft man es, sich auf dieses Grundgefühl einzulassen, ist das unendlich wohltuend. Es ist, als ob man seinen Blick von dem Schlachtengetümmel in einem hektisch geschnittenen Kriegsfilm plötzlich auf die weiße Wand neben dem Bildschirm richtet und dabei auch noch den Ton ausschaltet. Endlich Ruhe!

Wir merken dann erst, wie Mächte und Medien fast unaufhörlich damit beschäftigt sind, uns aufzuscheuchen, zu zerstreuen, zu ängstigen und anzutreiben — uns im schlimmsten Fall sogar von einem Trauma ins nächste zu jagen. Von der Pandemie in den Krieg. Vom Krieg in den Energienotstand — und von diesem vielleicht in eine erneute Flüchtlingskrise.

Das geschieht auch deshalb, weil sich derart aus ihrer Mitte gebrachte Menschen offenbar als leichter beherrschbar erwiesen haben. Wann immer man uns also die Freiheit schlechtreden will, sollten wir fragen: Wer ist es, der das versucht? Und welche Motive könnten ihn antreiben? Es kann ganz einfach sein, dass der Betreffende uns sein Eigeninteresse als unseres verkaufen will.

Gunnar Kaiser sagte in seinem Video „Sprung ins Ungewisse“ (4) über die Freiheit: „Aktuell nehmen wir Freiheit eher als eine negative Erfahrung wahr. Wir merken erst, was Freiheit ist, wenn wir sie verloren haben. So wie man Licht ohne Dunkelheit nicht erkennen kann oder Gesundheit ohne Krankheit, so kann man sich Freiheit auch nicht ohne Unfreiheit vorstellen. Sie ist zu einem Objekt der Sehnsucht geworden, doch wer gibt uns diese Freiheit?“

Man könnte hier mit Aldous Huxley antworten: „Freiheiten werden nicht gegeben, sie werden genommen“ (5). Keine äußere Macht kann legitimerweise sagen: „Ich gebe dir Freiheit“, ebenso wie dich kein Bürgermeister, keine Ministerpräsidentenkonferenz und kein Papst zum Menschen erklären kann. Unmenschlichkeit kann deinen Menschenstatus jedoch antasten, jedenfalls auf einer körperlichen beziehungsweise gesellschaftlichen Ebene. Werden Menschen- und Bürgerrechte aberkannt und musst du sie dir quasi durch ein bestimmtes, vom Staat vorgegebenes Verhalten „verdienen“, ist dies schon keine auf Menschenrechten beruhende Demokratie mehr. Der Unterschied zwischen Demokratie und Tyrannei ist: In der Demokratie geht es immer darum, was der Bürger will; in der Tyrannei dreht sich alles darum, was er noch darf. Freiheit ist kein vom König oder Kanzler verliehenes Privileg. Sie kann jedoch von Mächten aberkannt oder stark eingeschränkt werden. Dies aber schmälert nicht unser Recht, frei zu sein — nur unsere Möglichkeit, dieses Recht ungehindert in Anspruch zu nehmen.

Warum überhaupt Freiheit? Auch deshalb, weil nur der Freie wirklich zu sich kommen kann, gleich einer Pflanze, die nur dann zu ihrer natürlichen Größe und Schönheit heranwachsen kann, wenn sie von anderen Gewächsen nicht überschattet und vom Menschen nicht nach Gusto zugeschnitten wird.

Im Sinne Immanuel Kants sollte der Mensch „als Zweck, niemals bloß als Mittel gebraucht werden“ (6). In der Vor-Precht’schen-Epoche der Philosophie waren solche Überlegungen noch weithin selbstverständlich. Es ging um Einzigartigkeit, nicht um das Untergehen in der Masse; um Individualität, nicht um eine wie immer geartete dienende Funktion für ein Kollektiv, dessen Werte von seinen „Führern“ definiert werden.

Erich Fromm schreibt in „Die Furcht vor der Freiheit“: „Zur positiven Freiheit gehört auch das Prinzip, dass es keine höhere Macht als dieses einzigartige individuelle Selbst gibt, dass der Mensch Mittelpunkt und Zweck seines Lebens ist und dass das Wachstum und die Realisierung der Individualität des Menschen ein Ziel ist, das niemals irgendwelchen Zwecken untergeordnet werden kann, die angeblich noch wertvoller sind“ (7). Es war einmal … der Liberalismus. Heute werden Freiheit, Gleichheit und Individualität mit einem Achselzucken auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen. Freiheit ist zu einer von Mächtigen hingeworfenen Prämie für vollzogene Unterwerfungsroutinen verkommen.


Am 27. März erscheint der neue Rubikon-Bestseller von Roland Rottenfußer. Hier können Sie das Buch vorbestellen: als Taschenbuch oder E-Book.


Klappentext:

Wenn jetzt nicht etwas Grundlegendes geschieht, dann war’s das mit der Freiheit. Und nicht die Angriffe ihrer Gegner werden ihr den Garaus machen — die Gleichgültigkeit derer, die sie so lange genossen, wird es tun.

Pandemien, Weltkrieg, Klimanotstand: Die Freiheit schwebt in höchster Gefahr. „Freiheitsgesäusel“? „Mehr Diktatur wagen“? Was ist kaputt in den Herzen und Köpfen der vielen, dass sie sich selbst und ihre Freiheit so geringschätzen, ja regelrecht verachten? Warum stimmen sie ihrer eigenen Entrechtung zu und scheinen in ihre Ketten geradezu verliebt?

Roland Rottenfußer zeigt: Wir sind Gefangene unserer Illusionen, Gefangene der Lügen und Strategien der Macht. Doch der Kaiser ist längst nackt, der Zauberer von Oz nur ein größenwahnsinniger Zwerg, der an Hebeln zieht. Erkennen wir, dass unsere Angst grundlos ist, fällt der Bann von uns ab und finden wir zurück in unsere Wahrheit und Kraft:

„Wäre die Freiheit eine Person, eine schöne Göttin — was würde ich ihr sagen? Vor allem eines: Verzeih uns! Verzeih uns diesen erbärmlichen, unwürdigen Verrat. Es wird nie wieder vorkommen. Von nun an werden wir besser für dich kämpfen.“

Rottenfußers Buch ist eine Liebeserklärung an die Freiheit und individuell-kollektive Revolutionsanleitung zugleich. Der Weg liegt vor uns, wir müssen ihn nur noch gehen. Ganz nach der Devise von Bertolt Brecht: „Wenn die Wahrheit zu schwach ist, sich zu verteidigen, muss sie zum Angriff übergehen.“

Pressestimmen zum Buch:

„Von einem, der auszog, die Mächtigen das Fürchten zu lehren.“
Jens Wernicke, Spiegel-Bestsellerautor

„Die Mächtigen sind und bleiben die Feinde der Freiheit. Zur Verteidigung unserer heiligen Rechte müssen wir ihre Strategien kennen, die Lügen entlarven und uns entschlossen selbst ermächtigen.“
Flo Osrainik, Spiegel-Bestsellerautor

„Roland Rottenfußer beleuchtet aus unterschiedlichen Blickwinkeln das komplexe Spannungsverhältnis von Macht und Freiheit, Gehorsam und Ungehorsam. Sein Wissen und seine Gedanken können dabei helfen, die ‚Strategien der Macht‘ zu erkennen und zu durchschauen — und sich jener Ketten, die die Macht uns gerne anlegt, zu entledigen. Möge dieses Buch von möglichst vielen gelesen werden, die die gewonnenen Erkenntnisse auch an andere weitergeben. Denn Wissen ist selbst eine Macht. Und die Macht des Wissens fürchten jene Eliten, die in ihrer Arroganz, Überheblichkeit und Selbstgefälligkeit glauben, sie könnten der Bevölkerung ins Gesicht lügen und sie dauerhaft für dumm verkaufen.“
Marcus Klöckner, Spiegel-Bestsellerautor

„Roland Rottenfußer betreibt Aufklärung im besten Sinne. Ganz im Geiste der Kritischen Theorie erklärt er die Strategien der Machteliten: Wie sie die Menschen zu unmündigen Marionetten konditionieren, wie die Mikrostruktur der Macht in den Alltag eindringt, wie die Erzeugung von Angst vorauseilenden Gehorsam erzwingt. Nebenbei lässt uns der Autor teilhaben an wunderbaren Lektüre-Erlebnissen und gibt viele Anregungen zum Weiterlesen. Allen, die ihre Freiheit gegen die Mächtigen verteidigen wollen, sei dieses Buch wärmstens empfohlen.“
Patrik Baab, Autor und Journalist

Zitate aus dem Buch:

„Die Unfreiheit hat sich so tief in unsere Seelen gefressen, dass manche sie zwar noch als solche wahrnehmen, aber nicht wissen, wie sie sich gegen die Übermacht und Brutalität der Herrschenden zur Wehr setzen können. In Zeiten, in denen das Gleichgewicht derart zu Ungunsten der Freiheit verschoben ist, halte ich es für dringend geboten, ein Buch über die Freiheit zu schreiben. Wie oft muss die Freiheit eigentlich noch in den Staub getreten werden, bevor wir nicht nur defensiv und halbherzig, sondern leidenschaftlich ihre Partei ergreifen? Wie viele Färbungen ideologischer Art, wie viele Gesichter und Masken muss Unfreiheit noch annehmen, bevor wir begreifen, dass Despotismus verachtenswert ist und dass Staatlichkeit — ja jegliche Art von Macht und Autorität — unserer wachsamen Kontrolle bedarf?“

„Wir bewohnen einen Planeten der Unterwerfer und der Unterworfenen, der Brechenden und der Gebrochenen, der Versklavenden und der Versklavten. Kollektives Charaktermerkmal unserer Spezies scheint ein fundamentaler Mangel an Respekt vor dem freien Willen des Einzelnen zu sein, eine Neigung, die Herrschaft einer Minderheit über die Mehrheit mit äußerster Brutalität wieder und wieder zu erzwingen und diese den Unterworfenen mittels Propaganda als die einzig mögliche und wünschenswerte Gesellschaftsform zu verkaufen.“

„Die Tyrannei, die wir lange wie ein fernes Märchen aus sicherem Abstand bestaunt haben, die wir zu ‚bekämpfen‘ meinten, als dies noch völlig gefahrlos war — viele von uns erkennen sie nicht mehr, jetzt, da sie direkt vor uns steht. Die Menschen unserer Generation sind ihren Ahnen nie näher gewesen als in ihrer derzeitigen Verblendung, in diesem wie gelähmten und lähmenden Akt der Unterwerfung. Der sicherste Weg, eine Bewährungsprobe nicht zu bestehen, ist, zu leugnen, dass es sie gibt.“

„Wenn fast jeder sich von der Freiheit abwendet, müssen eben wir ihr Halt und Zuflucht sein. Denn fast alle treten auf in ihrem Namen, doch fast niemand tritt wirklich für sie ein.“

„Der einzige Weg, um sich in einem autoritären Staat wohlzufühlen, ist nun mal, sich dem Regime anzuschließen, zu seinem Mitläufer oder Büttel zu werden, den Zwingherrn anzuhimmeln und dessen Weltsicht mit Copy & Paste in den eigenen Kopf zu verpflanzen.“

„Die Mächtigen, quasi von Amts wegen Freiheitsskeptiker, kreieren zusammen mit den Freiheitsflüchtlingen eine neue Realität. Eine Gesellschaft, in der der Mensch nur noch als Schrumpfform seiner früheren Größe vorkommt. Als der homo obediens, der gehorsame Mensch.“

„Macht hat in der Vergangenheit unglaubliche Verwüstung angerichtet und wird doch nur sehr selten grundlegend infrage gestellt. Angegriffen wird stets nur dieser oder jener Mächtige, niemals aber die Macht selbst.“

„Machtausübung in ihrer ungesunden Erscheinungsform beruht auf der Befriedigung, die der Mächtige dabei verspürt, über Unterworfene zu verfügen. Wo sich diese Freude abnutzt, wie es beim Umgang mit anderen Suchtstoffen zu beobachten ist, braucht es mehr Macht. Am Ende hält jemand nur deshalb noch an der Macht fest, weil ihr Entzug schmerzt, und nicht mehr, weil ihr Besitz große Freude bereiten würde.“

„Destruktive Macht ist stets bestrebt, den Bewegungsspielraum anderer einzuengen, und fordert symbolische Unterwerfungsgesten ein. Macht will sich stets ihrer selbst gewiss sein. Es verunsichert sie, dass die Gedanken der Unterworfenen eine ›Blackbox‹ sind, für sie also nicht in vollem Umfang einsehbar. Die volle Kontrolle ist auf diese Weise schwer zu erlangen, daher inszenieren Machthaber dauernd ‚Machtproben‘. Diese dienen ihnen als Gradmesser dafür, ob sie ‚es‘ noch im Griff haben. Zugleich besteht die Machtstrategie darin, die Menschen im Sinne eines automatisierten Regelgehorsams zu erziehen.“

„Wo Macht ist, richtet sich das Denken der Mehrheit nach ihr aus wie Eisenspäne nach einem Magneten. Sobald Regierende etwas öffentlich als Wahrheit hinstellen, beginnt es in den Gehirnen von Millionen ihrer Untertanen zu arbeiten, mit dem einzigen Ziel, den eigenen Willen mit dem des Herrschers in Übereinstimmung zu bringen, seine große Erzählung zu der ihren zu machen. Einzig eine wirkungsvolle, fast gleichstarke Oppositionsbewegung kann den Prozess vielleicht aufhalten. Fehlt diese, wie sie beispielsweise in der Corona-Situation fehlte, nehmen die veröffentlichte Meinung, nehmen Philosophie und Literatur, nimmt auch das Denken der meisten Einzelmenschen die Färbung der Macht an.“

„Destruktive Macht maskiert sich selbst durch Scheinbegründungen — eine dringend zu übernehmende Verantwortung, objektive sachliche Notwendigkeit, Geringwertigkeit der Unterworfenen und Höherwertigkeit der eigenen Person. So erschafft sie ihre eigenen Rechtfertigungsnarrative. Im Grunde ist Arroganz, ja Verachtung für den Bürger Grundvoraussetzung für die rigideren Formen der Herrschaft.“

„Zwinge ein ganzes Land dazu, etwas eigentlich Lächerliches und Entwürdigendes zu tun, und du wirst zweierlei erreichen: ungläubiges Staunen darüber, dass niemand von ›den anderen‹ sich dieser Zumutung verweigert und eine Art Willenslähmung, die bewirkt, dass fast jeder mitspielt. Jeder Einzelne wird somit selbst zum Teil einer Konformitätskulisse, von der sich alle anderen entmutigt fühlen. Die schiere Masse der Mitläufer lässt den Dissidenten mit der Zeit an seinem Verstand zweifeln.“

„Wir nehmen normalerweise an, dass mit eskalierender Brutalität staatlicher Repressionsmaßnahmen auch der Widerstand wachsen würde, so dass Tat und Reaktion einander immer ungefähr entsprechen und eine Gegenwehr provoziert wird, die dem schädlichen Verhalten der Staatsmacht dann ein Ende setzt. In Wahrheit ist es wohl eher so, dass mit wachsender Härte des Angreifers die Neigung des Opfers wächst, sich aus Angst anzupassen. Es schwingt seinen Geist dann auf die Vorgaben des Täters ein und ersinnt selbst Narrative, die dessen Taten einen positiven Sinn anzudichten.“

„Niemanden hasst der Unterdrückte und im Prozess der Anpassung sich selbst Unterdrückende mehr als diejenigen, die sein Verhalten einem Vergleich aussetzen, dem er nicht standhalten kann. Feigheit wird erst dann in vollem Umfang als solche erkennbar, wenn sie mit dem Mut als Gegenbild konfrontiert ist.“

„Wir merken dann erst, wie Mächte und Medien fast unaufhörlich damit beschäftigt sind, uns aufzuscheuchen, zu zerstreuen, zu ängstigen und anzutreiben — uns im schlimmsten Fall sogar von einem Trauma ins nächste zu jagen. Von der Pandemie in den Krieg. Vom Krieg in den Energienotstand — und von diesem vielleicht in eine erneute Flüchtlingskrise. Dies geschieht auch deshalb, weil sich derart aus ihrer Mitte gebrachte Menschen offenbar als leichter beherrschbar erwiesen haben. Wann immer man uns also die Freiheit schlechtreden will, sollten wir fragen: Wer ist es, der das versucht? Und welche Motive könnten ihn antreiben? Es kann ganz einfach sein, dass der Betreffende uns sein Eigeninteresse als unseres verkaufen will.“

„Ist Freiheit also überhaupt etwas anderes als ein schön klingender Deckname des Todes in Zeiten, in denen jede Lockerung, die der fürsorgliche Staat seinen Mündeln ‚gewährt‘, für etliche den Tod bedeuten kann? Auf den Punkt gebracht: Wenn Freiheit tötet und Diktatur Leben rettet, müssten sich nicht alle Menschen, die nur einen Funken Mitgefühl in sich tragen, der Diktatur willig hingeben wie eine zur Hochzeit geschmückte Braut ihrem Bräutigam? Und selbst wenn einige unverbesserliche Freiheitsschwurbler noch dagegenreden: Wenn die Mehrheit sich für die Diktatur entschieden hat, ist dann ein aufrechter Demokrat nicht verpflichtet, sich diesem Mehrheitsvotum zu beugen?“

„Gewiss ist Freiheit nicht ‚alles‘ — wenn wir uns aber nicht schleunigst auf ihre schönen Seiten besinnen und ihre Verächter nicht in ihre Schranken weisen, dann wird es so kommen, dass wir ohne sie leben müssen — nicht für immer vielleicht, aber für sehr lange. Es gilt also, in allen Zweifelsfällen die Interessen der Freiheit zu berücksichtigen und zu überlegen, wie diese auch unter schwierigen Bedingungen so weit wie irgend möglich bewahrt und ausgeweitet werden können.“

„Bei Corona will uns die Politik den Genuss der Grundrechte — früher eine pure Selbstverständlichkeit — als wohl dosierte Prämie für Wohlverhalten auszahlen. Erst raubt man dem Menschen ihre Freiheiten, dann werden sie den Fügsameren unter ihnen hingeworfen wie ein Hundekuchen, als Belohnung nach einem erfolgreich absolvierten Dressurakt.“

„Freiheit und Herrschaft stehen stets in einem Spannungsfeld. Kein despotisches System war jemals für immer am Ruder. Keine Gedankenkontrolle war je so perfekt und flächendeckend, dass sich nicht hie und da Widerstand geregt hätte. Wird die Macht zu bedrängend, kann es sein, dass das Pendel in die Gegenrichtung ausschlägt. Darauf können wir in der derzeitigen Stimmungslage hoffen. Jedoch wäre auch eine frisch errungene Freiheit nie sicher — auch nicht jene, die wir in unserer Vorstellung mit der vollständigen Aufhebung aller ‚Corona-Maßnahmen‘ verbinden.“

„Der Wind dreht sich als Ergebnis vieler kleiner ‚Drehungen‘, die im Inneren unserer Mitmenschen stattfinden, wenn Ihnen plötzlich bewusst wird, was ‚die‘ die ganze Zeit mit uns gemacht haben. Wenn sich plötzlich der große Zorn aus dem Gefängnis wägender Vernunft und antrainierter Konformität befreit und wir ungläubig vor unserer eigenen bisherigen Duldsamkeit dastehen.“

„Hören wir doch spätestens jetzt auf mit diesem furchtbaren und sinnlosen Drang, uns ‚beliebt machen‘ zu wollen. So großartig sind die meisten unserer Zeitgenossen nicht, dass wir uns für ein halbherziges Mitschwimmen in ihrer warmen Konsenssuppe selbst aufgeben müssten.“

„Wir erkennen anhand der Corona-Hysterie deutlich, wie schädlich es ist, den Tod mehr zu fürchten, als dies für ein lebendes und sein Leben liebendes Wesen normal und gesund ist. Den Tod ganz unbedingt ausklammern, ihn um buchstäblich jeden Preis — etwa um den Preis der Würde und Freiheit aller — ausklammern zu wollen, führt zu jener angstgetriebenen Verleugnung des Lebens, deren Zeuge wir derzeit sind.“

„Die jetzige Menschheit muss sich entscheiden zwischen einer Epoche des verschärften Despotismus und einer neuen Ära der Freiheit. Wenn ein bestimmtes Prinzip — in diesem Fall Sicherheits-Autoritarismus — überreizt wird, kann sich im historischen Prozess eine Gegenkraft formieren. Die jetzt gemachten leidvollen Erfahrungen könnten wieder ein gesteigertes Bedürfnis nach Selbstbestimmung wachrufen. Ich sehe sogar ein ‚Gelegenheitsfenster‘ für eine starke Freiheitsbewegung, sofern wir uns nicht einreden lassen, dies sei im Angesicht des Kriegsgeschehens hinfällig geworden.“

„An der Schwelle zu einem neuen globalen Zeitalter des Despotismus müssen wir uns jetzt entscheiden: Wollen wir eine weitestgehende Absicherung gegen das Sterberisiko um den Preis, ein eigentlich lebloses Leben zu führen? Wie wir wählen, ist auch eine Frage des Mutes. Denn Freiheit und Lebendigkeit gibt es nie ganz ohne Risiko — wie alles, was wirklich von Wert ist.“

„Leben heißt, mit verschiedenartigen Bedrohungen zu leben. Es heißt, sich dennoch das Glück und die Leichtigkeit, die als Potenzial ebenfalls in unserem Wesen angelegt sind, immer neu voll Tapferkeit und Zuversicht zu erobern.“

„Womit wir es im 21. Jahrhundert zu tun haben, ist das säkularisierte Gottesgnadentum einer kleinen globalen Machtelite aus Großkonzernen, Großbanken und Finanzgesellschaften — in jüngster Zeit vor allem IT- und Pharma-Giganten: Der Gott des Mammonismus schwingt das Zepter. Wenige Menschen ohne jede demokratische Legitimation bestimmen über die Schicksale von Milliarden Menschen — letztlich nur deshalb, weil sie es so wollen und weil sie die institutionelle Gewalt in ihren Händen halten, uns zur Annahme des eigentlich Unannehmbaren zu zwingen.“

„Die Macht nimmt der Bürger des frühen 21. Jahrhunderts als gegeben hin — die Freiheit muss man ihm erst erklären. Durch die Herrschaftsdiskurse, die fast den gesamten öffentlichen Raum besetzen, konnte die Freiheit als Wert in die Defensive gedrängt werden. Zwar wissen die Menschen noch ungefähr, was darunter zu verstehen ist und wie sie sich anfühlt — doch zeugt der mangelnde Nachdruck, mit dem zunehmend entrechtete Staatsbürger für ihre Freiheiten eintreten, von einem verbreiteten Freiheits-Analphabetismus.“

„Der Unterschied zwischen Demokratie und Tyrannei ist: In der Demokratie geht es immer darum, was der Bürger will; in der Tyrannei dreht sich alles darum, was er ‚noch darf‘.“

„Ich bin skeptisch gegenüber jeder Art von Machtausübung — diese muss ihre Notwendigkeit und die Mittel, die sie anwendet, gut begründen können. Und ich verabscheue Machtmissbrauch — jede Art von Diktatur und Despotismus im Kleinen und im Großen. Ein Verrat allerdings, der weniger dem Einzelnen anzulasten ist als jenen Mächten, die ihn verführt und manipuliert oder gar gezwungen haben, das Freiheitsfeuer in sich zu ersticken. Es ist wichtig, dass in möglichst vielen Menschen die Sehnsucht nach Freiheit wiederauflebt. Denn wenn sie fehlt, sind wohl noch so viele Worte und ausgeklügelte Argumente gegen den Machtmissbrauch vergebens. Wenn wir uns auf einen weiten und anstrengenden Weg machen wollen, können zweierlei Motive uns den Mut dazu verleihen: Entweder ist der Ort, von dem wir aufbrechen, so fürchterlich, dass es uns wegtreibt, oder unser Ziel ist so verlockend, dass wir alles tun, um es zu erreichen, selbst wenn wir es zu Hause nicht einmal besonders schlecht haben.“

„Legitime Freiheit kann nicht die Freiheit der Mächtigen beinhalten, Schwächeren ihren Willen aufzuzwingen, ihnen somit ihre Freiheit zu nehmen. Das gilt nicht nur für politische, sondern auch für wirtschaftliche Macht.“

„Bürger anständig zu behandeln, die ohnehin tun, was die Mächtigen von ihnen verlangen, ist keine Kunst. Die Nagelprobe für eine Demokratie — will sie sich von einer Diktatur unterscheiden — ist jedoch stets die Art und Weise, wie sie mit Widerspruch umgeht, mit Ungehorsam.“


Quellen und Anmerkungen:

(1) https://www.zdf.de/nachrichten/politik/corona-politik-aerzte-kritik-montgomery-johna-100.html
(2) Albert Camus: Caligula, in: Sämtliche Dramen, Rowohlt, Hamburg 2014
(3) https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/joachim-gauck-freiheit-heisst-verantwortung/6205884.html
(4) https://www.youtube.com/watch?v=f4WfDY9Gals&t=295s
(5) Quelle: https://beruhmte-zitate.de
(6) https://de.wikipedia.org/wiki/Kategorischer_Imperativ
(7) Erich Fromm: Die Furcht vor der Freiheit, dtv, München 2012


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