Ich will die allgemeine Kriegsangst in diesen Breiten des Internets keineswegs stören und halte die Mobilmachung der Friedensbewegung weltweit für eine unserer dringlichsten Aufgaben. Selbst im frühesten Kindesalter shalom-haverimisiert, da meine Eltern in den 80er Jahren höchst aktiv waren gegen die Stationierung einer neuen Generation US-amerikanischer Atomraketen, bin ich ohnehin und bis heute für Zukunftsängste anfällig.
Außerdem sehe auch ich die massiven Aufrüstungsmaßnahmen und die direkte Kriegsvorbereitung der NATO gegen Russland — und China.
Allein:
Ich glaube eher nicht an den großen Krieg.
Ich glaube an eine bevorstehende Epoche der Transformation. Und ich glaube, dass die USA Kriege bestenfalls noch mit wachsender Mühe auslösen können, um sie dann krachend zu verlieren.
Krieg und Revolution
Nun schließen sich Krieg und Transformation nicht prinzipiell aus, ganz im Gegenteil.
In den USA fanden revolutionäre Umwälzungen sogar zweimal in der Form eines Krieges statt: im Revolutionskrieg gegen England 1763 bis 1776 und dann im Bürgerkrieg 1861 bis 1865.
Die Französische Revolution ab 1789 wurde erst von einer Allianz europäischer Monarchien attackiert, schlug wütend zurück und überzog dann unter Napoleon ihrerseits ganz Europa mit Krieg.
Nach der Oktoberrevolution in Russland 1917 sah sich die revolutionäre Regierung mit dem Einmarsch von nicht weniger als 19 Armeen konfrontiert. Der Abwehrkampf — mit Kriegskommissar Leo Trotzki an der Spitze — war von Erfolg gekrönt. Aber es ist mehr als eine historische Spekulation, dass die fürchterlichen Verheerungen und die Millionen Toten dieses verzweifelten Ringens den Boden bereiteten für die Degeneration der Revolution unter Stalin.
Gerade das Ende des Ersten Weltkriegs mit einer Welle revolutionärer Kämpfe in ganz Europa, durchaus aber auch das Ende des Zweiten Weltkriegs, beispielsweise in Italien, Jugoslawien, Griechenland — überall dort, wo es starke, von den Alliierten unabhängige Partisanenverbände gab —, geben Ausschluss darüber, wie es in Phasen der gesellschaftlichen Umwälzung zu einem Umschlagen von Krieg in Bürgerkrieg und umgekehrt kommen kann.
Energieerhaltung der Turbulenz
Ist die Lage erst einmal genügend aufgeschaukelt, um in eine Phase ständiger Turbulenz einzutreten, fluten die freigesetzten Energien selten nur nach außen oder nach innen.
So sorgten aus dem Krieg zurückkehrende Soldatenmassen quer durch die Geschichte für innenpolitische Turbulenzen, während die Heimkehrer zuhause oftmals durch den Krieg völlig veränderte Zustände vorfanden: etwa eine Generation von Frauen, die als Arbeiterinnen in der Kriegsindustrie und in Abwesenheit der Männer selbstbewusst und zu einer formierten gesellschaftlichen Kraft geworden waren.
Kurz und gut: Wenn der Kampf um Seele und Zukunft einer Epoche losgebrochen ist, wenn ein System am Scheideweg steht und sich dort um den weiteren Weg prügelt, wenn sich also das Chaos Bahn bricht, sind Revolution und Krieg oft zwei Seiten derselben Transformation.
Manchmal ist auch der Krieg ein Mittel, um der Revolution zur Expansion zu verhelfen — allerdings ein Mittel, das typischerweise zur inneren Degeneration der Revolution beiträgt. Manchmal, wie 1917 aus Sicht des Deutschen Kaiserreichs, ist die Revolution im Lande des Gegners (Russland) eine, allerdings für den Anwender sehr gefährliche, Waffe im Krieg.
Solche Phänomene können wir in unserer geschichtlichen Gegenwart erleben, wenn auch noch en miniature. Eine Aufschaukelung der gesellschaftlichen Konfliktenergien sehen wir seit einigen Jahren immer stärker und wenig spricht dafür, dass die Wellenbewegungen demnächst abflachen. Es ist aus meiner Sicht wenig sinnvoll, die wachsende Kriegsgefahr im Osten getrennt von diesem allgemeineren Phänomen der Aufschaukelung konfliktorischer Transformationsenergien zu analysieren.
Niedergang (USA)
Gerade die jede Eskalation zuverlässig unterstützende Wirkung des Internets verweist darauf, dass wir eben nicht nur einen Niedergang erleben — sondern zeitgleich einen Aufstieg weltgeschichtlicher Dimension. Denn das Internet steht im technologischen Zentrum jener Großtransformation, zu der sich in einem vermeintlichen Kampf „Alle gegen Alle“ in Wirklichkeit Neues gegen Altes aufschaukelt.
Pauschal gesprochen heißt der Niedergang USA. Der Aufstieg heißt China.
Das ist freilich eine grobe Vereinfachung. Gerade was die digitale Revolution angeht, kann man nicht behaupten, dass die USA mit ihren Digitalgiganten für den Niedergang stehen. Die innenpolitische Zerrissenheit der USA ist nicht zuletzt ein Ausdruck dessen, dass es nicht nur die Kräfte eines apokalyptischen Weiter-So, der Ölindustrie, der Wall Street und des Pentagons gibt. Es gibt auch die USA des Silicon Valley, Tesla und so weiter.
Die Elite in den USA erscheint demgemäß maximal gespalten und liefert sich einen wütenden Mafiakrieg um den Staat und staatliche Institutionen. Die Präsidentschaft Donald Trumps bezeichnet den Sieg der alten Ökonomie in diesem Ringen. Es mag ein vorläufiger Sieg sein, aber die USA verlieren dadurch täglich Weltmarktanteile der Zukunft. Es sind unwiderbringliche Jahre, in denen die amerikanischen Energiedinosaurier ihr eigenes Land in Grund und Boden fracken und der Staat sich in immer weiteren Ölkriegen verausgabt — während die Installation erneuerbarer Energien außerhalb Kaliforniens kaum vom Fleck kommt und die Gesamtanzahl von Streckenkilometern, die für Hochgeschwindigkeitszüge tauglich sind, weiterhin bei null liegt.
… und Aufstieg (China)
In China liegt diese Zahl bei 25.000 Streckenkilometern für Hochgeschwindigkeitszüge und es werden täglich mehr. Während die Infrastruktur der USA veraltet ist und zunehmend marode, baut China mit der neuen Seidenstraße das größte Infrastrukturprojekt der Menschheitsgeschichte.
Das Schlagwort von der „ökologischen Zivilisation“ ist derweil in China keine leere Floskel. China installiert in wachsender Geschwindigkeit Windkraftanlagen und Solarenergie und ist auf dem Weg, seine Emissionsziele vor der Zeit zu erreichen, während nahezu alle anderen Industriestaaten ihren selbstgesetzten Zielen weit hinterherhinken.
China betreibt auch das größte Aufforstungsprojekt der Geschichte, hat seine Waldfläche seit 1990 verdoppelt, seit 1960 wurden 60 Milliarden Bäume gepflanzt. Aktuell gleicht China im Alleingang die kombinierten Waldverluste von Brasilien und Indonesien aus, wenngleich der Verlust der Regenwälder natürlich durch keine Maßnahme der Welt egalisiert werden kann.
In Forschung und Entwicklung laufen die Chinesen dem Rest der Welt den Rang ab. 40 Prozent der 160.000 Angestellten von Huawei arbeiten in Forschung und Entwicklung. Die US-amerikanische Kampagne zum weltweiten Boykott von Huawei ist krachend gescheitert.
Die derzeitige Abwertung des Renminbi dürfte der finale Move Chinas sein, um den von Donald Trump provozierten Handelskrieg mit den USA endgültig für sich zu entscheiden.
Russland und EU als globale Frontlinie
Die strategische Position der EU und Russlands an der Nahtstelle der Einflusssphären der USA und Chinas ist es, die aktuell dafür sorgt, dass sich gerade hier die militärische Spannung am dramatischsten aufbaut.
Freilich sind weder Russland noch die EU reine Trabanten. Sie verfolgen eigene Interessen, wobei Russland die seinen weitaus stringenter verfolgt als die ewig zerstrittene EU die ihren. Das offensichtliche Interesse wäre freilich eine innige Kooperation zwischen Russland und der EU. Die wird von den USA — bis jetzt noch — mit aller Macht und unterm Strich nicht ohne Erfolg unterbunden.
Gerade an der militärischen Front allerdings zeigt sich, dass die Macht der USA bereits gebrochen ist. Den Stellvertreterkrieg in Syrien haben die USA effektiv verloren. Russland hat durch ein überlegenes Luftabwehrsystem, robuste Intervention und kluge Strategie die Pläne der USA durchkreuzt.
Ähnliches sehen wir im Iran. Die Kriegsfraktion der US-Elite würde hier dringend gerne einen Krieg anzetteln. Aber es will nicht recht gelingen. Einmal sind die Widerstände innerhalb der USA immens. Zweitens aber ziehen die Europäer nicht mit. Drittens sind die Erfolgsaussichten noch weitaus grimmiger als in Syrien.
Viertens haben die Chinesen eine Hochgeschwindigkeitsstrecke nach Teheran gebaut und stellen regelmäßig klar, dass sie bei einem etwaigen Angriff der USA den Iran massiv unterstützen würden.
Griffen die USA also den Iran an, der von Russland und China mit modernsten Waffen vollgestopft würde, wären das zweifellos ein humanitäres Desaster. Es wäre aber auch ein — weiteres — militärisches Desaster der USA mit Ansage.
Freier Wille und Staat im Transformationschaos
Immanuel Wallerstein vertritt die spannende These, dass der Geschichtsverlauf in normalen Zeiten weitgehend determiniert sei und der freie Wille gegen die übergeordneten Faktoren der geschichtlichen Entwicklung weitgehend chancenlos. In Phasen des Umbruchs jedoch, wenn das Chaos regiert, sei die Rolle des Einzelnen und damit des freien menschlichen Willens mitunter so entscheidend wie der legendäre Schmetterling, dessen Flügelschlag einen Hurrikan auslöst.
Schauen wir uns also die Qualität der Staatsführer an, so haben wir auf der einen Seite Donald Trump, der nur noch eine Toga anziehen müsste, um auch optisch die Rolle eines römischen Soldatenkaisers in der Zeit des imperialen Niedergangs perfekt zu verkörpern.
Hinter all seinem Theaterdonner mag eine Strategie erkennen wer will: Am weltpolitischen Niedergang der USA ändert seine Administration nur insofern etwas, als sie ihn dramatisch beschleunigt.
Vor allem aber ist die Handlungsfähigkeit des Staates, dem Trump vorsteht, deutlich eingeschränkt. Der Staat ist innerlich zerkämpft, zerrissen und geschwächt durch die Intrigen und die Korruption unzähliger Fraktionen. Trump selbst muss in einem täglichen Eiertanz um Stabilität ringen, da seine eigene Position alles andere als unumstritten ist. Gleichzeitig ist das politische System der USA in eine lange Phase der Blockade eingetreten, wie Kongress und Senat täglich demonstrieren.
Über die Führungs- und Handlungsfähigkeit der EU brauchen wir uns hier nicht auszulassen. Der europäische Tanker treibt manövrierunfähig im Wasser.
Putin dagegen ist ein genialer Schachspieler. Man muss seine Strategie nicht befürworten, um zu erkennen, dass er immerhin eine hat und zielstrebig verfolgt. Russland ist wirtschaftlich den USA weiterhin klar unterlegen. Die Militärausgaben sind ein Bruchteil der amerikanischen. Trotzdem hat Russland ein überlegenes Luftabwehrsystem entwickelt. Der russische Staat ist ein handlungsfähiger Akteur.
Dies gilt in weitaus stärkerem Maße noch für China, wobei hier die Person des Staatschefs vermutlich eine weniger ausgeprägte individuelle Rolle spielt, eingebettet wie sie ist in die Großmaschine der Kommunistischen Partei Chinas mit ihren 90 Millionen Mitgliedern.
Zusammenfassend ist aber keine Frage, dass nicht nur die ökonomische, infrastrukturelle, wissenschaftliche und militärische Kraft zunehmend gen Osten wandert, sondern dort auch schlagkräftige institutionelle Akteure vorhanden sind, die eine klare, in sich logische Strategie besitzen und umzusetzen in der Lage sind.
Krieg gegen China?
Der Konflikt USA — China ist das entscheidende Ringen in dieser weltgeschichtlichen Epoche. Auch der mit großem Aufwand inszenierte Konflikt mit Russland steht in diesem Kontext und hat, so gewagt das angesichts der Größe und des Gewichts Russlands auch klingen mag, somit eher den Charakter eines Stellvertreterkampfs.
Mit China, um das es eigentlich geht, wird derweil in Form des Handelskrieges eine Konfrontation anderer Art installiert. Die ist aus Sicht einiger US-Strategen sicherlich als Einleitung auch militärischer Szenarien gedacht.
Insbesondere Steve Bannon scheint darauf zu setzen, letztlich durch eine militärische Konfrontation mit China dessen wirtschaftlichen Aufstieg zu unterbinden.
Allerdings halten die Teile des US-Militärs, die noch halbwegs bei Sinnen sind, einen solchen Krieg schon jetzt nicht mehr für gewinnbar. Die diesbezüglichen Simulationen und Planspiele der Militärstrategen ergeben zuverlässig niederschmetternde Wahrscheinlichkeiten auf einen Sieg, wie auch immer man den definiert.
Sicherlich, gerade wankende Riesen neigen zu Irrationalitäten. Deswegen wäre es aberwitzig, würde ich mich hier hinstellen und zur großen Entwarnung blasen. Das tue ich auch nicht. Aber wir sollten schon sehen, wie die Gewichte in der Welt heutzutage verteilt sind: Der Osten ist am Drücker, der Westen weicht widerwillig zurück.
Kilez More: „Friedensbewegung“
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