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Die Tatsachen-Verdreher

Die Tatsachen-Verdreher

Der Literatur-Nobelpreisträger Peter Handke wird gebasht, weil er das herrschende Narrativ zu Serbien infrage stellt.

Im US-amerikanischen Online-Magazin The Intercept behauptet Peter Maass, ich hätte eine Verschwörungstheorie über den Bosnien-Krieg verbreitet. Diese Anschuldigung ist nicht zutreffend.

In den letzten Wochen vor Maass’ Artikel hatte ich regen E-Mail-Austausch mit ihm. Da er kein Deutsch spricht — was in diesem Kontext eine wichtige Information ist —, hat er mir mehrere Fragen geschickt und mich gebeten, meine akademische Forschung für ihn auf Englisch zusammenzufassen, da es davon keine englische Übersetzung gibt. Ich habe ihm insgesamt elf Seiten an Argumenten auf Englisch zugeschickt sowie Dutzende Quellen, die meine Forschung stützen.

Darüber hinaus habe ich ihm eine digitale Kopie meines Buches „Peter Handke und Gerechtigkeit für Serbien. Eine Rezeptionsanalyse" geschickt, damit er sie grob online übersetzen konnte. Das könnte zu weiteren Missverständnissen aufgrund der Computer-Übersetzung beigetragen haben. Von meinem Angebot, dass ich die automatisch übersetzten Passagen nochmals auf ihre Richtigkeit hin gegenlese, hat Herr Maass jedoch keinen Gebrauch gemacht.

Entsprechend konsterniert war ich, als ich gelesen habe, was Herr Maas letzten Endes aus all den Informationen gemacht hat, die ich ihm geschickt hatte.

Zuallererst gilt es zu erwähnen, dass der Aspekt meines Buches, der sich mit der Arbeit der US-amerikanischen PR-Agentur Ruder Finn beschäftigt, nur einen kleinen Teil des Buches ausmacht und nicht essentiell für meine Schlussfolgerungen zur Debatte um Peter Handkes „Gerechtigkeit für Serbien“ war, sondern nur als kontextuelle Erweiterung diente. Mein Kernthema war die Rezeption des umstrittenen Reiseberichts „Gerechtigkeit für Serbien“ in den Zeitungen des deutschen Sprachraums. Aus diesem Grund lautet der Untertitel meines Buches auch „Eine Rezeptionsgeschichte“.

Herr Maass hat hingegen einen nebensächlichen Aspekt meiner Forschung aus dem Kontext des Buches gerissen und in den Mittelpunkt seines Artikels gerückt, wobei er das Kernthema und die Forschungsthesen, die ich für ihn auf Englisch zusammengefasst hatte, ignoriert hat. Aus diesem Grund repräsentiert sein Artikel meine Arbeit mitnichten. Meine akademische Forschung, die von Professoren in Österreich und Deutschland einem Peer-Review unterzogen wurde, findet keinen Niederschlag.

Ebenso wenig werden die Hauptargumente der deutschsprachigen Handke-Debatte, die ich nun seit fast 20 Jahren analysiert habe, dargelegt. Auch die Besonderheiten der Jugoslawien-Debatte in Deutschland und Österreich kommen nicht vor. Dabei wären es gerade diese gewesen, über die zu sprechen sich lohnen würde, weil die deutsche Vergangenheit den Grund dafür geliefert hat, weshalb die Auschwitz-Vergleiche in der Berichterstattung über serbische Lager im Bosnien-Krieg umstritten waren — denn jeder Vergleich mit dem Holocaust kann als Relativierung desselben betrachtet werden, was in Österreich und Deutschland auch juristische Folgen haben kann. Und gerade dieses Argument wäre für die internationale Debatte besonders erhellend gewesen.

In meinem Buch „Peter Handke und Gerechtigkeit für Serbien” habe ich mich auf die Begriffe und Narrative der deutschsprachigen Handke-Debatte konzentriert. Ich habe versucht, die Wurzeln dieser spezifischen Begrifflichkeit zu eruieren, zu beurteilen, ob die verwendeten Narrative ausgewogen und fair waren und ob die Anschuldigungen gegen Handke begründet waren.

Doch diesen Zugang der geschichtlich kontextualisierten Sprachkritik hat Herr Maass völlig ignoriert. Deshalb hat er, abgesehen von einer ganz kurzen Erwähnung, auch meinen historiographischen Ansatz übersehen. Als Zugang zur Darstellung der Kriege im ehemaligen Jugoslawien habe ich nämlich das Konzept von Narrativ und Gegennarrativ gewählt. Herr Maass vertritt dagegen eine Sichtweise innerhalb der Meistererzählung über die jugoslawische Zeitgeschichte. Gerade die Geschichtsforschung trägt jedoch grundsätzlich dazu bei, Meistererzählungen auf der Basis von Fakten aufzubrechen.

Dieser Wissenschaftszugang scheint Herrn Maass leider völlig unbekannt zu sein. Dabei könnte gerade das Konzept von Narrativ und Gegennarrativ sine ira et studio — ohne Zorn und Eifer — dazu beitragen, die Handke-Debatte besser zu verstehen. Denn die Methodik des Historikers basiert explizit auf der Unterscheidung zwischen Quelle und Darstellung, zwischen Fakten und Interpretationen und zwischen wissenschaftlichen Thesen und Verschwörungstheorien.

Maass’ Artikel hingegen zeigt, dass er selbst „mit einer gewissen Besessenheit“ (Süddeutsche Zeitung) und alles andere als distanziert und sachlich an der Handke-Thematik arbeitet. Das wird bereits im Titel klar: „Peter Handke Won the Nobel Prize After Two Jurors Fell for a Conspiracy Theory About the Bosnia War” (Peter Handke hat den Nobelpreis gewonnen, nachdem zwei Juroren auf eine Verschwörungstheorie über den Bosnien-Krieg hereingefallen sind).

Angesichts dessen, dass weder Eric M. Runesson — er ist als Jurist Mitglied der Akademie — noch Henrik Petersen — er fungierte als externer Berater — „Juroren“ des Nobelpreis-Komitees für Literatur 2019 sind, ist es ziemlich unplausibel anzunehmen, dass diese zwei Individuen Handke eigenhändig zum Nobelpreisträger gemacht hätten. Zu glauben, dass alle Argumente für die Vergabe des Preises an Peter Handke nicht auf dessen überwältigendem Œuvre von über 100 literarischen Arbeiten, Romanen, Theaterstücken, Erzählungen, Gedichten, Übersetzungen, Drehbüchern et cetera beruhten, ergänzt um die Expertise einer Vielzahl an germanistischen Arbeiten weltweit, sondern auf zwei Büchern zweier unbedeutender Autoren basierten, die zudem nur über einen Teilaspekt von Handkes Schaffen geschrieben haben, kann durchaus als Verschwörungstheorie bezeichnet werden.

Dazu passt, dass Herr Maass keine der Quellen genutzt hat, die ich ihm geschickt hatte, obwohl ich ihn auf ein Dutzend Bücher und zahlreiche Artikel von deutschen, österreichischen und Schweizer Universitätsprofessoren der Medienwissenschaft, der Politikwissenschaft und der Geschichtswissenschaft hingewiesen hatte. Diese Bücher und Artikel sind aus verschiedenen Perspektiven über Medien, Berichterstattung, Krieg, Literatur und Geschichte Jugoslawiens geschrieben und stützen meine Forschungen, einschließlich der Tatsache, dass PR-Agenturen wie die erwähnte Ruder Finn in die Debatte über den Bosnien-Krieg involviert waren.

Für Letzteres empfiehlt sich die Lektüre der Arbeiten von Politikwissenschaftsprofessor Jörg Becker, aber auch anderer. Maass behauptet, von Ruder Finn erst durch meine Arbeit erfahren zu haben. Das ist sehr verwunderlich für jemanden, der während des Bosnien-Krieges aus Jugoslawien berichtet hatte — denn die erste Erwähnung von Ruder Finn stammt vom 21. August 1992 im Independent

Dass manche Medien die Anschuldigungen, ich würde Verschwörungstheorien verbreiten, ohne Überprüfung übernommen haben, hat nichts mit gutem journalistischen Handwerk zu tun.

Das Schreiben an The Intercept / Letter to The Intercept

To the editors of The Intercept,

In his article of 14th November 2019, “Peter Handke won the Nobel Prize after two jurors fell for a conspiracy theory about the Bosnia war”, Peter Maass claims that my book “Peter Handke und Gerechtigkeit für Serbien. Eine Rezeptionsanalyse” was based on a conspiracy theory about the Bosnian war. These allegations are utterly false and damaging the reputation of The Intercept.

In the last weeks prior to Mr. Maass’ article, I exchanged several e-mails with him. Mr. Maass, who does not speak German (which might be crucial information in this context), approached me for some questions he had and asked me to summarize my academic research in English, as no English translation exists. Given the fact that this request came from a trusted magazine like The Intercept, I assumed Mr. Maass was interested in a debate based on facts. Thus, I responded to him.

I sent him two English papers of 2.300 and 3.400 words in which I summarized my research and listed many sources of German-speaking professors of universities. Furthermore, I sent him a digital copy of my book he wanted to translate online. The computer translations might have created some misunderstandings; however, Mr. Maass did not come back to me with the translated parts even though I had offered to proofread it for him.

It was with great consternation that I learnt what Mr. Maass had made of all the information I had provided him.

First and foremost the aspect of the work of PR-agency Ruder Finn is only a small part of my book and does not contribute crucially to my findings. My main topic is the reception Handke's “Gerechtigkeit für Serbien” had received in the German-speaking newspapers. This is why the subtitle of my book is “Eine Rezeptionsgeschichte” — a reception history. Second, in my book I have only referred to research about Ruder Finn, entirely backed by well-known scientists. Mr. Maass has only considered a small chapter of two and a half pages of my book consisting of 212 pages. Furthermore, he does not understand German. Still, he insists my book had “a confident tone”.

Mr. Maass has focused only on a minor detail of my research, ignoring the main topic and assumptions I have tried to summarize for him. However even within this detail his assumptions are false. Because while he claims of having heard about Ruder Finn for the first time through my book, the topic is documented in a number of academic studies. Ruder Finn has been mentioned for the first time in 1992 by the Independent (1), so not knowing anything about it is quite surprising for a Balkan expert like Mr. Maas.

My book has been peer-reviewed and approved by professors in Austria and Germany. In addition to it, I have published articles about Peter Handke and Yugoslavia in various scientific journals after they went through a double-blind-peer-review. That is one of the highest scientific standards worldwide. Moreover, my findings are backed by numerous sources and scientific books of German, Austrian and Swiss professors. To question academic work like this means to question the way universities all over the world do their research. Ignoring scientific proof is a disdain of the scientific methods to gain information, on which our liberal societies are built.

Allegations like the ones Mr. Maass made have never occurred to me before. Many books, among them “Operation Balkan. Das Geschäft mit Krieg und Tod” of Mira Beham and German professor for political science Jörg Becker, back my findings. Beham and Becker have analyzed the documents of the Foreign Agents Registration Act (FARA) at the United States Department of Justice. The book was published at the prestigious scientific publisher Nomos Verlagsgesellschaft in Baden-Baden and got positive reviews by German leading media such as Frankfurter Allgemeine Zeitung, Deutschlandfunk or taz (2).

Mr. Maass’ article does neither comply with the journalistic standards in general nor with those of The Intercept in particular (“in-depth investigations and unflinching analysis”) (3). To ignore any scientific research which does not fit in one’s prejudice can hardly be called “unflinching analysis”. And to what extent getting a digital copy of one’s book and eleven pages of summary plus several e-mails in bona fede can be called “in-depth investigation” I leave to your judgement.

Mr. Maass’ article does not focus on the truth but instead constructs a dubious theory. His previous articles about this topic clearly show that he did not aim at me — I am not important enough for that — but at the Nobel Prize Committee instead. By damaging my scientific reputation he tries to undermine the Committee’s decision to award the disputed Austrian author Peter Handke. But while one can have a different opinion on whether Handke was the right choice or not, there can be no doubt that a scientific thesis is not a conspiracy theory.

Instead, Mr. Maass himself is insinuating more than arguing with facts. Despite the fact that neither Eric M. Runesson nor Henrik Petersen are actual members or “jurors” of the Nobel Committee for Literature 2019 (Runesson is a member of the Academy, Petersen is an external specialist), it is quite implausible to argue two individuals could single-handedly be responsible for giving Handke the Nobel Prize. To believe that this decision relied on two books of two unknown authors about a small part of Handkes work and was not based on Handkes overwhelming oeuvre (over 100 belletristic pieces, books, plays, poems etc.) and the work of academic research all over the world, could be considered a conspiracy theory in its own right.

On behalf of your journalistic standards I therefore ask you to publish this letter in the full as my reply to the unjustified accusations. By doing so, you will leave the judgement to the readers.

Regards, Dr. Kurt Gritsch


Quellen und Anmerkungen/Footnotes:

(1) Tom O’Sullivan, Truth is the first casualty in PR offensive, in: The Independent, 21st August 1992, https://www.independent.co.uk/news/world/europe/truth-is-the-first-casualty-in-pr-offensive-1541548.html, 22.11.2019.
(2) Andreas Platthaus, Die gekaufte Propaganda, in: FAZ, 5.3.2007, https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/die-gekaufte-propaganda-1413070.html, 22.11.2019; DLF, Krieg und PR, in: Deutschlandfunk, 18.6.2007, https://www.deutschlandfunk.de/krieg-und-pr.730.de.html?dram:article_id=102879, 22.11.2019; Gabriele Goettle, Schlechte Nachrichten. Ein Gespräch mit dem Soziologen Jörg Becker über Medienmanipulation, in: taz, 28.7.2014, https://taz.de/!318926/, 22.11.2019.
(3) About the Intercept, https://theintercept.com/about/, 22.11.2019.


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