Verstehen, besinnen, vertrauen
Es gab am 22. Juni 2017 einen parlamentarischen Vorgang, der Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung sozusagen die Empörung aus der Feder hat fließen lassen. Er schrieb:
„... das, was heute im Bundestag geschehen soll, ist von solcher Dreistigkeit, dass einem die Spucke wegbleibt. Ein Gesetz mit gewaltigen Konsequenzen, ein Gesetz, das den umfassenden staatlichen Zugriff auf private Computer und Handys erlaubt, wird auf fast betrügerische Weise an der Öffentlichkeit vorbei geschleust und abgestimmt.“
Der Bundestag hatte tatsächlich den sogenannten Staatstrojaner beschlossen. Die Behörden können nun, wenn sie es für notwendig halten, beliebige Rechner, Smartphones und Tablet-PCs mit Schadsoftware infizieren, um sämtliche privaten Dateien zu lesen, selbst dann, wenn sie verschlüsselt sind. Benutzt wird dabei eine jeweils passende, gerätespezifische Sicherheitslücke, die im Prinzip jeder Hacker verwenden kann. Wer eine solche Sicherheitslücke kennt, kann alle Smartphones ausspionieren.
Unsere Privatsphäre ist massiv gefährdet, und es gibt allen Grund, sich mit den Ursachen und Urhebern der Gefährdung zu beschäftigen. Marc Rotenberg hat in einem Artikel für den Nachrichtensender CNN die Eingriffe in die Privatsphäre durch die Internetfirma Google als „eine der größten Gesetzesübertretungen der Geschichte“ bezeichnet (1). Rotenberg war Präsident des Electronic Privacy Information Center (EPIC), eines unabhängigen gemeinnützigen Forschungszentrums in Washington, D.C., das auf den Schutz der bürgerlichen Grundrechte achtet.
Und Google Chef Eric Schmidt prahlt, dass Google uns besser kennen würde als wir uns selbst (2). Man fragt sich, ob es noch eines weiteren Beweises bedarf, dass unsere Privatsphäre gefährdet ist. Übrigens sind sowohl Datendiebstahl als auch staatliche Überwachung für die Betroffenen weitgehend unsichtbare Vorgänge.
Es findet ein Umbruch statt. Schritt für Schritt wird das Grundgesetz geändert oder unwirksam gemacht. Die wesentlichen gesellschaftlichen Entscheidungsprozesse werden dem Parlament entzogen und in undemokratische Außengremien verlagert. Die Mündigkeit der Bürger wird systematisch untergraben, indem man nicht mehr parlamentarisch offen diskutiert (3).
Der Umbruch, von dem wir hier reden, ist nichts Geringeres als der Angriff auf die verfassungsrechtlich verbrieften Grundlagen unseres Staates.
Hauptziel auf dem Weg in die „smarte“ Diktatur ist die Auflösung der Privatsphäre der Bürger.
Harald Welzer schreibt in seinem Buch „Die smarte Diktatur“: „Die Privatheit ist das zentrale Hindernis für die Durchsetzung totaler Herrschaft. Solange Menschen etwas haben, in das niemand anderer, und schon gar nicht der Staat, eindringen kann, sind sie nicht vollständig beherrschbar.“
Welche Rolle spielt die elektronisch vernetzte „Welt der Dinge“ bei diesem Umbruch? Was bedeutet eine elektronisch vernetzte Welt der Dinge in einer neoliberalen Weltwirtschaft? Diese Fragen werden uns in die Diskussion der sogenannten neo-digitalen Revolution führen.
Wenn wir Einfluss auf unsere politische Zukunft nehmen wollen, dann müssen wir lernen, die historischen Zusammenhänge zu verstehen und uns auf eine „ethische Reformation“ besinnen, die dem Grundsatz wieder Geltung verschafft, dass Wirtschaft und Wissenschaft dem Menschen zu dienen hat und nicht umgekehrt: „der Mensch hat Vorrang“ (4). Der Schweizer Soziologe Jean Ziegler (5) ist davon überzeugt, dass wir zur Lösung aller Probleme (6) auf die Waffen der Demokratie vertrauen können.
Vernetzte „Welt der Dinge“
Worum geht es bei der sogenannten Vernetzung und was wird hier vernetzt? Von Experten der Informationstechnik beziehungsweise IT-Industrie wurde ein Begriff geprägt, der heute für die Vision eines weltweiten, komplexen Steuerungssystems (7) steht und als die Weiterentwicklung des Internets gilt. Es ist der Begriff „Welt der Dinge“. Grob gesagt kann man sich die Welt der Dinge als Ansammlung von Zigmilliarden von Kleinstrechnern vorstellen, von denen jeder mit allen anderen über das Internet verbunden ist.
Jeder der Rechner in diesem Netzwerk kann als Quelle und Ziel von Datenflüssen funktionieren und zu jedem anderen Punkt des Netzwerks Daten adressieren. Alle diese Kleinstrechner sind in irgendwelchen Geräten des täglichen Lebens in Wirtschaft und Gesellschaft eingebaut. Der Austausch von Daten geschieht über Zentren, die alle im Netz anfallenden Daten zeitgenau speichern, verarbeiten und alle Rechner im Netz in Abhängigkeit der Datenauswertung steuern beziehungsweise neu programmieren können.
Inhaltliches Ziel der vernetzten Welt der Dinge ist die weltweite Erfassung und Steuerung sämtlicher technischen und gesellschaftlichen Vorgänge einschließlich der Mikrostrukturen menschlicher Verhaltensäußerungen innerhalb der Privatsphäre. Wenn wir also heute von der totalen elektronischen Vernetzung in unserer Gesellschaft reden, dann meinen wir diese Welt der vernetzten Geräte und Menschen.
Lebensfremde Vision von Experten
Folgt man der „Vision von Experten“, dann geht es bei dem Begriff „Welt der Dinge“ um die reale Welt der tagtäglichen menschlichen Entscheidungen einschließlich ihres Umfeldes. Der Mensch wird als Objekt gedacht, dessen wechselnde Zustände man, ähnlich wie Schaltelemente, beobachten und steuern kann. Er wird als ein Element eines umfassenden „cyber-physischen Systems“ begriffen, welches ein „Gehirn“ besitzt, das alle Elemente steuern kann, und das sich „autonom selbst-optimierend“, „evolutiv“ entfalten soll. Die Vision zielt bereits auf die Fortführung der Evolution der menschlichen Gesellschaft und des Lebens überhaupt. Ist dies eine realistische Vision?
Wohl kaum. Die Experten hätten sich für den Entwurf eines „cyber-physischen Systems“ ein Beispiel nehmen müssen an dem effizientesten informationsverarbeitenden System, das die Natur kennt: Das ist die Gesamtheit der lebendigen Organismen, also des „Lebens“ selbst (8). Vor Hunderten Millionen Jahren schon haben die Lebensprozesse auf unserer Erde damit begonnen, unabhängige Individuen auszubilden, die nicht mehr direkt miteinander verbunden waren.
Die Eingriffe fremder Individuen in den eigenen Körper wurden durch ein starkes Immunsystem unterbunden, das sozusagen die Privatsphäre sichert. Die radikale Beschränkung externer Eingriffsmöglichkeiten in die interne Sphäre von Individuen hat überhaupt erst eine stabile und sichere Fortentwicklung, das heißt ein „Überleben“ ermöglicht, denn das Risiko, durch zentrale Fehlsteuerung insgesamt vernichtet zu werden, wäre viel zu groß.
Alle Komponenten eines kybernetischen Gesamtsystems global zu vernetzen und sie zentral zu steuern ist zu riskant, als dass ein derartiges Entwicklungskonzept einem lebendigen System ähnlich wäre; es zielt darauf ab, ein einziges Gesamt-Individuum wie ein weltumspannendes Pilzgeflecht zu konstruieren, ja, ein „Monstrum“ zu schaffen mit dem Kopf einer Medusa als Steuerungszentrale.
Die von Experten entwickelte Vision einer totalen, also weltweiten und möglichst vollständigen Vernetzung und zentralen Steuerung der „Welt der Dinge“ mit Einschluss der Menschen ist im eigentlichen Wortsinn „lebensfremd“ (9) und tatsächlich „lebensfeindlich“, unabhängig von einer unterstellten Realisierbarkeit.
Außerdem schreibt allein schon die zentralistische Struktur eines allumfassenden weltweiten kybernetischen Systems den Weg in eine Diktatur fest, nämlich den Weg in die Diktatur einer einzigen hegemonialen Weltmacht.
Sicherheit und existentielle Risiken
Tatsächlich haben wir bereits eine weltweite elektronische Vernetzung von Geräten und Menschen. Man muss davon ausgehen, dass nahezu alle derzeit verwendeten und elektronisch oder funktechnisch vernetzten Systeme von außen überwacht und kontrolliert werden können – inklusive der Möglichkeit, diese unbemerkt zu steuern und zu manipulieren. Sicherheitsexperten können die Risiken, denen die Bevölkerung, die Wirtschaft, die Gesellschaft, der Staat durch Kriminalität, Spionage und Sabotage ausgesetzt sind, weder abschätzen geschweige denn begrenzen. Das Sicherheitsproblem ist von grundsätzlicher Art und betrifft die Netzarchitekturen.
Die existierenden Netzarchitekturen erlauben einen echtzeitähnlichen Durchgriff auf alle vernetzten Geräte mittels einfacher Adressierung. Es kommt hinzu, dass die vernetzten „Dinge“ selbst meist Mikrochips mit weitgehenden Fähigkeiten universeller Rechner sind und die Möglichkeit bieten, allein durch Änderung der Programmierung Funktionen auszuführen, die zunächst nicht spezifiziert waren. Dazu ist wesentlich, dass in den Netzen nicht nur harmlose Daten, sondern auch komplette Programme, das heißt Minimaschinen verschickt werden können, die wiederum selbst in den Zielrechnern aktiv werden können.
Dabei kann die Änderung der Programmierung und damit der Funktionalität der vernetzten Geräte „von außen“ geschehen, zum Zwecke des kriminellen Missbrauchs, aber auch für Spionage oder Sabotage. Bei massenhaft vernetzten Systemen gibt es stets ausreichend viele unsichere oder fehlerhafte Komponenten, die geknackt und manipuliert werden können. Diese Komponenten enthalten häufig Daten, mit denen man sich systematischen Zugang in zentrale Bereiche des Netzes verschaffen kann.
Damit wird jedes Sicherheitskonzept illusorisch; und es ist illusorisch bereits dann, wenn von Herstellerseite verdeckte Funktionen und vermeintlich geheime „Hintertüren“ zwecks missbräuchlicher Verwendbarkeit installiert sind, möglicherweise in Absprache mit der NSA. Dies bedeutet, dass das Konzept, in einem weltweiten Netz massenhaft Daten zu erfassen und diese dann zentral zu verarbeiten, das heißt also das Konzept der Verarbeitung der Big Data (10), sich in einem unauflösbaren Widerspruch zu jedwedem Sicherheitskonzept befindet, das Privatrechte oder auch staatliche Organe schützen soll. Mittlerweile gibt es zahlreiche Beispiele von gravierenden Anschlägen auf Datennetze.
Zur tödlichen Gefahr wird die Vernetzung allerdings dann, wenn ein Baustein der Autonomisierung von kriegerischen Angriffen aus dem Internet heraus agiert, weil Algorithmen befehlen, eine mutmaßliche Gefahr abzuwenden. Das mag nach Science-Fiction klingen, dieser Baustein wird jedoch bereits entwickelt (11). Er ermöglicht den autonomen präventiven Cyberkrieg und ist notwendig, weil die Reaktionszeiten zu kurz sind, als dass man einen menschlichen Entscheidungsprozess vorschalten könnte.
Verantwortungsbewusste Hacker und Whistleblower haben gezeigt, was wir befürchten müssen. Eine schnell wachsende Internetkriminalität zeichnet sich ab. Atomanlagen, Energieversorgung, Wasserversorgung, Krankenhäuser, Öffentlicher Verkehr, Behörden sind von Anschlägen und Spionage bedroht. Die Existenz jedes Einzelnen ist in Gefahr, zerstört zu werden.
Wegen der bereits bestehenden Risikolage müssen sofort alle kritischen Anlagen vom Internet genommen werden. Universitäten müssen Alarm schlagen. Politisch ist zu fragen, ob Amtseide verletzt werden.
Die weltweite Vernetzung der „Welt der Dinge“ mit zentraler Datenverarbeitung ist eine gefährliche Fehlentwicklung. Sie bedeutet den Verlust der Souveränität aller Nationalstaaten, weil die Nationalstaaten ihre Sicherheit nicht mehr selbst gewährleisten können. Zwangsläufig entsteht ein zentraler Überwachungsstaat, weil man sich von diesem allein noch Sicherheit erhofft.
Aber selbst der Zentralstaat kann die erhoffte Sicher¬heit nicht bieten und wird nach und nach alle Freiheiten seiner Bürger abschaffen, weil nicht mehr klar ist, wer der Feind in einem Cyberkrieg ist. Warum sollten die Völker zulassen, dass mit den Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen auf den Roulettetischen von Forschung und Entwicklung gespielt wird?
Ursachen der Fehlentwicklung
Für Forschungsgruppen wurde vor Jahrzehnten erfolgreich das Konzept einer freien Kommunikation zwischen vernetzten Gruppenmitgliedern entwickelt. Dass dieses Konzept mehr oder weniger als Modell für weltweite allgemeine Kommunikation übernommen wurde, ist eine Fehlentwicklung. Sie ist damit zu erklären, dass seit den 1990er Jahren mit dem Internet kommerzielle Interessen aggressiv verfolgt wurden und Geheimdienste eine einmalige Chance gesehen haben, ein weltweites Überwachungssystem zu etablieren.
Nach Peter Sloterdijk ist die US-amerikanische Datentechnologie mit Schwerpunkt weltweite Vernetzung eine Schlüsseltechnologie für die Verfolgung militärischer Ziele geworden. Letztendlich soll die Vormachtstellung der USA gesichert werden, und zwar militärisch, politisch und wirtschaftlich in der Welt und insbesondere gegenüber Europa.
Angriff auf die Privatsphäre durch die „Welt der Dinge“
Mit dem Aufbau der „Welt der Dinge“ werden die technischen Voraussetzungen für ein industrielles Konzept geschaffen, das auf Enteignung privater Daten und der systematischen Verletzung der Privatsphäre gegründet wird. Damit werden massiv Grundrechte unseres Landes berührt. Kanzlerin Angela Merkel hat bereits signalisiert, dass man das Eigentum von privaten Daten nicht eng auslegen sollte, wenn dadurch Entwicklungen in der IT-Wirtschaft beeinträchtigt würden. Dies erinnert an ihre erstaunliche Formulierung einer „marktkonformen Demokratie“ und deutet an, dass die rechtlichen Voraussetzungen für die Enteignung privater Daten geschaffen werden sollen.
Offenbar werden Eigentumsrechte an Daten von einer breiten Schicht von Experten der Informationsindustrie ignoriert und das Recht auf Privatsphäre als „Auslaufmodell“ diskreditiert.
Insbesondere wird das Wesen menschlicher Entscheidungen als ein werteschöpfendes bestimmendes Element der Privatsphäre aus kommerziellen Gründen verschleiert.
Jeder Bürger sollte wissen, dass eine Persönlichkeitsentwicklung innerhalb unserer wettbewerbsorientierten Gesellschaft den Schutz der Privatsphäre und der darin begründeten Eigentumsrechte voraussetzt. Falls die Privatsphäre von Personen aufgelöst wird, gibt es keine eigenständige wirtschaftliche Entwicklung mehr. Ein Gemeinwesen wird so in der Wurzel zerstört.
Die Privatsphäre ist nicht nur der Raum privater wirtschaftlicher Entfaltung, sondern auch der Raum einer seelischen und sozialen Entfaltung und Gesunderhaltung. Das Bewusstsein, ständig von unbekannten Institutionen beobachtet zu werden und gleichsam in einem Panoptikum zu leben, verändert die Verhaltensweisen von Menschen so gravierend, dass man das Ende der sozialen und kooperativen Gesellschaft voraussagen kann. Der exzessive Zugriff auf die komplette Privatsphäre einer großen Mehrheit von Staatsbürgern einerseits und die Verwundbarkeit unserer staatlichen Einrichtungen durch Spionage, Sabotage und Kriminalität andrerseits sind Seiten ein und derselben Medaille.
Ich möchte darauf hinweisen, dass der Schutz der Privatsphäre eine kollektive Leistung einer Gruppe, einer Gesellschaft, eines Staates ist. Wenn von zwei Personen, die miteinander kommunizieren, die eine sagt, dass sie am Schutz ihrer eigenen Privatsphäre nicht interessiert ist, während die andere diesen Schutz haben will, dann kann der Schutz für beide Personen dadurch aufgehoben sein, dass beide Personen nach ihren persönlichen Vorlieben handeln.
Unter Kommunikationspartnern muss es deshalb ein „Übereinkommen“ über den Schutz geben. In einer Gesellschaft, in deren Verfassung der Schutz der Privatsphäre verankert ist, gibt es notwendigerweise eine Verantwortung und Pflicht jedes Einzelnen, für sich selbst und die anderen den Schutz der Privatsphäre zu beachten. Insofern ist die Haltung „ich habe nichts zu verbergen, also ist mir der Datenschutz gleichgültig“ eine grundsätzlich unethische Haltung im Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland.
Kreativität und Privatsphäre
In der mathematischen Welt der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts wurde bewiesen, dass die Vorgänge in der physikalischen ebenso wie der biologischen Welt nur in eng definierten Ausnahmefällen mit Rechenmaschinen, auch Turingmaschinen genannt, berechnet werden können; es wurden die sogenannten unberechenbaren mathematischen Funktionen entdeckt, die offenbar in unermesslicher Vielfalt existieren.
Herausragende Mathematiker wie Kurt Gödel haben damals der heutigen Erkenntnis bahngebrochen, dass Rechenmaschinen genau das nicht leisten können, was Menschen tagtäglich leisten; gemeint ist die kreative Bewältigung, Formulierung und Lösung von prinzipiell unberechenbaren Problemen und Erscheinungen, für deren Lösung beziehungsweise Verstehen es also keinerlei algorithmische, das heißt rezeptartige Regeln gibt.
Wir erinnern auch an Joseph Beuys, der die Kreativität in jeder menschlichen Handlung erkannte und darauf seinen Kunstbegriff gründete. Rechenmaschinen sind nicht kreativ, sie sind nicht fähig, intuitiv schöpferisch zu denken, sie können die Welt nicht in begrifflicher Sprache beziehungsweise Text beschreiben und keine Wissenschaft entwickeln. Rechner können menschliches Verhalten durchaus beobachten, kopieren und eventuell statistisch nachahmen bis hin zur Bildung von vernünftig scheinenden sprachlichen Sätzen. Die Annahme aber, dass androide Roboter eines Tages den Menschen ersetzen oder gar die Macht ergreifen könnten, ist heute so unbegründet wie vor hundert Jahren.
Die Ursprünge menschlicher Kreativität liegen in jenem intimsten Bereich der seelischen und geistigen Existenz eines Menschen, den man Privatsphäre nennt. Das Wesen der Privatheit erschließt sich, wenn man feststellt, wozu Maschinen nicht fähig sind und was allein der Mensch zu produzieren in der Lage ist.
Der Mensch produziert tagtäglich private Entscheidungsdaten, die in kreativer Weise mit seinem Verhalten neu erschaffen werden. Der Mensch setzt damit geistigen Rohstoff in die Welt, der nicht von noch so leistungsfähigen Robotern produziert werden kann. Dieser geistige Rohstoff ist die größte und unversiegbare Quelle von Reichtum, des einzigen und wirklichen Reichtums, der allen Menschen von Natur aus als natürliches Eigentum mitgegeben ist.
Die Privatsphäre ist der Raum, in dem Kreativität und der Wille zur wirtschaftlichen Entfaltung produktiv werden kann. Der Schutz dieses Raumes ist die Voraussetzung der Teilhabe einer breiten Bevölkerungs¬schicht an einer funktionierenden sozialen Marktwirtschaft.
Das Wesen menschlicher Entscheidungen
Warum ist die Privatsphäre wirtschaftlich so interessant? Der Grund ist, dass innerhalb der Privatsphäre eine Wertschöpfung stattfindet, und zwar in Gestalt der menschlichen Entscheidungen als werteschöpfende Elemente. Darüber hinaus bestimmen die privaten Entscheidungen das Verhalten eines Menschen. Aus Beobachtungsdaten seiner privaten Entscheidungen verspricht man sich die Erstellung von Prognosen für sein Verhalten.
Menschliche Entscheidungen können auch nicht ansatzweise mit Zustandsänderungen irgendwelcher „Dinge“ beschrieben werden. Entscheidungen sind Handlungen, die stets auch verantwortet werden müssen. Die Verantwortung ist ein Vorgang, der die Handlung in Beziehung setzt zu Risiken für die gesamte handelnde Person. Eine Entscheidung ist, in der Terminologie der Verhaltenspsychologie, ein „Akt“ und als solcher Inbegriff eines einzelnen Handlungsvorgangs und Wesensmerkmal aller psychischen Prozesse. Maschinen dagegen sind zu keiner Entscheidung fähig, sondern sie bewirken lediglich eine Umschaltung von Zuständen.
Menschliche Entscheidungen beinhalten die hochrangigsten Zustandsänderungen, die das Leben hervorgebracht hat. Nicht nur der Griff zur Axt, um den Baum des Nachbarn zu fällen, beinhaltet eine Entscheidung, die verantwortet werden muss, das heißt, aus deren Folgen man zu lernen hat. Auch harmlose Entscheidungen, wie Butter statt Margarine zu kaufen und zu essen, erfolgen in einem Handlungskontext, der Verantwortung und Lernen bedeutet.
Selbst die einfachste menschliche Wahrnehmung enthält im Kern eine Entscheidung, die der Tatsache Rechnung trägt, dass die reale Welt nicht identisch ist mit ihrer Wahrnehmung. Bei der Wahrnehmung befindet sich der Mensch in einer ambivalenten Situation. Seine begriffliche Bewertung bewegt sich zwischen positiver Feststellung und ihrer Verneinung. Etymologisch lässt sich begründen, dass Entscheiden mit dem Abtrennen beziehungsweise Abtöten von Zweifeln zu tun hat. Jede Wahrnehmung der Welt wird deshalb stets evolutiv in einem gesellschaftlichen, lebendigen Prozess korrigiert und weiterentwickelt.
Eigentum und Privatsphäre
Jede menschliche Entscheidung, und das wissen „Konzerne“ genau, beinhaltet einen Wertschöpfungsakt und ist also wertvoll an sich; dieser Akt kann nicht maschinell produziert werden. Das Wichtigste dabei ist, dass der Eigentümer dieses produzierten Wertes derjenige ist, der die Entscheidung getroffen hat und verantwortet. Der Eigentümer eines Autos ist privater Eigentümer auch der durch sein Handeln in seinem Auto anfallenden und deshalb wertvollen Daten.
Der Student, der in den Archiven sucht oder der seine selbst geschriebenen Programme testet, ist Urheber und folglich Eigentümer seiner Entscheidungen und nicht eine belauschbare Testperson. Der Eigentümer von Daten hat das alleinige Recht, aus diesen Daten zu lernen. Und jeder, der die privaten, das heißt nicht veröffentlichten Entscheidungen eines anderen registriert, speichert und nutzt, sei es in Privatwohnungen oder Privatautos, der begeht Diebstahl. Dies gilt bereits für eine „vorsorgliche“ Datenerhebung.
Die Privatsphäre ist der Raum, in dem Kreativität und der Wille zur wirtschaftlichen Entfaltung produktiv werden kann, noch bevor ein Ideenaustausch stattfindet. Nachfolgend erst wird der Eigentümer eine private Entscheidung gegebenenfalls kommunizieren und der Nutzung durch andere Personen zugänglich machen.
Dabei muss man die Privatsphäre nicht notwendigerweise nur auf ein einzelnes Individuum beziehen. Auch kleine Arbeitsgruppen oder Firmen können eine Privatsphäre besitzen. Die Privatsphäre kann also ein strukturierter Bereich sein. Der Schutz dieser Räume, gleich welcher Ausprägung, ist jedenfalls die Voraussetzung der Teilhabe einer breiten Bevölkerungsschicht an einer funktionierenden sozialen Marktwirtschaft.
Was Rechenmaschinen nicht leisten können
Um zu verstehen, warum die innerhalb der Privatsphäre durch menschliche Entscheidungen stattfindende Wertschöpfung für die IT-Wirtschaft so interessant ist, muss man klarstellen, was Rechenmaschinen nicht leisten können. Wir haben bereits festgestellt, dass Maschinen keine Entscheidungen treffen können. Die breite Öffentlichkeit wird es überraschen, dass Rechenmaschinen auch keineswegs intelligente Leistungen produzieren.
Trotz anderslautender Propaganda seitens der IT-Firmen sind Rechenmaschinen weder intelligent, intuitiv, kreativ noch mächtig und können schon gar nicht denken. Maschinen können insbesondere keine Modelle und Vorstellungen zur Erklärung und Interpretation von Datenmengen entwickeln, sie sind zu kausaler Theoriebildung nicht fähig. Da Maschinen eine Menge von Daten nicht auf einen neuen Begriff bringen und verstehen können (siehe 12), sind sie unfähig, die Datenmengen sinnvoll zu reduzieren, das heißt zu löschen. Bei exponentiell wachsenden Datenmengen wird die autonome maschinelle Verarbeitung absehbar „im Daten-Heuhaufen“ ersticken.
In der Frühzeit der Entwicklung von Computern, also in den fünfziger und sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts, entstand insbesondere in dem Fachgebiet Künstliche Intelligenz (KI) die Hoffnung, dass man abstrakt programmiertechnisch, das heißt durch Rechnerprogramme, beschreiben könne, wie das menschliche Gehirn denkt. Es gab einen Wildwuchs von Begriffsbildungen, die den Eindruck erwecken konnten, dass die Zeit nahe sei, in der „Elektronengehirne“ die geistigen menschlichen Leistungen erreichen und sogar übertreffen könnten. Spätestens in den achtziger Jahren musste man erkennen, dass man den Hoffnungen der KI nicht näher gekommen war. Die KI war, gemessen an den ursprünglichen Erwartungen, gescheitert.
Selbstverständlich gab es innerhalb der wissenschaftlichen Informatik sehr früh Stimmen, die davor warnten, unangemessene Versprechungen in die Welt zu setzen. Eine dieser Stimmen war der maßgebliche Begründer der Informatik an der Technischen Universität München Professor Dr. Fritz L. Bauer.
Statistische Auswertung menschlicher Leistungen
In den vergangenen zwanzig Jahren nun zeichnete sich eine Möglichkeit ab, menschliches Verhalten massenhaft zu beobachten und statistisch auszuwerten. Man hatte die Idee, menschliche Leistungen sozusagen im statistischen Mittel zu simulieren. Die Idee ist einfach. Um eine Situation intelligent zu beurteilen, beobachtet man eine große Anzahl von Leuten, wie sie diese Situation intelligent beurteilen und entscheiden.
Die Situationen inklusive der beobachteten Entscheidungen werden mehr oder weniger grob durch Digitalisierung erfasst und die erhaltenen Massendaten, also die „Big Data“, werden statistisch ausgewertet. Maschinen können auf diese Weise menschliche Leistungen mehr oder weniger gut simulieren.
Dadurch werden natürlich weder Algorithmen noch Rechner intelligent. Wenn man aber einmal in der Lage ist, menschliche Leistungen massenhaft zu simulieren, dann kann man zum einen Roboter entwickeln, die in allen Bereichen menschliche Arbeitskraft ersetzen. Zum anderen aber kann man nun menschliches Verhalten simulieren und damit prognostizieren. Und dies ist eine gewaltige Triebfeder für industrielle Entwicklungen.
Für die Prognose menschlichen Verhaltens haben Ökonomen, Physiker und Mathematiker ein ökonomisches Berechnungsmodell entwickelt, das für jede konkrete Person mit ihren privaten Daten initialisiert wird. So besitzt jede Person einen eigenen virtuellen „Agenten“, quasi als digitalen Doppelgänger.
Frank Schirrmacher nennt diesen Doppelgänger die „Nummer 2“ (13). Der digitale Doppelgänger hat mit der dargestellten konkreten Person nur so viel gemein, wie es die Nützlichkeit des Geschäfts verlangt, also nichts im Vergleich zu seiner wahren Identität.
Trotzdem werden Prognosen über Konsumverhalten, politisches Verhalten, gesundheitsrelevantes Verhalten im täglichen Leben, Umgang mit Geld, Zuverlässigkeit von Angestellten, kriminelles Verhalten bezogen auf eine konkrete Einzelperson erstellt und verkauft; und zwar für Werbung, Beurteilung von Kreditwürdigkeit oder Leistungsfähigkeit von Stellenbewerbern, bei Wohnungsvermietung, Abschluss von Lebens- aber auch Krankenversicherungen. Dieses Geschäft macht Google zu einem Konzern, der bereits heute die Wirtschaftsleistung der größten traditionellen Industrieunternehmen der Welt übertrifft.
Wenn Ökonomen behaupten, Vorhersagen über die komplexen, auch irrationalen und in Wahrheit unberechenbaren Verhaltensabläufe bei Menschen machen zu können, werden zum Beispiel Mediziner wie auch Mathematiker sehr skeptisch nach Qualitätskontrollen fragen, insbesondere wenn sogar Prognosen für bestimmte einzelne Personen „wie Du und Ich“ behauptet werden.
Jeder Statistiker weiß, dass Wahrscheinlichkeiten und Risiken prinzipiell nicht auf Einzelfälle sondern immer nur auf Gruppen anwendbar sind. Die bei Verhaltensprognosen mit dem genannten Doppelgänger angewandten statistischen Verfahren arbeiten mit sehr vielen Variablen, deren Zahlenwerte allenfalls heuristisch vermutet werden können. Man arbeitet mit Halbwahrheiten, legt grobe Erfahrungswerte für Bereichseinschränkungen fest und duldet Fehler mehr oder weniger großzügig. Informationen werden, falls anders nicht erhältlich, „windschief aus Daten abgeleitet und in überstürzte Ergebnisse und immer häufiger in irrsinnige Handlungsanweisungen verpackt“, so beschreibt das die Buchautorin und Unternehmerin Yvonne Hofstetter (14).
Für Hofstetter ist dies „schmutzige“ Mathematik; die Verfahren sind nicht öffentlich und einer wissenschaftlichen Überprüfung im Sinne einer Qualitätskontrolle nicht zugänglich. Die statistischen Fehler gehen immer zu Lasten der berechneten Einzelperson, die keine Möglichkeit besitzt, die Verfahren zu kontrollieren und die auf sie bezogenen Aussagen eventuell richtigzustellen.
Aufbau der Welt der Dinge zur flächendeckenden Datensammlung
Voraussetzung der statistischen Simulation menschlicher Leistungen beziehungsweise menschlichen Verhaltens ist, solches Verhalten massenhaft beobachten zu können. Bald war deshalb die Idee geboren, die gesamte Umgebung des Menschen mit Geräten auszustatten, die sein Verhalten digitalisieren und die Daten ins Internet in Richtung Datensammelzentren oder „Clouds“ einspeisen können, das heißt, die Idee der „Welt der Dinge“ war geboren.
Die große Aufgabe sah und sieht man heute darin, selbst die harmlosesten Gebrauchsgegenstände etwa zur Morgentoilette, in der Küche oder im Kinderzimmer mit Anschluss ins Internet zu versehen. Man benötigt eine flächendeckende Installation von Abhörsensoren in der unmittelbaren Umgebung des Menschen. Dazu verschenkt man sogenannte Apps, die als „smarte“ Datensammel-Trojaner wirken.
Zusätzlich wird die Politik dazu gedrängt, durch geeignete Gesetzgebung dafür zu sorgen, dass ausreichend viele Datenaufnahmegeräte installiert werden müssen: Smartmeter, Rauchmelder, Notfallmelder in Autos, Gesundheitsmesser, bargeldlose Bezahlung, Kabel-TV, Internet-Telefon, und so weiter ... Genau in dieser Phase befinden wir uns heute, nämlich in der Phase des flächendeckenden Aufbaus der vernetzten Welt der Dinge.
Ziel wohlbekannter Big-Data-Unternehmen ist es, die durch fremde Wertschöpfung produzierten Werte massenhaft aufzusammeln. Sie selbst betreiben keine Wertschöpfung durch Aufsammeln, sondern eine massenhafte Abschöpfung von Werten. Dadurch wird es Firmen möglich, sich riesige Mengen von Werten anzueignen, ohne eine eigene Wertschöpfung zu leisten.
Einziges Problem aus der Sicht der IT-Industrie: Der Mensch ist als Urheber seiner Entscheidung Eigentümer der wertvollen Daten, und es stellt sich die Frage, wie man die Eigentümer enteignen und sich ihre wertvollen Daten aneignen kann, sich also des fremden geistigen Rohstoffes bemächtigen kann. Der Trick wird sein: Der Urheber ist nicht Eigentümer. Man kann davon ausgehen, dass die IT-Konzerne bereits Gesetze dazu formulieren, die dann unsere Parlamentarier durchwinken werden.
Kampf um den geistigen Rohstoff
Um die Nutzung des geistigen Rohstoffes ist ein Kampf entbrannt. Man ist an koloniale Zeiten erinnert, in denen der unerschöpflich scheinende Reichtum an Rohstoffen Afrikas mit Zustimmung der dortigen Landesfürsten von fremden Mächten ausgebeutet wurde, ohne dass die dortige Bevölkerung an den Erträgen teilhaben konnte. Europa ist bei der Nutzung des Rohstoffes der privaten Daten dabei, das Afrika des Informationszeitalters zu werden. Es wurde eine Enteignung in Gang gesetzt, die medial und ernstzunehmend als „Ende der Privatheit“ suggestiv prognostiziert wird. Experten der Informationsindustrie diskreditieren das Recht auf individuelle Privatsphäre als „Auslaufmodell“ mit dem Ziel, den geistigen Rohstoff, der von Menschen produziert wird, wenigen global agierenden Konzernen zu übereignen.
Die politisch unterstützte Strategie der IT-Industrie ist es, im gesamten Umfeld jedes Menschen Datenaufnahmegeräte zu installieren, die sein gesamtes Verhalten digitalisieren und die Daten in Richtung Datensammelzentren ins Internet einspeisen. Die Kontrolle über Gebrauchsgegenstände bis hin zu Privatautos wird dem Besitzer entzogen. Er lebt zunehmend in einer geliehenen Umgebung, deren Funktionalität fremd bestimmt bleibt.
Der einzige wirtschaftliche Reichtum im 21. Jahrhundert, den die Masse der Menschen als persönliches Eigentum besitzt, sind eigene Entscheidungsdaten. Die Menschen sind Besitzer eines unermesslich wertvollen Produktionsmittels in Gestalt ihres Gehirns, das diese Entscheidungsdaten unbegrenzt produzieren kann, wozu Roboter nicht in der Lage sind. Es ist extrem wichtig, dass die Menschen in allen Gesellschaften das unverschämte Ansinnen der IT-Wirtschaft und der aktuell regierenden Politiker an sie, sich den geistigen Rohstoff ohne Widerstand entwenden zu lassen, mit aller Macht zurückweisen.
Die enteignende Ausbeutung dieses Rohstoffes durch global agierende Großkonzerne ist gleichbedeutend mit einer Kolonialisierung der Menschheit.
Wenn den IT-Konzernen dieser Coup gelingt, werden die „Armen“ eines Tages zu Sklaven des 21. Jahrhunderts degradiert worden sein; ein echtes déjà-vu-Erlebnis für Historiker, die Ähnliches aus dem 19. Jahrhundert und früher kennen.
Tatsächlich aber ist zumindest ein „Ende des Privaten“ nicht in Sicht. Im Gegenteil. Riesige Mengen des „geistigen Rohstoffes“ werden durch massenhafte Abschöpfung von Verhaltens- und Entscheidungsdaten privatisiert. Andrerseits setzt bekanntlich die neoliberale Ideologie auf die Privatisierung bislang öffentlichen Eigentums und will öffentliche Dienstleistungen auch im universitären Bereich privatisieren.
Insbesondere ist das durch freie Wissenschaften entwickelte öffentliche Wissen Ziel von Privatisierung, wie Colin Crouch in seinem im Jahr 2015 erschienenen Buch gezeigt hat. Die Behauptung, dass Privatheit ein Auslaufmodell wäre, ist eine absichtliche Täuschung. Sie besteht darin, dass das eingesammelte fremde Eigentum an privaten Daten nicht etwa der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt, sondern neuen Eignern zugeordnet wird. In Wahrheit wird Privateigentum massiv zentralisiert und schon gar nicht abgeschafft.
Die neuen Besitzer schützen ihre Besitzstände vor Öffentlichkeit. Die Privatsphäre hoch vermögender Kreise und Konzerne wird sehr wohl verteidigt. Unter den Augen maßgeblicher Politiker geschieht eine Umverteilung von Ressourcen, die der Bevölkerung nicht bewusst ist. Und die Bayerische Staatsministerin Ilse Aigner ist der Ansicht, dass die Menschen ihre privaten Daten sowieso freiwillig abliefern würden und fragt sich, was das Problematische beim Abgreifen der Daten sei. Alles in Ordnung? Nein, keineswegs!
Freiwilligkeit der Überlassung privater Daten
Im Augenblick scheint es so, als ob die Leute freiwillig akzeptieren würden, auf Dauer enteignet und überwacht zu werden. Sie scheinen einer Datenerhebung und Überlassung ihrer Daten an Wirtschaftsinstitute meist direkt oder indirekt zuzustimmen. Was aber bedeutet diese Zustimmung? Der Nutzer kann angesichts eines Spinnennetzes von juristisch ausgeklügelten „Zustimmungsfallen“ faktisch kaum eine Zustimmung vermeiden. Wahr ist auch, dass die Zustimmung beim Überlassen von Daten nur scheinbar eine freie Entscheidung ist, wenn die Alternative ein faktischer Ausschluss von lebensnotwendigen Dienstleistungen oder von der Teilhabe an gesellschaftlichem Leben bedeutet.
Eine freie Entscheidung gibt es insbesondere dort nicht mehr, wo der Bedarf an Produkten und Dienstleistungen durch die gezielte Weckung von Suchtverhalten abgesichert wurde oder wo der Bedarf „gesetzlich“ abgesichert wurde. Der Einzelne sieht sich einerseits einem Kartell von Anbietern gegenüber, die sich ihre Dienstleistungen nicht mehr nur mit Geld bezahlen lassen wollen, sondern auch mit privaten Daten als einer neuen Währung.
Und andererseits steht ihm eine Phalanx von Experten gegenüber, die menschliche Gemeinschaften, Staaten und Wirtschaftsräume als gigantische Spielwiesen und Testräume für all ihre Experimente betrachten und sich im Besitz traumhafter Forschungsbedingungen wähnen.
Gut, und es werden nahezu unüberwindliche Fakten geschaffen, damit es nicht geschieht, dass sich breite Schichten der Gesellschaft dieser Enteignung und der nachfolgenden Abhängigkeit bewusst werden und ein Umdenken in Gang kommt. Es scheint, dass der Mensch in der vernetzten Welt in eine extreme Abhängigkeit gerät.
Digitale Revolution
Der Aufbau der Welt der Dinge setzt eine „Digitalisierung“ aller gesellschaftlich relevanten Vorgänge und anschließenden Verarbeitung der anfallenden Daten voraus; man nennt den Aufbau dieser Welt deshalb auch die „digitale Revolution“, oder auch die „dritte industrielle Revolution“ (15), Sie bedeutet eine technische Revolution seit etwa den 1950er Jahren, die man mit der Medienrevolution des Buchdrucks im 15. Jahrhundert vergleichen kann.
Die „Digitalisierung“ in der heutigen Form ist geprägt durch Geräte und Programme für multimedialen Informationsaustausch, Verarbeitung von Daten und automatisierter Steuerung, als da sind: Smartphone, Internet, Suchdienste, statistische Auswertung großer Datenmengen und kybernetische Steuerung durch Automaten.
Verstanden als Prozess ist die Digitalisierung ein technischer Vorgang, andererseits ist sie auch eine Strategie.
Die Strategie kennt zwei Ausprägungen. Erstens gibt es die Forderung der digitalen Darstellung der gesamten beobachtbaren Welt inklusive der Menschen, das heißt ihrer vorsorglichen Vermessung in diskreten Einheiten, um sie für eine mutmaßliche zukünftige Bearbeitung durch digitale Automaten zu speichern. Dies liefert den Input für Big Data. Zweitens gibt es die Automatisierung. Deren Leitmotiv ist die möglichst weitgehende Nachbildung der geistigen Arbeit des Menschen zumindest als Forschungsziel.
Beide Ausprägungen dieser heutigen Strategie beinhalten schwerwiegende Fehleinschätzungen. Erstens führt die digitale Vermessung jedweder Beobachtung mit immer höheren Auflösungen zu unbeherrschbar riesigen Datenmengen, in denen jede Verarbeitung irgendwann im Datenmüll ersticken wird. Zweitens ist die Nachbildung der geistigen Arbeit des Menschen als Forschungsziel mit der KI bereits gescheitert.
Ersatzweise werden heute menschliche Leistungen mit statistischen Verfahren und Big Data aus einer Unmenge praktisch als gestohlen zu betrachtender privater Verhaltensdaten hergeleitet. Der entscheidende Fehler ist aber, dass Menschen heute den zentralen Servern intelligent zuarbeiten, und diese Rechner dann mit unintelligenten Verfahren die zentrale Kontrolle über das Verhalten von Menschen ausüben sollen. Dies ist genau die Struktur der Verfahren totalitärer Diktaturen, die bekanntermaßen jegliche Kreativität zum Absterben bringt.
Ich möchte Michael Friedewald zitieren, der in einem Artikel (16) beschreibt, wie bereits seit den 1960er Jahren ein damals zu KI alternativer Ansatz für die Kommunikation zwischen Mensch und Rechner erforscht wurde, in dem der Rechner nicht autonom agiert, sondern unter der Kontrolle von Menschen quasi als Intelligenzverstärker dient: „Die frühen Sechzigerjahre sind in der Geschichte der Datenverarbeitung und der Informatik eine Phase grundlegender Richtungsentscheidungen gewesen. Es gab eine tief greifende Diskussion über den Charakter des „Artefakts Computer“.
Auf der einen Seite wurde argumentiert, der Computer sei ein Werkzeug zur Mechanisierung und Automatisierung geistiger Tätigkeiten. Für die Vertreter dieser Denkweise war der menschliche Bediener ein potenzieller Störfaktor und sollte deshalb möglichst wenig Eingriffsmöglichkeiten besitzen. Auf der anderen Seite wurde der Mensch in das Zentrum des Systementwurfs gerückt, und die Gestaltung von Hard- und Software orientierte sich folglich an den Bedürfnissen und Fähigkeiten des Benutzers.
Aus dieser Denkrichtung, zu deren wichtigsten Vertretern Joseph C.R. Licklider (17) und Douglas Engelbart gehörten, ging eine grundlegende Neudefinition des Computers als eine Art Intelligenzverstärker hervor.“ Bei dem Ansatz der Intelligenzverstärkung behält stets der Mensch die Kontrolle.
Es gibt ein eindrucksvolles Beispiel, anhand dessen man den Unterschied der beiden Auffassungen der Nutzung von Computern illustrieren kann. Im Jahr 1996 ging durch die Weltpresse, dass erstmals eine Maschine (Deep Blue) den amtierenden Schachweltmeister Garry Kasparov in einer Partie schlagen konnte. Das Ereignis wurde als Wendepunkt in der Interpretation der Leistungsfähigkeit von Computern gesehen. Man extrapolierte sofort, wann der Computer die Denkleistung von Menschen übertreffen würde. Mittlerweile gibt es den Begriff der „Technologischen Singularität“; sie wird als der Zeitpunkt definiert, ab dem die künstliche Intelligenz die menschliche Intelligenz übertreffen wird und dann selbst den Fortschritt vorantreiben wird. Nach Stanislaw Ulam ist dies der Zeitpunkt, „nach dem das Leben der Menschen, so wie wir es kennen, nicht weitergehen kann“.
Die Wahrheit ist eine andere. Nicht die Intelligenz des Riesencomputers Deep Blue war es, die Kasparov besiegte, sondern ein Heer von Hunderten von Programmierern, die ihre Intelligenz in die Programmierung des Computers steckten und mit einem gigantischen Aufwand an Rechenleistung astronomisch viele Spielvarianten in Echtzeit durchprobieren ließen. Schon ein Jahr nach dieser Niederlage war es dann umgekehrt, Kasparov besiegte den Deep Blue, und zwar mit Hilfe eines relativ kleinen PCs, der den Schachweltmeister bei konkreten Problemen unterstützte. Dies zum Thema Computer als Intelligenzverstärker.
Die digitale Revolution ist natürlich keineswegs abgeschlossen, Ein großes Potential wird zum Beispiel noch bei der Entwicklung der Roboter gesehen. Als Beispiel rechnet Ian Pearson, Chef-Futurologe bei British Telecom, ab dem Jahr 2020 mit Maschinen mit „Bewusstsein“. Ebenso werden auch im Bereich der künstlichen Intelligenz noch große Fortschritte erwartet.
Künstliche Intelligenz
Auf dem Jahrmarkt der Visionen lässt man allerdings eine Kleinigkeit außer Acht. Bereits in den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts bewies der Mathematiker Kurt Gödel dem Sinne nach, dass der sogenannte von Neumann Computer der heutigen Zeit (und ein anderer ist nicht in Sichtweite) die Qualität der menschlichen Gehirnleistung niemals erreichen wird. Damit wirken die geschäftstüchtigen Ankündigungen phantastischer Entwicklungen der IT-Wirtschaft zur Ersetzung menschlicher Arbeit wie Seifenblasen kurz vor dem Zerplatzen. Man muss aber zugeben, dass mit diesen Phantasien viel Geld verdient wird, fast so viel wie mit dem Schneeballsystem der wunderbaren Geldvermehrung in der Finanzbranche.
Die von Rechenmaschinen erzeugte sogenannte künstliche Intelligenz ist keine kreative Intelligenz, die fähig ist verantwortbare Entscheidungen zu treffen. Diese Art von „Intelligenz“ benötigt abartig riesige Datenmengen, die alle aus der Beobachtung von intelligenten Verhalten von Menschen stammen.
Die statistische Auswertung von riesigen Datenmengen, also Big Data, simuliert dann menschliches Verhalten. Mathematisch betrachtet basieren alle KI-Anwendungen auf Optimierungsfunktionen über großen Datenmengen. Die Anwendungsfelder sind natürlich ebenso universal wie die Beobachtungsdaten. Darin liegt die Stärke der KI als Universaltechnologie.
Ziel der Entwicklung von Geräten ist es, dass eine Bedienungsschicht über alle Geräte gelegt wird, die eine sogenannte „smarte“ Bedienung ermöglichen. Dies wäre dann eine Bedienung, die vonseiten des Anwenders keine Intelligenz mehr erfordert, weil das Gerät selbst schon vorschlägt, was die optimale Bedienung sei. Man hat dann nur noch zuzustimmen oder abzulehnen. Die Propaganda der Firmen, die künstliche Intelligenz erforschen, lautet, dass für alle Probleme der Menschheit, bei Krankheiten, den Klimawandel, die Finanzkrisen, etwa in zehn Jahren schon die „Metalösung“ von einer künstlich intelligenten Maschine geliefert wird.
Diese Propaganda soll bewirken, dass wir der permanenten Digitalisierung und Bereitstellung unserer persönlichen Umgebungs- und Körperdaten zustimmen. Niemand garantiert natürlich, dass irgendwelche Versprechungen eingehalten werden. Und dies wäre auch unsinnig, denn es ist unter verantwortungsbewussten Experten bekannt, dass alle diese Heilsbotschaften sich nie erfüllen werden. Für die IT-Konzerne ist lediglich wichtig, ihre weltweite Macht über die Menschen zu behalten.
Nach Kant ist Unmündigkeit das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines Anderen zu bedienen. Er sagt: „Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt, so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen“. Kant mahnt: „Habe Mut, dich deines Verstandes zu bedienen“.
Daraus ergibt sich zwingend, dass die Mündigkeit in der smarten Welt ein Widerspruch in sich ist, denn smart ist ja gerade die bequeme Anleitung aus dem Netz, das heißt die Übernahme der (einfachen) Denkarbeit durch zentrale Rechner. Infolgedessen muss man schließen, dass die Mündigkeit in den Zielsetzungen der industriell organisierten Informationstechnologen konsequenterweise gar nicht vorkommt, wobei ethische Diskussionen, zum Beispiel über Mündigkeit und Bewahrung von Grundrechten, im wirtschaftspolitischen Raum zwecks Kontrolle von politischen Forderungen der Bevölkerung durchaus geduldet werden, solange eine Wirkung auf die Steuerung der Forschungsentwicklung verhindert werden kann.
Fatalerweise haben immer mehr Menschen den kolossalen Mut, sich von Informationen aus dem Netz statt ihres eigenen Verstandes leiten zu lassen und damit, ohne dass sie es merken, ihre Mündigkeit zu verspielen. Es spricht aber nichts dafür, dass die Menschen diesen Traum weiter träumen werden. Die wirklich entscheidende Frage bei allen Diskussionen, wie intelligent eine Maschine je werden könne, wird sein, ob die Menschen sich auf bloße Ja-Nein-Sager reduzieren lassen wollen. Für die Menschen heißt leben insbesondere, selbst zu bestimmen, was sie tun wollen. Der Ratschlag einer Maschine interessiert nicht, wenn man weiß, dass man nur manipuliert wird und seine Autonomie verliert. Einer Maschine um den Preis der Selbstaufgabe aus Bequemlichkeit zu folgen, ist Prostitution.
Neo-digitale Revolution
Jede Art von Technik, und bei der Digitalisierung ist es nicht anders, erlaubt Anwendungen in unterschiedliche Richtungen. Technik ist dabei nicht ursächlich für ihre Anwendung sondern allenfalls eine notwendige Voraussetzung dafür. Auch die Entdeckung der Kernspaltung erzwingt nicht den Bau einer Atombombe. Die Anwendung einer Technik geschieht immer erst innerhalb einer gesellschaftspolitischen Zielsetzung und diese erwächst im Allgemeinen aus einer von Technik nicht vorbestimmten politischen Wirkungskette. Der technologische Determinismus ist längst widerlegt, wonach technische Revolutionen den gesellschaftlichen Wandel inhaltlich bestimmen.
Wenn wir nach den Ursachen der Zerstörung von Grundwerten unserer Gesellschaft im Sinne von „Ende der Privatheit“, „Auflösung des Individuums“, oder Ende der Demokratie fragen, dann fragen wir in Wahrheit nach den treibenden politischen Kräften eines Angriffs auf die verfassungsrechtlich verbrieften Grundlagen unseres Staates.
Es ist nicht die „Digitalisierung“ als eine technische Revolution, die ein Ende der Privatheit verursachen könnte und die auf die Abschaffung sowohl unseres demokratisch verfassten Wertesystems als auch unserer staatlichen Souveränität zielt. Sondern es ist jene politisch-ökonomische Revolution, die ihren Anfang kurz nach Ende des Kalten Krieges nahm, als einerseits viele arbeitsuchenden Atom-Physiker in die Finanzbranche wechselten und als andererseits um das Jahr 1991 die staatliche National Science Foundation (NSF) das Rückgrat des Internets (nämlich das NSFnet) privatisierte, das heißt kommerziellen Providern überließ. Nach diesem Deal wurden einige Investoren sehr schnell zu Milliardären.
Ich nenne diese auf der Digitalen Revolution basierende politisch-ökonomische Revolution die Neo-digitale Revolution. Die Bezeichnung neo-digital folgt einem Narrativ, das die Begriffe neoliberal und digital zusammenführt.
Beide Revolutionen bilden zusammen einen Wirkungskomplex, wobei die Digitalisierung eine enorme katalytische Verstärkung der politisch-ökonomischen, neo-digitalen Revolution bewirkt. Das Fernziel der RAND Corporation (18), nämlich die technokratische Steuerung aller Aspekte der Gesellschaft (19) unter einer Welt-Regierung, wäre ohne umfassende Digitalisierung in der heute sich abzeichnenden Form nicht erreichbar.
Frank Schirrmacher beschreibt in seinem Buch „Ego“ atemberaubend, wie in fast allen westlichen Industriestaaten am Projekt der „marktkonformen Demokratie“ gearbeitet wird. Der Begriff geht auf Philip Bobbitt zurück, einem einflussreichen politischen Vordenker des amerikanischen politischen Establishments und Berater von Bill Clinton und George W. Bush. Er entwarf eine neue „konstitutionelle Ordnung, die den Nationalstaat ablösen wird“, und prognostizierte die Verwandlung unserer Welt in „Informations-Markt-Staaten“.
Die neo-digitale Revolution ist eine vielschichtige geistige, politisch-ökonomische Revolution, deren Wurzeln in den libertären oder neoliberalen Ideologien der amerikanischen Ökonomie zu suchen sind, wesentlich unterstützt durch die RAND Corporation (20) der Vereinigten Staaten. Sie soll den Menschen in den „homo oeconomicus“ transformieren, und zum Mitglied einer „Informationsgesellschaft“ machen.
Der Kern dieser Revolution ist der unverhohlene und staatliche Grenzen überschreitende Angriff auf die Privatsphäre der Menschen weltweit mit dem Ziel der Enteignung beziehungsweise Aneignung des von Menschen produzierten geistigen Rohstoffes, sowie der Zerstörung des Individuums durch Entmündigung und Überwachung. Letztendlich werden staatliche Strukturen zerstört.
Die Initiatoren dieser Revolution muss man in den Zentren weniger Großkonzerne der IT-Wirtschaft suchen, aber auch in den militärischen Komplexen und Sicherheitsbehörden der USA und einzelner weiterer Staaten, der Motor ist die mit ungeheuren Finanzmitteln ausgestattete Investorenschaft.
Das Motiv der weltweiten Machtergreifung durch zentrale Kontrolle und Eingriff in die privaten, gesellschaftlichen und staatlichen Infrastrukturen von Entwicklungsländern und befreundeten Staaten gleichermaßen wird meist mit Sicherheitsinteressen der USA begründet. Die technischen Waffen sind die weltweite elektronische Vernetzung der Menschen über das Internet und ihrer Geräte, die dann verdeckt die Rolle als Datenspione spielen.
Einen Anschauungsunterricht darin, wie Interessen weltweit revolutionär durchgesetzt werden können, liefert das Beispiel der Bestrebungen zur Abschaffung des Bargeldverkehrs, die von der US-Regierung seit Jahren strategisch betrieben werden.
Die deutsche Bundesregierung beteuert hoch und heilig, dass es für Deutschland keine Pläne einer Abschaffung des Bargeldes gibt. Nun wird aber bekannt, dass der Entwicklungsminister Gerd Müller auf der Sicherheitskonferenz in München ein „Memorandum of Understanding“ zur Zusammenarbeit mit der Bill & Melinda Gates Stiftung unterzeichnet hat. Dabei geht es um die Förderung der Digitalisierung des Zahlungsverkehrs in Entwicklungsländern und letztendlich um die Abschaffung des Bargeldes eben dort. Indien wird bereits bis Ende 2018 diese Abschaffung mithilfe der Bill & Melinda Gates Stiftung abgeschlossen haben. Es folgen weitere Länder. Schließlich aber gibt es effektive Bestrebungen weltweit, das Bargeld abzuschaffen.
Die US-Regierung sieht in der Digitalisierung des Zahlungsverkehrs die Wahrung ihrer Sicherheitsinteressen. Die Akteure sind die US-Regierung, der Chef von Paypal, die Bill&Melinda Gates Stiftung und der Milliardärs-Club World Economic Forum (WEF) und diverse andere. Voraussetzung für die Abschaffung von Bargeld ist nach Bill Gates allerdings die Schaffung einer globalen biometrischen digitalen Identifikationsnummer für alle Menschen auf der Welt, einem Steckenpferd von Bill. Dies ist in Indien bereits mit dem Aadhaar-System entgegen der Entscheidungen des indischen Verfassungsgerichts begonnen worden.
Wie man jüngst der Newsletter-Seite des Volkswirtes und Wirtschaftsjournalisten Norbert Häring entnehmen konnte (21), beschäftigt sich das MIT mit der Frage, wie man die Bargeldabschaffung insbesondere gegen den Willen der Bevölkerungen durchsetzen könne. Die Methoden sind Geheimhaltung, Falschinformation, Einschüchterung bis hin zur Isolierung und Strafverfolgung unbequemer Kritiker. Diese Methoden werden bereits in Indien getestet, die Missachtung der Entscheidung des indischen Verfassungsgerichts wird dabei bewusst in Kauf genommen.
Tatsache ist also, dass die Bargeldabschaffung eine Frage der politischen Interessen, der Macht und der Finanzen ist. Die Abschaffung des Bargeldes als Zahlungsmittel ist im Zeitalter des Internets technisch möglich. Aber es gibt gute Gründe, warum selbst einfache Bürger ohne tiefere Kenntnisse der Möglichkeiten des Internets eine komplette Überwachung ihrer Zahlungen fürchten. Sie lehnen die Abschaffung des Bargelds mit großer Mehrheit ab.
Norbert Häring sieht hinter der Forderung nach Abschaffung oder Begrenzung des Bargelds nicht die Motive der Kriminalitätsbekämpfung und Steuergerechtigkeit, sondern Motive der Finanzwirtschaft: die mögliche Einführung von Negativzinsen und die „Einsperrung des Geldes in den Banken“. „Die Abschaffung des Bargelds ist für ihn einer der Schritte in den ,Orwellstaat‘ mit absoluter Transparenz aller Zahlungsvorgänge und damit der Kontrolle aller mit Geldüberweisungen zusammenhängenden Handlungen des einzelnen Bürgers“ (Zitat Wikipedia).
Die neo-digitale Revolution ist Teil eines globalen Krieges, den der Milliardär Warren Buffett sehr deutlich bestätigt hat. Auf die Frage, was der wichtigste Vorgang auf der Welt sei, antwortete Warren Buffett, derzeit drittreichster(?) Mensch auf der Welt: „Das liegt doch auf der Hand. Es ist der Krieg der Reichen gegen die Armen. Und die Reichen werden ihn gewinnen“.
Smarte Diktatur
Die Begriffskombination „smarte Diktatur“ geht ursprünglich auf den Titel des im vorvergangenen Jahr 2016 erschienenen Buches von Harald Welzer zurück. Allerdings war das englische Wort „smart“ schon seit längerem in mannigfachen Wortverbindungen in der Werbung der IT-Industrie gerade auch in Deutschland verwendet worden. Beispiele dafür sind „Smartphone“, „Smart City“, „Smartmeter“, das heißt „smarte Stromzähler“, „smarte Wohnung“, nicht zu vergessen das „smarte Auto“, welches derart smart ist, dass es sich selbst steuern kann. Eine Tagung im Jahr 2016 titelte „Mündig in der smarten Welt“; man kann neuerdings „smart einkaufen“; es gibt „smarte Assistenzroboter“, die das Leben erleichtern sollen, und auch „smarte Puppen“, die, so heißt es, Emotionen aus der Gesichtsmimik ablesen können.
In der Sammlung der Wortverbindungen mit dem Wörtchen „smart“ fehlt bislang der Begriff der „smarten Demokratie“. Wir kennen allerdings den Begriff „marktkonforme Demokratie“ mindestens seit Frau Merkel den Begriff benutzt hatte. Wofür steht dieser Begriff? Der Begriff „marktkonforme Demokratie“ relativiert jedenfalls den Demokratiebegriff, indem das Grundgesetz eingeschränkt wird durch den Vorrang der als universal gedachten Gesetze des Marktes. Tatsächlich gibt es eine marktkonforme Demokratie ebenso wenig wie es eine parteikonforme Demokratie in der DDR gegeben hatte, wo die Partei den Vorrang hatte und die Demokratie eine Illusion war.
Beide Bezeichnungen maskieren demokratiefeindliche Geisteshaltungen. Auf dem Boden unseres Grundgesetzes ist es gerade umgekehrt: Der Markt und die Parteien müssen demokratiekonform sein, Vorrang hat der Mensch. Die „marktkonforme Demokratie“ im Zeitalter der Digitalisierung, die wir gerne auch smarte Demokratie nennen könnten, erweist sich als ein Propagandabegriff zur Verschleierung der „smarten Diktatur“ des Marktes, die im Titel des Vortrags gemeint ist. Die smarte Demokratie ist nichts anderes als das Ziel, wohin die neo-digitale Revolution steuert.
Der Begriff der Smartheit
In allen diesen Wortverbindungen besitzt das Wörtchen „smart“ keinerlei definierte Bedeutung, und dies gilt insbesondere für den deutschsprachigen Raum, wo die Bedeutung englischer Wörter vielfach nicht hinterfragt wird, Hauptsache sie klingen „cool“. Das Wörtchen „smart“ vermittelt beim Lesen lediglich ein positives, angenehmes Gefühl und dies ist seine wichtigste Funktion. Falls nun eine Wortverbindung mit „smart“ zum Beispiel im Kontext der Bewerbung eines Kühlschranks erscheint, so wird die unbekannte Bedeutung der Wortverbindung „smarter Kühlschrank“ in der Wahrnehmung unbewusst durch die angebotene Bewerbung als geltende Bedeutung ersetzt.
Wenn beispielsweise ein Hersteller von Kühlschränken seine Geräte mit Sensoren zur Erkennung des Wareninhalts mit zugehöriger Internetverbindung ausstatten will, dann wird er sein Gerät in der Werbung als „smarten Kühlschrank“ anpreisen, der angeblich so „intelligent“ ist, dass er auf Anruf von einem Smartphone aus Auskunft über seinen Wareninhalt gibt nebst Tipps, was man noch einkaufen sollte. Der „smarte Kühlschrank“ erscheint nun als ein Gerät, das das Leben bequemer macht, und nicht nur das, es spart sogar Energie, weil man die Tür nicht öffnen muss, um nachzusehen, welche Lebensmittel man einkaufen muss. Damit wird nach John Searle eine gesellschaftlich relevante „Deklaration“ eines Begriffes, man sagt auch Narrativ dazu, in den Markt eingeführt.
Dieser Akt einer Deklaration bei der Einführung von Produkten in Märkte ist wohlbekannt. In Verbindungen mit dem Wörtchen „smart“ kommt aber etwas Entscheidendes hinzu. In diesem Fall ist der Zweck des Narrativs die Tatsache, dass für den Hersteller das Produkt eine völlig andere, weitere Bedeutung besitzt, die für den Kunden unsichtbar bleibt; das Kundennarrativ verdeckt sozusagen die zweite Bedeutung. Aus Sicht des Herstellers nämlich ist das Produkt „smarter Kühlschrank“ ein Trojaner zur Sammlung von Daten des Kunden beziehungsweise zur Steuerung der Kundenwünsche beim Einkaufen.
Natürlich wird der Hersteller möglichst verschleiern, dass die im Kühlschrank gesammelten beziehungsweise konfigurierten Daten nebst allen zugehörigen Einkaufsgewohnheiten als wertvolles Nebenprodukt beim Hersteller oder wo immer landen. Und noch weniger wird er davon reden wollen, dass der Kühlschrank als Spionagegerät arbeitet mit diversen aus dem Internet heraus fremd-steuerbaren verdeckten Funktionen, dokumentiert, wenn überhaupt, in der vielleicht 80seitigen Allgemeinen Geschäftsbedingung, in der auf Seite 69 stehen könnte, dass der Käufer mit dem Kauf des Kühlschranks dem Hersteller automatisch das Einverständnis zum Weiterverkauf seiner Daten gibt.
Dort wäre auch zu lesen, dass der Kühlschrank nicht funktioniert, falls keine Internetverbindung eingerichtet wurde. Bei gut funktionierender Lobbyarbeit oder entsprechender Konzerngröße hat der Gesetzgeber ein flankierendes Gesetz zur „Förderung des Wirtschaftsstandorts Deutschland verabschiedet“, nach dem aus Gründen vielleicht der „Energieeinsparung“ nur mehr smarte Kühlschränke zugelassen sind; außerdem hätten die weltweit einzigen drei Hersteller von Kühlschränken ihre AGBs abgeglichen.
Meine Geschichte mit den Kühlschränken ist natürlich konstruiert. Leider kommt sie der Wirklichkeit recht nahe. Wir haben es hier mit einer der vielen Propagandatechniken zu tun, die durch Heerscharen von Soziologen und Psychologen in Think Tanks und Stiftungen der Wirtschaft bestens erforscht wurden. Ziel der Techniken ist es, sogenannte Narrative zu erfinden, die gerne geglaubt werden und gleichzeitig die nicht konsensfähigen Eigenschaften eines Produkts unsichtbar machen.
Diese Techniken werden in gleicher Weise in der politischen Propaganda angewandt.
Bei den Wortverbindungen mit dem Wörtchen „smart“ jedenfalls geht es stets darum, Geräte von außerhalb zu steuern mit dem Versprechen, dass dem Kunden Entscheidungen erleichtert oder sogar abgenommen werden. Dem Kunden wird der Eindruck vermittelt, dass er die Lösung von Problemen „outsourcen“ könne in eine Zentrale, die seine Daten besser als er selbst auswerten kann.
Verschleiert wird dabei ein riesiger „Schwarzer Markt“, der mit erschlichenen oder erpressten privaten Daten betrieben wird. Diese Daten werden einfach als „Datenabgas“, als Datenmüll bezeichnet.
Empört Euch!
Als Deutscher wurde er im Oktober 1917 in Berlin geboren, als Franzose starb er fünfundneunzig Jahre alt in Paris. Stéphane Hessel verkörperte deutsch-französische Geschichte, überlebte das europäische Inferno im zwanzigsten Jahrhundert und kämpfte zeitlebens für soziale Werte, die heute gerne die „Westlichen“ genannt werden und die den Kern der universalen Menschenrechte bilden. Hessel arbeitete als Mitglied der UNO-Menschenrechtskommission an der Formulierung der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“, die am 10. Dezember 1948 in Paris von den Vereinten Nationen verabschiedet wurde.
Das „Gewissen des Westens“ wurde er genannt. Und dies versteht, wer seinen Aufsatz „Empört Euch!“ kennt, in dem er sich an die Jugend Europas mit dem Aufruf wandte, Widerstand gegen den Finanzkapitalismus zu leisten, der als Speerspitze einer neoliberalen Gesellschaftsrevolution im beginnenden 21. Jahrhundert das gesamte Fundament der europäischen sozialen und demokratischen Errungenschaften der Nachkriegszeit zu zerstören droht.
Und Hessel rief auf, Widerstand zu leisten gegen jene politischen Rückschritte, in denen die politischen Lehren aus den Katastrophen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunichte gemacht werden sollen, nämlich der soziale Ausgleich durch den New Deal in Amerika, die Soziale Marktwirtschaft in der Bundesrepublik und insbesondere die Substanz der universellen Menschenrechte.
Dabei lassen sich zwei Stoßrichtungen der Rückschritte erkennen: zum einen zielen sie auf die Beseitigung des Sozialstaats und die Privatisierung öffentlicher Güter. Zum anderen wird mittels elektronischer Vernetzung aller Geräte in der Umgebung der Bürger zunehmend die Überwachbarkeit und das Eindringen in die intimste Privatsphäre der Menschen betrieben. In beiden Fällen findet eine massive Enteignung der Bevölkerung statt, einerseits durch Umverteilung von Vermögen und andererseits durch Enteignung privater Daten; diese Rückschritte seit den 1990er Jahren sind Inbegriff der obengenannten „neo-digitalen Revolution“.
Empörung und Widerstand
Aber Empörung allein reicht auf Dauer nicht. Dies wusste auch Hessel. Der Empörung muss Engagement folgen, welches sich mit Widerstand verbindet. Engagierter Widerstand setzt aber ein Minimum von Wissen und Verstehen der historischen Zusammenhänge politischer Vorgänge voraus. Und damit ist nicht eine einseitig indoktrinäre Bildung gemeint, sondern jene kritische Urteilsfähigkeit, die Abstand hält zu jeder Art von Nachrichten, bevor sie nicht aus verschiedenen Quellen bestätigt werden können, und die davon ausgeht, dass Medien Propaganda verbreiten, um bestimmte Wirkungen zu erzielen.
Die allermeisten Nachrichten der heutigen Medienwelt sind „moderierte Nachrichten“, das heißt bloße Meinungen, die jemand mutmaßlich haben könnte, von konstruierten Falschmeldungen einmal abgesehen. Das mündige Denken beginnt mit der Infragestellung der Wahrheit jedweder Nachrichten beziehungsweise politischen Äußerungen.
Widerstand mit Gewalt gleichzusetzen ist unangemessen und unnötig zugleich. Widerstand beginnt beim Neinsagen zu Urteilen, Wertungen und Zumutungen. Das Nein muss laut und zahlreich sein; es muss von den jungen Generationen getragen und von dem Wissen der Älteren gestützt werden. Gesellschaftlicher Widerstand muss zudem ein ideales Ziel haben, ein Soziologe würde sagen, er muss von einer starken Erzählung, einem „Narrativ“, getragen und gestützt sein, von einem Ziel also, zu dem wir Ja sagen.
Wir sind in der glücklichen Lage, ein ethisch wünschbares Narrativ der politischen Gestalt der europäischen Gesellschaften lange schon zu besitzen. Und dies ist der absolute Vorrang der humanen, sozialen und demokratischen Leitwerte, die in unserer bundesrepublikanischen Verfassung vorbildlich niedergelegt sind und im Kern mit den universellen Menschenrechten übereinstimmen. Dieser Vorrang gilt gegenüber allen sogenannten Marktgesetzen. Der Vorrang gilt auch gegenüber allen Übergriffen der Technikwelt oder „künstlichen Intelligenz“. Es ist abstrus zu glauben, Menschen müssten eine angebliche Macht von Robotern über die Menschen akzeptieren, nur weil jene angeblich irgendetwas besser machen würden.
Man könnte auch fordern: „Schießt die Roboter auf den Mond, dort können sie sich untereinander bekriegen, baut dort eure Staaten auf. In unseren Staaten in Europa bestimmen wir selbst und jagen all diejenigen zum Teufel, die sich Macht über uns anmaßen“. In unserem Narrativ gilt der ethische Grundsatz, dass Wirtschaft, Technik und Wissenschaft dem Menschen zu dienen haben und nicht umgekehrt.
Unser Narrativ erzählt, dass die Selbstbestimmung des Menschen nicht davon abhängt, ob etwas anderes mutmaßlich „besser“ über ihn bestimmen könnte als er selbst. Vorrang hat der Mensch. Und es kann auch nicht sein, dass die universellen Menschenrechte im Zeitalter des Terrorismus Sicherheitsbelangen im Wege stehen, wie es jüngst Theresa May für möglich gehalten hat. Sie würde in diesem Fall offenbar sogar die Menschenrechte einschränken. Gegen solche Geisteshaltungen ist aktiver Widerstand Pflicht aller Demokraten.
Ein demokratischer Staat würde nicht seinen Umbau in einen Überwachungsstaat zulassen. Er würde weder die Korrespondenz seiner Bürger lesen noch ihr Tun und Treiben ausspionieren.
Dies sagt der Schweizer Ökonom Marc Chesney und er zitiert den Artikel 12 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: „Niemand darf willkürlichen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, seine Wohnung oder seinen Schriftverkehr ausgesetzt werden.“
Und Chesney sagt über den Finanzkapitalismus, dass er die Krise verursacht hat, das Risiko und die Schäden aber den Steuerzahlern, den Rentnern und den Arbeitslosen zur Last gelegt werden. Besonders perfide ist es deshalb, wenn Wolfgang Gründinger mit seinem Buch „Alte Säcke Politik“ von den tatsächlichen Ursachen der prekären Zukunftsaussichten der nachfolgenden Generationen dadurch abzulenken versucht, dass er Jugend gegen Alter in Stellung bringt.
Wir brauchen eine Ethische Reformation
Die neo-digitale Revolution zielt auf die Usurpation, das heißt widerrechtliche Besitznahme, unseres Landes in allen Lebensbereichen. Eine erfolgreiche Abwehr dieses Angriffs muss zuallererst alle Kräfte auf ein zentrales Thema konzentrieren. Und dieses Thema ist erstens die vollständige Wiederherstellung unserer individuellen Freiheit, Identität und Entfaltungsmöglichkeit in unserer Privatsphäre und zweitens der Schutz der Kommunikations- und Verkehrswege vor Einflussnahme durch monopolistische Konzerne oder imperialistische Staaten.
Die Verhinderung des Diebstahls privater Daten trifft den Gegner an seiner empfindlichsten Stelle. Es ist der einzige Punkt, den die breite Bevölkerung direkt beeinflussen kann. Es ist völlig klar, dass sich zunächst die Großkonzerne Google und Facebook die privaten Daten von Hunderten Millionen von Menschen aneignen, wenn wir hier nicht massive Gegenwehr leisten.
Die Schere der Zweiklassengesellschaft von Arm und Reich besteht aus den Allerreichsten und den Allerärmsten. Die Allerärmsten in der Welt sind nicht einfach diejenigen, die feststellen müssen, dass auf ihrem Bankkonto kein Euro verfügbar ist. Die Allerärmsten der Welt sind diejenigen, die zwar den wertvollsten und unerschöpflichsten Rohstoff des 2l. Jahrhunderts produzieren, diesen aber an Großkonzerne ausliefern, ohne dafür den lebensnotwendigen Gegenwert zu erhalten.
Wir sprechen von denjenigen, die Unbekannten erlauben, aus ihrer Privatsphäre private Daten abzusaugen, und deren Gehirne bereits von außen durchdrungen und gesteuert werden. Sie sind die Allerärmsten deshalb, weil sie die Privatsphäre und damit ihre Zukunft und ihre Würde verloren haben. Solange keine Charta der digitalen Grundrechte wirksam verabschiedet ist, müssen die Bürger den Kampf gegen die Macht der multinationalen Konzerne selbst massenhaft führen. Die wirksamste Waffe wäre, die Verweigerung jeglicher Datenüberlassung und Beschreitung vielfältig dezentraler Kommunikationswege, sowie juristischer und demonstrativer Kampf. Zusätzlich muss die Entwicklung alternativer und sicherer Technologien initiiert werden.
Es gibt viele konservative Ansätze, die Datenüberlassung an IT-Konzerne und Überwachungsinstanzen zu unterbinden oder zumindest zu erschweren. Ich kaufe Bücher nur im Buchladen nach vorheriger Bestellung. Die Buchdaten erhalte ich von einzelnen konkreten Webseiten, aber selten mit allgemeiner Google-Suche. Bei Amazon wird nicht eingekauft. E-books werden nicht online gelesen, sondern auf einem PC, der vom Internet getrennt ist. Begriffe werden in speziellen Diensten wie Wikipedia, Duden oder Enzyklopädien nachgeschlagen.
Ich benutze Mobilhandy und kein Smartphone. Mein Auto besitzt keine Internetverbindung. Vertrauliche Informationen verlassen meine Wohnung über Briefpost. Ich öffne nur Emails, die ich erwarte oder die sich aus Kontexten hinreichend erklären, Unverständliches wird vorab gelöscht. Anonyme Nachrichten, ob über Mail oder Telefon werden als nicht-existent behandelt. Die meisten Mailbox-Provider sollten gemieden werden, was aber schwierig ist. Literaturrecherchen erfolgen mit unterschiedlichen Suchdiensten, die möglichst mit Google nicht zusammenhängen.
Auf meinem PC gibt es eine lokale Suchmaschine ohne Zugang zum Internet, die sämtliche privaten Dateien indiziert durchsuchen kann; für schriftstellerisch Tätige ist dies sehr effektiv. Ich nehme kleine Unannehmlichkeiten in Kauf, wenn dadurch Verkehrswege oder Kommunikationswege privat bleiben. Eingekauft wird meist mit Barzahlung. Fernsehen geschieht über Satellitenempfang. Dauerhafte Mailkontakte sollte man verschlüsselt betreiben. Und in der Wohnung kommen schließlich keine Haushaltsgeräte mit Internetverbindung zum Einsatz. Mit Problembewusstsein kann man kreativ werden!
Sieht man einmal von gelegentlichem Bezug von hilfreichen, aktuellen Informationen ab, dann könnten Privatpersonen einem Ratschlag von Hans Magnus Enzensberger beziehungsweise dessen zehn Regeln für die digitale Welt folgen und beispielsweise ohne wesentliche Einbußen komplett auf das Smartphone (im Unterschied zum Handy) verzichten. Die Möglichkeit, dies zu tun, hätten sie jedenfalls. Es nicht zu tun, wäre häufiger eine Bequemlichkeits- und weniger eine Machtfrage. Wenn allgemein bewusst wird, dass jegliche privaten Daten wertvoller Rohstoff sind, dann wird sich der Wille zum Eigentum mächtig zeigen. Spätestens dann werden die Leute einsehen, dass es auch nicht um die Frage geht, ob man etwas zu verbergen hat, sondern um die Frage, ob man bestohlen werden will.
Wir müssen uns bewusst bleiben, dass der durch die neo-digitale Revolution betriebene Angriff nicht nur dem Individuum als Inhaber einer Privatsphäre und eines unerschöpflichen geistigen Rohstoffes gilt. Der Angriff gilt auch dem Individuum als einem arbeitenden Menschen, der seinen Sinn und Wohlstand in seiner eigenen Leistung und Arbeit sehen will, es geht um die Teilhabe am Wohlstand, am Gewinn und den Erträgen einer Werte produzierenden Gesellschaft.
Und es geht nicht nur um die Teilhabe an denjenigen Erträgen, die aktuell durch Arbeit verdient werden, sondern auch um Teilhabe an den Errungenschaften unserer Vorfahren, die uns ihr Wissensgut in den Wissenschaften vererbt haben, zum Beispiel das gesamte Wissen in der Computerwissenschaft. Das durch freie Wissenschaften entwickelte öffentliche Wissen ist durch Privatisierung bedroht.
Wir haben also allen Grund, uns gewissenhaft die Frage zu stellen, ob wir uns nicht umfassend auf die Grundwerte unseres Staates neu besinnen müssen. Das Grundgesetz beinhaltet in vorbildlicher Weise ein Spektrum von aufeinander bezogenen Grundwerten auf der Grundlage der Menschenrechte. Die Weiterentwicklung der Interpretation des Grundgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht ist ein Stabilitätsanker der politischen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland.
Die Prägung des Begriffs des Grundrechts der informationellen Selbstbestimmung war ein Meilenstein (1983) der Entfaltung der Grundrechte. Der Schutz der Privatsphäre hat seither Gewicht. Harold Pinter hatte kurz vor seinem Tod Worte gefunden, die in ergreifender Weise ausdrücken, welche Verpflichtung uns allen zufällt:
„Ich glaube, dass den existierenden, kolossalen Widrigkeiten zum Trotz die unerschrockene, unbeirrbare, heftige intellektuelle Entschlossenheit, als Bürger die wirkliche Wahrheit unseres Lebens und unserer Gesellschaften zu bestimmen, eine ausschlaggebende Verpflichtung darstellt, die uns allen zufällt. Sie ist in der Tat zwingend notwendig. Wenn sich diese Entschlossenheit nicht in unserer politischen Vision verkörpert, bleiben wir bar jeder Hoffnung, das wiederherzustellen, was wir schon fast verloren haben - die Würde des Menschen.“
Wir brauchen eine Ethische Reformation als eine Rückbesinnung und Verpflichtung auf die Werte unserer Verfassung wie auch die gemeinsamen europäischen Werte. Im Unterschied zur ersten Reformation vor 500 Jahren ist die Ethische Reformation nicht gegen eine Kirche gerichtet, sondern sie sollte die Unterstützung von beiden Kirchen erhalten, da diese zu den wenigen starken Institutionen gehören, die den europäischen Werten nahestehen.
Die politische Aufgabe einer ethischen Reformation ist das couragierte offene Eintreten für die demokratischen und sozialen Grundwerte unserer Verfassung und der Kampf gegen ihre neoliberale Umdeutung oder Aushebelung. Freiheit verlangt die Anstrengung, sie nicht zu verlieren. Es ist eine gemeinsame Aufgabe der Bürger, sowohl die souveränitätsgefährdenden Angriffe durch multinationale Großkonzerne als auch die politischen Bestrebungen des Ausbaus zum Überwachungsstaat abzuwehren.
Resümee
Sicher ist, dass die Entwicklung einer elektronisch vernetzten „Welt der Dinge“ wenig mit Faszination in der Forschung zu tun hat. „Big Data“ wird zum Synonym für einen Forschungswahn, der von mächtigen Wirtschaftsinteressen genährt wird und mittlerweile ehrwürdige Universitäten erfasst hat.
Der Glaube, dass ohne Löschen alles gespeichert werden sollte, was Menschen je getan oder geäußert haben oder was sonst aus irgendeinem Grund aufgezeichnet wurde, ist krankhaft, sowohl bei einzelnen Personen als auch als strategisches Programm. Sigmar Gabriel (22) nennt es „eine totalitäre Idee, jedes Detail menschlichen Verhaltens, menschlicher Emotion und menschlicher Gedanken zum Objekt kapitalistischer Vermarktungsstrategien zu machen“ (23).
Die eingangs beschriebene Vision von Experten ist die Vorstellung, die Gesellschaft in eine Maschine zu verwandeln; dies genau und nichts anderes bedeutet Diktatur. Gabriel sagt (23): „Es geht um nicht weniger als die Zukunft der Demokratie im Zeitalter der Digitalisierung und damit um Freiheit, Emanzipation, Teilhabe und Selbstbestimmung des Menschen.“ Es geht darum, dem, so Mathias Döpfner (24), brutalen „Informationskapitalismus“ die Stirn zu bieten.
Die totale weltweite Vernetzung der Welt der Dinge birgt unbeherrschbare existentielle Risiken in sich. Es müssen deshalb real politisch nicht nur sensible öffentliche Einrichtungen elektrisch vom Internet getrennt werden. Es müssen insbesondere die informationstechnischen Entwicklungen für Privatpersonen und Wirtschaftsunternehmen der vergangenen zwanzig Jahre neu erfunden werden. Wichtigster Maßstab ist dabei, die Privatsphäre wieder zu sichern.
Professor Achim Clausing schrieb in der Rubrik Forum & Leserbriefe der SZ (25) als Kommentar zu meinem Artikel in der SZ vom 3. Dezember 2015 (26): „Der gesamte Prozess der Vernetzung läuft den Prinzipien der Aufklärung, der Idee des frei denkenden Menschen diametral zuwider. Wenn Meixner das als existentielle Bedrohung bezeichnet, so ist dieser Aussage aus meiner Sicht ohne Abstriche zuzustimmen“.
Angesichts der Zerstrittenheit der Europäischen Union müssen wir auf die Macht des Einzelnen setzen, und diese Macht heißt Abschalten einer falsch deklarierter Technik und Rückkehr zur Wahrhaftigkeit der Sprache. Es ist ein grotesker Euphemismus, wenn ein Gerät „Smartphone“ genannt wird, dessen Hauptzweck das Aneignen privater Daten ist und dessen Nutzer unbewusst die verdeckte Funktion von Hilfskräften zur Datenauslieferung übernehmen. Politisch müssen wir der Formel widersprechen, dass wir den Herausforderungen der modernen Informationstechnik nicht mehr im nationalen Rahmen, sondern nur im internationalen Rahmen begegnen könnten. Ja, wir müssen Außengrenzen schützen. Beginnen wir bei der Außengrenze der Privatsphäre!
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Quellen und Anmerkungen:
(1) Anlass des Artikels von Rotenberg war, dass deutsche Behörden die Praxis des „Street- View-Programms“ von Google untersuchten und dabei feststellten, dass bei den Fahrten von Google-Autos durch die Städte nicht nur Videos von Straßenzeilen erstellt sondern auch private Daten der Anwohner elektronisch über WLAN gesammelt wurden. Dies waren medizinische Daten, Finanzdaten, Emails, Passwörter, und so weiter, das heißt Daten von privaten Haushalten und Internetanschlüssen. Google zahlte schließlich 200.000 Dollar Bußgeld. Dies bedeutet natürlich nicht, dass Internetfirmen auf die Aneignung fremder privater Daten verzichten wollen. Im Gegenteil: diese Daten sind die Basis ihres Hauptgeschäfts. Allein im Jahr 2012 machte Google circa zehn Milliarden Dollar Gewinn aus Netzdiensten wie Google Map.
(2) Damit liefert Schmidt den Beweis, dass es keine rechtsgültige Zustimmung für die Datennutzung durch Google gibt. Dies sieht nach unsittlich erschlichener Abtretung eines Grundrechts aus.
(3) Nachzulesen im jüngsten Buch „Die Alternative oder: Macht endlich Politik!“ von Christian Ude, früherer Oberbürgermeister von München.
(4) „People first“ könnte man sagen, wirkt aber schon etwas abgegriffen.
(5) Jean Ziegler ist Vizepräsident des Beratenden Ausschusses des UN-Menschenrechtsrats und UN-Sonderberichterstatter für Recht auf Nahrung.
(6) Er meint die politischen Probleme
(7) Kybernetisches System oder „cyber-physisches System“
(8) Meixner, Werner: Offener Brief an Professor Dr. Manfred Broy und Vortrag zum Thema: Wohin geht die Informatik? Technische Universität München, September 2014. http://www14.in.tum.de/personen/meixner/WohinGehtDieInformatik.pdf
(9) Meixner, Werner: Connecting the World: lebensfremde Vernetzung der „Welt der Dinge“. Dialogvortrag in der Reihe Digitaler Wandel, Evangelische Stadtakademie München. Technische Universität München, 21. April 2016; http://www14.in.tum.de/personen/meixner/LebensfremdeVernetzung.pdf
(10) Nur in diesem Sinne ist der Begriff Big Data in diesem Artikel gemeint
(11) TV Programm Phoenix, Sendung am 15.8.2015: Schlachtfeld Internet.
(12) Han, Byung-Chul: Psychopolitik. Neoliberalismus und die neuen Markttechniken. S. Fischer Verlag Frankfurt am Main 2014.
(13) Schirrmacher, Frank: Ego - Das Spiel des Lebens. Karl Blessing Verlag München. 5. Auflage, 2013.
(14) Hofstetter, Yvonne: Sie wissen alles - Wie intelligente Maschinen in unser Leben eindringen und warum wir für unsere Freiheit kämpfen müssen. C. Bertelsmann Verlag, München 2014.
(15) Man beachte den Zusammenhang der folgenden Begriffe: Digitale Revolution, erste, zweite, dritte Industrielle Revolution, Industrie 4.0 (eher eine Entwicklungsplattform), Mikroelektronische Revolution, Hardware Revolution, Digitalisierung, zweite Phase der Digitalisierung, Zweite Moderne, usw. Die Vielfalt der Begriffe spiegelt die unterschiedlichen Standpunkte wider, von denen aus Historiker, Soziologen, Politologen, Techniker, Wissenschaftler usf. die Geschichte betrachten. Die Narrativen unterscheiden sich dementsprechend.
(16) Konzepte der Mensch-Computer Kommunikation in den 1960er Jahren: Joseph Carl Robnett Licklider, Douglas Engelbart und der Computer als Intelligenzverstärker. Fraunhofer Institut, 2000.
(17) Professor für experimentelle Psychologie an der Harvard Uni und am MIT.
(18) Sie arbeitet eng mit den Rockefeller-, Ford- und Carnegie-Stiftungen zusammen.
(19) In dieser Gesellschaft wird der Mensch zur Maschine degradiert. Es gibt keinen Platz für Liebe, Mitleid, Selbstlosigkeit oder andere menschliche Gefühle in einer solchen Gesellschaft. Die RAND Corporation studiert als Spitzenforschungsinstitut der Globalisten das menschliche Verhalten und die menschliche Psyche detailliert, um Erkenntnisse und Wege für die Transformation des Menschen in diese Horrorgesellschaft zu ermöglichen.
(20) Die RAND Corporation ist eine militärische im Jahr 1946 gegründete Forschungseinrichtung, auch als Think Tank bezeichnet, die während des Kalten Krieges ihre Blütezeit hatte.
(21) In meinem Fall dank eines Hinweises von Dr. Volker Kleine-Tebbe.
(22) Bundeswirtschaftsminister im Jahre 2014
(23) Gabriel, Sigmar: Unsere politischen Konsequenzen aus der Google-Debatte. Frankfurter Allgemeine Zeitung, FAZ.NET 16.5.2014. http://www.faz.net/-gsf-7pe09
(24) Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE; Döpfner, Mathias: Warum wir Google fürchten - ein offener Brief an Eric Schmidt. Frankfurter Allgemeine Zeitung, FAZ.NET 16.4.2014.
(25) Clausing, Achim: Erst vernetzt, dann verstrickt, dann abhängig. Süddeutsche Zeitung, Forum & Leserbriefe am 9.12.2015.
(26) Meixner, Werner: Es war einmal das Individuum. Süddeutsche Zeitung, Rubrik Aussenansicht am 3.12.2015.
Weitere Literatur:
http://wvw14.in.tum.de/personen/meixner/
Zum Thema Ökonomie, Geschichte, Gesellschaft und Migration siehe Bibliotherapie Bücherliste des Internisten, Psychosomatikers und Psychotherapeuten Dr. Volker Kleine-Tebbe an einer Rehaklinik im Breisgau: http://fortis-freiburg.eu/wp-content/uploads/2017/02/Bibliotherapie-19.1.2017.pdf
BMWi: Digitalisierung und Du - Wie sich unser Leben verändert. Herausgeber: Bundesministerium für Wirtschaft und Energie Öffentlichkeitsarbeit. März 2016.
Meixner, Werner: Die Gefahr der totalen Vernetzung. Festvortrag beim Deutschen Kongress für Laboratoriumsmedizin DKLM in Mannheim am 30.09.2016; http://www14.in.tum.de/personen/meixner/GefahrTotalerVernetzung_Mannheim.pdf
Meixner, Werner: Gute wissenschaftliche Praxis als Teil einer Wissenschaftsethik. Technische Universität München, März 2016.
http://www14.in.tum.de/personen/meixner/Wissenschaftsethik.pdf
Meixner, Werner: Die wichtigste Grenze. Süddeutsche Zeitung, Rubrik Aussenansicht am 2.1.2017.
Sloterdijk, Peter: Digitaler Kolonialismus, Die USA führen einen hundertjährigen Krieg - und Europa schaut zu. Neue Zürcher Zeitung, 5.10.2015.
Tsakiridou, Evdoxia: Connecting the World. Faszination Forschung, Technische Universität München's Scientific Magazine. Publisher: Prof. Dr. Dr.h.c. mult. Wolfgang A. Herrmann, President of Technische Universität München, TUM Corporate Communications Center, 80290 München (2014), Ausgabe 14, Juni 2014. Seite 60-70
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