„Pandora“ ist kein Datenleck, sondern eine Geheimdienstoperation. Die angeblich 12 Millionen Dokumente über Offshore-Geldwäsche und Steuerhinterziehung kamen nicht von einem Whistleblower, sondern wurden in 14 Anlagefirmen abgesaugt. Nicht von „russischen Hackern“, dem fiktiven Gottseibeiuns seit „Russiagate“, und auch nicht von eifrigen Finanzbeamten und Steuerfahndern, sondern von unseren Freunden von NSA und CIA.
Um das festzustellen, reicht ein Blick auf die Landkarte, denn von den 300 verdächtigten Politikern und Prominenten stammt kein einziger aus den USA. Den angeblich 600 Journalisten, die den Datenbestand an 1,29 Terrabyte ein Jahr lang durchforstet haben, ist das offenbar nicht aufgefallen.
Und bei der Pressekonferenz des Internationalen Investigativ Konsortiums ICIJ und auch in den Veröffentlichungen, die ich dazu gesehen habe, wurde die Kernfrage gar nicht gestellt: woher kommen die Daten eigentlich, wer hat sie zur Verfügung gestellt und welche Interessen werden damit verfolgt?
Da wird „The largest investigation in journalism history exposes a shadow financial system that benefits the world‘s most rich and powerful“ präsentiert und bei den Reichen und Mächtigen ist kein einziger Ami dabei, aber reichlich Oligarchen, Autokraten samt Familien aus Afrika, Asien und natürlich Russland? Putin hat es zwar nur über den Umweg über eine „angebliche“ Geliebte, die vor 20 Jahren ein Appartment in Monaco erstanden haben soll, in die Top-Charts gebracht, muss aber auf dem „Fahndungsplakat“ des „Guardian“ mit dem größten Kopf herhalten; der Schweizer „Tagesanzeiger” trumpft auf einer Doppelseite sogar nochmal mit dem „Putin-Palast“ auf, den der Fake-Artist Nawalny der Öffentlichkeit vergeblich andrehen wollte.
Kommen die Ultra-Reichen aus den USA einfach deshalb nicht vor, weil sie keine „Steueroasen“ brauchen, da sie ja sowieso keine Steuern zahlen? Das ist natürlich Quatsch… Oligarchen wie Pierre Omidyar oder George Soros „optimieren“ ihre Steuern mit Stiftungen, die dann Konsortien wie das ICIJ finanzieren, welche dann wiederum (with a little help of CIA) andere Steuroptimierer enttarnen, die sich unbeliebt gemacht haben oder im Rahmen von Regime Change-Operationen auf der Abschußliste stehen. Taucht also jetzt Ex-Premier Tony Blair dort auf, der bei einem Hauskauf über eine Offshorefirma 400.000 Steuern sparte, weil man ihm seinen millionenschweren Beratervertrag beim saudischen Knochensäger Bin Salman abspenstig machen will?
Oder will Joe Biden den treu verbündeten König von Jordanien vor den Bus werfen, weil der letzte Woche erstmals seit zehn Jahren wieder mit Syriens Assad telefonierte? Inwieweit haben sich der Herrscher von Dubai, oder die Präsidenten von Kongo, Kenia, der Elfenbeinküste oder Tschechien unbotmäßig verhalten, dass sie jetzt von der einzigen Supermacht an den Pranger gestellt werden?
Das sind die Fragen, denen jetzt investigativ nachgegangen werden müsste, denn ein Zufall ist diese neue Steuersünderliste nicht. Hier wird der Unterschied zwischen einer unabhängigen Whistleblower-Plattform wie Wikileaks und eher fragwürdigen Vereinen wie ICIJ deutlich: auch Julian Assange gab seine Informanten niemals preis und wollte sie möglichst gar nicht kennen, aber Wikileaks sicherte ihnen zu, dass man nur die Echtheit prüft und dann sämtliche Dokumente veröffentlicht.
Edward Snowden war das zu heiß und er übergab sein Material an Glenn Greenwald und der auch von Omidyar finanzierten Plattform „The Intercept“, mit dem Ergebnis, dass nur ein kleiner Teil überhaupt an die Öffentlichkeit kam. Für die weitere Aufarbeitung des Materials sei kein Geld da, wurde dann später mitgeteilt (und Glenn Greenwald letztes Jahr entlassen).
Wenn jetzt nicht 14 ehrbare Angestellte der 14 Offshore-Firmen dem ICIJ ihr Material über unlautere Machenschaften gesteckt haben, sondern US-Geheimdienste Whistleblower gespielt haben, wird die Frage, was hier — aus Geldmangel (Zwinkersmiley) — unterm Teppich bleibt, sehr interessant. Wie 2016 die Panama-Papers und 2017 die Paradise-Leaks („Paradise und Parasiten“) macht „Pandora“ eine weiteres Stückchen der Spitze des gigantischen Eisbergs sichtbar, der aber weiter fröhlich vor sich hintreiben wird, totgeschwiegen und umschifft, denn er ist für die Ultra-Reichen unverzichtbar.
„›Steueroasen‹ sind fast schon ein zu idyllisches Wort für diese Rückzugsorte, die wie einst die Burgen der Raubritter oder die Schatzinseln der Piraten für die Geplünderten und Beraubten uneinnehmbar sind. Und es sind nicht erfolgreiche Zahnärzte oder Besserverdienende, kleine Millionäre wie Uli Hoeneß oder Alice Schwarzer, die ein bisschen Schwarzgeld am Finanzamt vorbei offshore parken, in der Schweiz oder in der Karibik — es sind die globalen Großkonzerne, Multimilliardäre und korrupten Oligarchen, die hier den Wohlstand ihrer Nationen privat bunkern.
Die Beträge, die in solche Standorte geflossen sind, stiegen von elf Milliarden US-Dollar im Jahr 1968 über 385 Milliarden US-Dollar 1978 und sechs Billionen US-Dollar 1998 auf 21 Billionen US-Dollar im Jahr 2010. Nach konservativen Schätzungen hat die Verlagerung von Geldvermögen von 1968 bis heute somit um das 2000-Fache zugenommen. Nahezu alle großen Konzerne verfügen über Offshore-Zweigunternehmen, mehr als die Hälfte des Welthandels fließt durch diese Steueroasen, fast alle hochvermögenden Privatpersonen besitzen Offshore-Konten, die ihnen steuerliche ›Gestaltungsmöglichkeiten‹ eröffnen.“
So summiert John Urry, einer der wenigen Soziologen, die dieses gigantische Schattenreich der globalen Ökonomie erforschen, das Problem (John Urry, Grenzenloser Profit. Wirtschaft in der Grauzone, 2015). („Oh wie schön ist Panama“, 10.4.2016)
Die Offshore-Oasen sind die Raubritterburgen des globalen Neo-Feudalismus. So erfreulich es ist, wenn jetzt mit „Pandora” ein paar kleinere Plünderer öffentlich zur Fahndung ausgeschrieben sind und sogar ein paar Köpfe rollen, werden diese Festungen des Finanzkapitals wohl fürs Erste uneinnehmbar bleiben.
In unserem Buch „Die ganze Wahrheit über alles“ haben wir „Steuern und Steueroasen“ ein Kapitel gewidmet und die sehr einfachen Lösungen skizizziert, wie man diese Raubritterburgen schleifen kann. In Frankreich brauchte es 1789 noch eine blutige Revolution, um Adel und Klerus zu Steuerzahlungen zu zwingen. Um dem heutigen Finanzadel an die Brieftasche und die Briefkastenfirma zu gehen, braucht es hingegen nur ein paar Daumenschrauben: ein internationales Finanzkataster, das die Besitzverhältnisse von Wertpapieren eindeutig registriert. Standorte, die sich weigern, dieser Registrierungspflicht nachzukommen, werden so lange mit Strafzöllen auf ihre Transaktionen belegt, bis sich ihre Geheimnistuerei nicht mehr rechnet:
„Ein Offshore-Briefkasten darf nicht mehr ausreichen, um sich vor Steuerzahlungen drücken zu können, die Person oder die Firma muss leibhaftig anwesend, sprich niedergelassen sein, um in den Genuss der Steuervermeidung zu kommen. Wir prognostizieren: Es wird nur sehr kurzfristig ein wenig voller auf den Caymans, den Jungferninseln oder Jersey… Wenn die Steueroasen in Wüsten verwandelt sind, hält es dort niemand mehr lange aus.“
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien unter dem Titel „Pandora Papers: Schlapphüte spielen Whistleblower“ zuerst auf dem Blog von Mathias Broeckers.
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