Die große Berlin-Demonstration am 1. August 2021 hat erneut Tausende Menschen auf die Straße gebracht, um gegen die Coronapolitik zu protestieren. Es war ein durchaus gelungenes Jubiläum — vielleicht gerade deswegen, weil die Polizei die geplante Kundgebung dieses Mal von vornherein verboten hatte —, denn die Menschen ließen sich nicht entmutigen und veranstalteten den ganzen Tag über kleine Aufzüge, mit denen die Beamten nur schwer zurechtkamen.
Als das Event genau ein Jahr zuvor stattfand, löste es eine gewisse Euphorie aus. Die Menschenmasse machte sichtbar, wie groß die Ablehnung der Coronapolitik tatsächlich war. Selbst in der Kultur regte sich Widerstand, wie der Auftritt des hessischen Rappers SchwrzVyce deutlich machte. Bevor die Polizei die Veranstaltung beendete, schaffte er es noch auf die Bühne und heizte der Menge mit seinem Song „Fake News Media“ ordentlich ein.
Seinerzeit schrieb ich den ersten Artikel über kritische Künstler, um das anfängliche Aufbäumen in der Kulturbranche abzubilden. Es war spürbar, dass sich da etwas tat. Vor SchwrzVyce hatte bereits Singer-Songwriter Nikolai Freimann mit seinem „Lied zum Widerstand“ für Furore gesorgt. Zur ungefähr gleichen Zeit erschien Alpa Guns Song „Was ist die Wahrheit?“, der sich mit den sich teilweise widersprechenden Pandemie-Narrativen beschäftigte.
Ein Jahr später stellt sich die Frage, was seitdem in der Kulturbranche passiert ist. Die Antwortet lautet: jede Menge.
Natürlich, die ganz großen Namen halten sich mit Kritik noch immer zurück. Bis auf einige Ausnahmen wie Xavier Naidoo, Nena oder die Schauspieler der #allesdichtmachen-Initiative halten die meisten kleinlaut still, um ja nicht den Eindruck zu erwecken, sie stünden auf der falschen Seite.
So sehr diese Stars eine Enttäuschung sind und bleiben, so erfreulich ist es, dass immer mehr Newcomer gegen die Ungerechtigkeit der Coronapolitik aufbegehren und diese Haltung in ihren Werken zum Ausdruck bringen. Sie kommen aus den verschiedensten Kulturbereichen, unterscheiden sich in ihrem Auftritt und greifen zu diversen Stilmitteln. Mal üben sie lautstark Kritik, mal entwickeln sie Visionen, wie die Krise produktiv genutzt werden kann.
Doch eines bringt diese Künstler zusammen: Sie alle setzen sich mit der gegenwärtigen Situation auseinander.
Musikalische Auseinandersetzung mit der Coronakrise
Die meisten Beiträge sind noch immer in der Musik zu verzeichnen. Als einer der ersten hatte sich der Rapper Kompass MC zu Wort gemeldet. Sein Song „Alles hier für uns“ streift Themen wie Impfung, Korruption und Fremdbestimmung, verfolgt aber auch das Ziel, den Menschen in der Protestbewegung Kraft zu geben. Zu hören war er vergangenes Jahr am Vorabend der nächsten großen Berlin-Demonstration vom 29. August. Wenige Monate später legte der Dortmunder Sprechgesangskünstler zusammen mit seinem Kollegen Qdenka einen weiteren Hit vor, der sich auf das neue Infektionsschutzgesetz bezog und eine deutliche Kritik an den Verantwortlichen enthielt.
In ähnlicher Weise engagiert zeigen sich seit einem Jahr die Rapper Pascito, Csaba von LabaJunx oder Lapaz. Letzterer beklagt in seinen Songs die gesellschaftliche Kälte, kritisiert aber auch die mediale Desinformation und den Verlust der Meinungsfreiheit. Einige dieser Tracks entstanden in Kooperation mit anderen Künstlern, zu denen unter anderem der Berliner Bustek gehört. In ihrem gemeinsamen Stück „Wo seid ihr?“ wenden sie sich an die etablierten Rapper, die sich angesichts der Willkürmaßnahmen in der Coronakrise endlich zu Wort melden sollen. An diese großen Stars der Hip-Hop-Szene richtet auch Phizzo seinen Appell. Sein Song „Reise nach Jerusalem“ spielt metaphorisch darauf an, dass die etablierten Künstler sich selbst schaden, wenn sie dabei zusehen, wie mit den Coronamaßnahmen die Kulturbranche zerstört wird.
Kritik an den Musikstars kam auch aus dem Pop, wo der Düsseldorfer Alex Olivari zu den produktivsten Vertretern zählt. In „Helden unserer Jugend“ thematisiert er das Versagen jener Künstler der 68er-Generation, die sich früher gerne als Systemkritiker inszenierten und viel von Freiheit sangen, aber in der gegenwärtigen Krise mit ihrem Schweigen verraten, dass es bloß leere Worte waren. Olivari ist keiner, der die Konfrontation scheut. Er nennt die Dinge beim Namen und möchte mit seinen Songs ermutigen, sich für die Grundrechte einzusetzen. Am deutlichsten drückt sich das in „Deutschland, zeig dein Gesicht“ aus, einem Song, der auf allen großen Demonstrationen gespielt wurde.
Kraft geben wollen mit ihren Songs auch die Davy-Jones Brothers, ein Pop-Duo aus dem Frankenland. Innerhalb eines Jahres brachten die beiden drei Stücke heraus, die sich auf die Coronakrise beziehen. Sie verbreiten Optimismus und ermuntern dazu, trotz der Einschränkungen zuversichtlich zu bleiben.
Als moralische Stütze fungieren außerdem Musiker, die selber zwar keine coronabezogenen Lieder produziert haben, dafür aber auf Demonstrationen auftraten, um Gesicht zu zeigen.
Dazu gehören vor allem der Gitarrist André Krengel und der Singer-Songwriter René Moreno.
Auf eine stilistisch kreative Form des musikalischen Protests setzt der als Aktivist gut bekannte DJ Captain Future. Der Berliner montiert in seine Techno-Tracks zentrale Aussagen diverser Politiker und „Experten“ hinein, in denen Widersprüche oder leere Versprechen zum Vorschein kommen. Die eingebauten Zitate haben das Ziel, die entlarvenden Worte jener Pandemie-Protagonisten durch mantraartige Wiederholung nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. In die gleiche Kerbe hat DJ Antigen geschlagen. Der Berliner arbeitet sich vor allem an den Aussagen von Klaus Schwab ab, dem Chef des Weltwirtschaftsforums. Genauso prominent vertreten sind in seinen Tracks Figuren wie Karl Lauterbach, Jens Spahn oder Lothar Wieler, deren Worte pointiert hervorgehoben werden.
Hang zur Satire
Als eines der beliebtesten Stilmittel erweist sich bei der musikalischen Coronakritik vor allem die Satire. Sie setzt auf Übertreibung und zielt darauf ab, die realen Verhältnisse ad absurdum zu führen. Das möchte beispielsweise der Dresdner Gitarrist Yann Song King, der sich seit über einem Jahr mit den gegenwärtigen Gesellschaftsverhältnissen auseinandersetzt und nicht selten die Entscheidungsträger durch den Kakao zieht. Darunter befinden sich eigene Stücke, aber auch solche, die auf bekannten Hits beruhen, jedoch so umgewandelt sind, dass sie auf die Corona-Thematik passen.
Eine Parodie der Pandemie-Politik in satirischer Form legte auch die österreichische Band NUR vor. Der Song mit dem Titel „Es ist doch nur“ beschreibt in Anlehnung an einen kurzen Clip des Filmsprechers Hans-Jörg Karrenbock die wenigen Schritte, die es braucht, um von scheinbar vernünftigen Vorgaben zu einer dystopischen Zukunftsvision zu gelangen. Als Satire verpackt kommt des Weiteren Ralph Valenteanos „Viel zu esoterisch“ daher. Mit einem funky Groove geht das Lied auf die gängigen Diffamierungsnarrative ein, die über Andersdenkende in Umlauf gebracht werden.
Zur Satire griff auch die Band Alien’s Best Friend. Das Indie-Pop-Duo gehört ohnehin zu den besonders fleißigen Musikern in der Protestbewegung. In regelmäßigen Abständen produziert die Gruppe emotionale Songs, die die Stimmung der Maßnahmenkritiker authentisch wiedergeben. Vor wenigen Monaten stellte Alien’s Best Friend zudem die Satire-Show „Polente heute“ auf die Beine. Sie präsentiert sich im fiktionalen Modus als eine interne Informationssendung der Polizei, in der die Kollegen über die Verhältnisse dieser Zeit aufgeklärt werden. Mit der Show verbindet sich der Wunsch, den Beamten den Spiegel vorzuhalten und sie zum Nachdenken darüber zu bewegen, ob ihr teils sehr brutales Vorgehen bei Demonstrationen angemessen ist.
Beiträge aus der bildenden Kunst
Zum Einsatz kam die Satire auch in der bildenden Kunst. Hier hat sich vor allem Bert Hochmiller hervorgetan — mit zahlreichen Memes, Cartoons und Karikaturen, in denen der Corona-Wahnsinn der letzten anderthalb Jahre aufgearbeitet wird. Die besten Werke hat der Grafikdesigner in seinem Künstlerbuch „Pandemimimi“ gebündelt, während er in seinem Telegram-Kanal fortwährend neue Arbeiten veröffentlicht. Ernster präsentieren sich die Zeichnungen der Künstlerin Angelika Gigauri. Seit März 2020 nimmt sie sich gesellschaftlicher Themen an, die die Coronapolitik mit sich gebracht hat. Abgebildet ist immer ein Kopf, auf dem das Virus als Krone sitzt. Während das Motiv variiert, wird das Haupt mit verschiedenen Gedanken gefüllt.
Einen künstlerischen Anspruch hat auch der Bildband des Fotografen Moritz Ott. Der Berliner hat darin die Demonstration vom 18. November 2020 zusammengefasst, als die Menschen gegen das neue Infektionsschutzgesetz auf die Straßen gingen. Die Bilder sind ein Zeitdokument, das schonungslos offenlegt, zu welch gewaltvollen Mitteln der Staat während der Coronakrise greift, um seine Kritiker zum Schweigen zu bringen. Einen anderen Ansatz verfolgt Alexander Heil in seinem Bildband „Freiheit in der Krise“, der sich überwiegend auf Personen konzentriert, die sich in der Widerstandsbewegung in der einen oder anderen Form verdient gemacht haben.
Lyrik und Prosa
In der Literatur geht Kritik vornehmlich von Lyrikern aus. Zu nennen wäre vor allem der Name Christoph Köhler. Aus seiner Feder stammt ein Zyklus aus zwanzig Gedichten, die sich mit der Kontaktsperre beschäftigen. Betrachtet wird sie aus einem jeweils anderen Blickwinkel, mal unter dem Aspekt der Spiritualität, mal im Hinblick auf Vereinzelung und Einsamkeit. Während diese Werke kurz nach dem ersten Lockdown entstanden, produzierte der Lyriker aus Wiesbaden später kurze Gedichte, in denen er die Absurdität der Maßnahmen in den Mittelpunkt rückte. In ihnen werden die Widersprüche vor Augen geführt, sodass das Absurde als eine Art Scheinwerfer fungiert, um auf die Wirklichkeit zu zeigen.
Anders als Köhler verfolgt die Berliner Schriftstellerin Martina Wagner das Ziel, den Menschen mit ihrer lyrischen Prosa durch die Krisehindurchzukommen. In ihren Werken ist viel von einem friedlichen Umbruch die Rede, von einer neuen Welt, die sich gerade in der Entstehung befindet. Es sind Zukunftsvisionen, getragen von Erfahrungen während der Coronakrise.
Corona hat die Gesellschaft einerseits gespalten, lautet die Aussage, aber andererseits auch Menschen dazu gebracht, über neue Formen des Zusammenlebens nachzudenken.
Den ersten kritisch-konstruktiven Roman zur Coronakrise hat der Österreicher Gerald Ehegartner vorgelegt. Sein „Feuer im Herz“ fasst die letzten anderthalb Jahre gut zusammen und verfolgt zugleich einen pädagogischen Ansatz. Als probates Mittel gegen den gegenwärtigen Wahnsinn wird der Humor präsentiert. Das Werk enthält aber auch viele Weisheiten und Lösungen, die sich in einem naturverbundenen Leben ausdrücken. Es zeigt Wege auf, wie man den Mainstream hinter sich lassen kann, ohne den Gemeinschaftssinn zu verlieren.
Parallele Kulturindustrie
Diese vielen Beiträge aus den unterschiedlichsten Kulturbereichen haben in den Leitmedien so gut wie keine Resonanz erhalten. Sie werden schlicht ignoriert, was dazu führt, dass eine Art parallele Kulturindustrie entsteht, in der Künstler auch mit kritischen Inhalten Öffentlichkeit generieren können. Sichtbar werden diese Strukturen unter anderem in alternativen Wettbewerben wie dem NuoVision Songcontest. Er fand dieses Jahr parallel zu dem berühmten Eurovision Song Contest statt und versammelte diejenigen vor den Bildschirmen, die der Mainstream-Veranstaltung nichts abgewinnen konnten.
Aufgetreten sind nur Acts mit Bezug zu der gegenwärtigen Krise, wobei die Bandbreite von Rock bis Volksmusik reichte. In ihren Songs gingen die Interpreten auf Themen wie Überwachung, Bargeldabschaffung oder das Leid der Kinder ein. Sie kritisierten den Verlust der Freiheitsrechte und appellierten an die Hörer, standhaft zu bleiben. Die Sendung war ein voller Erfolg, was nicht nur den vielseitigen Beiträgen zu verdanken ist, sondern auch der kompetenten Jury. Der Internetsender NuoViso, der die Veranstaltung organisierte, plant darüber hinaus eine Musik-Chartshow, wie man sie von MTV oder Viva kennt.
Eine andere Art Wettbewerb hat der Philosoph und Publizist Gunnar Kaiser ins Leben gerufen. In regelmäßigen Abständen sollen Essays gekürt werden, die sich mit bestimmten Fragen auseinandersetzen. Die erste Ausschreibung regte die potenziellen Teilnehmer zum Nachdenken darüber an, auf welche Ursachen in den einzelnen Gesellschaftsbereichen die gegenwärtige Situation zurückgeht. „Wie konnte es so weit kommen?“, lautete die Frage, auf die es 130 essayistische Antworten gab. Beachtlicher als die Zahl der Einreichungen ist die Wirkung des Wettbewerbs. Nicht wenige fühlen sich dadurch ermuntert, wieder mit dem Schreiben zu beginnen.
Zur Entstehung einer parallelen Kulturindustrie tragen zudem neue Vereine bei, die auf Eigenverantwortung setzten. Anstatt auf die eigene Systemrelevanz zu verweisen, soll Kultur als etwas wiederbelebt werden, was nicht nur in Institutionen wohnt. Diesem Credo folgt zum Beispiel AFAL, die Akademie für angewandte Lebenskunst. Der Verein will kreative Wege finden, um das Wesen von Kunst weiter nach vorne zu tragen. Dabei verfolgt er den ganzheitlichen Ansatz, dass nicht nur aktive Künstler und Kulturschaffende eingebunden werden sollen, sondern auch Kunstpädagogen oder Wissenschaftler.
All diese Beispiele verdeutlichen, dass die Kulturbranche durchaus kritisch oder mit gesellschaftlichen Gegenentwürfen auf die Coronapolitik reagiert. In den Leitmedien werden diese Entwicklungen zwar nicht thematisiert, doch sie sind real und für alle gut erkennbar, die genauer hinsehen.
Noch befindet sich die parallele Kulturindustrie mit ihren kritischen Künstlern in den Kinderschuhen, aber sie wächst mit Riesenschritten. Ein enormer Qualitätssprung bis zum nächsten Jubiläum ist daher gar nicht so unwahrscheinlich.
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