Weniger als ein Jahr nachdem die USA und die von den USA unterstützte „Organisation Amerikanischer Staaten“ (OAS) einen gewaltsamen Militärputsch in Bolivien unterstützt haben, hat das bolivianische Volk die Partei „Movimiento al Socialismo“ (MAS) wiedergewählt und zurück an die Macht gebracht.
In der langen Geschichte US-unterstützter „Regimewechsel“ in Ländern rund um die Welt gab es selten ein Volk, ein Land, das den Versuch der USA, ihm eine Regierung aufzuzwingen, so entschlossen und demokratisch zurückgewiesen hat wie Bolivien. Die durch den Putsch an die Macht gekommene Interimspräsidentin Añez hat, wie berichtet wird, 350 US-Visa für sich selbst und andere beantragt, die in Bolivien mit Strafverfolgung rechnen müssen wegen der Rollen, die sie während des Putsches gespielt haben.
Die Geschichte von der manipulierten Wahl 2019, die die USA und die OAS in die Welt gesetzt haben, um den Putsch in Bolivien zu rechtfertigen, ist inzwischen gründlich widerlegt worden. Die für die MAS abgegebenen Stimmen stammen größtenteils von Indigenen aus ländlichen Gegenden, deshalb dauerte das Einsammeln und Auszählen dieser Stimmen länger als bei den bessergestellten Stadtbewohnern, die die rechten, neoliberalen Gegner der MAS bevorzugen.
Daher bewirkten die später eintreffenden Stimmen aus den ländlichen Gebieten einen Umschwung zugunsten der MAS. Indem sie behauptete, dieses für Bolivien völlig normale und vorhersehbare Muster sei der Beweis für einen Wahlbetrug, trägt die OAS die Verantwortung für die Auslösung einer Welle der Gewalt gegen indigene MAS-Unterstützer, womit sich letztendlich nur die OAS selbst delegitimiert hat.
Es ist interessant, dass der fehlgeschlagene US-unterstützte Putsch in Bolivien zu einem demokratischeren Ergebnis geführt hat als diejenigen US-Regimewechseloperationen, denen es gelang, eine Regierung zu stürzen. Die in den USA geführten Debatten über Außenpolitik gehen üblicherweise davon aus, die USA hätten das Recht — oder sogar die Pflicht —, mithilfe eines Arsenals militärischer, wirtschaftlicher und politischer Waffen einen politischen Wechsel in Ländern herbeizuführen, die sich ihrem imperialen Diktat widersetzen (1, 4).
Das kann in der Praxis offenen Krieg bedeuten — wie im Irak und in Afghanistan — oder einen Staatsstreich — wie 2004 in Haiti, 2009 in Honduras, 2014 in der Ukraine —, verdeckte Stellvertreterkriege — wie in Somalia, Libyen, Syrien und dem Jemen —, Wirtschaftssanktionen — wie gegen Kuba, den Iran und Venezuela –; all das verletzt die Souveränität der betroffenen Länder und ist daher illegal unter internationalem Recht.
Egal welches Instrument des Regimewechsels die USA einsetzten, die Interventionen haben das Leben der Menschen in keinem dieser Länder verbessert, auch nicht in der Zeit vor 9/11. William Blums brilliantes, 1995 erschienenes Buch „Killing Hope: U.S. Military and CIA Interventions since World War II“ listet für die 50 Jahre zwischen 1945 und 1995 allein 55 US-Regimewechseloperationen auf.
Wie aus Blums detaillierten Fallstudien klar wird, haben die meisten dieser Operationen versucht, vom Volk gewählte Regierungen wie in Bolivien zu stürzen, die oft durch US-unterstützte Diktatoren ersetzt wurden, wie der Schah von Persien, Mobutu im Kongo, Suharto in Indonesien und General Pinochet in Chile.
Sogar wenn das gestürzte Regime zum gewalttätigen, repressiven Typ gehört, führt die US-Intervention üblicherweise zu noch mehr Gewalt. Neunzehn Jahre nach dem Sturz der Talibanregierung in Afghanistan haben die USA 80.000 Bomben und Raketen auf afghanische Kämpfer und Zivilisten abgefeuert, Zigtausende nächtliche Razzien zur Ergreifung von Personen „tot oder lebendig“ durchgeführt, während der Krieg Hunderttausende afghanische Opfer forderte.
Im Dezember 2019 veröffentlichte die Washington Post eine Reihe von Dokumenten des Pentagon, aus denen hervorgeht, dass in keinem Fall dieser Gewalt eine reale Strategie zugrunde lag, um Afghanistan Frieden und Stabilität zu bringen — es war alles bloß eine brutale Art, sich „durchzuwursteln“, wie General McChrystal es ausgedrückt hat. Jetzt endlich befindet sich die US-gestützte Regierung in Verhandlungen mit den Taliban über einen Modus zur Aufteilung der politischen Macht, um den „endlosen“ Krieg zu beenden, weil nur eine politische Lösung für Afghanistan und seine Bevölkerung zu einer dauerhaften, friedvollen Zukunft führen kann, die die Jahrzehnte des Krieges ihnen vorenthalten haben.
In Libyen ist es nun neun Jahre her, seit die USA und ihre Verbündeten aus NATO-Ländern und arabischen Monarchien einen Stellvertreterkrieg entfesselten, begleitet von einer NATO-Bombenkampagne und einer verdeckten Invasion, der mit dem grausamen Foltertod von Libyens langjährigem antikolonialistischen Führer Muammar Gaddafi endete. Daraufhin versank Libyen in Chaos und Bürgerkrieg zwischen den verschiedenen Milizen, die die USA und ihre Verbündeten bewaffnet, trainiert und im Kampf gegen Gaddafi eingesetzt hatten.
Eine parlamentarische Untersuchung im Vereinigten Königreich kam zu dem Ergebnis, dass „eine begrenzte Intervention zum Schutz von Zivilisten“ (3) sich zu einer opportunistischen Regimewechselpolitik mit militärischen Mitteln entwickelte, die zu politischem und wirtschaftlichem Kollaps führte, ferner zu Krieg zwischen Stämmen und Milizen, zu humanitären und Flüchtlingskrisen, zu weit verbreiteten Menschenrechtsverletzungen, zur Plünderung und Verbreitung von Gaddafis Waffenarsenal in der Region und zum Festsetzen und Wachstum von ISIL („islamischer Staat“) in Nordafrika.
Die verschiedenen libyschen Kriegsparteien befinden sich nun in Friedensgesprächen mit dem Ziel eines permanenten Waffenstillstandes und, nach den Worten des UN-Gesandten, um „möglichst bald nationale Wahlen abzuhalten und Libyens Souveränität wiederherzustellen“, genau jene Souveränität also, die durch die NATO-Intervention zerstört wurde.
Ein Rückblick auf den „Krieg gegen den Terror“
Matthew Duss, der außenpolitische Berater von Senator Bernie Sanders, hat für die nächste US-Regierung gefordert, eine umfassende Bewertung des nach 9/11 stattgefundenen „Krieges gegen den Terror“ vorzunehmen, damit wir endlich zu einem Abschluss dieses blutigen Kapitels unserer Geschichte kommen.
Duss zufolge soll eine unabhängige Kommission die zwei Jahrzehnte Krieg bewerten, gestützt auf die „Maßstäbe des internationalen humanitären Rechts, das die USA nach dem Zweiten Weltkrieg zu etablieren halfen“, die in der Charta der UN und den Genfer Konventionen niedergelegt sind. Er hofft, dass ein solcher kritischer Rückblick zu „einer lebhaften öffentlichen Debatte über die juristischen Rahmenbedingungen führt, unter denen die USA militärische Gewalt einsetzen“.
Eine solche Auswertung ist längst überfällig und wird dringend gebraucht, aber sie muss auch der Tatsache Rechnung tragen, dass der „Krieg gegen den Terror“ von Anfang an als Vorwand für eine massive Eskalation der US-Regimewechseloperationen gegen eine ganze Reihe von Ländern dienen sollte, von denen die meisten säkulare Regierungen besaßen, die nicht das Geringste mit dem Erstarken von Al-Qaida oder den Verbrechen des 11. September 2001 zu tun hatten.
Die Notizen des hohen Regierungsbeamten Stephen Cambone von einem Treffen in dem beschädigten, noch rauchenden Pentagon am Nachmittag des 11. September 2001 fassen die Befehle von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld zusammen: „Beste Informationen schnell sammeln. Feststellen, ob ausreichend für einen parallelen Schlag gegen S.H. (Saddam Hussein) — nicht nur UBL (Osama bin Laden). Sammelt alles Material, das ihr finden könnt, und bezieht es mit ein, auch wenn es nichts mit dem heutigen Anschlag zu tun hat.“
Um den Preis horrender militärischer Gewalt und sehr vieler Toter und Verletzter hat das aus diesen Vorgaben resultierende globale Terrorregime in Ländern rund um den Globus Scheinregierungen installiert, die sich als korrupter, weniger legitimiert und weniger gerüstet zur Verteidigung von Land und Leuten herausstellten als die von den USA gestürzten Regierungen.
Anstatt die imperiale Macht der USA wie geplant zu konsolidieren und auszudehnen, hatten diese illegalen und destruktiven Anwendungen von militärischem, diplomatischem und finanziellem Zwang den entgegengesetzten Effekt, indem sie die USA immer isolierter und machtloser in einer sich entwickelnden multipolaren Welt zurücklassen.
Heute sind die USA, China und die EU etwa vergleichbar in der Größe ihrer Volkswirtschaften und ihres internationalen Handels, aber selbst zusammengerechnet decken sie weniger als die Hälfte der globalen Wirtschaft und des globalen Handels ab.
Keine einzelne imperiale Macht dominiert wirtschaftlich die heutige Welt, anders als es sich viele amerikanische Führungsgestalten für das Ende des Kalten Krieges vorgenommen hatten. Auch haben wir nicht mehr die bipolare Rivalität zweier Supermächte wie im Kalten Krieg. Wir leben schon jetzt in einer multipolaren Welt, die nicht erst in der Zukunft Gestalt annimmt.
Diese multipolare Welt befindet sich auf dem Vormarsch und schafft neue Übereinkünfte für unsere kritischsten gemeinsamen Probleme, von Kernwaffen über konventionelle Waffen zur Klimakrise und zu den Rechten von Frauen und Kindern.
Die USA haben sich durch ihre systematische Verletzung des internationalen Rechts und die Ablehnung multilateraler Verträge selbst zum Außenseiter und zum Problem gemacht, ganz sicher nicht zum Anführer, wie amerikanische Politiker behaupten.
Joe Biden spricht davon, dass er im Falle seiner Wahl Amerikas internationale Führungsrolle wiederherstellen wolle, doch das ist leichter gesagt als getan. Das amerikanische Imperium gelangte zu seiner internationalen Führungsrolle in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, indem es seine wirtschaftliche und militärische Macht einer regelbasierten internationalen Ordnung unterstellte, was in dem nach dem Zweiten Weltkrieg gültigen internationalen Recht seine Vollendung erreichte.
Aber im Laufe des Kalten Krieges und der darauf folgenden triumphalistischen Periode degenerierten die USA zu einem wild um sich schlagenden, dekadenten Imperium, das nun die Welt mit einer Doktrin von „Macht ist Recht“ und „Tu, was ich sage, oder du bekommst Ärger“ in Schach hält.
Die neue Normalität
Als Barack Obama 2008 zum Präsidenten gewählt wurde, betrachtete ein großer Teil der Welt seinen Vorgänger George W. Bush, Vizepräsident Cheney und den „Krieg gegen den Terror“ als exzeptionell, anstatt darin eine neue Normalität der amerikanischen Politik zu sehen.
Obama bekam den Friedensnobelpreis für ein paar Reden und weil sich die Welt so verzweifelt nach einem Friedenspräsidenten sehnte. Aber acht Jahre Obama/Biden, Terrordienstage (2) und Tötungslisten und danach vier Jahre Trump/Pence, Kinder in Käfigen und der neue Kalte Krieg mit China haben die schlimmsten Befürchtungen der Welt bestätigt, dass die dunkle Seite des US-Imperialismus, wie man sie unter Bush/Cheney gesehen hatte, keine Abweichung vom Normalen darstellte.
Abgesehen von Amerikas vermurksten Regimewechseln und verlorenen Kriegen, ist der konkreteste Beweis für seine anscheinend unbeirrbare Festlegung auf Aggression und Militarismus die Tatsache, dass der militärisch-industrielle Komplex mehr Geld ausgeben kann als die nächsten zehn Militärmächte zusammengenommen, was offensichtlich in keiner Relation mehr steht zu Amerikas legitimen Verteidigungsinteressen.
Konkret müssen wir Folgendes tun, wenn wir Frieden haben wollen: unsere Nachbarn nicht mehr bombardieren, sanktionieren oder versuchen, ihre Regierungen zu stürzen; die meisten Soldaten abziehen und rund um die Welt Militärbasen schließen; unsere Truppenstärke und unser Militärbudget auf das zur Landesverteidigung nötige Maß reduzieren und überall auf der Welt auf illegale Angriffskriege verzichten.
Um der Völker der Welt willen, die mit Massenbewegungen versuchen, repressive Regime loszuwerden, die darum kämpfen, neue Regierungsformen auszuprobieren, die nicht dem neoliberalen Muster entsprechen, müssen wir unsere Regierung daran hindern — egal wer gerade im Weißen Haus sitzt —, ihnen ihren Willen aufzuzwingen.
Boliviens Triumph über den US-gestützten Regimewechsel ist eine Bestätigung für die wachsende Macht des Volkes in unserer neuen multipolaren Welt, und der Kampf, die USA in eine post-imperiale Zukunft zu führen, ist auch im Interesse des amerikanischen Volkes. Wie der venezolanische Präsident Hugo Chavez einmal einer ihn besuchenden US-Delegation sagte: „Wenn wir mit unterdrückten Menschen innerhalb der USA zusammenarbeiten, um das Imperium zu überwinden, befreien wir nicht nur uns selbst, sondern auch das Volk von Martin Luther King.“
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „Ending Regime Change“ und wurde vom ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzerteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratteam lektoriert.
Quellen und Anmerkungen:
Anmerkungen des Übersetzers:
(1) Dazu passt Obamas berühmtes „arm twister“-Zitat
(2) Dienstags pflegte Barack Obama zu entscheiden und abzuzeichnen, wer alles Opfer einer „gezielten Tötung“ durch Drohnen werden sollte.
(3) Das UN-Mandat deckte nur eine solche begrenzte Intervention zum Schutz von Zivilisten ab. Die beteiligten NATO-Länder (darunter England und Frankreich) haben also den gesetzten Rahmen weit überschritten.
(4) Hinter den US-Regimewechselversuchen stehen oft auch Interessen mächtiger Unternehmen und Einzelpersonen. Dazu passt die folgende kleine Geschichte vom Juli 2020. Der für seine Impulsivität bekannte CEO von Tesla, Elon Musk, ließ sich damals auf Twitter zu einer aufsehenerregenden Bemerkung hinreißen. Vorausgegangen war eine Stellungnahme Musks zu einer wegen Covid-19 vorgeschlagenen Maßnahme:
„Noch ein Konjunkturpaket ist nicht im besten Interesse der Bevölkerung.“ Einer seiner Follower riskierte daraufhin die freche Replik:
„Weißt du, was auch nicht im besten Interesse der Bevölkerung war? Dass die US-Regierung einen Putsch gegen Evo Morales in Bolivien organisierte, damit du dort Zugang zum Lithium bekommst.“
Das lockte den Milliardär aus der Reserve: „Wir putschen, gegen wen wir wollen. Find dich damit ab.“
Dazu muss man wissen, dass für die Lithium-Ionen-Akkus eines Tesla Elektroautos circa 10 kg Lithium benötigt werden, zu denen es keine Alternative gibt. Lithium zählt zu den nicht ganz häufigen chemischen Elementen der Erdkruste, jedoch findet es sich in riesigen, noch gänzlich unerschlossenen Mengen im bolivianischen Salzsee „Salar de Uyuni“. Evo Morales, der seit 13 Jahren Präsident von Bolivien war, dachte nicht im Traum daran, irgendeiner US-Firma die Abbaukonzession zu erteilen — stattdessen sollten bolivianische Unternehmen angemessen daran mitverdienen, und zwar nicht nur am Rohstoff, sondern auch an der Weiterverarbeitung zu Batterien.
Musk löschte seinen Tweet am folgenden Tag. Interessant ist das Wort „wir“, das ihn als Mitverschworenen der US-Regierung — oder der CIA — erscheinen lässt. Dass Elon Musk privilegierten Zugang zur US-Regierung hat, kann als gesichert gelten — schließlich ist er auch der CEO der Firma SpaceX, ohne die es in den USA zurzeit keine bemannte Raumfahrt gäbe.
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