Große Hoffnungen knüpften sich noch 2007 an die Vereinigung von PDS und WASG zur Partei DIE LINKE. Es sollte eine neue, starke, linke Volkspartei entstehen. Daraus ist nichts geworden. Zwölf Jahre nach ihrer Konstituierung hat die Partei ihren anfänglichen Elan verloren. Stieg die Mitgliederzahl direkt nach dem Zusammenschluss schnell auf 76.000, so ist sie mittlerweile auf kaum mehr als 60.000 abgesunken. Und der Rückgang hält an — trotz einiger Erfolge bei der Gewinnung jüngerer Anhänger im Bundestagswahljahr 2017 ist die Mitgliedschaft weiterhin stark überaltert.
Stagnation im Westen
Die Westausdehnung der Linkspartei ist zum Stehen gekommen. Zwar konnte sie sich dort in den großen Städten kommunalpolitisch verankern, doch eine in der Fläche etablierte Kraft ist sie hier nicht geworden. Die in den ersten Jahren erzielten Erfolge bei Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen konnten nicht wiederholt werden. Abgesehen von den Stadtstaaten Hamburg und Bremen verfügt sie heute im Westen nur in Hessen und im Saarland über eigene Landtagsfraktionen, wobei der Erfolg im Saarland der hohen Popularität von Oskar Lafontaine zu verdanken ist. In Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Bayern blieb die Linkspartei bei Wahlen hingegen stets weit unterhalb der fünf Prozent-Hürde.
Verluste im Osten
In den neuen Bundesländern kann von einer Stagnation nicht mehr die Rede sein, hier befindet sich die Partei längst im Niedergang. Bei nahezu allen Landtagswahlen der vergangenen Jahre hat sie zum Teil erheblich an Stimmen eingebüßt. In Brandenburg fiel sie von 27,2 Prozent im Jahr 2009 auf 18,6 Prozent im Jahr 2014. Bei der Wahl am 1. September 2019 ging es weiter bergab: DIE LINKE verlor mit 7,9 Prozent mehr als jede andere Partei. Mit 10,7 Prozent blieb ihr so nur noch ein gutes Drittel der Stimmen von 2009. Auch in Sachsen fiel sie von 20,6 Prozent im Jahr 2009 auf 18,9 Prozent 2014 und jetzt auf nur noch 10,4 Prozent — ein neuerlicher Rückgang um nicht weniger als 8,5 Prozent, was annähernd einer Halbierung ihrer Wählerschaft von vor fünf Jahren gleichkommt. Und auch in Sachsen hat keine andere Partei so stark wie DIE LINKE verloren.
Die beiden Länder sind keineswegs Ausnahmen: In Sachsen-Anhalt fiel der Wähleranteil von 23,7 Prozent im Jahr 2011 auf 16,3 Prozent in 2016. In Mecklenburg-Vorpommern ging es von 18,4 Prozent 2011 auf 13,2 im Jahr 2016 bergab. Nur in Thüringen gab es ein leichtes Plus von 27,4 Prozent im Jahr 2009 auf 28,2 Prozent 2014. Und in Berlin konnte DIE LINKE sogar erkennbar zulegen: von 11,7 Prozent im Jahr 2011 auf 15,6 Prozent 2016. Hinter diesem Erfolg verbirgt sich aber eine Besonderheit: Hatte die einstige PDS im Jahr 2002 in Berlin noch 22,6 Prozent erreicht, verlor sie in Folge ihrer jahrelangen Beteiligung an der Landesregierung bei den Wahlen 2011 nicht weniger als die Hälfte ihrer Wähler. Der Erfolg von 2016 stellte daher lediglich eine gewisse Erholung auf niedrigem Niveau dar.
Auch die Ergebnisse der Bundestagswahl vom September 2017 zeugen von einer schwindenden Wählerschaft. In allen östlichen Bundesländern verlor DIE LINKE erheblich an Stimmen, am stärksten in Thüringen (minus 6,6 Prozent), Sachsen-Anhalt (minus 6,2 Prozent) und in Brandenburg (minus 5,3 Prozent). Allein die Gewinne im Westen sorgten noch für einen leichten Zuwachs auf Bundesebene.
Das gleiche Bild boten die Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai 2019: Die Linkspartei erreichte hier nur noch 5,5 Prozent — ein Rückgang um 1,9 Prozent. Statt wie bisher mit sieben ist sie jetzt mit nur noch fünf Abgeordneten in Straßburg vertreten.
Angesichts des sich seit Jahren vollziehenden Niedergangs der Partei können regionale oder zeitliche Besonderheiten nicht für die Verluste verantwortlich gemacht werden. So überzeugen auch die jetzt von Partei- bzw. Fraktionsführung abgegebenen Erklärungen für das Doppeldesaster in Brandenburg und Sachsen nicht, sie widersprechen sich sogar.
Nach Katja Kipping hätten sich viele Wähler im letzten Augenblick angesichts des bedrohlichen Aufkommens der AfD gegen eine Stimmabgabe für die Linke und zugunsten der sächsischen CDU bzw. der brandenburgischen SPD als führende Regierungsparteien entschieden. Doch zumindest für das Brandenburger Ergebnis kann das nicht gelten. Hier hätten ja die besorgten Wähler durchaus die Linkspartei als verlässlichen Regierungspartner der SPD wählen können, auf diese Weise hätten sie sehr wohl den Fortbestand der Rot-Roten-Regierung in Potsdam sichern können.
Dietmar Bartsch hingegen sah in der langjährigen Beteiligung der Linkspartei an Landesregierungen die Hauptursache für die Niederlagen: DIE LINKE werde nicht mehr als die „Interessenvertretung im Osten“ angesehen, sondern als Teil des Systems. Dann hätte aber das Ergebnis in Sachsen anders ausfallen müssen, denn in diesem Land hat die Linkspartei nie mitregiert! (1).
Keine personellen Konsequenzen
Angesichts einer solch desaströsen Gesamtbilanz hätte jede andere Partei längst ihre so offensichtlich gescheiterte Politik aufgegeben und einen anderen Kurs eingeschlagen. Nicht aber die Linkspartei! Zwar kündigt man jetzt — nach dem katastrophalen Abschneiden in Brandenburg und Sachsen — zum wiederholten Mal eine Diskussion über die strategische Ausrichtung an, doch die soll erst „im nächsten Jahr“ stattfinden (2). Ganz offensichtlich setzt man auf einen glimpflichen Wahlausgang Ende Oktober in Thüringen. Damit soll dann der seit Jahren anhaltende Niedergang kaschiert werden.
Die Partei hätte sich längst von den für den Abstieg in erster Linie Verantwortlichen trennen müssen. Doch die bereits seit mehr als sieben Jahren amtierenden Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger wollen ganz offensichtlich unverdrossen weitermachen.
Während in der SPD in den letzten Jahren erfolglose Vorsitzende gleich reihenweise ihren Hut nehmen mussten, glaubt man an der Parteispitze der Linkspartei, die Probleme aussitzen zu können. Und so spielt man im Berliner Karl-Liebknecht-Haus auf Zeit: „Was den Linken nicht helfe, wäre, jetzt in ‚reflexhafte Schuldzuweisungen oder Schlachteplatte‘ zu verfallen“, sagte Kipping (3).
Und so mussten nicht die Vorsitzenden gehen, sondern mit Sahra Wagenknecht ihre wichtigste Kritikerin. Eine absurde Situation! Gegen die Co-Vorsitzende der Bundestagsfraktion wurde eine regelrechte innerparteiliche Treibjagd veranstaltet, sodass sie schließlich im Frühjahr 2019 nach längerer Krankheit entnervt ankündigte, das Amt der Co-Fraktionsvorsitzenden aufgeben zu wollen.
Keine inhaltliche Kurskorrektur
Dennoch hat Wagenknecht direkt nach Bekanntwerden der Ergebnisse in Brandenburg und Sachsen noch einmal eine andere Politik eingefordert:
„DIE LINKE muss wieder zu einer Alternative für all diejenigen werden, die von der herrschenden Politik seit Jahren im Stich gelassen werden. Für diejenigen, die zu Niedriglöhnen schuften, die unter fehlender sozialer Infrastruktur leiden und die Angst vor Altersarmut haben. Wenn wir von diesen Menschen als grünliberale Lifestyle-Partei statt als ihre Stimme wahrgenommen werden, wenn sie das Gefühl bekommen, dass wir auf sie herabsehen, weil sie nicht den hippen Großstadt-Code beherrschen, dann ist es nur normal, dass sie sich von uns abwenden. Das dürfen wir nicht länger zulassen!“ (4).
Bereits zwei Jahre zuvor hatte Oskar Lafontaine aus Anlass der Bundestagswahlen vom September 2017 eine vergleichbare Warnung ausgesprochen:
„Allen Grund nachzudenken hat DIE LINKE trotz ihres guten Ergebnisses darüber, dass nur 11 Prozent der Arbeitslosen sie unterstützt haben — weniger als SPD (23 Prozent), AfD (22 Prozent) und Union (20 Prozent) und gerade mal etwas mehr als FDP und Grüne (je 7 Prozent) — und nur 10 Prozent der Arbeiter (Union 25 Prozent, SPD 24, AfD 21). Das sind zwei Prozent mehr als bei der FDP(!), die von acht Prozent der Arbeiter gewählt wurde. Der Schlüssel für diese mangelnde Unterstützung durch diejenigen, die sich am unteren Ende der Einkommensskala befinden, ist die verfehlte ‚Flüchtlingspolitik‘“ (5).
Die Aufforderung Lafontaines zum Nachdenken wurde seinerzeit in den Wind geschlagen. Und auf dem Leipziger Parteitag im Juni 2018 hielt eine Mehrheit der Delegierten demonstrativ an der Forderung nach „offenen Grenzen“ fest.
Sahra Wagenknecht wurde zugleich wegen ihrer davon abweichenden Haltung persönlich massiv angegriffen.
Auch die jetzige Warnung Wagenknechts vor einer weiteren Vernachlässigung der an sozialen Fragen orientierten Wähler wird sehr wahrscheinlich ungehört bleiben. Warum sollte man auch ausgerechnet jetzt ihren Rat annehmen? Nach der Neuwahl des Vorstands der Bundestagsfraktion im Herbst wird sie nur noch einfache Abgeordnete sein. Der Machtkampf in der Linkspartei ist entschieden. All jene, deren Links sein sich auf den Kampf gegen rechts, gegen Rassismus, für offene Grenzen, für die Rechte von LGBTQ (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, Anmerkung der Redaktion) und andere Minderheiten sowie für eine andere Klimapolitik reduziert, also all jene, die als kulturalistische Pseudolinke bezeichnet werden können, haben in der Linkspartei jetzt freie Bahn.
Es war ein bedauerlicher Fehler, das anfangs so erfolgreiche Projekt Aufstehen nach nur kurzer Zeit versanden zu lassen. Hätte diese Sammlungsbewegung zu den Wahlen zum Europäischen Parlament kandidiert, wäre sie erfolgreich gewesen, denn sie hätte jene ansprechen können, auf die die Politiker der Linkspartei herabsehen. Auch in Brandenburg und Sachsen wäre mit Aufstehen auf den Stimmzetteln der rechte Erfolg einzudämmen gewesen.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Vgleiche hierzu: Schlachtfest ohne Schlachteplatte, in FAZ-Net, 02. September 2019.
(2) So erklärte der Co-Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Dietmar Bartsch am 01. September 2019 in einem Interview des Deutschlandfunks: „Wir müssen (..), wenn die Thüringen-Wahl vorbei ist, im nächsten Jahr Grundfragen stellen, wie unsere Aufstellung zu den Bundestagswahlen sein wird, sowohl strategisch als auch inhaltlich.“.
(3) Schlachtfest ohne Schlachteplatte, am angegebenen Ort.
(4) „Team Sahra“ vom 01. September 2019.
(5) Zitiert nach Andreas Wehr, Oskar Lafontaine hat Recht! DIE LINKE braucht eine andere Migrations- und Flüchtlingspolitik.
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